19.

 

Danel, der Wächter von Askaiz, erhob sich von der Steinplatte, auf der er gesessen hatte, und starrte angestrengt in die Ferne. Vor kurzem hatte er eine Reiterschar entdeckt, die westwärts geritten und wieder hinter den Höhenzügen verschwunden war. Wäre ihr Ziel Askaiz gewesen, hätte sie sich schon in Sichtweite befinden müssen. Auch wenn die Reiter die andere Abzweigung genommen hätten, müssten sie längst ein Stück der Straße erreicht haben, das er von seinem Platz aus einsehen konnte. Nun wurde er unruhig und fragte sich, ob er Alarm schlagen oder noch ein wenig warten sollte. Die Fremden konnten ja auch eine Rast eingelegt haben oder ihre Pferde an einem Bach tränken.

Gerade als er sich wieder setzen wollte, hörte er Hufgetrappel. Sofort packte Danel seinen Speer fester und spitzte die Lippen zu einem warnenden Pfiff. Als er jedoch den Weg hinabblickte, beruhigte er sich, denn es handelte sich nur um eine einzelne Frau.

Da Danel mit einer einsamen Reisenden jederzeit fertig zu werden glaubte, unterblieb sein Pfiff. Er wunderte sich nur, dass die Fremde in dieser Zeit allein zu reiten wagte. Für streifende Mauren war jede christliche Frau eine lohnende Beute, und wenn sie nur dazu taugte, Sklavendienste zu verrichten.

Kurz darauf war die Reiterin nahe genug heran, so dass er ihr Gesicht erkennen konnte. Nun riss es ihn von seinem Sitz. »Maite!«

Ihr traute er zu, allein durch die Berge zu reiten. Grinsend fragte er sich, was Okin zu ihrer erneuten Rückkehr sagen würde. Er vergönnte ihm den Ärger, denn Maites Onkel spielte sich immer mehr so auf, als sei er ein großer Herr und alle anderen im Stamm seine Knechte. Da jedoch die Macht Enekos von Iruñea hinter ihm stand, wagte es niemand, sich ihm zu widersetzen. Selbst Amets von Guizora, der Okin mehr als ein Jahrzehnt den Rang als Stammesanführer streitig gemacht hatte, gehorchte ihm mit knirschenden Zähnen.

»Schläfst du, Danel, oder ist das Land so friedlich, dass du mit offenen Augen träumen kannst?« Maites Frage brachte Danel darauf, dass er sie eine Weile wortlos angestarrt hatte. Sie hielt die ausgezeichnete maurische Stute, auf der sie ritt, direkt unterhalb seines Aussichtsfelsens an und blickte spöttisch zu ihm hinauf.

»Hallo, Maite! Hat es dir in Córdoba nicht gefallen? Wie ich gehört habe, sollst du sehr schnell Witwe geworden sein. Jetzt suchst du wohl wieder Zuflucht in Askaiz.« Danel kletterte zu ihr herab, stützte sich gemütlich auf seinen Speer und war einem weiteren Gespräch nicht abgeneigt. Doch während er auf ihre Antwort wartete, zog Maite blitzschnell das Schwert, das sie hinten am Sattel hängen hatte, und setzte ihm die Spitze an die Kehle.

»Ich würde dir raten, ganz still zu sein. Öffnest du den Mund, um zu schreien, stoße ich dich nieder!«

Das klang so ernst, dass Danel ihr glaubte. Vorsichtig ließ er seinen Speer fallen und hob die Hände.

»So ist es brav!« Maite lächelte und bedeutete ihm, ein Stück beiseitezutreten. Dann hob sie die linke Hand. Obwohl sie dabei die Zügel kurz losließ, blieb die Stute wie ein Standbild stehen.

