16.

 

Die gefundenen Vorräte reichten nicht einmal für eine Mahlzeit für die Krieger und Knechte der Vorhut. Dafür aber konnten die Männer endlich genug trinken. Allen war bewusst, dass bald etwas geschehen musste. Doch die meisten Männer klammerten sich an die Hoffnung, in Saragossa all das zu erhalten, was ihnen auf dem Weg dorthin schmerzlich fehlte.

Da Maite die Mauren besser kannte, teilte sie diese Hoffnung nicht. Die Sippe der Banu Qasim, die das Land im weiten Umkreis beherrschte, mochte sich zwar wünschen, der lästigen Herrschaft Córdobas ledig zu werden, aber sie würde sie niemals gegen das Joch der Franken eintauschen.

Ermengilda teilte ihre Ansicht, fand aber weder bei ihrem Gemahl noch bei Konrad oder Philibert Gehör. Der Einzige, der ihr zuhörte, ohne ihr zu widersprechen, war Just, der stundenlang neben dem Wagen herlief oder sich zu Maite und Ermengilda setzte, um von ihnen so viel wie möglich über das Land um sie herum zu erfahren. Allerdings wusste auch er nicht, was er von den Befürchtungen der beiden Frauen halten sollte. Noch glaubte auch er unbeirrt an einen Sieg über die Mauren, aber er behielt diese Ansicht für sich, weil er es sich nicht mit seinen Gesprächspartnerinnen verderben wollte.

Unterdessen hatte Rolands Trupp den Ebro erreicht und ritt durch die vom Fluss geprägte Landschaft immer weiter auf Saragossa zu, begleitet von einer wachsenden Zahl maurischer Streifscharen. Diese überschütteten den Vortrab immer wieder mit Pfeilen und verschwanden so schnell, dass die Reiter keine Chance bekamen, sie zu stellen.

Unter diesen Umständen befürchtete auch Roland, dass Saragossa ihnen nicht freiwillig die Tore öffnen würde, und sandte einen Boten zum König. Als Antwort erhielt er nur den Befehl, so rasch wie möglich auf die Stadt vorzurücken.

Es kam wie befürchtet. Als sie Saragossa erreichten, hatte die Stadt sich auf eine Belagerung eingerichtet und hielt die Tore geschlossen. Roland schickte einen Mann vor, um Verhandlungen einzuleiten, und musste zusehen, wie sein Bote von Dutzenden maurischer Pfeile durchbohrt tot vor dem Stadttor liegen blieb.

»Der arme Hund«, sagte Rado, der ebenfalls Zeuge der Ermordung des Unterhändlers geworden war.

»Dafür werden sie bezahlen!« Konrad ballte die Faust und dachte dabei an Maites Worte, dass er und die anderen Franken erst einmal in der Lage sein müssten, den Mauren die Rechnung zu präsentieren.

»Es wäre nicht die erste Stadt, die wir eingenommen haben. Auch Pavia in Italien musste uns die Tore öffnen.« Rado spuckte aus und zeigte dann auf die Stelle, an der bereits der Aufbau des Lagers in Angriff genommen wurde.

»Wir sollten uns ein gutes Plätzchen sichern, sonst geraten wir zu nahe an den Fluss. Von dem steigen gewiss üble Dämpfe auf, die Krankheit und Tod mit sich bringen.«

»Tu das. Nimm Just und die beiden Stuten mit. Philibert und ich kommen gleich nach.« Für sich dachte Konrad, dass er sich längst einen Sklaven hätte besorgen müssen, der Rado zur Hand ging. Immerhin war dieser ein freier Krieger und nur aus Anhänglichkeit bei ihm geblieben. Just half ihm zwar, aber er war nur ein Knabe und sollte keine schweren Arbeiten verrichten.

»Also warten wir auf König Karl«, murmelte er und wollte Rado folgen.

Da tauchte einer von Rolands Bretonen neben ihm auf. »Der Markgraf wünscht, dass du mit einer Schar Reiter die Gegend durchkämmst und jeden Mauren, der sich hier herumtreibt, fängst oder vertreibst.«

»Dann habe ich wenigstens etwas zu tun und muss nicht herumsitzen, bis das Hauptheer eintrifft.« Konrad winkte dem Mann zu und wollte antraben. Doch obwohl sie heute eine kürzere Strecke zurückgelegt hatten als die Tage vorher, keuchte sein Hengst wie ein Blasebalg und trippelte unruhig hin und her.

»Ich fürchte, dein Pferd ist krank«, sagte Philibert.

