Kapitel 14
Johannes Paul II. - Die ersten Begegnungen mit
dem Islam
Islam und Muslime kannte Karol Wojtyła, von
Oktober 1978 bis April 2005 Papst Johannes Paul II., zunächst nur
vom Hörensagen. Er hatte zunächst andere Prioritäten und Probleme.
Am 18. Mai 1920 in Wadowice, einem Städtchen in der Nähe von
Krakau, geboren, war er beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit
dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf sein Heimatland 19, bei
dessen Ende mit der Beherrschung Polens durch die kommunistische
Sowjetmacht 25 Jahre alt. Er kannte Juden und erfuhr von dem, was
Deutsche im nahen Vernichtungslager Auschwitz aus gottlosem
Rassenwahn begingen. Von Muslimen keine Rede.
Der Priester in Krakau (seit November 1946), dann
Auxiliar-Bischof (von Pius XII. 1958 ernannt), später (seit 1964,
von Paul VI. ernannt) Erzbischof dieser besonderen Königsmetropole
Polens, lernte mehr über den Islam in der Messe. Dadurch, dass am
12. September die katholischen Polen in den Kirchen des Landes
stets des Sieges ihres Königs Jan Sobieski über die muslimischen
Türken bei Wien im Jahr 1683 gedachten. Noch im Jahr 2008 feierten
um diesen Tag herum in Krakau Zehntausende in fröhlicher
politischer Unkorrektheit die Niederlage der osmanischen Muslime
und ihren Hinauswurf aus dem christlichen Europa. Von Krakau aus
war damals der Polenkönig mit seinem Heer zur Rettung des
Abendlands aufgebrochen, Grund zur Freude noch heute in
Polen.
Vielleicht hatte den Bischof Wojtyła - 1967 von
Paul VI. zum Kardinal in einer kommunistischen Diktatur erhoben -
nachdenklich
gestimmt, dass die Muslime in der benachbarten Sowjetunion dem
staatlich verordneten Atheismus mehr Widerstand entgegenzusetzen
schienen als die orthodoxen Christen und ihre Popen. Aber viele
Gedanken darüber musste sich der Pole über den Islam in seinem
traditionellen Katholizismus nicht machen, als er zum Konzil
(1962-1965) und später immer wieder in die Kirchenzentrale nach Rom
reiste. Die Religionsfreiheit der Katholiken in einem
kommunistischen Regime und ihr geistliches Auskommen mit dieser
modernen Welt waren seine Hauptsorge.
Christliche Gemeinden im Muslimland
Unter den vielen neuen Erfahrungen für die
Teilnehmer des Konzils war auch die Entdeckung der katholischen
Ostkirchen. Deren würdige, bärtige Patriarchen und Bischöfe fielen
auf, schon wegen ihrer fremden, prachtvollen Gewänder. Sie waren
die Vertreter jener Christen des griechischen Ritus, die mit Rom
»verbunden«, »uniert«, waren, und sie kamen aus dem alten
christlichen Orient, der nun muslimisch war, aus Alexandrien in
Ägypten, aus »Antiochien« (mit Sitz im libanesischen Beirut oder im
syrischen Damaskus) oder dem Heiligen Land. Sie berichteten über
das Schicksal der kleinen christlichen Gemeinden im Muslimland. Und
das war selten erfreulich, vielleicht erträglich, doch meist
bedrückend. Sie waren in ihrer Heimat an den Rand gedrängt,
bestenfalls widerwillig geduldet.
Bis heute sind diese Christengemeinden unter lauter
Muslimen für den Vatikan der Prüfstein für Religionsfreiheit,
Toleranz und die Achtung von Minderheiten durch den Islam in der
Praxis. Im Rahmen des Konzils erschien es als guter Nebeneffekt,
dass »der Westen« die traditionsreichen vielfältigen Christen des
Orients mit ihren stolzen Nationalkirchen zur Kenntnis nahm. Ihr
Eigensinn mochte zuweilen befremden. Aber dass ihr Schutz und ihr
Gedeihen in den muslimischen Ländern aufmerksam beobachtet werden
sollten, fordern nicht nur religiöse Menschenrechtler.