Danel fielen einige Möglichkeiten ein, wie er sich zur Wehr setzen könnte. Aber jede davon hatte einen entscheidenden Nachteil: Vor ihm stand Maite von Askaiz, und mit der war nicht zu spaßen. Er hörte, dass sich weitere Pferde näherten, und wunderte sich nicht, den Reitertrupp zu sehen, auf den er vorhin aufmerksam geworden war. Ich hätte das Dorf doch warnen sollen, fuhr es ihm durch den Kopf, während er die Reiter mit einer Mischung aus Angst und Wut musterte. Ein paar von ihnen kannte er. Es waren Gascogner, die mit ihm und den anderen zusammen Rolands Schar vernichtet hatten. Zu seiner Überraschung ritten sie nun Sattel an Sattel mit Franken. Deren Anführer war ebenfalls kein Fremder, sondern der Mann, der Unais Stamm um seine Vorräte gebracht hatte. Das letzte Mal hatte Danel ihn als Fadl Ibn al Nafzis Sklaven gesehen. Anscheinend hatten Maite und er sich nach dessen Tod zusammengetan und waren gemeinsam geflohen.

»Wie du siehst, ist alles gutgegangen, Konrad!« Aus Maites Worten sprach der Stolz über die geglückte Überrumplung des Wächters.

Danel wurde vor Wut und Scham hochrot, während der Franke sich kurz zu der jungen Frau hinüberbeugte und sie auf die Wange küsste. Dann winkte Konrad seinen Männern, ihm zu folgen. Es waren mehr als dreißig Reiter, jedoch nicht alles Krieger. Es gehörte ein Geistlicher zu der Gruppe sowie ein Junge, der einen großrahmigen Hengst ritt, welcher eines Stammesführers würdig gewesen wäre, obwohl seine Beine nicht tiefer reichten als dessen Bauch.

Der Junge grinste Danel an und forderte ihn auf mitzukommen. Zur Überraschung des Wächters sprach er die waskonische Sprache beinahe akzentfrei.

Just amüsierte sich über die Verwirrung des Waskonen, war aber froh, dass dieser anstandslos gehorchte.

Danel hob seinen Spieß auf und schlug dann einen strammen Laufschritt ein, um mit den Pferden mithalten zu können. Auch wirkte er weniger erschrocken als überrascht, und er blickte immer wieder zu Maite hoch, die zusammen mit Konrad an der Spitze ritt.

Der Weg machte eine letzte Biegung, und dann lag Askaiz vor ihnen. Es war fast wie damals bei Graf Roderich. Die Reiterschar tauchte so überraschend vor dem Dorf auf, dass den Bewohnern keine Zeit blieb, das Gattertor in der Umfriedung zu schließen. Während die Männer wie aufgescheuchte Hühner umherrannten, rafften die Weiber ihre Kinder an sich und verschwanden in den Häusern. Die Reiter hielten auf dem Dorfplatz an, zogen die Schwerter und bildeten einen Kreis.

Wären die Dorfbewohner rechtzeitig gewarnt worden, hätten sie die Reiter hindern können, Askaiz zu betreten. Auch wäre ein entschlossener Anführer auch jetzt noch in der Lage gewesen, seine Leute zu sammeln und gegen die Franken zu führen.

Doch als einer seiner Getreuen Okin aus seinem Haus holte, wirkte dieser völlig verwirrt. Entgeistert starrte er die fränkischen Reiter an, die in ihren Schuppenpanzern und den geschwungenen Helmen bedrohlicher wirkten als einst Graf Roderichs Mannen, und wunderte sich ebenfalls über die Anwesenheit eines knappen Dutzend Gascogner in deren Reihen.

Dann sah er Maite vor sich, die mit eisiger Miene auf ihn zuritt.

»Aber das ist unmöglich!«, schrie er auf.

»Wie du siehst, Oheim, bin ich auch diesmal zurückgekehrt. Es hat dir nichts gebracht, mich an Fadl Ibn al Nafzi zu verkaufen wie ein Stück Vieh!« Maite sprach so laut, dass alle im Dorf es hören konnten. Ihre Stimme vibrierte dabei vor Hass, und für einen Moment sah es so aus, als würde sie ihr Schwert hochreißen und ihren Onkel niederschlagen. Sie bezwang sich jedoch und richtete ihre Worte an die Menschen ihres Stammes.

»Dieser Mann«, Maite richtete die Schwertspitze auf Okin, »hat mich nach Córdoba gelockt und mich dort Fadl Ibn al Nafzi, den selbst die Mauren einen Schlächter nennen, in die Hände gespielt. Waskonen, welche Strafe gebührt einem Mann, der eine freie Stammesschwester an die Mauren verkauft?«

»Das ist doch Unsinn!«, brüllte Okin, bevor jemand antworten konnte. Doch als er sich umsah, wirkten die Gesichter der meisten Stammesmitglieder nachdenklich, und in einigen Augen las er Verachtung.