Erschrocken sprang Konrad ab. »Das darf nicht sein!«

»Es ist aber so! Leider ist er nicht der einzige Gaul, der diese Anzeichen zeigt. Erst gestern ist einer fast unter seinem Reiter krepiert. Es muss das schlechte Wasser sein. Einige Krieger, die es getrunken haben, klagen jedenfalls über Bauchweh und noch Schlimmeres.« Philibert musterte den Hengst, der dürrer und schwächer wirkte als früher. Die Augen des Tieres waren blutunterlaufen, und aus seinen Nüstern rann der Rotz.

»Ich glaube nicht, dass das Tier noch zu retten ist. Lass den Gaul hier. Rado soll sich um ihn kümmern. Nimm die größere deiner beiden Stuten. Wir reiten ja nicht Sattel an Sattel in die Schlacht, sondern wollen Mauren jagen!« Philibert kannte die enge Verbundenheit zwischen Konrad und dessen Reittier. Doch das Leben ging weiter, und es galt, Rolands Befehl auszuführen.

Konrad nahm nun den elenden Zustand seines Hengstes wahr und kämpfte mit den Tränen. Das Tier hatte ihn so viele hundert Meilen brav getragen und würde so kurz vor dem Ziel ein unrühmliches Ende finden.

»Es wäre besser, er wäre in der Schlacht gefallen, als so zu krepieren.« Einen Augenblick erwog er, Rado um dessen Wallach zu bitten. Dann entschied er sich doch für die helle, gefleckte Stute.

»Kümmere dich um den Hengst, während ich weg bin, Rado«, sagte Konrad mit brüchiger Stimme, obwohl er keine Hoffnung hatte, sein Begleiter könne dem Tier helfen.

Dieser nickte. »Ich habe mir schon gedacht, dass es nicht allein die Erschöpfung des langen Marsches ist, die ihm so zusetzt. Er ist ein treues Tier. Einen besseren Gaul wirst du so rasch nicht finden.«

Dann wandte Rado sich an Just. »Sattle die große Stute für Konrad, schnell!« Er seufzte und sah Konrad treuherzig an. »Ich wollte, ich könnte mit dir kommen und den Mauren das Wasser heimzahlen, das sie verdorben haben. Versprich mir, ein paar Heidenschädel zu spalten, wenn du nahe genug an sie herankommst.«

»Das werde ich, mein Guter! Darauf kannst du dich verlassen.« Konrad nickte ihm zu und stieg auf das Maurenpferd, das Just herangeführt hatte.

»Darf ich einen Wunsch äußern?«, fragte der Junge.

»Gerne.«

»Wenn es möglich ist, dann bringt mir einen Text in der Sprache und Schrift der Mauren mit. Maite hat versprochen, mir zu zeigen, was diese Zeichen bedeuten.«

»Junge, unser Herr reitet doch nicht in ein Kloster, um ein Schriftstück zu besorgen, sondern in den Kampf. Glaubst du denn, die Mauren tragen beschriebenes Pergament bei sich?« Just nickte zaghaft. »Das hat Maite mir erzählt. Die meisten ihrer Krieger sollen Zettel mit den Aussprüchen ihres Propheten als Schutzamulett bei sich tragen, ähnlich wie viele unserer Leute das Kreuz.«

»So ein Unsinn«, sagte Rado und vergaß dabei die Wieselpfote, die ihm seine Frau mitgegeben hatte, damit er wieder gesund nach Hause kommen sollte.

Konrad beugte sich aus dem Sattel und strich dem Jungen über das Haar. »Wenn ich so ein Ding finde, bringe ich es dir mit.«

»Danke!« Just blickte mit leuchtenden Augen zu ihm auf und trat zurück, als Konrad anritt. Die Stute war um etliches kleiner als die Hengste, die seine Männer ritten, aber flink und von einem kaum zu bremsenden Tatendrang.

»Wenn unser Herr das Tier gesund nach Hause bringt, wird er ausgezeichnete Fohlen von ihr bekommen.«

Rado drehte sich zu dem Jungen um. »Was weißt du schon von Pferdezucht? Aber recht hast du. Diese Stute ist etwas ganz Besonderes.« Er sah Konrads Hengst an und wollte gerade Just befehlen, ihm einige Sachen zu bringen, die er für eine Behandlung des Tieres benötigte. Doch der Junge war nicht mehr zu sehen.

Just war hinter seinem Rücken in das Zelt geschlüpft, in dem Maite und Ermengilda sich aufhielten. Die beiden wussten so viel zu erzählen, das ihn brennend interessierte, und da sie sich nicht mehr auf dem Marsch befanden, hatten sie Zeit, ihm mehr über jene Dinge zu berichten, die er wissen wollte.

Die Rose von Asturien
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