Kapitel 25
Die Hauptakteure des Vatikans im
Islam-Dialog
Für Personalentscheidungen im Vatikan gibt es
immer viele Gründe. Die guten, die spekulativen, die plausiblen,
die wirklichen und die des Papstes.
Für den Erzbischof Michael Fitzgerald gilt das in
besonderem Maße. Der Engländer, Jahrgang 1937, trat in die
Ordensgesellschaft der »Afrika-Missionare« ein, jener Priester und
Laien, die als »Weiße Väter« (nach ihrem der Landessitte
angepassten langen weißen Gewand) bekannt wurden. Das Ziel dieser
1868 in Algerien gegründeten, von Europa und Nordamerika aus
operierenden Gemeinschaft ist die Verkündigung der christlichen
Botschaft in Afrika, die Missionierung. Dabei sollten die
Mitglieder durch ihr Auftreten in besonderer Weise auf die
Einheimischen zugehen, ihre Kultur respektieren und auf eine
eigenständige Kirche hinwirken. So wurden diese »Weißen Väter« im
Lauf der Jahrzehnte zu großen Kennern des Islam - und zu
Konkurrenten. Ihr wissensreiches und einfühlsames Bemühen um den
Dialog mit den Muslimen wurde nicht immer geschätzt, sondern auch
als Gefahr empfunden und bestraft, bis hin zum Tod.
Michael Fitzgerald kam in den diplomatischen Dienst
des Vatikans, wurde im Dezember 1991 zum Bischof ernannt und zum
Sekretär des Päpstlichen Rats für den Interreligiösen Dialog
bestellt, an der Seite des nigerianischen Kardinals Francis Arinze.
Da schien er an der richtigen Stelle, und es ist nur folgerichtig,
dass er - nach Arinzes Wechsel an die Spitze der
Gottesdienst-Kongregation - am 1. Oktober 2002 zum Präsidenten
dieses Rats befördert wurde. Doch am 15. Februar 2006 ernannte
ihn Papst Benedikt XVI. zum Apostolischen Nuntius in Ägypten. Nach
manchen Interpretationen eine Herabstufung und
Strafversetzung.
Zehn Tage zuvor hatte der Erzbischof-Präsident noch
mit Radio Vatikan ein Interview geführt. Da schwelte noch der
Streit um die Mohammed-Karikaturen aus Dänemark. Dieser Zündstoff
war monatelang nach altbekannter Regie aufbereitet worden. Von
muslimischer Seite wurde gleichsam ein Dialog der Empörung geführt.
Im September 2005 waren in der dänischen Zeitung »Jyllands-Posten«
Karikaturen über das »Gesicht des Propheten« erschienen,
respektlos, sottisenhaft, wie man es in Europa von aufgeklärten
Religionskritikern gewohnt ist, wie es dem Islam jedoch gleich
doppelt zuwider ist, als bildliche Darstellung und als Blasphemie.
Im Oktober 2005 wurden diese Karikaturen in Ägypten nachgedruckt.
Verschärft wurde die aufflackernde Entrüstung, als dänische Imame
darüber ein Dossier anlegten und noch etwas hinzufügten - ein
betender Muslim, der von einem Hund bestiegen wird: eine doppelte
sexuelle Perversion und Beleidigung -, auf dass Muslime in aller
Welt sich auch wirklich verhöhnt fühlen mussten.
Erzbischof Fitzgerald verurteilte die Karikaturen:
»Ich denke, wir müssen verstehen, wie stark
religiöses Empfinden ist und wie sehr Muslime auf der ganzen Welt
sich beleidigt fühlen von diesen Karikaturen, die keinen Respekt
zeigen für das, was sie für heilig halten. Wir dürfen den Respekt,
den die Muslime für ihren Propheten Mohammed haben, nicht
herabsetzen. Es gibt eine Tendenz, diese Art von Publikation unter
Berufung auf die Religions- und die Meinungsfreiheit zu
rechtfertigen. Doch Religions- und Meinungsfreiheit haben ihre
Grenzen. Das muss mit Vorsicht ausgeübt werden. Es ist nicht
richtig, andere zu provozieren. Wir müssen in erster Linie
versuchen, Muslimen zuzuhören. Uns klar darüber werden, was es ist,
was sie an dieser Form der Meinungsäußerung beleidigt. Und dann
müssen wir in aller Ruhe miteinander darüber reden, was wir tun
können. Und mit ihnen auch über das Recht der freien
Meinungsäußerung sprechen - und über die Grenzen dieses Rechtes.
