14.

 

Abdul der Berber beobachtete die Franken, die eben ihren Pferden die Zügel freigaben, und grinste. Diese Narren lernten doch nie dazu! Schon seit Tagen spielte er immer wieder das gleiche Spiel mit ihnen. Er ließ sich mit seinen Reitern sehen und wurde von den viel zu schwer gepanzerten Reitern auf ihren lahmen Hengsten gejagt. Bis jetzt hatten er und seine Begleiter ihren Stuten nicht einmal die Sporen geben müssen, um den Franken zu entkommen. Er bedauerte, dass Abd ar-Rahman ihm nur wenige Krieger anvertraut hatte. Bereits die dreifache Anzahl hätte ausgereicht, um den Franken eine Falle stellen zu können.

Näher auf Saragossa zu würde er es tun. Sein Bruder Fadl war schon dabei, die Berber zu sammeln, die in der Umgebung der Stadt wohnten. Diese Männer würden ihm mit Freuden folgen, denn Fadl und er waren durch die Mutter des Emirs mit diesem verwandt und galten als seine treuesten und gefährlichsten Krieger.

»Was ist, Abdul? Lassen wir sie heute nahe genug herankommen, um ihnen ein paar Pfeile aufbrennen zu können?«, fragte sein neuer Stellvertreter, der den Mann ersetzte, dem er im Grenzgebiet zwischen Asturien und dem Waskonenland den Kopf abgeschlagen hatte.

Abdul überlegte kurz und nickte. »Das tun wir! Die Franken sollen merken, dass sie sich den Weg in unser Land nur mit ihrem Blut erkaufen können.« Er holte seinen Bogen heraus und legte einen Pfeil auf die Sehne. Gleichzeitig versuchte er den Anführer der Franken zu bestimmen, um das Geschoss auf diesen abschnellen zu können. Ein Krieger auf einem dunklen Ross stürmte den anderen voran. Ein weißgekleideter Reiter folgte ihm, und dahinter trabte die restliche Schar.

»Ich nehme diesen Giaur auf dem Braunen, du den hinter ihm. Die Übrigen suchen sich ihre Ziele unter den anderen Kriegern aus«, befahl er und blieb mit dem über das Sattelhorn gelegten rechten Bein auf seinem Pferd sitzen. Die Stute tänzelte unruhig, auf einen leisen Befehl hin aber stand sie so starr wie eine Statue.

Nur wenige hundert Schritt von ihm entfernt wunderte Philibert sich über die veränderte Taktik der Mauren. »Es sieht fast so aus, als wären sie heute auf Kampf aus«, rief er Eward zu. Dabei entblößte er die Zähne zu einem zufriedenen Grinsen. Ihm war es lieber, wenn er selbst Gelegenheit fand, sich als Krieger auszuzeichnen, als wenn Konrad dies tat.

»Die halten Bögen in der Hand!«, rief Eward mit schriller Stimme. Nur mit Mühe widerstand er dem Wunsch, sein Pferd zu wenden und zum Haupttrupp zu fliehen.

Abdul der Berber schätzte die Entfernung zu den anstürmenden Franken ab, hob dann seinen Bogen, zielte kurz und ließ den Pfeil von der Sehne schnellen. Das Geschoss war noch in der Luft, als er seine Stute herumriss und ihr die Sporen gab. Während das Tier in Galopp fiel, warf Abdul einen Blick über die Schulter. Sein Pfeil hatte getroffen. Der vorderste Reiter saß zwar noch auf seinem Pferd, doch er schwankte und vermochte sich nur mit Mühe im Sattel zu halten.

Auch das Geschoss seines Stellvertreters traf sein Ziel. Zwar fiel auch dessen Opfer nicht vom Pferd, dafür aber etliche der anderen Franken, die von den Pfeilen seiner Krieger getroffen worden waren. Abdul dachte zufrieden, dass diese ungläubigen Hunde jetzt wohl begriffen hatten, dass sie nicht ungestraft in die Länder der Mauren eindringen durften.