»Stimmt das, Maite?«, fragte Danel, der genau wusste, dass Okin ihn zur Verantwortung ziehen würde, weil er das Dorf nicht gewarnt hatte.

»Wenn euch mein Wort nicht genügt, so fragt diesen Franken hier an meiner Seite. Erinnert ihr euch nicht? Er wurde ebenso wie ich nach dem Gemetzel von Roncesvalles nach Süden gebracht.«

Einige nickten, und Danel zeigte auf Konrad. »Dies ist der fränkische Anführer, der Abdul den Berber getötet hat!«

»Ja, so ist es. Wir sind gemeinsam der Sklaverei entflohen. Wenn ihr noch eine weitere Zeugin hören wollt, so reitet zu Graf Roderich. Dessen Tochter Ermengilda ist zusammen mit uns aus der Hölle zurückgekehrt.«

»Unsinn!«, wiederholte Okin, der blass geworden war.

»Nun, Waskonen, was gebührt so einem Mann?«

»Die Verbannung oder der Tod!« Danel hatte sich entschieden, sich auf Maites Seite zu schlagen. Er tat es nicht nur aus Angst vor Okins Zorn, sondern auch aus einem Gefühl der Gerechtigkeit heraus. Maites Onkel hatte ihnen allen weisgemacht, seine Nichte wäre aus freiem Willen in Córdoba geblieben, um einen engen Vertrauten des Emirs zu heiraten und dort als geachtete Herrin zu leben. Nun zu erfahren, dass Okin sie an den berüchtigten Berber Fadl ausgeliefert hatte, empörte die Bewohner von Askaiz.

Okin spürte, dass seine Anhänger von ihm abfielen, und bevor er etwas zu seiner Verteidigung sagen konnte, schleuderte Maite ihm weitere Anklagen entgegen.

»Es war nicht das erste Mal, dass du mich loswerden wolltest! Dein Vorschlag war es, mich als Geisel den Franken auszuliefern. Du hattest wohl gehofft, sie würden mich töten oder wenigstens in ein Kloster sperren, weil ich die Braut eines ihrer Anführer gefangen gehalten hatte. Allerdings waren die Franken nicht so grausam, wie du es erhofft hast. Sie ließen mich am Leben, und ich konnte ihnen zusammen mit dem jungen Eneko und den anderen Geiseln in Iruñea entkommen.«

Maite legte eine kurze Pause ein, damit ihre Rede ihre Wirkung entfalten konnte, und sprach dann mit bebender Stimme weiter.

»Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem mein Vater wie ein erlegter Bär hierhergebracht wurde, Okin? Denkst du manchmal noch daran, wie du ihn und ein Dutzend unserer tapfersten Männer an die Asturier verraten hast? Du hast mit dem Grenzgrafen Roderich ein Abkommen geschlossen, ihm unseren Stamm zu unterstellen, wenn er dich zu dessen Anführer macht. Doch auch diese Vereinbarung hast du nicht gehalten, sondern dich mit Eneko von Iruñea zusammengetan, weil der dir mehr Macht und mehr Reichtum versprochen hatte.

Erinnerst du dich auch, wie du mich in die Arme Roderichs gestoßen und ihm unnötigerweise gesagt hast, wer ich bin? Schon da hattest du mich loswerden wollen, aber damals wie heute bin ich zurückgekehrt. Diesmal bin ich erschienen, um Gericht über dich zu halten, du Verräter! Du hast den Mann deiner Schwester, deinen Anführer, dem du die Treue geschworen hast, Feinden ausgeliefert und mich, deine Nichte, zum Tod oder einem Leben fern der Heimat verurteilen wollen. Doch all deine Lügen und Schlichen haben dir nichts genützt! Du bist am Ende!

