1.

 

Die Dame war ebenso dick wie unverschämt. Zwar vermochte Konrad noch die Reste einstiger Schönheit an ihr zu erkennen, aber im Augenblick wirkte sie wie ein keifendes Marktweib. Ihre Augen sprühten Funken, und aus ihrem Mund quollen die Worte in einer solchen Geschwindigkeit heraus, dass selbst jemand, der mit ihrer Sprache besser vertraut war als er, nur die Hälfte verstanden hätte. Konrad begriff nur einzelne Wortfetzen.

»… keine … Mittel … Dürre … König … Abgaben … nichts …« Graf Roderichs Ehefrau Urraxa musste beim Sprechen nicht einmal atmen, stellte Konrad verblüfft fest, während er versuchte, ihren Redefluss zu enträtseln. Das Wichtigste verrieten ihm Urraxas Tonfall und ihre Miene: Sie würden hier weder Lebensmittel noch andere Hilfe erhalten.

Er hatte mit seinen Reitern am Tag zuvor die Roderichsburg erreicht, war aber vor den Toren abgewiesen worden. Erst am nächsten Vormittag hatte man ihm gestattet, mit zwei seiner Krieger die Burg zu betreten und mit der Herrin zu sprechen. Seine Schar musste jedoch weiterhin auf freiem Feld lagern. Die Asturier hatten nicht einmal die Höflichkeit besessen, ihnen etwas zu essen zu schicken. Zum Glück hatten sie einige Nahrungsmittel in den Satteltaschen der erbeuteten Pferde gefunden. Das maurische Zeug war zwar gewöhnungsbedürftig, füllte aber den Magen.

Auch das Trinkwasser hatte man ihnen verweigert, so dass sie es sich mit vorgehaltenen Schwertern hatten einfordern müssen. Nun beschwerte Doña Urraxa sich wortreich über das Auftreten der Franken, obwohl keiner ihrer Leute zu Schaden gekommen war. Konrad fragte sich daher bitter, was das Bündnis wert sein mochte, das König Karl mit dem König von Asturien geschlossen hatte.

»Ihr werdet unser Land so rasch wie möglich wieder verlassen und uns nicht mehr behelligen!«

Ausnahmsweise sprach Urraxa so langsam, dass Konrad sie verstehen konnte, und nun war er froh, dass er begonnen hatte, sich die Sprache des christlichen Spaniens anzueignen. Keiner von seinen Reitern verstand die Menschen hier. Deswegen hatte er Just bei ihnen gelassen und war nun auf seine spärlichen Kenntnisse angewiesen.

Als Urraxa schwer atmend zurücksank, richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf die Dame und bemühte sich, so verständlich wie möglich zu sprechen. »Die Befehle meines Herrn Roland weisen mich an, nicht ohne Vorräte nach Pamplona zurückzukehren. Wenn Ihr mir nichts geben wollt, muss ich zu Eurem König weiterreiten.«

»Mein Bruder befindet sich in Galizien, um dort einen Aufstand des Rebellen Mauregato niederzuwerfen. Er hat keine Zeit, sich mit einem Knaben zu beschäftigen.«

Die Beleidigung trieb Konrad die Röte ins Gesicht. Nur der Gedanke, vor Ermengildas Mutter zu stehen, hielt ihn zurück, ihren Ausspruch mit gleicher Münze zu vergelten. Zu seiner Erleichterung entdeckte er keine Ähnlichkeit zwischen Urraxa und ihrer ältesten Tochter. Das kleine Mädchen aber, das neugierig durch die Tür spähte und wie eine Dame gekleidet war, hatte die gleiche Haarfarbe wie Urraxa und auch deren dunkelbraune Augen.

Er war jedoch nicht gekommen, um Weiber und Kinder zu betrachten, sondern hatte einen Auftrag zu erfüllen. Da Doña Urraxa nicht bereit war, ihm freiwillig etwas zu geben, würde er mit leeren Händen abziehen müssen. Die Vorräte aus dem Dorf waren in die Burg gebracht worden, und um diese zu erstürmen, hätte er ein größeres Heer benötigt.

Einer der beiden Männer, die ihn begleiteten, tippte ihn an. »Was sagt sie eigentlich? Kriegen wir Vorräte?«

»Sie redet von einer Dürre, davon, dass sie selbst nicht genug Nahrung hätten und der König sich am anderen Ende des Reiches befände, um gegen Rebellen vorzugehen.«

»Das mit den Vorräten ist eine Lüge«, rief der Mann empört.

