Kapitel 35
Die Kriegsherren des Abendlands zwischen 1453
und 1571: Alexander VI. - Clemens VII. - Malteser-Ritter
Spanische Ambitionen
Von Valencia, der spanischen Küstenstadt am
Mittelmeer, sind es mehr als 500 Kilometer nach Granada. Kein
Problem heute mit Autobahnen und Schnellzügen. 1430/31, als ein
gewisser Rodrigo de Borja y Borja dort in dem nahen Örtchen Xativa
geboren wurde, war die Reise ein großes Problem. Zu Fuß hätte es
wohl rund zwei Wochen gedauert, bei schnellem Gehen. Zwischen
Valencia und Granada lag jedoch eine scharfe Grenze zwischen zwei
fremden Kulturen, zwei feindlichen Religionen: zwischen dem
muslimischen Reich der Almoraviden, Almohaden und schließlich
Nasriden und dem katholischen Aragon(ien).
Erstaunlicherweise zog es ehrgeizige Spanier
damals, im ausgehenden Mittelalter weniger dazu hin, Muslime von
spanischer Erde zu vertreiben - was jene schon lange
»Re-conquista«, »Rück-Eroberung«, nannten, Muslime einfach nur
»Conquista«, »Eroberung« -, sondern sie wollten vielmehr, im
christlichen Italien, in den südlichen Königreichen, auf Sizilien
oder in Neapel ihr Glück suchen. Die Vorliebe der Aragonesen für
Süditalien schuf im westlichen Mittelmeer sichere, von Muslimen
weniger behelligte Schiffsverbindungen. Den Onkel des Rodrigo,
Alonso de Borja, 1378 geboren, einen genialen Juristen, führten die
Ambitionen, wie das Leben damals so spielte, nach Rom. In den
Wirren des Abendländischen Schismas (1378-1417) mit mehreren
rivalisierenden Päpsten und
den Möglichkeiten des wieder aufstrebenden Renaissancepapsttums
gelang ihm die kirchliche Karriere so gut, dass er selbst zum Papst
gewählt wurde, am 8. April 1455.
Alonso de Borja - Calixtus III.
Noch mehr. Alonso de Borja, nun Calixtus III.,
nahm die Kenntnis des christlich-muslimischen Konflikts in seinem
Heimatland mit auf den Thron Petri. Knapp zwei Jahre waren
vergangen nach der Eroberung Konstantinopels am 29. Mai 1453 durch
die muslimischen Türken und dem Aufgehen des
Byzantinisch-Oströmischen Kaisertums im Osmanischen Reich. Ein
Schock für das Abendland. Über diese christliche Apokalypse schrieb
der kirchliche Humanist Enea Silvio Piccolomini, der spätere Pius
II. (1458-1464): »Meine Hand zittert, während ich dies schreibe,
und es erschauert meine Seele; zu schweigen verbietet die Empörung,
und zu reden verhindert der Schmerz. Weh der unseligen
Christenheit!«
Da befand sich Piccolomini in Wien, der Hauptstadt
der Habsburger, die wenige Jahrzehnte später, 1529, zum ersten Mal
den Expansionswillen der Osmanen über den Balkan hinweg spüren und
dann für eineinhalb Jahrhunderte mit der Abwehr der Muslime
beschäftigt sein sollten. Zusammen mit den Päpsten, die so eine
militärische Front gegen die Türken und eine religiös-geistliche
gegen die Protestanten nach der Reformation aufzubauen und zu
halten hatten. Kriegsherren des Abendlands? Zunächst, im Juli 1456,
gebot der Papst in einer Bulle zur Schärfung der Wachsamkeit
gegenüber den Muslimen, täglich regelmäßig die Kirchenglocken zu
läuten; die laute Mahnung verschmolz mit dem Aufruf zum
Angelus-Gebet, mittags und abends.
Aber da waren wohl die Eigenkorrekturen und
Selbstheilungskräfte der Europäer schon am Werk. Für die notwendige
Reform der Kirche traten gebildete und fromme Männer ein. In Rom
gab man sich mit neuen Kräften und finanziellen Mitteln nicht nur
dem Genuss hin, sondern pflegte Kunst und Künstler. All das war mit
Menschlichem, allzu Menschlichem gemischt.
