11.

 

Die jungen Leute, die sich auf dem Markt versammelt hatten, kümmerten sich nicht um die Spitzfindigkeiten der Politik, sondern lachten, sangen und tanzten. Dabei prahlten sie mit Heldentaten und versuchten, einander mit immer wilderen Geschichten zu übertreffen. Vor allem Eneko, der gleichnamige Sohn des Herrn von Iruñea, tat sich darin hervor, fand aber in dem jungen Gascogner Tarter einen erbitterten Gegenpart. Dieser vermochte zwar nicht mit Geschichten über Überfälle auf maurische Hirten und asturische Bauern aufzuwarten, hatte aber im Gefolge seines Anführers mehrere Streifzüge gegen die Stämme am Fluss Aragon unternommen und einmal sogar gegen echte Franken gekämpft.

Andere Burschen wollten mithalten und spannen ein Lügengewebe, das zwar alle durchschauten, aber begeistert anhörten. Das Ziel der meisten jungen Männer war es, Maite zu imponieren, denn derjenige, den Ikers Tochter wählte, würde der Häuptling von Askaiz und des gesamten Stammes.

Eines der Mädchen, das wie viele andere unbeachtet am Rand der Gruppe hockte, ärgerte sich darüber und begann zu hetzen. »Was bildet diese Maite sich eigentlich ein? Die will wohl etwas Besseres sein als wir!«

Obwohl Maite nicht einmal den Versuch unternahm, ihren Verehrern schöne Augen zu machen, wetzten die Freundinnen der Sprecherin nun ebenfalls ihre Zungen und zogen über Ikers Tochter her. Der einen war sie zu klein, der anderen wieder zu groß. Manche bezeichneten ihre Figur als plump, während eine andere ihren angeblich zu flachen Busen und ihr zu breites Gesäß bemängelte. An Maites Gesicht hatten sie alles Mögliche auszusetzen, ebenso wie an ihren Haaren. Vor allem aber störten sie sich an der selbstbewussten Art ihrer Rivalin.

Die jungen Burschen sahen Maite jedoch mit anderen Augen an. Für diese war sie ein mittelgroßes Mädchen, gerade noch schlank genug, um nicht untersetzt zu wirken, und mit genau den richtigen Rundungen am Körper, die ihre Phantasie beflügeln konnten. Mit ihrem hübschen, leicht rundlichen Gesicht, ein paar Sommersprossen auf der Nase, haselnussbraunen Augen und den brünetten, weich fallenden Locken stellte sie die meisten anderen Mädchen in den Schatten.

Maite achtete nicht auf die neidischen Bemerkungen, die die Mädchen am Rand der Gruppe austauschten, sondern hörte den Burschen zu und lachte, wenn der jeweilige Redner durch eine Bemerkung eines Freundes als Großmaul entlarvt wurde. Dabei war ihr durchaus klar, dass sie irgendwann einmal einen dieser jungen Männer heiraten musste. Aber in ihren Augen hatte das noch Zeit.

»He, Maite, du hörst mir ja gar nicht zu!« Der junge Eneko war beleidigt, denn eben hatte er einen weiteren Bericht über einen Überfall im Maurenland begonnen und wollte, dass dem Mädchen nicht entging, wie tapfer und schlau er gewesen war. »Wisst ihr was? Ich habe die Kriegszüge satt, die doch nur in eurer Phantasie stattgefunden haben, und ich werde mir jetzt etwas zu trinken holen.« Maite sprang auf und schlängelte sich geschickt durch die Herumsitzenden. Nun stellten auch die Burschen fest, dass sie Durst hatten, und eilten hinter ihr her. Bei den Weinfässern angekommen, die der Herr von Iruñea für seine Gäste hatte bereitstellen lassen, reichten ihnen Knechte volle Becher.

Der Gascogner Tarter blieb vor Maite stehen und stieß mit ihr an. »Auf dein Wohl! Möge bald der Tag kommen, an dem du meinen wahren Wert erkennen wirst.«

»Dann solltest du auch wahre Taten vollbringen und nicht nur davon reden!« Maite hob lachend ihren Becher und trank ihn in einem Zug leer.

»Es ist heiß heute«, sagte sie entschuldigend.

Der junge Eneko wollte seinem gascognischen Rivalen nicht das Feld überlassen und stimmte Maite zu, obwohl die laue Frühlingsluft sich bei weitem nicht mit der Gluthitze des Sommers messen konnte.

Unterdessen waren einige Nachzügler erschienen und drängten sich zu den Weinfässern durch. »He! Macht euch nicht so breit!«, rief Tarter.

»Hinter uns liegt ein weiter Weg, und wir haben Durst. Übrigens, ich bin Unai aus Iekora.« Der Anführer der Neuankömmlinge streckte Tarter die Hand hin.

Dieser ergriff sie nach kurzem Zögern und stellte sich dann selbst vor. »Ich bin Tarter aus Dacs.«

Unais Augen weiteten sich verblüfft. »Du stammst aus der Gascogne? Dann musst du die Franken kennengelernt haben.«

»Und ob!« Tarter knirschte mit den Zähnen, denn seit König Karl die Franken beherrschte, blies auch den Gascognern ein scharfer Wind um die Ohren.

