13.

 

Konrad war sich nicht sicher, ob Doña Urraxa in ihm den fränkischen Anführer erkannte, den sie vor etlichen Wochen mit beleidigenden Worten am Tor abgefertigt hatte. An diesem Tag war sie jedenfalls wie ausgewechselt und umsorgte Philibert und ihn wie eine Mutter. Sie hatte allen ein Bad bereiten und ihnen Kleider geben lassen, derer sich auch Edelleute nicht schämen mussten. So feine Sachen hatte Konrad noch nie getragen, und er beobachtete lächelnd, dass Just sich aus Angst, sein Gewand zu beschmutzen oder gar zu beschädigen, kaum mehr zu rühren wagte.

Einzig Philibert lag noch bis auf ein lässig über den Unterleib geworfenes Tuch nackt auf dem Bett und sah zu, wie die Hausherrin mit Hilfe ihrer Beschließerin seine Verbände abnahm. Angesichts der aufgeschwollenen und rot entzündeten Wunden entrang sich Doña Urraxa ein besorgter Seufzer.

»Ihr werdet einige Wochen auf dem Wundlager verbringen müssen, Herr Philibert von Roisel, wenn Ihr Euch überhaupt wieder davon erhebt. Eure Schulterwunde bereitet mir dabei weniger Sorgen als Euer Oberschenkel. Wenn dort der Wundbrand ausbricht, kostet es Euch das Leben. Wärt Ihr weiter unten, zum Beispiel an der Wade, verletzt worden, könnte man Euch das Bein abnehmen. So aber ist es unmöglich.«

Konrad verspürte für einen Augenblick den Wunsch, Philibert würde seinen Verletzungen erliegen, schämte sich aber noch im selben Moment dafür und bat den Heiland inständig, seinen Freund gesunden zu lassen. Auf eine solche Weise wollte er Ermengilda wahrlich nicht gewinnen.

Konrads Gewissenspein blieb unbemerkt, da alle auf Doña Urraxa starrten. Diese nahm ein scharfes Messer zur Hand und öffnete die Wunden, um die Pfeilschäfte und nach Möglichkeit auch die Spitzen herauszuholen.

Obwohl Philibert trotz des betäubenden Saftes, den sie ihm eingeflößt hatte, vor Schmerzen ächzte, wurde ihm klar, von wem Ermengilda ihre sanften Hände geerbt hatte. Schon nach kurzer Zeit hatte Doña Urraxa die Pfeilreste entfernt und die Wunden ausgewaschen. Sie überließ es jedoch Alma, Arzneien aufzutragen und die Verbände anzulegen, weil weitere Verpflichtungen in der Halle auf sie warteten. Für sie galt es, Jussuf Ibn al Qasi bei Laune zu halten, der als Freund und heimlicher Verbündeter wertvoll war.

Alma ging nicht ganz so zartfühlend mit dem Patienten um, doch die übrigen Bewohner der Roderichsburg hätten sich über ihre Rücksichtnahme gewundert. Trotzdem atmete Philibert auf, als sie endlich fertig war und sich freundlich von ihm verabschiedete. Nachdem er sich mit einem weiteren Schluck Wein gekräftigt hatte, hielt er Konrad, der seinen erschöpften Freund verlassen wollte, zurück. »Erinnerst du dich noch daran, wie oft wir zusammengesessen sind und Eward beneidet haben, weil er das besaß, was wir beide uns von ganzem Herzen wünschten?«

Konrad nickte wortlos, schenkte sich selbst einen Becher Wein ein und hörte zu.

»Nun werden für einen von uns die Träume in Erfüllung gehen. Aber ich will nicht, dass unsere Freundschaft darüber zerbricht. Schwöre mir, dass wir Freunde bleiben werden, ganz gleich, für wen Ermengilda sich entscheiden mag.«

Vom ersten Gefühl getrieben, wollte Konrad sagen, dass er sowohl Philibert wie auch Ermengilda in seinem ganzen Leben nicht mehr sehen wolle, wenn die junge Frau den anderen wählte. Dann überlegte er, ob er seinem Freund sagen sollte, dass er Ermengilda bereits besessen hatte. Doch das würde für Philibert genauso wenig zählen wie die Tatsache, dass sie dem Emir der Mauren hatte zu Diensten sein müssen. Ihm aber bot diese eine Liebesnacht in dem Wäldchen an den Ufern des Guadalquivir einen Vorteil, der für Ermengilda den Ausschlag geben konnte. Daher willigte er ein.

»Wir bleiben Freunde!«

»Versprochen?«

»Versprochen!« Konrad reichte Philibert die Hand. Dieser ergriff sie mit Tränen in den Augen. »Unser Heiland im Himmel ist mein Zeuge, dass ich Ermengilda keinem mehr gönnen würde als dir. Bei Gott, fast wünschte ich, sie würde dich nehmen. Damit könnte ich all das abtragen, was ich dir schulde. Aber ich liebe sie zu sehr.«

»Was würdest du tun, wenn Ermengilda mich wählt?«, fragte Konrad nachdenklich.

