11.

 

Ermengilda sah bereits die heimatlichen Berge vor sich, als Just auf eine Staubwolke aufmerksam wurde, die ihnen von Süden her folgte.

»He, seht mal!«

Auf diesen Ruf hin wandte Konrad sich im Sattel um. Was er sah, gefiel ihm wenig. »Die Mauren! So, wie der Staub hochwirbelt, handelt es sich um verdammt viele. Außerdem reiten sie schnell.«

»Also reiten wir noch schneller!« Ermengilda trieb ihre Stute an und schoss so rasch davon, dass die anderen ihr kaum folgen konnten. In diesem Land war sie aufgewachsen und kannte jeden Weg und Steg. Trotzdem wurde es ein Wettrennen auf des Messers Schneide. Die Mauren begriffen schnell, dass die Verfolgten ihnen zu entkommen drohten, und peitschten ihre Pferde. Das Donnern der Hufe klang Maite und ihren Freunden bereits in den Ohren, als sich vor ihnen ein schmaler Hohlweg öffnete und den Blick auf ein sanftes Tal freigab. Jenseits des Tales erhob sich der Bergsporn, auf dem sich die wuchtige Burg des Grenzgrafen erhob.

»Wir schaffen es!«, schrie Ermengilda, um die anderen anzuspornen. Doch es klang wie ein Hilferuf, da nur Konrad und sie selbst in der Lage waren, ein ähnlich scharfes Tempo einzuschlagen wie die Mauren. Philibert hing halb bewusstlos im Sattel, Just wurde bei jedem Galoppsprung der Stute wie ein Ball hochgeschleudert und musste zudem noch die Stute führen, auf der Ermo saß. Auch Maite tat sich schwer. Zwar hatte sie früher bereits auf Pferden gesessen und sich für eine passable Reiterin gehalten. Mit Ermengilda aber, die wie mit ihrem Reittier verwachsen schien, konnte sie nicht mithalten.

»Lass den Zügel des anderen Gauls los«, rief sie Just zu, als dieser immer weiter zurückblieb. Da er nicht darauf einging, zügelte sie ihre Stute, wartete, bis er zu ihr aufgeschlossen hatte, und schnappte sich den Zügel von Ermos Pferd.

»Jetzt aber rasch, sonst erwischen uns die Mauren noch im Schatten der Burg!« Sie hieb der Stute die Fersen in die Weichen und stöhnte im nächsten Augenblick auf, als ihre wundgerittene Kehrseite heftig auf das Sattelleder klatschte.

Die ersten maurischen Pfeile flogen bereits an Maite vorbei, als Ermengilda einen lauten Schrei ausstieß und wild zur Burg hochwinkte.

Ein Hornstoß ertönte, dann ein zweiter, und gleich darauf öffneten sich die Burgtore. Heraus trabte ein Reiter, der in einem schimmernden Kettenhemd und mit einem gewaltigen Schlachtschwert an der Seite groß und wuchtig wirkte. Ihm folgten einige Krieger zu Pferd und ein größerer Trupp zu Fuß.

Ermengilda warf ihren Umhang ab, damit Graf Roderich sie erkennen konnte. Als ihr Vater nicht darauf reagierte, wunderte sie sich zuerst, erinnerte sich dann aber, dass sie ihre Haare dunkel gefärbt hatte, und begann zu rufen.

»Ich bin es, Ermengilda! Achte nicht auf meine Haare, sondern auf meine Stimme. Vorwärts, Visigote, rette deine Tochter!«

Roderich warf den Kopf hoch, dann glitt sein Schwert mit einem schabenden Laut aus der Scheide. In dem Augenblick nahmen seine Reiter und die Fußkrieger rechts und links von ihm Aufstellung. Speere wurden gesenkt und Schwerter gezogen. Dann setzten die Asturier sich in Bewegung, hielten aber eine Gasse für Ermengilda und ihre Begleiter frei.

Der Anführer der Mauren sah, dass Roderich und seine Männer sich kampfbereit machten, und hob die Hand. Seine Reiter zügelten die Pferde und senkten trotz etlicher Verwünschungen ihre Bögen. Ihr Hauptmann trabte noch einige Schritte und verhielt dann ebenfalls seine Stute.

»Ihr Krieger Asturiens! Wir sind nicht gekommen, um gegen euch zu kämpfen. Wir verfolgen diese Leute. Überlasst sie uns, und wir werden in Frieden abziehen«, rief er Roderich zu.

Der Grenzgraf hatte unterdessen die Flüchtlinge erreicht und musterte seine Tochter mit einem scharfen Blick. Obwohl ihn die Haare verwirrten, erkannte er ihr Gesicht sofort.