Als Johannes Paul II. im Oktober 1978 an die Spitze
der Kirchenführung
trat, war der Islam kein Hauptthema; als er Anfang April 2005
starb, sehr wohl. Zum Amtsantritt lud er nur die Delegationen der
nicht katholischen christlichen Kirchen ein und hielt ihnen eine
freundliche Ansprache. Bei Benedikt XVI., ein gutes
Vierteljahrhundert später, wurden auch die Vertreter der anderen
nicht christlichen Religionen, selbstverständlich Muslime
eingeschlossen, zur ersten Audienz geladen.
Christen und Muslime in Schwarzafrika - Die Reisen
Es waren die Reisen, die Johannes Paul II. auf das
große Problem des Islam stießen. Dass es 1978/79 im Iran zu einem
revolutionären Umsturz kam - den man später »Islamische Revolution«
nannte und der weltpolitisch einen Meilenstein markierte -, wurde
im Vatikan zwar aufmerksam registriert, doch in seinen Auswirkungen
höchstens ein wenig wachsamer und bedenklicher eingeschätzt als in
anderen Regierungszentralen. Der neue Papst setzte seine
Schwerpunkte auf anderen Feldern. Die diplomatischen Beziehungen
zwischen Teheran und dem Vatikan blieben bestehen. Was sich aus dem
Islamregime des Ayatollah Chomeini entwickeln, wie lange es
bestehen würde, war schwer abzusehen.
Die Reisen schärften das Bewusstsein. Zuerst jene
Ende November 1979 in die Türkei. Da konnte der Papst noch so tun,
als ginge es nicht um eine Begegnung mit Muslimen, weil der
Hauptgrund der Visite das Treffen mit dem Ökumenischen Patriarchen
von Konstantinopel (Istanbul), Dimitrios I., am Andreasfest, dem
30. November, war und die Türkei nach dem Willen ihres Gründers
Atatürk eine laizistische Republik mit einer Trennung zwischen
Religion und Politik sein wollte. Dass es damals Drohungen gegen
das Oberhaupt der Kirche von muslimischen Extremisten, darunter
einem gewissen Ali Agca, gab, dass dieser junge Killer dann
tatsächlich eineinhalb Jahre später ein Attentat auf den Papst
verübte, am 13. Mai 1981 - diesem muslimischen Hintergrund wurde
offiziell im Vatikan kaum Bedeutung beigemessen. Vielleicht lag es
daran, dass es auch einen kommunistischen Hintergrund gab, von der
italienischen
Justiz als »Pista Bulgara«, als »bulgarische Spur«, dingfest
gemacht. Kommunisten und Muslime als Papstfeinde - der Vatikan
schwieg offiziell dazu.
Das änderte sich. Die Aufmerksamkeit für den Islam
wuchs schlagartig im Februar 1982, bei der zweiten Reise Johannes
Pauls II. nach Afrika, in Nigeria. Schon zuvor hatte der Papst -
entsprechend der Vorgabe des Konzils - bei verschiedenen
Gelegenheiten »das religiöse Erbe des Islam und seine geistlichen
Schätze« gewürdigt und seinen Wunsch ausgesprochen, »das geistliche
Band zwischen Christen und Muslimen zu entwickeln«. Doch
schwarzafrikanische Bischöfe, darunter Kardinal Bernardin Gantin
aus Benin und Francis Arinze aus Nigeria, hatten den Papst auf die
aggressive Konkurrenz der muslimischen Religionsexpansion in den
Ländern südlich der - ohnehin arabisch-muslimischen - Sahara
hingewiesen und deshalb Treffen zwischen dem Papst und
Muslimführern zur Klimaverbesserung angeraten, so etwa schon in
Nairobi (Kenia) und Accra (Ghana) im Mai 1980.