Es wäre gut, wenn wir darüber ruhig reden könnten. Das ist eine
Aufgabe für Religionsführer, aber auch für Medien.«
Erzbischof Fitzgerald verurteilte auch die
gewaltsamen Proteste in der islamischen Welt. Doch er meinte eben,
man müsse das auch verstehen. Das war den Kirchenpolitikern im
Vatikan, allen voran Kardinalstaatssekretär Bertone, wohl zu viel
des Verständnisses. Mit so viel Verstehen komme man schwerlich zu
einem ernsthaften, klaren Dialog, hieß es. Der erfahrene
französische Kardinal Paul Poupard, der sich als leutseliger und
geschickter Präsident des Päpstlichen Kultur-Rats erwiesen hatte,
wurde im März 2006 gebeten, die Leitung des Dialog-Rats vorläufig
mit zu übernehmen. Der war jedoch auch keine sehr große Hilfe in
der päpstlichen Mohammed-Krise nach dem 12. September 2006, sollte
auch gar nicht eine Hauptrolle bei ihrer Bewältigung spielen. Denn
die Hauptakteure waren andere. Kardinalstaatssekretär Bertone, just
zum 15. September 2006, drei Tage nach Regensburg, ernannt, hatte
die Richtlinienkompetenz in der Vatikanpolitik an sich gezogen. Der
Papst ist für das große Ganze zuständig.
Tarcisio Bertone war schon im Juni 2006 als
Kardinal-Erzbischof von Genua von Benedikt XVI. zum »zweiten Mann«
im Vatikan vorbestimmt worden. Er stammt allerdings, am 2. Dezember
1934 in Romano Canavese im Bistum Ivrea geboren, aus dem Piemont.
Aber auch dort kennt man sich aus in der Geschichte mit dem Islam
als Bedrohung. Erst recht in der ehemaligen Seerepublik Genua, die
einerseits gegen muslimische Mächte Krieg führte, andererseits mit
ihnen friedlich und einträglich Handel trieb. Fest sein und
flexibel ist daher Kardinal Bertones Devise, alles zu seiner Zeit,
und vor allem nichts verschenken, nichts von seinen Prinzipien und
nichts von seinen Rechten. Das mag nicht besonders christlich
erscheinen. Aber Kardinal Bertone ist von Haus aus Kirchenjurist,
aus dem Salesianerorden, der sich durch die Erziehung der Jugend
nach den Vorgaben des Don Bosco Verdienste erworben hat, und
schließlich ein römischer Kurienkardinal alter Schule,
machtbewusst, dies aber durch joviale Freundlichkeit
gemildert.
Als »Premierminister« des Papstes hat der
Norditaliener in der Schlüsselstellung der Römischen Kurie dafür zu
sorgen, dass die Zentralverwaltung der katholischen Kirche nach
innen und nach außen funktioniert. Die Fähigkeiten dazu hat der
meist gut gelaunte, gern zu einem Scherzwort aufgelegte Piemontese.
Benedikt selbst hat ihm bescheinigt, dass er »seelsorgliches Gespür
mit Kenntnis der Glaubenslehre verbinde«. Er muss es wissen. Denn
mehr als sieben Jahre lang, von Juni 1995 bis Dezember 2002, war
Bertone unter dem Kardinalpräfekten Ratzinger »Sekretär«, der
Zweitwichtigste in der Glaubenskongregation. Kein Fachtheologe,
sondern Kirchenjurist, auch kein Diplomat, sondern ein Mann von
raschen Worten und Entschlüssen und entschiedener
Durchsetzungskraft. Wenn in jenen Jahren das eine oder andere
Dokument der Glaubenskongregation etwas weniger
theologisch-spekulativ, sondern scharf römisch-katholisch ausfiel,
dann durfte man dahinter Bertones Einfluss vermuten, worauf auch
seine Unterschrift stets hinwies.
Ebenfalls zum 15. September 2006 wurde Erzbischof
Dominique Mamberti zum neuen vatikanischen Außenminister ernannt.
Den Anfang hätte er sich kaum schwieriger vorstellen können. Am
Vortag verabschiedete sich sein oberster Dienstherr noch in
freundlicher Gelassenheit auf dem Münchner Flughafen von seiner
geliebten bayerischen Heimat und deren Bewohnern. Da brodelte es
schon in der islamischen Welt und brauste der Sturm des Protests
heran. Dann traten der Erzbischof Mamberti als »Sekretär für die
Beziehungen zu den Staaten«, in der »Zweiten Sektion« im
vatikanischen Staatssekretariat, und Kardinal Bertone am selben Tag
ihren Dienst an.