»Ich würde, sobald ich wieder reiten kann, mein Pferd satteln, das Schwert in die Hand nehmen und nach Süden reiten und dort so viele Mauren töten, wie ich nur kann, bevor es mich erwischt.«

Das Schlimme an Philiberts Worten war, dass sie so entsetzlich ernst klangen. Konrad traute es ihm zu, so zu handeln, während er selbst nicht so weit gehen würde, eines Weibes wegen sein Leben wegzuwerfen.

Die beiden wussten nicht, dass sie belauscht worden waren. Ermengilda und Maite hatten ihr Bad beendet und sich angezogen. Kaum waren sie in lange Hemden und Übergewänder geschlüpft, ergriffen sie die Stolen, die ihnen als Kopftücher dienten, und eilten zu der Kammer, in der ihre Begleiter untergebracht waren. Sie kamen gerade rechtzeitig, um Philiberts Worte zu vernehmen.

Ermengilda fasste nach Maites Händen und presste sie gegen ihre Brust. »Verstehst du jetzt, warum ich ihn heiraten muss?« Das Wort »muss« fand Maite übertrieben, und sie sagte sich, dass es Konrad nur recht geschah, wenn Ermengilda sich für Philibert entschied. Hatte er doch ihre Freundin während ihrer Flucht bereits als sein Eigentum betrachtet.

»Ich muss vorher mit Konrad reden. Lenke du derweil Philibert ab.« Ermengilda zog Maite mit in die Kammer und schubste sie zu der Bettstatt, auf der der Verletzte lag. Sie selbst wandte sich an Konrad.

»Wollen wir nicht ein wenig hinausgehen?«

»Gerne!« Konrads Augen leuchteten auf. Wie es aussah, hatte das, was bei Córdoba zwischen ihnen geschehen war, doch Bestand. Er folgte Ermengilda bis zu einem Altan, der in den Hof hineinragte, und lehnte sich dort mit dem Rücken gegen eine der hölzernen Säulen, die das Dach trugen.

Ermengilda setzte ein paarmal zum Sprechen an, brach aber immer wieder ab und blickte zuletzt ängstlich zu Boden. »Das, was ich dir zu sagen habe, fällt mir nicht leicht. Wenn es Philibert nicht gäbe, würde ich dich mit Freuden zum Manne nehmen und glücklich mit dir werden. Doch so kann ich es nicht.«

»Das war knapp und deutlich!« Konrad biss die Lippen zusammen, um nicht mehr zu sagen und dabei laut zu werden. Diese Frau hatte sich ihm hingegeben, wie nur ein Eheweib sich ihrem angetrauten Mann hingeben sollte, und wollte nun den anderen heiraten.

»Du darfst mir nicht böse sein, Konrad. Doch ich kann nicht gegen mein Herz entscheiden. Ich liebe euch beide, aber Philibert ein winziges Stück mehr als dich.«

»Schon gut! Ich habe es nicht anders erwartet. Und jetzt habe ich Sehnsucht nach einem großen Becher Wein.« Konrad wollte sich abwenden, doch Ermengilda hielt ihn mit beiden Händen fest.

»So darfst du nicht von mir scheiden. Ich liebe dich, wie ich einen Bruder lieben würde. Auch wenn du jetzt zu Recht enttäuscht und zornig bist, so bitte ich dich doch um einen Gefallen.«

»Soll ich dir und Philibert vielleicht das Brautbett aufdecken?«, fragte Konrad bissig.

Ermengilda schüttelte den Kopf. »Es hat nichts mit mir zu tun. Es geht um Maite. Ich bitte dich, kümmere dich um sie. Da ihr Onkel sie verraten und gegen alles Recht an die Mauren verkauft hat, ist sie heimatlos und hat keinen Ort, an dem sie sich niederlassen kann.«

Konrad glaubte, sich verhört zu haben. Wollte Ermengilda ihn, der eben einen Edelstein verloren hatte, etwa mit einem Batzen Lehm abfinden? Am liebsten hätte er sie ausgelacht und das getan, was Philibert vorgehabt hatte, nämlich sein Pferd satteln, nach Süden reiten und dort so viele Mauren wie möglich erschlagen.

Ermengilda spürte seinen Zorn und seine Verzweiflung und klammerte sich an ihn. »Bitte! Ich flehe dich an, tu es für mich. Ohne Maites Findigkeit wäre ich noch immer eine Sklavin im Harem des Emirs und damit Philibert und dir gleichermaßen entzogen!«

»Vielleicht wäre es besser so!«

Konrads Worte ließen Ermengilda erbleichen. Sofort hob er beschwichtigend die Hände. »Verzeih mir, ich habe es nicht so gemeint. Dafür bin ich viel zu glücklich, dich wieder in Freiheit zu sehen.«

»Das verdanke ich nur dir und Maite. Verstehst du jetzt, warum ich sie gut versorgt sehen will? Geh sanft mit ihr um. Das eine Mal, das sie Fadl Ibn al Nafzi zu Willen sein musste, war eine Qual für sie. Ich habe gesehen, wie sie hinterher ausgesehen hat. Sie war am ganzen Körper grün und blau geschlagen.«

»Deshalb hat sie ihm also die Kehle durchgeschnitten!«

»Nein, du Narr! Sie tat es, um dir das Leben zu retten. Oder hast du vergessen, dass sein Schwert dich im nächsten Augenblick durchbohrt hätte?« Ermengilda verlor allmählich die Geduld. Irgendwie hatte Maite recht, dachte sie. In gewissen Dingen war Konrad wirklich ein hirnloser Ochse.