»Wie es aussieht, wird der Franke bald über die Berge kommen«, fuhr Unai fort. »Wir haben gute Freunde bei den Asturiern, die für uns die Ohren offen halten. Der Franke Karl und Silo von Asturien wollen ein Bündnis miteinander schließen, und was das für uns Waskonen bedeutet, könnt ihr euch denken.«

Einer der Burschen, der aus den höheren Lagen der Pyrenäen stammte, winkte lachend ab. »Sollen die Franken doch kommen. Es gibt viele Schluchten in den Bergen, in die wir sie locken können. Dort machen wir mit ihnen kurzen Prozess.«

»Narr!«, rief Eneko, der sich nicht in den Hintergrund drängen lassen wollte. »Ihr Bergziegen könnt ihnen vielleicht aus dem Weg gehen, doch was ist mit den Gebieten, die offen vor den Franken liegen? Sie werden über die Pässe kommen und sich das flache Land unterwerfen, und dann seid auch ihr am Ende.«

Der Bergbewohner zuckte mit den Schultern und murmelte etwas Abschätziges. Doch niemand beachtete ihn, denn Unai setzte seinen Bericht fort. »Das Bündnis zwischen den Asturiern und Franken ist so gut wie geschlossen und soll durch die Heirat der Tochter von Silos Schwager Roderich mit einem Verwandten König Karls besiegelt werden. Auf unserem Weg haben wir die Dame und ihren Trupp entdeckt. Sie wird von fünfundzwanzig Kriegern nach Norden geleitet. Jetzt sind sie noch ein Stück hinter uns, weil wir über die Berge abkürzen konnten. Sie dürften über den Ibañetapass nach Donibane Garazi reiten und von dort weiter ins Frankenland. Wenn die Frau dort ankommt, werden Karl und Silo wie Brüder sein, die sich einen Laib Brot teilen – und dieses Brot sind wir!«

Maite hatte Unais Bericht stumm zugehört und spürte, wie eine heiße Welle ihren Körper durchlief. Roderichs Tochter! Dabei konnte es sich nur um Ermengilda handeln. Sie fletschte die Zähne, denn sie hatte nicht vergessen, wie das hochnäsige Ding sie behandelt hatte und dass sie ihretwegen halb totgeprügelt worden war.

Erregt sprang sie auf einen Holzklotz und stemmte die Hände in die Hüften. »Warum fangen wir dieses Weibsstück nicht ab? Dann kommt es nicht zu den Franken, und das Bündnis wird vielleicht nie geschlossen.«

»Sie wird von fünfundzwanzig gepanzerten Reitern begleitet. Mit denen wird ein kleines Mädchen wie du nicht fertig«, spottete Unai.

Maite maß ihn mit einem Blick, der ihn um etliche Zoll kleiner werden ließ, und zeigte dann auf die jungen Krieger, die sich um die Weinfässer versammelt hatten. »Hier sind mehr als hundert tapfere Kerle versammelt. Die werden wohl ausreichen, um mit ein paar lumpigen Asturiern fertig zu werden.«

Unai tippte sich an die Stirn, doch Eneko sah eine Möglichkeit, seinen Mut zu beweisen, den Maite vorhin angezweifelt hatte. »Verdammt noch mal! Warum nicht? Davon würden die Sänger noch in hundert Jahren singen.«

»Ach was, in tausend!«, rief Tarter begeistert aus.

Ximun, Enekos jüngerer Bruder, kratzte sich im Genick und blickte zu dem Platz hoch, auf dem die Abgesandten der Stämme immer noch stritten. »Wir sollten zuerst Vater fragen, bevor wir etwas unternehmen.«

Tarter lachte ihn aus. »Ich bin ein Gascogner und muss keinen Berghäuptling fragen, ob ich mein Schwert ziehen darf oder nicht.«

Eneko drohte ihm mit der Faust. »Dieser Berghäuptling, wie du ihn nennst, ist mein Vater und der Herr der meisten Stämme Nafarroas.«

»Ich bin aber kein Mann aus Nafarroa«, antwortete Tarter stolz.

»Ich auch nicht!« Unai aus Iekora stellte sich auf Tarters Seite, und etliche taten es ihm gleich.

Schließlich klopfte auch der junge Eneko auf den Griff seines Schwertes. »Mein Vater redet immer noch mit den alten Graubärten aus den anderen Stämmen, und das wird, wie es aussieht, wohl noch tagelang so gehen. Bis die zu einem Entschluss kommen, ist die Asturierin längst bei den Franken, und wir haben das Nachsehen. Nur wenn wir gleich aufbrechen, können wir sie noch abfangen.«

Maite sprang von ihrem erhöhten Platz herunter und blickte die jungen Männer an. »Ich bin dabei!«

Tarter stieß sie zurück. »Du bist ein Mädchen und hast bei einer solchen Sache nichts verloren!«

Maite maß ihn mit einem mitleidigen Blick, nahm das Band ab, mit dem sie ihren üppigen Haarschopf gebändigt hatte, formte eine Schlaufe und legte einen Kieselstein hinein. Dann schwang sie die primitive Schleuder ein paarmal durch die Luft und ließ den Stein davonschnellen. Im nächsten Augenblick zerplatzte der Zapfen einer gut dreißig Schritt entfernt stehenden Pinie.

»Reicht das, oder soll ich mir als nächstes Ziel deinen Kopf vornehmen?«, fragte Maite herausfordernd.

Asier trat grinsend näher. »An deiner Stelle wäre ich vorsichtig, mein Freund. Dein Kopf ist größer als ein Pinienzapfen, und den trifft Maite aus noch größerer Entfernung! Sie ist nämlich Ikers Tochter, die bereits als Achtjährige einen asturischen Grafen und seine Reiter an der Nase herumgeführt hat. Du wirst hier keinen Waskonen finden, der ihre Begleitung ablehnen wird.«

Tarter starrte Maite mit offenem Mund an. »Das war ein guter Schuss«, sagte er und reichte ihr die Hand. »Also gut! Holen wir uns das asturische Dämchen gemeinsam. Wir bekommen sicher Lösegeld für sie.«

»Am besten verkaufen wir sie an die Mauren!«, erklärte Maite voller Hass.

Die Rose von Asturien
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