12.
Als sich der Reiterzug dem Palast des Emirs näherte, blieben die Gassenjungen hinter ihnen zurück. Dafür eilten ihnen Palastdiener und Knechte sowie Soldaten entgegen. Während Konrad mit bösen Blicken bedacht wurde, ergriffen zwei Männer die Zügel von Fadls Stute und führten sie durch das Tor auf den äußeren Hof. Dort schwang der Berber sich geschmeidig aus dem Sattel und verneigte sich in Richtung des Trakts, in dem der Emir residierte. Er war sicher, dass Abd ar-Rahman an einem Fenster stand und seine Ankunft beobachtete, deshalb war eine Geste der Demut angebracht.
Die maurischen Knechte starrten den mit Planen verschlossenen Karren neugierig an, wagten aber nicht zu fragen, was es damit auf sich hatte.
Fadl ließ sie einige Augenblicke warten. Dann winkte er einen der höheren Bediensteten zu sich und wies auf Konrad und Ermo. »Dieser Franke ist mein Gefangener und meiner Rache verfallen. Der andere ist ein Sklave und als solcher zu behandeln. Die beiden Frauen auf dem Karren schafft in den Harem des Emirs, dem Allah stets den Sieg schenken möge. Die Blonde wird die Rose von Asturien genannt und ist für den mächtigen Abd ar-Rahman bestimmt. Die andere ist ein Mädchen aus den Bergen, das er, so es ihm gefällt, mir als Beute überlassen soll.«
Es war zu gefährlich, Maite dem Emir von vorneherein zu verweigern. Gefiel sie Abd ar-Rahman, so hatte Allah dies bestimmt. Fadl war aber recht sicher, dass Abd ar-Rahman ihm das Mädchen als Siegespreis zugestehen würde, und sah sich bereits als Vater kräftiger Söhne.
Okin war erleichtert, dass Fadls Worte nicht bis an Maites Ohr drangen, denn er kannte das Temperament seiner Nichte und wusste, dass eine Wildkatze leichter zu bändigen war als sie. Erst als mehrere Knechte den Karren mit den beiden Frauen in einen anderen Hof schoben, atmete er auf. Endlich stellte Maite keine Gefahr mehr für ihn dar.
Da Fadl ihm befahl, mit ihm zu kommen, folgte Okin dem Berber mit einer gewissen Anspannung. Auch wenn der Emir mit dem Scheitern der fränkischen Invasion zufrieden sein konnte, so war es doch möglich, dass er plante, seinen Einfluss auf Kosten Asturiens und der Waskonen auszudehnen und deren Länder zu unterwerfen. Da Iruñea keine Stadtmauer mehr hatte und diese auch nicht so rasch wieder errichtet werden konnte, würde jeder maurische Angriff in einer Katastrophe enden.
Okin war ebenso wenig wie Eneko bereit, wieder ein einfacher Berghäuptling zu werden, dessen größter Triumph es war, ein paar Schafe von einem Nachbarstamm geraubt zu haben. Daher wollte er alles tun, um Abd ar-Rahmans Wohlwollen zu erringen. Eneko hatte ihm erklärt, wie weit er mit seinen Zugeständnissen gehen durfte. Notfalls musste er eine formelle Oberhoheit der Mauren anerkennen und Tribut versprechen, darunter auch den schmählichen Mädchenzoll. Den entrichteten die christlichen Herrscher nur ungern, weil ihnen die Kirche vorhielt, brave, rechtgläubige Frauen den Heiden auszuliefern und damit deren Seelen zu gefährden.
Ein Diener führte die beiden Männer durch schier endlose Gänge, die Okin die Größe des Palastes erst so richtig zu Bewusstsein brachten. Schließlich erreichten sie eine Tür, die mit kunstvoll geschnitztem Rankenwerk verziert war. Zwei Wachen mit blankgezogenen Schwertern standen starr wie Statuen davor. Nur die dunklen, misstrauisch funkelnden Augen verrieten, dass es sich um lebendige Menschen handelte.