Da Abdul und seine Krieger nach hinten spähten, um zu sehen, wie viele Franken sie aus den Sätteln geholt hatten, entging ihnen der Reitertrupp, der sich bei einem einzeln stehenden roten Felsen gesammelt hatte und sich nun zu einer Angriffslinie formierte. Als die Mauren die neuen Gegner entdeckten, war es zu spät, denn Konrads Trupp kam wie eine Gewitterwand auf sie zu. Wohl gelang es einzelnen Mauren, ihre Pfeile abzuschießen, doch sie trafen schlecht und sahen sich Augenblicke später den stählernen Spitzen der fränkischen Lanzen gegenüber.

Konrad ritt auf Abdul zu, den Berber, den er als Anführer ausgemacht hatte. Dieser wollte noch einen Pfeil aus dem Köcher ziehen, warf dann aber den Bogen weg und griff zum Schwert. Bevor er es jedoch ziehen konnte, rammte ihm der junge Franke den Speer in den Leib.

Konrad ließ den Schaft los und zog selbst das Schwert. Er musste jedoch nicht mehr eingreifen, denn bis auf zwei Mauren, denen es gelungen war, zwischen seinen Reitern durchzubrechen, waren alle niedergemacht worden. Er blickte den Fliehenden nach und wollte schon die Stute herumziehen, um ihnen zu folgen. Da fasste ihn einer seiner Männer am Arm.

»Die kommen nicht weit. Ich sehe dort Reiter von uns!«

»Wo?« Konrad stellte sich im Sattel auf und entdeckte nun selbst die Schar Panzerreiter, die aus östlicher Richtung auf sie zukam. Es mochten etwas weniger als hundert Mann sein, die gerade auf die beiden Mauren aufmerksam geworden waren. Der Anführer gab ein Zeichen, und sofort schwärmte der Trupp aus, um den Feinden den Weg zu verlegen.

Die Mauren versuchten noch, an ihnen vorbeizukommen, doch da brausten Philiberts Reiter von der anderen Seite heran und verlegten ihnen den Weg. Auch Konrad ließ seine Männer wieder antraben, um auch noch die letzte Lücke zu schließen.

Abduls Reiter fanden sich umzingelt und zügelten ihre Pferde. Die Franken sahen, wie sie eifrig miteinander redeten und dann versuchten, durch die gepanzerten Reihen zu brechen. Der Wald fränkischer Speere war jedoch zu dicht. Beide Reiter wurden mehrfach durchbohrt und stürzten zu Boden. Ihre Stuten rannten noch weiter, wurden aber von Konrads Leuten eingefangen. Auch die restlichen Maurenpferde wurden eine Beute der Sieger, und dann trafen die drei Trupps an der Stelle zusammen, an der die meisten toten Mauren lagen.

»Das war gute Arbeit, Konrad«, rief Philibert schon von weitem. Der Pfeil Abduls des Berbers war an einer Panzerschuppe abgeglitten und hatte ihn nur leicht unterhalb des rechten Ellbogens verletzt. Jetzt wickelte er ein Tuch darum und verknotete es mit Hilfe seiner Zähne.

Eward ging es schlechter als ihm. Der Maurenpfeil hatte eine Lücke in seinem Panzerhemd gefunden und sich in seinen Oberschenkel gebohrt. Er verlor viel Blut und sah so bleich aus wie frisch gefallener Schnee.

»Wie geht es Euch, Herr?«, sprach Konrad ihn an.

Die Besorgnis in seiner Stimme brachte Eward dazu, seine Schmerzen für einen Augenblick zu vergessen. »Ich habe mich schon wohler gefühlt als jetzt, Konrad. Aber ich glaube nicht, dass ich zu Tode getroffen bin.«

»Es sei denn, sein Herz ist ihm so tief gerutscht«, sagte einer der Reiter zu seinem Nachbarn, aber leise genug, damit Eward ihn nicht verstand.