Besonders bei der spanischen Familie der Borja, aus der in Italien
die Borgia wurde. Doch moralische Entrüstung über Lebenswandel und
Charakter muss man bei den Renaissancepäpsten und -kardinälen
hintanstellen, um ihre geschichtliche Wirkung angemessen bewerten
zu können.
Zu Lande gegen den Islam
Der Spanier Calixtus III. regierte nur gut drei
Jahre (1455 bis 1458). Doch lang genug, um seinen Neffen Rodrigo
mit 36 Jahren zum Kardinal zu erheben und ihn mit zahllosen
einträglichen kirchlichen Pfründen auszustatten. Der Kardinal
Rodrigo de Borja war reich und schlau genug, nicht im sittenlosen
Leben in Rom aufzugehen. Während im Osten im Mittelmeer und auf dem
Balkan die Türkengefahr immer größer wurde, tat sich in Spanien für
den christlichen Glauben Günstiges. Die »Katholischen Könige«,
Isabella von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon, vereinigten
ihre Reiche durch Heirat und bauten dieses große Gebilde durch
entschiedene innere Reformen zu einem modernen Verwaltungsstaat
auf. Als Isabella und Ferdinand 1481 die Inquisition (aus dem
Mittelalter) erneuerten, machten sie die (beabsichtigte) Erfahrung,
dass profilierte, zuweilen fanatische Religiosität zur Stärkung der
Staatsgewalt führen kann. So geschah es. Am 2. Januar 1492
schlossen die Katholischen Könige zudem die Eroberung des letzten
Muslimreiches in Spanien ab, als sie in dessen Hauptstadt Granada
einzogen. Im selben »Spanischen Jahr« waren Rodrigo de Borja und
Cristoforo Colombo (Kolumbus) im Auftrag der Katholischen Könige am
Ziel ihrer Wünsche.
Rodrigo de Borja - Alexander VI.
Der Kardinal Rodrigo de Borja wurde am 10. August
1492 mit 62 Jahren zum Papst gewählt, vielen Kindern zum Trotz und
dank Unsummen von Bestechungsgeldern; die Vorwürfe der Simonie und
eines Lebenswandels wie im heidnischen Götterolymp fochten
Alexander VI. wenig an. Der Seefahrer Kolumbus
entdeckte im Oktober sein Westindien und unser Amerika. Man stelle
sich vor, nicht Isabella hätte den Genueser Christen finanziert,
trotz der Belastung durch den Kreuzzug gegen die Muslime auf der
Iberischen Halbinsel, sondern die Osmanen hätten ihre Flotte nach
Westen auf den Atlantik geschickt.
Aber religiöser Extremismus, Glaubensstrenge und
Privilegierung der eigenen Überzeugungen bargen schon den Samen des
Niedergangs. In ihrem Kampf gegen Unglauben und Ungläubige
statuierten die Katholischen Könige auch, harte Landarbeit und
redliches Gewerbe sei der Christen unwürdig. Dass man nach dem Fall
von Granada misstrauisch, unduldsam und gewalttätig gegen Juden und
Muslime wurde, auch gegen die wirklich oder vorgeblich Bekehrten,
die »Conversos«, dass man sie aus ihrer Heimat vertrieb, ist nicht
nur als Vergehen gegen die Menschlichkeit zu verdammen, sondern
rächte sich einige Zeit später durch wirtschaftlichen Niedergang in
Spanien.
Alexander VI. ließ sich in Rom nur berichten, was
geschah: 1499 wurde auf Anordnung des Erzbischofs Jiménez de
Cisneros von Toledo auf dem Marktplatz von Granada ein
Scheiterhaufen errichtet, um islamische Bücher über Theologie,
Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaften zu verbrennen. Das
geisttötende Spektakel weitete sich zu einem Pogrom gegen
Nichtchristen, dem vor allem Juden zum Opfer fielen. Als die
Muslime, die Morisken, sich gegen die Unterdrückung mit dem Verbot
der Religionsausübung und Enteignung erhoben, wurden sie in andere
Teile Spaniens und Portugals und später nach Afrika vertrieben.