»Fadl war ein Tier«, sagte Konrad mit leiser Stimme.

Ermengilda nickte. »Er war selbst in den Augen der anderen Mauren zu blutgierig, und sie haben ihn als Schlächter gefürchtet. Doch nun komm! Sonst glauben die anderen noch, wir hätten sonst was getan.« Sie lachte ein wenig, um ihre Anspannung loszuwerden, und führte Konrad in die Kammer zurück.

Dort fanden sie die beiden anderen schweigend vor. Maite hatte Philiberts Verbände kontrolliert, sie für gut befunden und ihm noch einmal mit Mohnsaft versetzten Wein eingeschenkt. Jetzt saß sie in einer dunklen Ecke und starrte vor sich hin.

Ermengilda musste ihre Freundin erst anstoßen, damit diese auf sie aufmerksam wurde. »Ich habe es Konrad gesagt. Nun ist er völlig verzweifelt. Wenn du ihn nicht beruhigen kannst, wird er die Burg noch heute verlassen, und wir werden ihn niemals wiedersehen«, raunte sie ihr ins Ohr.

Maite nickte und stand auf. Ohne Konrad anzusehen, ging sie an ihm vorbei, packte dabei seine rechte Hand und zog ihn mit sich. »Komm mit! Ermengilda will, dass ich bei dir bleibe und auf dich aufpasse!«

»Vor allem habe ich Durst, und du könntest mir einschenken!« Konrad stieß einen Laut aus, der ebenso ein Knurren wie ein grimmiges Lachen sein konnte, und folgte ihr.

Philibert, der mit seinen Schmerzen und dem Schlaf kämpfte, sah den beiden erstaunt nach und versuchte, sich aufzurichten. »Was ist denn los? Ihr seid alle so seltsam.«

»Ich habe Konrad gesagt, dass ich ihn nicht heiraten werde, und Maite gebeten, die nächsten Stunden bei ihm zu bleiben, damit er keinen Unsinn macht. Wer weiß, vielleicht wird sogar etwas daraus.« Um Ermengildas Lippen spielte ein versonnenes Lächeln. Sie war glücklich und wollte, dass auch ihre Freunde ihr Glück fanden.

Philibert stöhnte auf, weil er sich falsch bewegt hatte, grinste aber trotz seines schmerzverzerrten Gesichts. »Konrad und Maite? Das wäre ein starkes Stück! Aber warum nicht? Er ist ein Kerl, der von Zeit zu Zeit einen Nasenstüber braucht, und Maite genau die Frau, um ihm diesen zu verpassen.«

»Und was brauchst du?«, fragte Ermengilda lächelnd.

»Erst einmal einen Kuss von dir und dann einen weiteren Becher Wein, damit meine Zunge geschmiert wird. Es gibt ja so viel zu sagen!«

Da Philibert Anstalten machte, trotz seiner fiebrig glänzenden Augen und der Wirkung des Mohnsafts aufzustehen, beugte Ermengilda sich über ihn und berührte mit ihren Lippen seinen Mund.

Als sie sich wieder erhob, zwinkerte Philibert ihr zu und murmelte schon halb im Schlaf: »Das ist eine starke Medizin. Davon könnte ich noch mehr gebrauchen.«

Diesen Wunsch erfüllte Ermengilda ihm gern, doch bei all ihrer Glückseligkeit dachte sie ein wenig ängstlich an Maite und Konrad und fragte sich, ob es diesen beiden gelingen konnte, sich zusammenzuraufen.

Die Rose von Asturien
cover.html
titel.html
part1.html
chapter01.html
chapter02.html
chapter03.html
chapter04.html
chapter05.html
chapter06.html
chapter07.html
chapter08.html
chapter09.html
chapter10.html
chapter11.html
part2.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
part3.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
part4.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
part5.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
part6.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
part7.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
part8.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
part9.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
chapter130.html
chapter131.html
chapter132.html
part10.html
chapter133.html
chapter134.html
chapter135.html
chapter136.html
chapter137.html
chapter138.html
chapter139.html
chapter140.html
chapter141.html
chapter142.html
chapter143.html
chapter144.html
chapter145.html
chapter146.html
chapter147.html
chapter148.html
chapter149.html
chapter150.html
chapter151.html
bm1.html
bm2.html
bm3.html
author.html
copyright.html