»Ermengilda! Bei unserem Heiland, was ist geschehen?«

»Das sind Sachen, die wir besser in unserer Burg bei einem Becher Wein besprechen sollten. Versprichst du meinen Begleitern Asyl?«

Es war seine Tochter, doch ihre Stimme klang selbstsicherer und fordernder als früher. Roderich schämte sich mit einem Mal, weil er nichts unternommen hatte, um sie vor dem Harem des Emirs zu bewahren. Sie noch einmal den Mauren auszuliefern, wäre unverzeihlich.

»Du und deine Begleiter, ihr steht unter meinem Schutz!« Er bedeutete seinen Kriegern, ebenfalls stehen zu bleiben, und ritt ein paar Schritte vor.

»Du verlangst Unmögliches, Jussuf Ibn al Qasi. Dies ist meine Tochter, und wer sie wie ein wildes Tier jagt, ist mein Feind!« Er hatte den Anführer der Mauren erkannt und war froh, seinen alten Bekannten Jussuf vor sich zu haben, und nicht einen der anderen maurischen Feldherren. Hätte Fadl Ibn al Nafzi die Mauren befehligt, wäre es mit Sicherheit zum Kampf gekommen. So aber hoffte Roderich, mit dem Freund verhandeln zu können.

Jussuf Ibn al Qasi musterte die lange Reihe der Asturier. Sie waren seinen Männern an Zahl überlegen und würden unter den Mauern der eigenen Burg besonders erbittert streiten. Mit einer resignierenden Geste wandte er sich an seine Männer. »Hier das Schwert zu ziehen würde uns nur unnötige Verluste einbringen. Ich werde mit dem Grenzgrafen verhandeln.«

»Wir wollen Rache für Fadl Ibn al Nafzi!«, rief einer der Männer zornig.

»Wenn du kämpfen willst, dann tu es. Ich und meine Krieger halten uns raus!« Jussuf Ibn al Qasis Stimme klang scharf. Er mochte die Berber nicht, die in das Land kamen, das seine Familie seit vielen Jahren beherrschte, und Forderungen stellten, die zu erfüllen er weniger denn je bereit war. Im Grunde seines Herzens war er den Leuten, die er verfolgt hatte, sogar dankbar, denn sie hatten ihn von Fadl Ibn al Nafzi befreit, dessen Pläne auch für ihn hätten gefährlich werden können.

Ungerührt sah er zu, wie Fadls Gefolgsleute weiterritten, während seine Männer sich um ihn versammelten. Als den Berbern klarwurde, dass sie allein gegen die Übermacht der Asturier standen, zügelten auch sie die Pferde. Die Blicke, mit denen sie ihn bedachten, verrieten Verachtung und kaum unterdrückte Wut.

Jussuf achtete nicht darauf, sondern ritt auf Roderich zu und hob grüßend die Hand. »Lass uns wie vernünftige Männer miteinander reden, Roderich. Wenn wir beide die Schwerter kreuzen, werden sich nur andere freuen!« … bei dir wäre es Eneko von Pamplona, der noch immer hoff t, die Waskonen unter seine Herrschaft zu bringen, und bei mir der Emir und seine Berber, denen wir Banu Qasim ein Dorn im Auge sind, fuhr er in Gedanken fort. Zufrieden sah er, dass Roderich zustimmend nickte.

»Wir werden miteinander reden, Jussuf. Fordere jedoch nicht, dass ich dir meine Tochter übergeben soll!«

»Ich werde mir anhören, was du zu sagen hast, und danach entscheiden!« Jussuf Ibn al Qasi setzte seine Stute in Bewegung und ritt auf die Asturier zu.

Roderich reichte ihm vom Sattel aus die Hand. »Sei mir willkommen. Bei deinen Männern hoffe ich jedoch, dass sie Ruhe geben. Sollten sie zu plündern beginnen, müssen die Schwerter sprechen.«

»Meine Männer werden es gewiss nicht tun, und was die Berber betrifft, kannst du sie in dem Fall wie Diebe behandeln. Für sie werde ich keinen Finger rühren!«

Roderich begriff, dass es seinem Gast sogar lieb wäre, wenn sie die Berber erschlagen würden. Da diese Krieger jedoch im Dienst des Emirs standen, befahl er seinen Leuten, die Waffen nur im Notfall zu ziehen. In diesen Zeiten war es zu gefährlich, sich Abd ar-Rahmans Feindschaft zuzuziehen, ansonsten geriete er zwischen Hammer und Amboss. Er war überzeugt, dass die Franken zurückkehren würden. Die Vernichtung des letzten Heeresteils unter Roland von Cenomanien hatte ihnen zwar einen harten Schlag versetzt, gleichzeitig aber auch ihre Rachsucht geweckt. Wenn sie zurückkehrten, war das ganz im Sinne des Emirs. Abd ar-Rahman wollte die christlichen Herrschaften Nordspaniens und die Franken gegeneinanderhetzen, um daraus den größtmöglichen Vorteil für sich zu ziehen. Daher galt es, die richtigen Entscheidungen zu treffen, um nicht von dem Sturm erfasst zu werden, den er am Horizont aufziehen sah.