Ich übernehme nun die Herrschaft über den Stamm und werde sie zu gegebener Zeit an meinen Sohn weitergeben. Du aber hast den Tod verdient! Da in unseren Adern durch meine Mutter das gleiche Blut fließt, verzichte ich darauf, dich hinrichten zu lassen. Stattdessen verbanne ich dich, Okin, für immer aus den Dörfern, die zu Askaiz gehören, und dem gesamten Gebiet unseres Stammes. Nimm dein Weib und deinen Sohn mit und so viel von deinem Besitz, wie du auf ein Pferd laden kannst. Komme mir nie mehr unter die Augen!

Euch anderen aber sage ich, dass ich den Stamm König Karl unterstellt habe und euch in seinem Namen führen werde. Wenn ihr glaubt, das sei der falsche Weg, so vernehmt, dass sich der Grenzgraf Roderich von Asturien abgewandt hat und ebenfalls König Karl als seinen Herrn anerkennt.«

Maites Worte schlugen wie ein Blitz ein. Ihre Leute kannten Roderich, der sich stolz den letzten Visigoten nannte, und wussten, wie tief seine Abneigung gegen die Franken gewesen war. Nun wurde ihnen klar, dass König Karl nicht bereit war, sich mit seinem gescheiterten Feldzug nach Spanien abzufinden. Die Macht des Franken reichte bereits jetzt wieder über die Pyrenäen, und sein Einfluss war so stark, dass Graf Roderich auf Karls Seite umgeschwenkt war.

Danel interessierte sich weniger für die große Politik als für Maites letzten Vorwurf gegen ihren Onkel. »Stimmt das mit Okins Verrat?«, fragte er mit bebender Stimme.

Maite nickte. »Es stimmt! Graf Roderich hat diese Tat mit einem Eid bestätigt und mir Blutgeld für meinen Vater gezahlt und auch für alle, die mit Iker gefallen sind.« Auf die Idee, Roderichs Gold mit den anderen zu teilen, war Maite unterwegs gekommen. Sie brauchte Anhänger im Stamm, und da war es gut, sich großzügig zu zeigen.

Danel kaute an ihren letzten Worten. Er hatte ebenfalls zu jenen gezählt, die mit Iker auf Raubzug gegangen waren, doch ihn hatten die Asturier am Leben gelassen, weil sie ihn gebraucht hatten, um den Wächter von Askaiz abzulenken. Das war sein Bruder gewesen, der später von einem Bewunderer und Anhänger Maites auf Okins Seite umgeschwenkt war. Aber das hatte Asier nichts als den Tod durch eine Frankenklinge eingetragen.

Danel fuhr sich mit dem Handgelenk über die Augen und trat mit geballten Fäusten auf Okin zu. »All die Jahre habe ich mich gefragt, weshalb die Asturier ausgerechnet mich am Leben gelassen haben, während Iker und die anderen sterben mussten. Jetzt weiß ich es! Du hast ihnen verraten, dass mein Bruder an jenem Tag Wache halten würde. Beim Heiland, Asier hätte mich sterben lassen und lieber das Dorf warnen sollen!«

»Du kannst das, was damals passiert ist, nicht ungeschehen machen, Danel«, versuchte Maite ihn zu trösten.

»Das kann ich nicht. Aber ich kann den bestrafen, der die Schuld daran trägt!«, antwortete er und hob seinen Spieß.

Seine Miene verriet Okin, dass seine Nichte gnädiger mit ihm verfahren wollte als der junge Krieger, und er spürte Todesfurcht. »Das sind alles Verleumdungen!«, schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Ich kann euch erklären, wie es wirklich gewesen ist.«

»Wir sind deine Lügen leid!«, giftete eine der Frauen, deren Sohn mit Iker zusammen gefallen war.

Der Kreis um Okin schloss sich enger. Dieser sah die Wut in den Augen der anderen und wandte sich an jene Männer, die er als seine Leibwache erwählt hatte.

»Tut doch etwas!«

Statt einer Antwort zog deren Anführer sein Schwert eine Handspanne weit aus der Scheide, stieß es wieder zurück und schüttelte den Kopf. Da begriff Okin, dass niemand mehr einen Finger für ihn rühren würde.

