9.

 

Nachdem Konrads Schar das Lager verlassen hatte, kehrte jene Ruhe zurück, die sich wie ein lähmender Bann über dem fränkischen Lager breitmachte. Trotz Rolands wiederholten Forderungen blieb ihm die Stadt verschlossen, und Eneko verweigerte ihm weiterhin die Übergabe der Geiseln. Auch rollten immer noch keine Vorratswagen die Straße herauf, und da die Einwohner Iruñeas den Franken aus dem Weg gingen, fühlten diese sich wie im Feindesland.

Außer den Boten des Hauptheers, die König Karl in regelmäßigen Abständen schickte, trauten sich nur Kaufleute ins Lager, die in einem zugewiesenen Winkel am Haupttor alle möglichen Waren feilhielten und dafür unverschämte Preise forderten.

Da Maite trotz ihrer Bitten kein Kleid und auch keinen Stoff dafür erhalten hatte, bot der kleine Markt ihr und Ermengilda die Gelegenheit, sich nach Tuch für neue Gewänder umzusehen. Dabei gerieten sie mit einem Tuchhändler aneinander, der ihnen einfaches Leinen so teuer verkaufen wollte wie edlen Samt. Beide Mädchen besaßen kein Geld, versuchten dem Mann aber klarzumachen, dass Markgraf Roland oder zumindest der Asturier Ramiro ihre Auslagen begleichen würde.

Auf ein solches Versprechen aber wollte sich der Händler nicht einlassen. »Entweder ihr Weibsbilder zahlt auf der Stelle das, was ich für dieses Tuch fordere, oder ihr verschwindet«, erklärte er und drehte ihnen den Rücken zu.

Maite juckte es in den Fingern, ihm für diese Unverschämtheit eine Ohrfeige zu versetzen. Sie benötigte den Stoff dringend, denn ihr Kleid war inzwischen so schäbig, dass selbst eine Magd sich geweigert hätte, es anzuziehen.

»Wir sollten den Profos rufen, damit er diesen Kerl aus dem Lager werfen lässt«, sagte sie zu Ermengilda.

Diese maß den Händler mit einem zornigen Blick. »Entweder gibst du uns das Tuch zu einem guten Preis, oder ich werde dafür sorgen, dass mein Vater, der Markgraf der Grenzmark, dir jeden Handel in seinem Machtbereich untersagt.«

In dem Augenblick riss es den Händler herum, und seine Augen weiteten sich. »Dann seid Ihr die Rose von Asturien, das Edelfräulein, das von den Waskonen entführt worden ist!«

»Natürlich bin ich das«, antwortete Ermengilda und fasste wieder nach dem Tuch, das ihr und Maite in die Augen gestochen war.

»Ich will sechs Ellen davon, aber gut abgemessen! Außerdem zehn Ellen von dem Band dort drüben und noch einmal so viel von diesem Band.« Sie zeigte nacheinander auf die gewünschten Gegenstände, doch der Händler dachte nicht daran, zur Schere zu greifen. Er musterte Ermengilda wie eine Stute, die er am liebsten kaufen würde, und überlegte, wie viel die blonde Schönheit wohl einem der maurischen Würdenträger wert sein mochte. Auch wenn er derzeit mit Stoffen handelte, war er einem Nebengeschäft nicht abgeneigt. Der Mann beschloss daher, bestimmten Leuten von Ermengildas Anwesenheit in diesem Lager zu berichten, bevor er ihnen weitere Informationen über die Franken verkaufte. Der Gedanke an die Belohnung, die er für die erste Nachricht erhalten würde, hinderte ihn jedoch nicht daran, an den fränkischen Eindringlingen gut verdienen zu wollen.

Er riss Ermengilda den Stoff aus den Händen, den sie eben angefasst hatte, und machte die Geste des Geldzählens. »Zeigt mir Euer Geld oder macht, dass Ihr wegkommt!«

Maite stieß eine Verwünschung in ihrer Muttersprache aus, die er offensichtlich verstand, denn er hob die Hand, um sie zu schlagen. Da packte ihn jemand am Arm und stieß ihn zurück. Als er aufsah, stand ein junger Franke in einer waidgefärbten Tunika vor ihm. »Behandele die Damen so, wie es sich gehört, sonst wird meine Faust dich Höflichkeit lehren!«

»Philibert!« Ermengilda atmete auf.