Dominique Mambertis Ernennung schien ein Glücksfall
für die schwierigen Beziehungen zwischen Kirche und Moschee zu
sein. Am 7. März 1952 als Sohn korsischer Eltern in Marrakesch
geboren, also als katholischer »Franzose« in einem muslimischen
Land, kennt er die leicht erregbaren Massen, die religiösen und
politischen Autoritäten, die Gottesgelehrten und Intellektuellen in
den Ländern von Marokko bis Indonesien, von Nigeria bis
Skandinavien. Da weiß er schon mal, dass Aufregung und Empörung,
heftiges Geschrei und wüste Beschimpfungen
in einem Basar nicht immer auf die Goldwaage zu legen sind.
Freilich auch, dass der Prophet Mohammed gleichsam das
»Allerheiligste« für die gläubigen und auch nicht so gläubigen
Muslime ist. Der Erzbischof hätte wahrscheinlich dem Professor
Ratzinger von dem Zitat mit dem »Schlechten und Inhumanen« bei
Mohammed abgeraten.
Das Handwerk eines päpstlichen Diplomaten lernte
der Vielsprachige - Französisch, Italienisch, Englisch, Spanisch;
für das Arabische reichte die Zeit lange nicht so recht - nach der
Priesterweihe (1981) und Rechtsstudien. Im März 1986 schickte der
Heilige Stuhl den Vielversprechenden in die weite Welt, nach
Algerien, Chile, an die Ständige Vertretung bei den Vereinten
Nationen in New York und in den Libanon, bevor man ihn in die
Zentrale, in die Zweite Sektion des Außenministeriums, zurückholte
zum Feinschliff. Um ihn auch auf richtig ungemütlichen Posten zu
erproben, sandte man ihn im Mai 2002 als Nuntius in den Sudan und
als Apostolischen Delegaten nach Somalia. Obendrein wurde Mamberti
im Februar 2004 Nuntius in Eritrea. Aus Khartoum hätte er, wie auch
der frühere Nuntius in Deutschland, Erzbischof Ender, ein garstig
Lied von den Schwierigkeiten mit den Muslimen dort singen können.
Dürres Feld für die katholische Kirche, Bewährung für den
Erzbischof, der souverän und kundig die vatikanische Politik
gegenüber den muslimischen Staaten und Massen mitgestalten darf und
muss.
Mit nur zwei Zeilen teilte das vatikanische
Presseamt am 25. Juni 2007 mit, Papst Benedikt habe einen neuen
Präsidenten des vatikanischen Rats für den Interreligiösen Dialog
ernannt: Kardinal Jean-Louis Tauran, bisher Archivar und
Bibliothekar der Römischen Kirche. Das bedeutete, dass der Franzose
- am 5. April 1943 in Bordeaux geboren, doch schon seit 1990 als
einer aus der jungen Garde in einer vatikanischen Führungsposition
- die alten Pergamente und dicken Folianten in die kilometerlangen
Regale der Museen zurückstellen und im diplomatischen Dienst den
Dialog mit den politischen und religiösen Führern des Islam
aufnehmen sollte. Am 1. September, so fügte eine weitere Zeile
hinzu, sollte der Wechsel an der
Spitze des Rats mit dem französischen »Oldtimer« Kardinal Paul
Poupard (Jahrgang 1930) erfolgen.
Damit zogen Benedikt und Bertone Konsequenzen aus
Fehloder verbesserungsbedürftigen Entscheidungen. Denn Kardinal
Poupard hatte im März 2006 zusätzlich zur Leitung des Päpstlichen
Kultur-Rats auch die des Dialog-Rats (von Erzbischof Fitzgerald)
übernommen, weil er als umgänglicher, kultivierter geistlicher Herr
galt, der allen Andersglaubenden extremistische Ideen auszureden
imstande zu sein schien. Das war der Sinn des Wechsels. Zudem
wollte man mit der Personalunion an der Spitze zweier Räte die
Kurie verschlanken. Daraus wurde nichts, aus vielerlei Gründen. Es
gab die Regensburger Rede des Papstes, die den Muslimen Gelegenheit
bot, den »Dialog« mit der westlichen Hauptreligion sehr erhitzt zu
führen.