»Ehrloses Gesindel!« Mit einer verächtlichen Geste kehrte er den anderen den Rücken zu und sah Maite an. »Du wolltest mich verbannen! Stehst du noch dazu?«

»Dazu bin ich bereit!« Maite ließ sich auch durch das Murren einiger Stammesmitglieder nicht beirren. Die Krieger in ihrer Begleitung drängten die Leute mit ihren Pferden zurück und schufen Raum für Okin. Dieser sah seine Nichte auf einmal nur wenige Schritte vor sich, bemerkte ihr selbstzufriedenes Lächeln und spürte nichts als Hass. Wenn er im Dorf eines fremden Stammes Zuflucht suchte, würde er dort nur ein Bettler sein, der sich glücklich schätzen musste, wenn ihm der Häuptling eine Hufe Land überließ, auf der er seine Gerste säen konnte.

Seine Nichte aber würde all das erhalten, was er sich zeit seines Lebens gewünscht hatte: Macht, Ansehen und das Anrecht, selbst vor einen König wie Karl zu treten.

In Okins Ohren gellte es mit einem Mal, und er spürte den harten Schlag seines Herzens im Kopf widerhallen. Nein!, schrie alles in ihm. Das würde er nicht zulassen. Ikers Balg sollte ihm nicht all das nehmen, wofür er sein Leben lang gekämpft hatte. Er spürte, wie sein linker Arm heiß wurde, als stünde er in Flammen, und mit einem Mal tanzten Schatten vor seinen Augen. Auch schienen seine Beine unter ihm nachzugeben. Wollte das Schicksal ihn zu alledem noch verhöhnen, indem es ihn in die Knie brechen ließ und dem Spott aller Waskonen preisgab? Das durfte nicht sein. Er musste verhindern, dass Ikers Balg über ihn triumphierte!

Er sammelte seine letzten Kräfte, trat hinter Maite und riss sein Schwert heraus.

»Du wirst niemals über unseren Stamm herrschen!«, schrie er und holte zum Schlag aus.

Danel hatte Maites Oheim nicht aus den Augen gelassen. Ehe Okin zuschlagen konnte, stieß er ihm seinen Speer in den Leib. Gleichzeitig fuhr Konrads Schwert herab und trennte Maites Oheim den Kopf vom Rumpf.

Der Tote schlug wie ein Sack Korn auf den Boden, sein Kopf aber rollte ein Stück weiter und blieb vor den Füßen seiner wie erstarrt dastehenden Frau liegen.

»So hätte es nicht enden müssen«, sagte Maite beim Anblick des Toten scheinbar gelassen. Aber ihr grau gewordenes Gesicht verriet, dass sie begriff, wie knapp sie dem Tod entronnen war.

Mit einem erleichterten Lächeln sah sie Konrad und Danel an.

»Danke! Beinahe hätte mein Onkel mich getötet.«

»Ist das dein Mann?«, fragte Danel und beäugte Konrad neugierig.

»Ja!«

»Ein tapferer Krieger! Ich habe ihn in Roncesvalles kämpfen sehen.« In Danels Stimme schwang Anerkennung mit und auch die Bereitschaft, sich einem solchen Anführer zu unterstellen.

Andere Krieger, die Konrad in Roncesvalles erlebt und gesehen hatten, wie er von dem Mauren als Sklave weggeführt worden war, bekundeten ebenfalls ihre Hochachtung. Dabei drängten sie sich so nahe an ihn heran, dass die übrigen Franken nervös wurden.

Konrad befahl seinen Leuten mit einer Handbewegung, die Schwerter wegzustecken, und reichte seine Waffe Just. »Reinige die Klinge vom Blut dieses Verräters. Maite wollte ihn wegen der Verwandtschaft am Leben lassen. Doch der Mann hat den Tod gesucht.«

»Er hat als Hund gelebt und ist als solcher gestorben«, sagte Danel und versetzte Okins Leichnam einen Tritt.

Andere wollten es ihm nachmachen, doch Maite hob die Hand. »Halt! Er war der Bruder meiner Mutter. Begrabt ihn, wie es sich gehört. Für morgen will ich die Ältesten des Stammes in mein Haus einladen, damit mein Mann und ich uns mit ihnen beraten können.«

Bei diesen Worten atmeten die Dörfler auf. Damit hatte Maite ihnen bewiesen, dass ihre Meinung auch in Zukunft etwas galt. Drei Männer packten Okins Rumpf und schleiften ihn nach draußen. Ein Junge klemmte sich den Kopf unter den Arm und folgte ihnen ebenso wie der Priester, den Maite und Konrad mitgebracht hatten.

