18.

 

Den höchsten Blutzoll mussten die Angreifer an jener Stelle zahlen, an der Roland die Franken anführte. Seine Wut darüber, in eine Falle gelaufen zu sein, hatte den Markgrafen in einen Berserker verwandelt. Immer wieder fuhr sein langes Schwert auf die Feinde nieder, und wenn er es zurückzog, glänzte frisches Blut auf der Klinge.

Doch er konnte das Verhängnis nicht mehr aufhalten. Um ihn herum starben die Männer, und es wurde mit jeder Angriffswelle mühsamer, den Waskonen standzuhalten.

»Es war ein Fehler von Karl, die Mauern von Pamplona zu schleifen. Er hätte die ganze Stadt anzünden und die Bewohner als Sklaven nach Franken verschleppen sollen«, sagte er in einer kurzen Gefechtspause zu Bruder Turpinius, der von einem der Gefallenen zum nächsten eilte, um ihnen die heiligen Sakramente zu spenden.

»Die Bergstämme hätten uns dennoch angegriffen«, wandte sein Beichtvater ein.

Roland spürte einen Schlag gegen seinen Arm und sah auf. Ein Pfeil hatte seinen Schild getroffen. »Anscheinend haben diese Hunde genug von unseren Klingen und versuchen es wieder mit Pfeilen. Aber auch damit können sie uns nicht schrecken.«

»Welche Hoffnung gibt es denn noch?«, fragte Turpinius verwirrt.

»Keine, wenn du es genau wissen willst. Aber es werden noch viele von diesen Hunden ins Gras beißen, ehe unsere Leiber den Boden decken.« Roland entblößte seine Zähne wie ein Wolf, der auf Beute aus ist. Da sah er, wie ein junger Krieger ein Horn aus Elfenbein, das mit kunstvollen Schnitzereien versehen war, von der Hüfte nahm und hineinblasen wollte.

»Was soll das?«, fragte er harsch.

»Vielleicht hört uns der König und macht kehrt, um uns zu helfen!« Der Bursche zitterte dabei und blies dann ins Horn, brachte aber keinen Ton heraus.

Bevor er es ein weiteres Mal versuchen konnte, nahm Roland ihm das Horn ab. »Das ist sinnlos. Das Heer des Königs ist uns etliche Tagesmärsche voraus. Sie können uns nicht hören. Und selbst wenn, würden sie zu spät kommen. Also lass sie marschieren. Wenn das Heer umkehrt, wird es noch länger dauern, bis es an die Sachsengrenze kommt. Damit aber bekämen die Sachsen noch mehr Zeit, unser schönes Frankenland zu verheeren.«

»Aber was ist, wenn die Mauren und Waskonen ins Reich einfallen?«, rief Turpinius besorgt.

»Dann treffen sie als Erstes auf Gascogner und Aquitanier, und denen ist ein Schlag zwischen die Hörner zu gönnen. Wir aber haben jetzt etwas anderes zu tun!« Mit grimmigem Lachen zeigte Roland auf eine Schar Waskonen, die den Weg heraufkamen. Sie lachten und spotteten über die toten Franken. Einige von ihnen beugten sich über die Gefallenen, um zu plündern, andere suchten nach Beutewaffen.

Roland hängte sich das Horn über die Schultern, packte sein Schwert fester und stürmte gegen die Waskonen an. Seine Bretonen folgten ihm auf dem Fuß, und nach kurzem Zögern rannten auch die noch kampffähigen Franken hinter ihm her. Der junge Eneko und seine Begleiter waren schon geraume Zeit nur an toten und verwundeten Franken vorbeigekommen und hatten allen Feinden, in denen sie noch Leben vermuteten, mit ihren Speeren den Garaus gemacht. In ihren Augen war der Kampf bereits auf ganzer Linie gewonnen, als mit einem Mal Rolands letztes Aufgebot auf sie zustürzte. Die Rüstung des Markgrafen troff vor Blut, und auf seinem Schild saßen die Pfeilspitzen dicht an dicht.