Granada verfiel. Bis es auch wieder auf seine muslimische
Vergangenheit stolz, bis man sich im 21. Jahrhundert mit wichtigen
Veranstaltungen seiner multikulturellen Bedeutung - zusammen mit
dem benachbarten Córdoba - bewusst wurde.
Clemens VII. - Giulio de’ Medici
Die erste Stufe zum Thron Petri war für Giulio de’
Medici, dass er der Florentiner Herrscherfamilie entstammte. Sein
Onkel war Lorenzo der Prächtige, der unvergleichliche Herr der
Kunststadt
am Arno von 1449 bis 1492; sein drei Jahre älterer Vetter Giovanni
wurde sogar Papst, Leo X. (1513-1521), der Martin Luthers
Reformvorschläge mit einer Bulle abtun wollte; sein Vater, der
Bruder Lorenzos, war jener Giuliano de’ Medici, der am 26. April
1478 der politischen Verschwörung der Patrizierfamilie Pazzi gegen
die Medici-Dominanz in Florenz zum Opfer fiel. Das Besondere an
diesem Attentat, einen Monat vor Giulios Geburt am 26. Mai 1478,
gehört zur italienischen Renaissance: Es geschah während des
Hochamts am Sonntag in der Kathedrale, der Erzbischof kannte den
Plan und wirkte mit, und Sixtus IV. in Rom stimmte der
Verschwörung, ohne Mord, zu. So wusste der Halbwaise früh um die
Prämien und Risiken der Politik.
Die zweite Stufe zum römischen Bischofsamt war,
dass Giulio de’ Medici schon in jungen Jahren dem Ritterorden der
Johanniter beitrat. Für das Herrscheramt in Florenz kam er als
»natürlicher«, unehelicher Sohn des Giuliano nicht infrage. Der
»Orden des heiligen Johannes von Jerusalem« hingegen bot ihm
Perspektiven und machte ihn vertraut mit den problematischen
Beziehungen zwischen der Christenheit und dem Islam im Mittelmeer.
Für alle Fälle. Für die weitere kirchliche Karriere als Bischof,
Erzbischof von Florenz und Kardinal in Rom half ihm, dass er den
Papst zum Vetter hatte. Leo X. erteilte ihm Dispens wegen seiner
unehelichen Geburt und bestimmte, dass Giulio das Kind einer
»heimlichen Ehe« sei, es also kein Hindernis für kirchliche Weihen
gebe. So wurde ein Islamexperte Papst, als Clemens VII., am 19.
November 1523. Allerdings, wie der protestantische
Kirchenhistoriker Leopold von Ranke (1795-1886) urteilt, »in allem
seinem Tun und Lassen unglückselig; wohl der unheilvollste aller
Päpste, die je auf dem römischen Stuhle gesessen«. Vielleicht lag
es an der Zeit, der Renaissance, die zwar die vergangenen
Jahrhunderte aufnahm, doch nun über die gewöhnlichen und gewohnten
Maßstäbe hinausging. Wie etwa bei den Rittern.
Der Orden des heiligen Johannes von Jerusalem
Der Orden des heiligen Johannes von Jerusalem war,
so wurde der Medici-Spross instruiert, im Jahr 1099, beim ersten
Kreuzzug, von Kaufleuten aus Amalfi, der mächtigen Seerepublik
südlich von Neapel, gegründet worden, bei der Kirche Sankt Johannes
in Jerusalem, mit der Erlaubnis des Kalifen von Ägypten. Die Ritter
setzten sich als Ziel, den Pilgern im Heiligen Land Hilfe und
Schutz zu gewähren, Hilfe bei Krankheiten, Schutz vor Überfällen
und militärischer Bedrohung. Dafür gliederte sich der Orden (unter
einem Großmeister) in Ritter für die militärischen Belange,
dienende Brüder für die Krankenpflege und Priester (unter dem
Großprior) für den geistlichen Zuspruch. Die Kleidung der
Mitglieder war die schwarze Tracht der Benediktinermönche (nach dem
Gründer Fra Gerardo) mit einem weißen, achtstrahligen Kreuz auf der
Brust. Die acht Strahlen des Kreuzes sollten die acht Seligkeiten
symbolisieren (nach dem Matthäusevangelium, 5. Kapitel); darunter
die schöne Verheißung: »Selig sind die Friedfertigen; denn sie
werden Kinder Gottes heißen.« Das konnten die Ritter in der Folge
nicht immer sein, da sich der Islam im Mittelmeer von Süden her mit
Macht ausbreitete und die abendländischen Völker in wie auch immer
motivierter Sorge um die heiligen Stätten von Norden her
dagegendrängten.