Konrad aber vernahm die Worte und kniff kurz die Lippen zusammen. »Die Mauren sind übermütig geworden. Wahrscheinlich dachten sie, sie könnten Wespen spielen und uns stechen, ohne dass wir selbst zuschlagen könnten. Aber den Glauben haben wir ihnen ausgetrieben. Gibt es Gefangene?«

Philibert nickte. »Zwei der Kerle haben wir erwischt. Sie sind nicht allzu schwer verletzt und werden Roland Rede und Antwort stehen können.«

»Sehr gut.« Konrad grinste fröhlich und wandte sich der Schar zu, die ihnen zu Hilfe gekommen war. Zunächst wollte er es nicht glauben, dann aber jubelte er laut auf.

»Herr Hasso, Ihr? Welch eine Freude, Euch zu sehen!«, rief er und reichte ihm die Hand.

Graf Hasso ergriff sie und hielt sie etliche Herzschläge lang fest. »Konrad! Gepriesen sei der Heiland, dass ich dich gesund und munter wiedersehe. Ich freue mich, euch alle zu sehen. Wo ihr seid, ist König Karl nicht weit.«

»Er folgt uns in weniger als einem Tagesmarsch Abstand. Wir sind auf dem Weg nach Saragossa. Suleiman Ibn al Arabi hat versprochen, dass die Stadt ihre Tore für uns öffnen wird.«

»Hoffentlich ist dieses Versprechen mehr wert als das, welches er uns bezüglich Barcelonas gegeben hat. Dort haben die Mauren nämlich die Tore vor uns versperrt.« Über Hassos Gesicht huschte ein Ausdruck tief sitzender Wut, aber er winkte ab. »Diesen Bericht würde ich lieber Markgraf Roland erstatten, damit ich nicht alles wiederholen muss. Auf jeden Fall folgt uns der Hauptteil des austrasischen Heerbanns in geringem Abstand.«

Offensichtlich war auch bei ihnen nicht alles so gelaufen, wie der König es sich vorgestellt hatte. Konrad drang jedoch nicht in ihn, sondern kümmerte sich um seine Reiter. Anders als in Graf Ewards Trupp war niemand von ihnen verletzt. Aber auf ihren Gesichtern zeichnete sich Ärger ab, und sie umringten einen Krieger, der sich lautstark mit einem von Hassos Männern stritt. Dieser war abgestiegen und hatte begonnen, die toten Mauren zu fleddern.

Als Konrad näher kam, erkannte er, dass es sich bei dem Plünderer um Ermo handelte, den Anführer des Aufgebots aus seinem Nachbardorf. Er hatte die Existenz dieses Mannes längst aus dem Gedächtnis gestrichen und wunderte sich zunächst, warum ihm dessen Geschimpfe so bekannt vorkam. Rasch lenkte er sein Pferd auf Ermo zu und drängte ihn zurück. »Halt, mein Guter! Die Beute gehört allen und wird gerecht verteilt. Also gib das, was du eben an dich gebracht hast, wieder heraus.«

Ermo sah mit schräg gehaltenem Kopf zu ihm auf. »Nichts habe ich mir bislang genommen. Alles, was ich bei mir trage, gehört mir.«

»Das stimmt nicht! Ich habe gesehen, wie er etwas in diese Tasche dort gesteckt hat«, rief einer von Konrads Reitern empört und zeigte dabei auf einen großen Lederbeutel, der an Ermos Gürtel hing.

Gaugraf Hasso kam heran. »Was ist hier los?«

»Dieser Mann da«, Konrad wies dabei auf Ermo, »hat geplündert, ohne dass es ihm gestattet worden wäre.«

Ermo zischte einen Fluch und versetzte Konrads Stute einen Schlag, dass dieser alle Mühe hatte, das empörte Tier zu bändigen.