Okins Frau Estinne machte zuerst Anstalten, der Gruppe zu folgen, kehrte dann aber um und blieb mit versteinertem Gesicht vor Maite stehen. »Ich will mit meinem Sohn zu meinen Verwandten nach Nafarroa gehen!«

»Ich halte euch nicht auf!« Maite fühlte wenig Mitleid mit ihrer angeheirateten Tante. Sie wusste nicht, ob diese in Okins Verrat eingeweiht gewesen war, aber die Frau mit ihrem übersteigerten Ehrgeiz war in jedem Fall mitschuldig an seinen schlimmen Taten gewesen. Ihr selbst hatte die Tante keinerlei Liebe entgegengebracht, sondern sie je nach Laune als Hindernis oder als Mittel zum Zweck für den Aufstieg des eigenen Sohnes angesehen.

Daran erinnerten sich nun auch die anderen Dörfler. Sie kamen auf Maite zu und ergriffen ihre Hand oder wenigstens ihr Kleid, um sie willkommen zu heißen.

Eine der alten Frauen, deren Sohn damals mit Maites Vater zusammen umgekommen war, weinte ungehemmt. »Jetzt kann mein Junge endlich beruhigt vor seinen himmlischen Richter treten. Sein Tod ist gesühnt.«

Einer der Stammesältesten legte der Frau die Hand um die Schultern. »Nun werden auch die alten Gesetze wieder erfüllt. Ikers Blut wird unseren Stamm weiterführen!«

»Ich hoffe, dass ich in weniger als sieben Monaten einen Sohn zur Welt bringen werde«, erklärte Maite mit einem versonnenen Lächeln.

Konrad riss es herum. »Was sagst du da?«

»Sieht aus, als würdest du Vater!« Danel grinste breit, stieß Konrad an und meinte, dass diese Nachricht wohl einen Schluck Wein wert wäre.

»Wenn es welchen zu kaufen gibt, soll es daran nicht scheitern!« Konrad hatte es kaum gesagt, als die anderen zu lachen begannen.

»In Okins Keller liegt genug Wein, um die Bewohner von fünf Dörfern betrunken zu machen. Wir sollten ihn trinken, bevor die Männer aus Guizora und den anderen Orten kommen und mithalten wollen.« Der Sprecher lachte wie befreit auf. Der Schatten, der seit Ikers Tod auf dem Stamm gelastet hatte, war endlich verflogen.

Währenddessen musterte Danel Konrads Begleiter mit prüfendem Blick. »Wenn einer von denen Lust hat, hier zu bleiben und eines unserer Mädchen zu heiraten, haben wir nichts dagegen. Nicht wenige von uns sind in der Schlucht von Roncesvalles umgekommen.«

»Sie werden bleiben – und wie ich an ihren Blicken sehe, scheinen eure Mädchen ihnen zu gefallen.« Konrad war erleichtert, dass bis auf einen Augenblick des Schreckens alles gut verlaufen war. Er sah Maite an, die mit Tränen in den Augen über das Dorf blickte, und fühlte, dass sie glücklich war, wieder zu Hause zu sein und ihr erstes Kind hier zur Welt bringen zu können.

»Glücklich?«, fragte er sie.

Maite nickte und wischte sich über die Augen. »Ich bin glücklich und hoffe, du bist es auch.«

»Warum sollte ich es nicht sein? Du bist bei mir! Über das Kind müssen wir aber noch sprechen.«

»Wird es ein Junge, werden wir ihn Iker nennen nach meinem Vater, wird es ein Mädchen, so soll es den Namen meiner Mutter tragen!«

Konrad sah für den Augenblick so verdattert drein, dass die Umstehenden zu feixen begannen.

»So ist sie, unsere Maite von Askaiz. Daran wirst du dich gewöhnen müssen!«

»Ach, das hat er schon längst«, rief Maite übermütig.

Konrad schwankte, ob er sie dafür am Abend übers Knie legen oder doch besser küssen sollte. Aber er wurde nicht zum ersten Mal von ihr überrumpelt, denn sie stieg ab und küsste ihn vor allen.

Die Rose von Asturien
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