Asier war der Erste, der auf Roland traf. Der Krieger aus Askaiz vermochte einen noch mit der eigenen Klinge abzuwehren, der zweite aber traf seinen ungeschützten Hals.

Einen Atemzug später sah Eneko sich dem entfesselten Franken gegenüber. Der Sohn des Grafen von Pamplona kämpfte mutig, doch gegen diesen Gegner hatte er keine Chance. Rolands Schwert drang durch die Schulter bis ins Herz.

Zigor versuchte, seinen jungen Herrn zu rächen, doch auch er war dem Wüten des Markgrafen nicht gewachsen. Doch um Roland herum fielen nun auch die letzten Franken, und daher gelang es einigen Waskonen, ihn zu umgehen.

Turpinius bemerkte es gerade noch. »Vorsicht, hinter dir!« Wie eine gereizte Katze schnellte Roland herum, schlug zu, und ein weiterer Waskone sank mit gebrochenen Augen zu Boden.

»Gegen diesen Mann kommen wir einzeln nicht an. Wir müssen ihn alle zugleich angreifen«, rief Danel seinen Kameraden zu.

»Sollen ihn doch die Mauren mit ihren Pfeilen erledigen!« Den Männern graute es vor diesem Krieger, der unbesiegbar schien. Obwohl Danel zum Angriff drängte, wichen die anderen zurück und lösten sich, als Roland ihnen folgte, wie Schemen zwischen den dunklen Bäumen des Waldes auf.

Roland blieb stehen und blickte sich um. Außer ihm selbst war nur noch Turpinius am Leben. Da es ihm wegen seiner Wunden zunehmend schwerer fiel, auf den Beinen zu bleiben, kehrte er zu Turpinius zurück und ließ sich ächzend neben ihm nieder.

»Wie es aussieht, muss Karl den Sachsen ohne uns den Garaus machen. Beim Heiland! Wird er wütend sein, wenn er von unserem Schlamassel erfährt!« Er atmete tief durch und kämpfte gegen die Schleier an, die vor seinen Augen waberten.

»Ich werde auf einmal so müde. Wecke mich, Bruder, wenn die Waskonen zurückkommen.«

Der Mönch sah, dass der Markgraf am Ende seiner Kräfte war. Roland schlief jedoch nicht ein, sondern schreckte auf, als sei er aus einem üblen Traum erwacht.

»Mein Schwert sollen sie nicht bekommen!« Er stemmte sich mühsam hoch, packte die Waffe mit beiden Händen und schlug sie gegen einen vorstehenden Felsen. Ein schriller Ton hallte durch die Schlucht, doch das Schwert blieb heil. Wütend hieb er erneut auf den Felsblock ein. Beim zweiten Hieb zeigte die Klinge Scharten, und beim nächsten zersprang sie wie Glas.

Roland lachte und warf den Knauf fort. Einer der Mauren glaubte, er sei wehrlos, und sprang mit erhobener Klinge auf ihn zu. Der Markgraf packte das Elfenbeinhorn, und während er selbst dem Hieb des Mauren auswich, schmetterte er ihm das Horn gegen den Helm. Der Mann sank halb betäubt in die Knie, doch bevor er wieder auf die Beine kommen konnte, war Roland bei ihm und brach ihm das Genick.

Das war der letzte Feind, den Roland in diesem Leben tötete, denn nun tauchten immer mehr Mauren zwischen den Bäumen auf und hoben ihre Bögen. Den aus nächster Nähe abgeschossenen Pfeilen hielt auch sein Panzer nicht stand. Roland spürte die Einschläge in seinem Rücken und drehte sich langsam zu den Mauren um.

»Feiglinge!«, murmelte er noch. Dann stürzte er zu Boden.

Turpinius eilte zu ihm, konnte aber nichts mehr für ihn tun.

»Ihr braucht keine Angst mehr vor ihm zu haben. Er ist tot!«, rief er den Mauren und Waskonen zu, die sich nur langsam näher wagten. Tränen liefen ihm über die Wangen, und daher sah er nicht, wie einer der Waskonen hinter ihn trat, um ihm mit einem Schnitt die Kehle zu durchtrennen.

Die Rose von Asturien
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