»Spiel dich nicht so auf, Bürschchen! Sonst könnte es sein, dass dich andere auf das dir zustehende Maß zurechtstutzen!« Mit diesen Worten wollte Ermo sich umdrehen und gehen.

Doch auf Konrads Wink packten ihn zwei Reiter und warfen ihn zu Boden. »Durchsucht ihn und nehmt ihm alles ab, das er nicht durch den Eid zweier Männer als sein Eigentum erklären kann.«

Ermo wand sich wie eine Schlange und sah zu Hasso auf, der mit verschränkten Armen auf seinem Pferd saß. »Das darfst du nicht zulassen. Ich bin einer deiner Unteranführer mit einer eigenen Schar.«

»Gerade deshalb solltest du den einfachen Kriegern ein Vorbild sein! Diese Mauren wurden von Konrads Leuten besiegt. Daher ist es allein deren Recht, die Toten zu durchsuchen und die Beute einzusammeln.« Hasso hatte sich in der Vergangenheit häufig über den Mann geärgert und war nicht bereit, ihm beizuspringen. Ohne eine Miene zu verziehen, sah er zu, wie die Reiter Ermos Taschen ausräumten, in die er alles gesteckt hatte, was ihm in die Finger geraten war. Selbst Hasso staunte über das, was alles zum Vorschein kam. Plötzlich stutzte er und hob mehrere Geldstücke auf, die einer der Reiter auf seinen umgedrehten Schild geworfen hatte.

»Diese Münzen kenne ich. Das Geld habe ich dir gegeben, damit du Pferdefutter und Vorräte kaufen solltest!«

»Du musst dich irren, Hasso«, wehrte Ermo ab. Seine Stimme zitterte jedoch, und er wagte es nicht, den Gaugrafen anzublicken.

Dieser hielt ihm eine der Münzen vor das Gesicht. »Du lügst! Hier, dieses Geldstück weist noch den Kratzer auf, den ich aus Versehen selbst verursacht habe. Du hast die Sachen, die du besorgen solltest, also nicht richtig bezahlt.«

»Doch, das habe ich«, rief Ermo aus. »Es war alles nur billiger als gedacht.«

»Dann hättest du mir den Rest der Summe zurückgeben müssen. So aber bist du ein Dieb und womöglich noch Schlimmeres!« Hasso versetzte Ermo einen Fußtritt und wies dann seine Leute an, den Mann zu fesseln. »Der König soll Gericht über ihn halten!«

»Ich habe nichts getan!«, heulte Ermo auf, doch der Gaugraf würdigte ihn keiner Antwort.

Konrad war nicht weniger wütend als Hasso, warf der Vorfall doch einen üblen Schatten auf den Erfolg, den sie errungen hatten. Er wartete unwillig, bis seine Männer die Mauren durchsucht hatten, und winkte ihnen dann mit einer knappen Geste, ihm zu folgen. »Kommt! Roland wartet auf uns und unseren Bericht.«

Dann zog er sein Pferd herum und ritt zu Eward, der sich wider Erwarten im Sattel gehalten hatte. »Ihr werdet bald ärztliche Hilfe erhalten, Herr. Wie gut Markgraf Rolands Heiler ist, habt Ihr bereits an Philibert gesehen. Der ist heute wieder wie neu.«

»Jetzt nicht mehr ganz, aber schlimm ist meine Wunde wirklich nicht«, antwortete Philibert und versetzte ihm einen freundschaftlichen Stoß.

»Mein Trupp hat keinen einzigen Mann verloren, aber mehr als zwei Dutzend dieser Heiden erwischt. Das wird sie lehren, fränkische Schwerter und Speere in Zukunft zu fürchten!«, erklärte Konrad und beschloss, diesen Tag allen Ermos dieser Welt zum Trotz zu feiern.

Die Rose von Asturien
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