Die Bischöfe aus den Ländern südlich der Sahara
erstatteten genaueren Bericht. Sie befanden sich in einer
Entwicklung, deren Verlauf und Ende noch nicht sicher abzusehen
war, die jedoch allgemein nichts Gutes versprach für die Kirche.
Der prozentuale Zuwachs für den Islam fiel meist stärker aus als
jener für das Christentum. Meist konnte der Islam hinsichtlich der
Zahl seiner Anhänger eindrucksvolle Steigerungsraten erzielen.
Dabei wurden in einigen Staaten die Grenzen zwischen Muslimen und
indigenen Religionen nicht streng gezogen oder statistisch erfasst.
Bei genaueren Zähl- oder Vergleichsmethoden ist meist ein Rückgang
der Zahl der Anhänger der jeweiligen Religion zu verzeichnen.
Dennoch sprechen die Zahlen der Tabelle (nach
»Fischer-Weltalmanach«) für sich.


Der Einschnitt
Der Einschnitt bei Johannes Paul II. erfolgte am
14. Februar 1982. Da verweigerten sich im nigerianischen Kaduna die
Muslime dem Papst. Ich erinnere mich noch sehr genau an das
Erstaunen im Journalistenkreis, weil das bis dahin noch nicht
vorgekommen war. Eine Begegnung mit dem Papst demonstrativ
ausschlagen? Wozu sollte das gut sein?, fragten wir, damals in
ziemlicher Unkenntnis der muslimischen Problematik. Fragte sich
auch der Papst - und hielt dennoch seine Rede vor den zivilen
Autoritäten. Sichtlich befremdet, bewusst seine Enttäuschung
zeigend, sagte er: »Diese Rede, dieser Text, war für die religiösen
Muslimführer bestimmt; ich sage jetzt dieselben Worte zu euch, die
ihr die Vertreter der Bevölkerung des Staates Kaduna seid und
besonders der muslimischen Bevölkerung.« Dann hob er das Gemeinsame
des Glaubens »unter der Sonne des einen barmherzigen Gottes« hervor
und stellte das Verbindende in den Anstrengungen für das Wohl der
Menschen heraus.
Johannes Paul II. war gewarnt und behielt diese
Episode in seinem Gedächtnis, nicht als persönlichen Affront,
sondern als grundsätzlichen Konflikt, als prinzipielles
Auseinanderklaffen von Theorie und Praxis der Religionsfreiheit,
zum Beispiel.
Die Vorsicht hinderte ihn nicht daran, eineinhalb
Jahre später in Wien, am 12. September 1983, des christlichen
Sieges über muslimische Türken zu gedenken, 300 Jahre nach der
Schlacht am Kahlenberg. Nicht allein deshalb, weil dem Polenkönig
daran das Hauptverdienst zuzuschreiben ist, sondern weil »von
diesen Höhen des Wienerwaldes eine große Entscheidung ihren Ausgang
nahm«, weil im Zeichen des Christlichen »Befreier und
Befreite und Befreiung« vereint waren. Dreimal fiel das Wort von
der religiösen Freiheit gegen Muslime.
In Casablanca
Die zunehmenden Schwierigkeiten in Afrika mit
Muslimen hinderten den Papst auch nicht, zum ersten Mal ein rein
arabisch-muslimisches Land aufzusuchen, auf Einladung des Königs
von Marokko. Die Notwendigkeit war immer größer geworden, in den
verschiedenen Ländern Afrikas ein leidliches Auskommen mit den
Muslimen, ihren Führern und den Massen zu finden. Johannes Paul II.
entschied sich für eine Begegnung mit jungen Leuten, weil er den
Wettbewerb mit dem Islam um die Zukunft nicht scheute. Sein Erfolg
gab ihm recht. Er wurde am 19. August 1985 begeistert in Casablanca
von Zehntausenden von Jungen und Mädchen und Älteren empfangen. Die
anwesenden Zuhörer vernahmen willig den päpstlichen Wunsch nach
einem »ruhigen Zusammenleben zwischen Muslimen und Katholiken in
einem Geist äußerster Toleranz« und lauschten andächtig dem
päpstlichen Gebet zu Gott, dem guten und barmherzigen
Schöpfer.