»Folgt mir!« Es galt seiner Tochter und deren Begleitern ebenso wie Jussuf. Während seine Männer als eine lebende Warnung für die anderen Mauren kampfbereit vor der Burg verharrten, ritt Roderich durch das Tor, stieg im Burghof schwerfällig aus dem Sattel und streckte die Arme aus, um Ermengilda vom Pferd zu helfen.

Jussuf, der leichtfüßig von seiner Stute geglitten war, deutete eine Verbeugung in Richtung der jungen Frau an. »Du hast großen Mut und Tapferkeit bewiesen. Deine Söhne werden gewiss einmal große Krieger werden!«

Ermengilda sah ihn mit stolzem Blick an. »Mein Sohn wird ein großer Krieger werden!« Sie straffte dabei ihre Kleidung, so dass jeder die leichte Wölbung ihres Leibes sehen konnte.

»Du bist schwanger?« Jussuf Ibn al Qasi sah weitere Verwicklungen vor sich und warf Roderich einen hilfesuchenden Blick zu. »Du musst mit deiner Tochter sprechen! Der Emir wird es nicht dulden, dass ein Kind von ihm in der Fremde als Christ aufwächst.«

Über Ermengildas Gesicht huschte ein Lächeln. »Ja, ich bin schwanger, aber von meinem gefallenen Gemahl. Mein Kind wird in weniger als sieben Monaten nach dem Tag, an dem ich in den Harem des Emirs gebracht worden bin, zur Welt kommen!«

»Also ist es das Kind eines Franken.« Jussuf klang erleichtert. Gleichzeitig aber nahm er sich vor, Ermengildas Niederkunft überwachen zu lassen, um herauszufinden, ob sie wirklich kein Kind des Emirs zur Welt brachte. Abd ar-Rahman würde für eine diesbezügliche Nachricht dankbar sein.

»Ich will, dass mein Kind in Freiheit geboren wird und den Platz einnehmen kann, der ihm seiner Abkunft nach gebührt.« Ermengildas Hinweis auf die Verwandtschaft Ewards zu König Karl verfehlte nicht seinen Zweck.

Jussuf wusste, auch der Herrscher der Franken durfte es nicht zulassen, dass ein Kind seiner Sippe im fremden Land in einem fremden Glauben erzogen würde, und deutete erneut eine Verbeugung an.

»Ich werde es dem Emir berichten, und er wird es verstehen. Mag er auch bedauern, dass die Rose von Asturien nicht mehr in seinem eigenen Garten blüht, so findet er dort genug Blumen, die ihn trösten werden. Doch was Fadl Ibn al Nafzi und dessen Männer betrifft, die von deinen Begleitern erschlagen worden sind …«

»Fadl ist tot?«, unterbrach Roderich den Mauren.

»… und seine Männer fordern Rache!«, erklärte Jussuf.

Roderich winkte lachend ab. »Dies hier ist Grenzland. Das eine Mal erschlagen eure Leute einige der unseren, das andere wir einige der euren. Führen wir deshalb das Wort Rache im Mund? Nein, Freund Jussuf. Diese Leute stehen unter meinem Schutz, denn sie haben meine Tochter zu mir zurückgebracht. Doch nun komm! Ich will nicht auf dem Hof mit dir reden, sondern in meiner Halle bei einem Becher Wein. Du trinkst doch mit, oder soll ich dir aus der Viehtränke Wasser holen lassen?«

»Herr Philibert benötigt dringend einen Wundarzt, und meine Freundin und ich brauchen ein Bad«, erklärte Ermengilda kategorisch. Maite stimmte ihr eifrig zu, denn sie war der schwarzen Farbe auf ihrer Haut überdrüssig geworden und wünschte sich nichts mehr, als ihr mit Seife, Lappen und notfalls auch einer Bürste zu Leibe zu rücken. Allerdings sah Philibert auch so aus, als könne er einen kräftigen Schluck Wein brauchen. Die Nachricht, dass seine Angebetete ein Kind trug, war doch etwas unvermittelt gekommen. Da er damit jedoch hatte rechnen können, lächelte er Ermengilda zu. Sagen konnte er jedoch nichts mehr, da zwei Knechte herankamen und ihn in das Hauptgebäude trugen.

Die Rose von Asturien
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