Da die Johanniter-Ritter die drei Evangelischen
Räte von Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobten und zumeist über
Generationen hinweg danach lebten, wurde der Orden trotz aller
kriegerischer Verwicklungen bald reich, mächtig und souverän. Denn
es traten den Johannitern aus den hochadligen Familien des
christlichen Europa jene bei wie Giulio de’ Medici, die nicht zur
Herrschernachfolge und zum Haupterbe berechtigt, doch stets
vermögend, unternehmungslustig und intelligent genug waren, den
Orden zu bereichern, groß zu machen. Die Ritter besaßen schnelle
Galeeren für die Seefahrt, mit denen man zur Not in feindlichen
Gebieten auch seeräubern konnte, dazu Festungen an strategisch
wichtigen Plätzen. Beides bewahrte den Orden jedoch nicht vor
Niederlagen gegen die muslimische
Übermacht. Die Ritter wurden aus ihrem adoptierten
Operationsgebiet vertrieben, zuerst aus dem Heiligen Land (1291),
dann von Zypern und schließlich von Rhodos - von dieser Insel
nahmen sie einen weiteren Namen an -, im Jahr 1522 durch den
Osmanenherrscher Süleiman den Prächtigen.
Damit kannte sich Clemens VII., der selbst als
Ritter auf Rhodos gekämpft hatte, also bei Regierungsantritt (Ende
1523) aus. Die Johanniter suchten eine neue Bleibe. Clemens VII.
konnte helfen. Der Papst, kaum im Amt, sah sich den Ansprüchen und
Schwierigkeiten Kaiser Karls V. gegenüber, suchte dessen Probleme
durch Intrigen auszunutzen und musste sein politisches Machtspiel
büßen. Es ging drunter und drüber in Europa, nicht unbemerkt von
den Osmanen. Der französische König Franz I. verbündete sich, um
seine Ansprüche in Italien durchzusetzen und den deutschen
Kaiser-König unter Druck zu setzen, mit den Türken, die 1521
Belgrad erobert hatten und 1529 mit einer Armee von 120 000
Soldaten vor Wien standen. Der katholische Kaiser war umzingelt,
von aufbegehrenden Protestanten in Deutschland, dem rivalisierenden
Frankreich, den in Südosteuropa herandrängenden Türken und einem
zwischen allen (!) Parteien lavierenden Papst. Die Söldnertruppen
Karls wiederum plünderten und brandschatzten im furchtbaren »Sacco
di Roma« vom Mai 1527 die Ewige Stadt, als ob das gegen die Muslime
geholfen hätte. Es blieb ein Trauma in der römischen Geschichte,
von »christlichen« Truppen verübt. Dann kamen sich Clemens und Karl
wieder näher. Im Februar 1530 wurde Karl V. in Bologna vom Papst
zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gekrönt.
So konnte der Papst ein gutes Wort für seinen Orden, auch als
Verbündeten gegen die Muslime, einlegen.