»Was will der Kerl?«, fragte er.

»Wir wollten ein Stück Tuch bei ihm kaufen, doch er verlangt einen unverschämten Preis und will das Geld sofort sehen. Wir müssen jedoch Herrn Roland oder Ramiro darum bitten.«

Philibert entging nicht, dass sie Eward, der für ihre Bedürfnisse hätte aufkommen müssen, nicht erwähnte. Da er annahm, der Stoff wäre für sie, griff er mit einem Lächeln an seinen Gürtel. Er war zwar nicht reich, doch in diesem Augenblick hätte er sein ganzes Hab und Gut für Ermengilda geopfert.

»Miss der Dame das Tuch ab und betrüge uns nicht, sonst lasse ich dich von den Wachen aus dem Lager prügeln«, sagte er und zog einige Münzen hervor.

Beim Anblick des Geldes wurde der Händler geradezu devot, versuchte aber, auf seinem Preis zu beharren. Doch Maite hatte begriffen, dass der Mann trotz der Tracht eines christlichen Händlers ein Maure war, und feilschte um jeden Dirhem.

Zuletzt warf ihr der Mann den Stoff mit einer Geste des Abscheus hin. »Wovon soll ich leben und meine Weiber und Kinder ernähren, wenn du mein Tuch billiger haben willst, als ich es beim Weber erstehe?« Seine Wortwahl hätte Philibert misstrauisch machen können, doch der Händler hatte Glück, dass der junge Mann mehr auf Ermengilda als auf ihn achtete und Maite ihren Verdacht nicht weitergab. Sonst hätte Philibert ihn als maurischen Spion festgehalten und ihn den Wachen übergeben.

So aber zählte der Franke ihm die Summe in die Hand, auf die sie sich geeinigt hatten, und sah aufmerksam zu, wie der Mann das Tuch abmaß und mit einer scharfen Schere zerteilte.

Ermengilda nahm das Bündel, das ihr der Händler reichte, aufatmend entgegen und lächelte Maite zu. »Damit können wir dir gleich zwei hübsche Kleider nähen. Die Bänder hier werden dir ausgezeichnet stehen.«

Philibert zog ein langes Gesicht. Maite hätte er freiwillig nichts gekauft. Dann dachte er daran, dass er auch in diesem Fall vor Ermengilda gut dastand, und bot ihr an, den Einkauf zu ihrem Zelt zu tragen.

Am Eingang nahm die Asturierin ihm das Bündel ab und verabschiedete ihn mit einem Lächeln, das ihn die Münzen, die er ausgegeben hatte, vergessen ließ.

»Wenn Ihr Hilfe braucht, Herrin, bin ich jederzeit für Euch da!« Philibert verbeugte sich so tief, als stände er vor einer Königin, und ging mit langen Schritten davon, ohne Maite eines Blickes zu würdigen.

Ermengilda sah ihm sinnend nach. »Herr Philibert ist ein sehr höflicher Mann, meinst du nicht auch?«

Maite zuckte mit den Achseln. »So, wie er dich mit seinen Blicken verschlingt, steht ihm der Sinn nach gewissen Dingen.«

Ermengilda brauchte einen Augenblick, um ihre Worte zu verstehen, lachte dann aber auf. »Keine Sorge! Herr Philibert weiß, dass ich eine verheiratete Frau bin und kein Schatten auf meine Ehre fallen darf.«

»Glaubst du wirklich, er kann weiter denken, als seine Nase reicht? Im Allgemeinen ist dies eine Kunst, die Männer nur selten beherrschen.«

»Herr Philibert ist gewiss nicht so«, antwortete Ermengilda hitzig und hielt ihr einen längeren Vortrag über die Vorzüge des jungen Mannes.

Maite hörte nur mit halbem Ohr zu und wühlte in Ermengildas Truhe, um das Nähzeug zu finden. Während sie die Stoffmenge abmaß, die sie für ihr neues Kleid benötigte, fragte sie sich, ob sie auch einmal so wortreich für einen jungen Mann schwärmen würde wie ihre Zeltgefährtin.

Die Rose von Asturien
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