»Du musst deine Waffen ablegen«, sagte Fadl zu Okin und zog selbst Schwert und Dolch aus der Scheide. Ein Diener nahm beides entgegen und legte die Waffen auf eine gepolsterte Bank. Auch Okin überreichte dem Diener sein Schwert. Es handelte sich um eine fränkische Beutewaffe, die Danel ihm gebracht hatte und die er so stolz trug, als hätte er sie selbst in hartem Kampf errungen. Auch den Dolch gab er ab, aber als der Maure auf sein kurzes Messer deutete, das er zum Essen benützte, protestierte Okin.
»Womit soll ich essen, wenn der Emir mich zum Mahl einlädt?«
Fadl bog verächtlich die Lippen. Natürlich war es undenkbar, dass Abd ar-Rahman, der Enkel des großen Kalifen Hischam, sein Mahl in Gegenwart eines Ungläubigen einnahm. Er selbst hatte die Anwesenheit Okins und dessen Begleiter unterwegs hinnehmen müssen, doch hier in Córdoba würden die Giauren unter sich bleiben und in ihrem Quartier essen. Der Berber sagte jedoch nichts, sondern bedeutete Okin nur, auch diese Waffe abzulegen. Als dies geschehen war, öffnete ein anderer Diener das Portal, so dass die beiden Männer in den Audienzsaal des Emirs treten konnten.
Der Raum war bis auf einen Diwan an der hinteren Wand leer. Dafür bedeckten farbenprächtige Wandbehänge die Wände, und unter seinen Füßen spürte Okin Teppiche, die ihm das Gefühl vermittelten, auf Wolken zu gehen.
Noch während Okin sich umsah, schritt Fadl zu seiner Verwunderung auf den leeren Diwan zu und kniete davor nieder.
»Warum machst du das? Der Emir ist doch noch gar nicht da!«
»Bekunde dem Th ron des Herrn von al Andalus deine Verehrung«, forderte Fadl ihn auf und beugte seinen Kopf so tief, dass er mit der Stirn den Teppich berührte.
Okin begnügte sich mit einer knappen Verbeugung und fragte sich, was das solle.
Wie Fadl annahm, befand Abd ar-Rahman sich in einem Nebenraum und blickte durch ein Guckloch in den Th ronsaal.
Er hatte den Berber und Okin bewusst hierher führen lassen und nicht in den Garten, in dem er seine Gespräche am liebsten führte. Fadl sollte sich bewusst werden, dass er trotz des Sieges über ein fränkisches Heer nur einer von mehreren Feldherren war, die er in die Schlacht schicken konnte, und der Waskone musste lernen, wer die wirkliche Macht in al Andalus innehatte.
Abd ar-Rahman hätte nun in den Saal gehen und sich auf seinen Th ron setzen können. Doch vorher wollte er Klarheit über die beiden Frauen gewinnen, die Fadl Ibn al Nafzi mitgebracht hatte. Seine Schritte wurden von den Teppichen verschluckt, als er das Zimmer verließ und sich dem Gebäudeteil zuwandte, in dem sich der Harem befand. Ein Eunuch mit einem großen Krummsäbel an der Seite öffnete ihm die Tür. Innen wachten weitere Eunuchen darüber, dass kein Mann außer ihrem Herrn diese Räume betrat. Abd ar-Rahman beachtete sie kaum, denn für ihn zählten sie ebenso zum Inventar wie die Tische, Truhen und Diwane in den Räumen seiner Favoritinnen. Er wandte sich jedoch nicht deren Kammern zu, sondern ging weiter zu dem Trakt, in dem die neuen Sklavinnen einquartiert waren, bis über sie entschieden worden war. Dort öffnete er ein Guckloch und sah Ermengilda und Maite eine Weile zu.
Die Asturierin war ein Edelstein ohne jeden Fehl und Tadel und die schönste Frau ihres Volkes, die er je gesehen hatte. Doch auch die Waskonin, die Abd ar-Rahman mit erfahrenen Blicken taxierte, war hübsch und wohlgebaut. Zu jeder anderen Gelegenheit hätte er sie behalten, doch er wollte ihretwegen nicht einen seiner treuesten Offziere vor den Kopf stoßen. Fadl Ibn al Nafzi sollte das Mädchen so haben, wie es jetzt war. Der Emir selbst war mit Ermengilda hochzufrieden, und er nahm sich vor, sie bald zu sich zu rufen.