Malta als ewiges Lehen
Es traf sich, dass im selben Jahr die Insel Malta
durch den Kaiser vom Königreich Sizilien abgetrennt und dem
Ritterorden übergeben wurde. Karl V. schenkte Malta dem »Orden des
heiligen Johannes von Jerusalem« als »ewiges Lehen«. In den
Jahrhunderten
zuvor waren Byzantiner, Vandalen und Ostgoten, Araber (die ihre
Spuren in der maltesischen Volkssprache hinterließen), Normannen,
Staufer, Anjou und Aragonesen über die Insel gekommen und wieder
gegangen. Als die Ritter jedoch von Malta hörten und die Insel in
Besitz nehmen wollten, weinten sie ihrem schönen Rhodos nach. Auch
der einheimische Adel, der in der damaligen Hauptstadt Mdina
residierte, zog vermutlich den fernen Kaiser den neuen nahen Herren
des Ordens vor. Auch deshalb, weil die Ritter ihrerseits die
muslimischen Feinde anzogen. Die Macht des Kaisers, die Eroberung
von Tunis an der afrikanischen Gegenküste durch Karl V. (1535)
gaben nur Aufschub. Aber vielleicht kann man es auch positiv sehen,
dass der Kaiser 1532 in Nürnberg einen Religionsfrieden mit den
protestantischen Reichsständen schloss, um Entlastung gegenüber der
Türkengefahr zu gewinnen.
Mit den Rittern brach 1530 für Malta eine neue
reiche Zeit an, auch wenn die gewöhnlichen Insulaner oft Grund
fanden, sich über die Anmaßungen der Johanniter zu beklagen. Doch
bevor der Orden der Malteser-Ritter - wie er nun oft genannt wurde
- die Insel zu einem Schmuckstück im Mittelmeer aufbauen konnte,
bevor man auch nur die vielen Steine Maltas zu ausreichenden
Befestigungsanlagen hätte schichten können, kamen die Türken. Über
die Heldentaten der Ritter gegen die Muslime, über »Belagerung und
Angriff, welche die Insel Malta von den Türken im Jahr Unseres
Herrn 1565 zu erleiden hatte«, ist im christlichen Europa vieles
und viel Wundersames erzählt worden, wurden unzählige Abbildungen
und Bücher veröffentlicht. Ein Mythos entstand, an dem auch der
regierende Papst, Pius IV. (1559-1565), seinen Teil
beanspruchte.
Alles erhöhte den Ruhm der
Johannes-Rhodos-Malteser-Ritter. Ihr Widerstand gegen die Türken
wurde als wichtige Grundlage dafür angesehen, dass sechs Jahre
später, am 7. Oktober 1571, bei Lepanto zwischen dem Peloponnes und
dem griechischen Festland eine abendländische Flotte unter Führung
von Don Juan de Austria und mit dem inständigen Segen des
amtierenden, flehende Gebete zum christlichen Himmel schickenden
Papstes Pius V. (1566-1572) das Osmanische Reich in
die Schranken wies. Malta war ein ruhmreicher Vorposten der nun
freilich gespaltenen Christenheit. Die Päpste waren stolz darauf
und gewährten zahlreiche Privilegien. Dessen wollte sich der Orden
würdig erweisen. Hervorragende Festungsbaumeister und Architekten
wurden gerufen, um wehrhafte und kunstvolle Befestigungsanlagen zu
schaffen.
Die eindrucksvollste Festungsanlage der Welt
Überall dort, wo man bei der Belagerung durch die
Türken Schutzmauern, Bollwerke und Bastionen vermisst hatte, wurden
sie nun errichtet. 1565 war es nur durch himmlischen Beistand und
ritterhaften Heldenmut gut gegangen. Jetzt sollten uneinnehmbare
Forts die Türken fernhalten und für immer den Orden sichern.
Der von 1557 bis 1568 regierende Großmeister Fra
Giovanni de La Valette-Parisot machte dafür den Anfang und gab der
neu entstehenden Hauptstadt seinen Namen, La Valletta. Die
Hauptlandzunge und die von Norden und Süden dagegen züngelnden
Landstücke wurden mit Mauern eingefasst. Es entstand eine der
größten Festungsanlagen der Welt, sicher die eindrucksvollste. Die
Angst vor den Türken muss so gewaltig, die Erinnerung an die
Belagerung von 1565 so schrecklich gewesen sein, dass man
kilometerlange künstliche Steilküsten aus Stein errichtete, sie mit
Bastionen und Forts zusätzlich sicherte.