Treffen der Religionen in Assisi
Mitte der Achtzigerjahre wurde der Dialog der
Religionen immer dringlicher. Die Verschiedenheit der großen und
kleinen Weltreligionen sollte nicht, so schob es sich ins
weltpolitische Bewusstsein, ein weiteres Konfliktpotenzial bilden.
Johannes Paul II. war bereit, dafür seinen Beitrag zu leisten. Ihm
schien, dass die Kirche, gut vorbereitet durch das Zweite
Vatikanische Konzil, davon nichts zu befürchten hatte. Im
Gegenteil, vom freien Wettbewerb um freie Seelen konnte sie nur
Vorteile erwarten. Auch für das Verhältnis zum Islam erhoffte man
sich im Vatikan Entlastung dadurch. Auch der Islam sollte
eingebunden werden in die Gemeinschaft der Religiösen.
Deshalb lud Johannes Paul II. zu einem »Welttag des
Gebets um Frieden«, zu einem Tag der »Waffenruhe Gottes« nach
Assisi
ein, am 27. Oktober 1986. Ungeachtet aller Unterschiede zwischen
den Konfessionen und Religionen wollte das Oberhaupt der
katholischen Kirche damit einen Anfang setzen. Und ungeachtet aller
Vorbehalte gegen das Papsttum waren Christen verschiedener
Konfessionen, waren Juden, Bahais und Buddhisten, Dschainas und
Hindus, Muslime und Parsen, Schintoisten und Sikhs, die Anhänger
der traditionellen Religionen aus Amerika und Afrika nach Assisi
gekommen, von weit her, geografisch und geistig. Nicht nach Rom, in
die Kapitale des Papstes, sondern in jenes Städtchen am Berghang im
mittelitalienischen Umbrien, in dem der allseits verehrte heilige
Franziskus im Mittelalter die Nachfolge des Jesus Christus ganz
ernst nahm und seitdem als menschliches Symbol für Frieden,
Versöhnung und Brüderlichkeit, als persönliches Beispiel für
Sanftmut und Demut verehrt wird. Deshalb wollten die Frauen und
Männer verschiedener Religionen und Kulturen beim Gebet um Frieden
dabei sein.
Es war eine bunte Gesellschaft, die sich wohl zum
ersten Mal in der Geschichte der Menschheit in dieser Besetzung
versammelt hatte. In einer Reihe standen sie vor der Kirche Santa
Maria degli Angeli, »Sankt Marien zu den Engeln«, in der Ebene
unterhalb des Städtchens, von weißer und schwarzer, gelber und
brauner Hautfarbe. Sie kamen aus allen Teilen der Welt; das sah man
auf den ersten Blick. Und auf den zweiten, dass an ihrem teils
farbigen, teils ernst-düsteren Äußeren nichts zufällig war, dass
vielmehr jahrhundertealte Traditionen alles genau bestimmt hatten:
die Kopfbedeckung und die Barttracht, Überwurf und Umhang, hier in
Gelb, dort in Braun, in Schwarz und Violett, Weiß und Blau. Darauf
waren sie stolz, und ihre Eigenart wollten sie alle eifersüchtig
hüten. Die Männer und die wenigen Frauen waren führende Vertreter
von christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sowie der
großen Weltreligionen rund um den Erdball. Häuptlinge aus Amerika
mit ihrem prächtigen Federschmuck legten Zeugnis für den großen
Manitu ab, die Schwarzafrikaner kündeten mit ihren
regenbogenfarbenen Gewändern von der göttlichen Natur, Asiaten
brachten Kunde vom Wachstum des Einzelnen ins Unendliche,
Muslime verströmten strengen Ernst. Die Europäer verwiesen mit
Anzug und korrektem Talar auf Ordnung auch im Religiösen. Die
Menschen der Welt sind bunt und eigensinnig und ihre Religionen
auch.
Was würde aus diesem Gebetstreffen in Assisi mit
dem Papst in der Mitte werden?