»Ich habe, als wir vorhin über den Burghof gekommen sind, selbst in volle Scheuern gesehen und die vielen Schinken entdeckt, die zum Trocknen aufgehängt sind. Ich finde, wir sollten weniger Federlesens machen und das Zeug mitnehmen.«

»Zu dritt?«, antwortete Konrad mit bitterem Spott. »Du vergisst, dass unsere Männer draußen vor der Burg lagern und uns nicht gegen die Leute der Gräfin helfen können.«

»Verdammt! Und was machen wir jetzt?«, fragte der andere.

»Wir verabschieden uns erst einmal von diesem Drachen und reiten zu Roland zurück.« Konrad ärgerte sich, weil er, von Urraxas Redeschwall gehindert, nicht dazu gekommen war, von Ermengilda zu sprechen. Daher deutete er eine Verbeugung an und wies dann auf die Tür. »Ihr werdet uns jetzt entschuldigen müssen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.« Damit drehte er sich um und verließ die Halle mit festen Schritten. Seine beiden Begleiter folgten ihm mit den Händen am Schwertgriff.

Urraxa sah ihnen nach und fragte sich, ob sie richtig gehandelt hatte. Wohl hatte ihr Gemahl ihr vor seiner Abreise im Namen des Königs befohlen, die Franken abzuweisen. Doch sowohl Roderich wie auch ihr Halbbruder befanden sich in der Ferne. Wenn es nun den Franken einfiel, vor dem Feldzug gegen die Mauren erst einmal Teile des christlichen Spaniens zu unterwerfen, so würden ihr Land und ihre Burg das erste Opfer sein.

Konrad verließ Roderichs Feste und schritt zu der Wiese, auf der seine Männer ihr Lager aufgeschlagen hatten. Sein Gesicht wirkte ungewohnt hart, und um seine Lippen lag ein entschlossener Zug. Er winkte den Kriegern zu und befahl ihnen, die Pferde zu satteln.

»Wir kehren zu Roland zurück.«

»Ohne Vorräte?«, rief einer. »Das wird ihm gar nicht gefallen.« Konrad packte den Mann und drehte ihn so, dass er die Krieger auf den Mauern der Burg sehen konnte. »Wenn du einen Plan hast, wie wir die Burg erstürmen können, dann spuck ihn aus!«

»Aber wir dürfen die Asturier nicht angreifen. Der König hat es verboten, und Roland auch«, antwortete der andere verdattert.

»Gut, dass du es so siehst. Und jetzt sattle deinen Gaul.« Konrad ließ den Mann stehen und half Rado, die eigenen Pferde samt den beiden maurischen Beutestuten zu satteln. Obwohl er vor Zorn glühte, überlegte er sich seine Schritte genau. Er war ein Franke und würde sich nicht wie ein Hund von der Schwelle verjagen lassen. Zwar konnte er in der Festung nichts erreichen, aber inzwischen wusste er, wie weit Roderichs Machtbereich reichte. Also würde er sich in einem der Dörfer auf seinem Weg bedienen.

Als die Franken abrückten, stand Doña Urraxa auf der Mauer und blickte ihnen nach. Die Krieger um sie herum spotteten über die Schar und sparten dabei auch deren jungenhaften Anführer nicht aus. Urraxa selbst rief sich Konrads Gesicht in Erinnerung und wusste nicht so recht, was sie von ihm halten sollte. Der Dummkopf, als den ihre Leute den Mann bezeichneten, war er gewiss nicht. Nun erst erinnerte sie sich daran, dass der Franke ihrem Torwächter erklärt hatte, er bringe Nachricht von ihrer Tochter, und sie bedauerte, dass sie ihn nicht wenigstens zum Mahl eingeladen und nach Ermengilda gefragt hatte.

»Seid still!«, befahl sie den Männern, die den Franken verächtliche Worte nachriefen.

Diese sahen sich verwirrt zu ihr um, denn mehr als einer von ihnen hatte gehört, mit welch verletzenden Worten sie den Anführer der Franken abgewiesen hatte. Urraxas Miene wirkte nun aber so besorgt, als stünde ein Angriff von überlegenen Feinden bevor, und Roderichs Krieger begriffen mit einem Mal, dass das große Heer, das König Karl nach Spanien führte, sich genauso gegen sie wenden konnte wie gegen die Mauren.

Die Rose von Asturien
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