Der Vorposten der Christenheit gegen die Muslime
sollte auch seine geistliche Bestimmung zeigen. So ragten bald aus
den flachen Steinbehausungen der Insulaner überall die Türme und
Kuppeln von Kirchen hervor, noch heute über das erwartete Maß
hinaus zahlreich und prächtig inmitten der kargen Dörfer. Über die
flachen Häuser der neuen Hauptstadt La Valletta, deren Straßen
genau rechtwinklig verlaufen, erhoben sich die Palazzi, die
»Herbergen« der verschiedenen Sprachgemeinschaften (Lingua) des
Ordens, von Aragon, Kastilien und Leon, Frankreich, Italien, der
Provence, der angelsächsisch-deutschen (Bayern), vor allem der
Palast des Großmeisters im Zentrum der Stadt. In der
Sankt-Johannes-Kathedrale, von außen geduckt
und wehrhaft, ließen die Ritter Künstler aus Europa demonstrieren,
welche künstlerischen Effekte man allein mit der sorgfältigen
Bearbeitung des Steines erzielen konnte.
Sankt Johannes ist eine Grabeskirche. Das Düstere
des Inneren wird durch die steinernen Formen des Schmucks nicht
aufgeheitert. Hier wollten die Kreuzritter ihre letzte Ruhestatt
finden. Der Boden besteht nur aus Grabplatten. »Siste, memento,
viator!« (»Halt inne, Wanderer, und gedenke!«) Tugenden werden da
den Gestorbenen nachgerühmt, und der Wanderer verweilt bei dem
Gedanken, ob diese heute noch zu preisen wären. Sie ist vergangen,
die Zeit der Ritter im Zeichen des Kreuzes; ihre aristokratischen
Lebensformen und Privilegien, die von den Maltesern oft nur mit
Unwillen ertragen wurden, wurden von der Geschichte
hinweggespült.
Das Werk der Malteser-Ritter wurde nicht von
Muslimen zerstört, es brach einfach zusammen. Ohne einen Schuss
übernahm Napoleon auf dem Weg nach Ägypten die Macht über Malta.
Kein Papst (damals Pius VI.) konnte ihn daran hindern. Denn das
Papsttum war selbst schwach. Der damalige Großmeister, der Deutsche
Ferdinand von Hompesch, an der Spitze von etwa 600 Rittern und 8000
Mann Hilfstruppen, hielt Blutvergießen für nicht gerechtfertigt und
überließ dem französischen Kriegsherrn eine stattliche Beute. Den
Schutz Europas gegen den Islam hatten die kolonialen Großmächte
übernommen.
Hilfsdienst, nicht mehr Kriegsorden
Innerhalb von drei Tagen mussten die Ritter nach
268 Jahren »ihr« Malta verlassen. Sie irrten in Italien umher; erst
seit 1834 bot ihnen der Papst Sitz und Souveränität in Rom, aber
keine neuen militärischen Aufgaben. Kreuzzüge und Kreuzritter
bestehen nur noch in der Erinnerung fort, obwohl der »Souveräne
Ritterorden vom Hospital des heiligen Johannes von Jerusalem, von
Rhodos und Malta« mit seinen vielen Hilfsdiensten in aller Welt, im
sozialen Bereich und im Gesundheitswesen, sogar noch souveränes,
nichtstaatliches Völkerrechtssubjekt ist.
Um die Jahrtausendwende, als die Innenpolitik von
Malta
in ruhigerem Gewässer verlief, ist der Orden auf seine Insel
zurückgekehrt. Still, ohne Aufhebens, von der Weltöffentlichkeit
kaum bemerkt, von den Insulanern wenig gewürdigt. »Malteser« stehen
nun für Dienst am Menschen, nicht mehr für Kriegerisches. Im Forte
Sant’ Angelo haben sie einen winzigen Teil ihrer einstigen
Festungsanlagen bezogen. Eine symbolische Präsenz. Von dort bietet
sich ein atemberaubender Anblick auf die von Menschen aus Angst vor
fremder Religion, vor feindlichen Religiösen errichteten
künstlichen Steilküsten. Aus der Zwergenperspektive erscheinen die
zyklopischen Mauern, die gigantischen Anlagen einschüchternd, doch
anachronistisch. Die Zeit der religiösen Kriege ist vorbei.