Außerdem wechselte die Führung des
Staatssekretariats. Auf Kardinal Angelo Sodano - im Dezember 1990
von Johannes Paul II. zum Staatssekretär ernannt und so fast 16
Jahre lang als »Premier« von zwei Päpsten der Zweitmächtigste im
Vatikan, der dennoch Benedikt nicht vom Zitieren hatte abhalten
können - folgte Kardinal Bertone, der Sachen und Personen gern in
seinem Sinn beeinflusst und unter Kontrolle hält - zuweilen besser,
als der Papst es sich vorstellen kann. Schließlich meinte auch
Kardinal Poupard, er sei kein Krisenmanager, und das Gespräch mit
den Muslimen könne man nicht als Freizeitbeschäftigung betreiben.
Da sollte nun Kardinal Tauran mehr professionelle Ordnung
hineinbringen. Keine Frage, dass er dazu imstande ist. Vor allem,
nachdem sich herausgestellt hat, dass seine Parkinson-Krankheit
nicht so schlimm ist wie befürchtet.
Aus der Seelsorgearbeit in der französischen
Provinz war Jean-Louis Tauran nach Rom berufen worden. Im Dezember
1990 wurde ihm die Leitung der »Zweiten Sektion« im
Staatssekretariat übertragen, jener Abteilung (unter wechselnden
Namen in der Geschichte der Papst-Kurie), die für die Beziehungen
zu den Regierungen und internationalen Organisationen zuständig
ist. Bis zum November 2003 leitete er die vatikanische
Außenpolitik, unbestechlich, überparteilich; dann drückte die
Krankheit zu sehr. Stets ließ sich der lieber schweigsame als
redselige Erzbischof gern von anderen erzählen, was los war in der
Welt. Vorausgesetzt, man konnte ihm etwas wichtiges Neues
mitteilen, was er trotz des einzigartigen Kommunikationssystems des
global vernetzten Vatikan nicht schon wusste. Kardinal Tauran kennt
die Lage in den Ländern mit Muslimen nicht nur vom Hörensagen und
trockenen Aktenstudium, sondern auch aus eigener Anschauung, die
immer wieder durch Berichte der Patriarchen, Erzbischöfe und
Priester aus den muslimischen Staaten mit kleinen christlichen
Gemeinden, den Bewährungsstellen des Dialogs, aufgefrischt wurde.
Da wird jetzt nicht mehr viel Zeit bleiben, die Liebe zur Musik zu
pflegen, besonders zu den Kompositionen Johann Sebastian Bachs.
Jetzt gilt es, Misstönendes umzustimmen.
In der Ruhe des römischen Sommers 2007 wurden die
Wächter im Vatikan durch Berichte des neu formierten italienischen
»Geheimdienstes für die Innere Sicherheit« (DIS) aufgeschreckt. Im
traditionell katholischen Italien werde, so hieß es da, alle vier
Tage eine Moschee eröffnet. Das sei meist ein bescheidener
Gebetsraum für Muslime. Kein Vergleich mit der prächtigen Moschee
in Rom. Manchmal sei es jedoch etwas Größeres, das auch den Bürgern
(schon in der Planungsphase) auffalle und dann meist auf Ablehnung
stoße. Insgesamt, so der Bericht, seien es 39 Moscheen allein in
den ersten fünf Monaten 2007; seit 2000 habe sich ihre Zahl mehr
als verdoppelt, von 351 auf inzwischen 735.
Es sollten noch mehr werden, wurde berichtet, nicht
nur weil die fünf bis acht Prozent regelmäßiger Moscheegänger der
etwa eine Million Muslime in Italien dies dringend erforderten,
sondern auch weil von weit her gesteuerte politische Ziele
dahintersteckten und die religiösen Führer auf starken Zuwachs
setzten. Der Islam ist längst die zweitgrößte Religionsgemeinschaft
in Italien. Dabei könnten die Muslime nicht nur in den großen
Städten, in Rom, Bologna, Neapel, Genua oder Florenz, auf das
Verständnis der meist links orientierten Bürgermeister setzen - die
sich davon Mäßigung und Disziplinierung der Muslime er warteten -,
sondern auch auf die finanzielle Unterstützung durch die Kommunen
für Gemeindezentren oder die Bereitstellung von
geeigneten Grundstücken. Andererseits gebe es auch feindliche
Brandanschläge gegen die Moscheen, wie gegen jene von Segrate in
der Lombardei oder in Abbiategrasso, ebenfalls bei Mailand. Doch
selbst die Sicherheitskräfte wüssten nicht genau, ob die Attentäter
Muslime einer feindlichen Richtung oder italienische
Rechtsextremisten seien.