Kapitel 26
Besondere Initiativen in Venedig und Deutschland

Kardinal-Patriarch Scola und die Zeitschrift »Oasis«

Die Venezianer sind Spezialisten im Umgang mit dem Islam. Schon aufgrund ihrer Geschichte. Sie waren die Neugierigsten unter den abendländischen Europäern im Blick auf die islamische Welt, die Länder, Völker und Menschen im östlichen Mittelmeer, und viele sind es geblieben. Einer von ihnen ist Kardinal Angelo Scola, Patriarch von Venedig und Hauptpromotor einer inzwischen berühmten Halbjahreszeitschrift, »Oasis«, für gründliche Studien über den Islam und den festen Dialog mit den Muslimen. Ein Beispiel in der Papstkirche für den Dialog mit dem Islam, eines von vielen.
Unter den italienischen Bischöfen ist er der einzige »Patriarch«; der Papst als Bischof von Rom benutzt den Titel eines »Patriarchen des (lateinischen) Abendlands« seit 2006 nicht mehr. Angelo Kardinal Scola freut sich in seinem Amtssitz neben San Marco, der orientalisch anmutenden Kuppelbasilika neben dem Dogenpalast, dass die Venezianer stolz auf diese Ehre sind. Erst vor Kurzem habe ihm das eine Frau bestätigt. In einem »Vaporetto«, dem »Dampfer-Bus« der einzigartigen Lagunenstadt. Natürlich benutzt der Patriarch die öffentlichen Verkehrsmittel. Als Sohn eines Lastwagenfahrers kennt er keine Berührungsängste, weder bei seinen Gläubigen noch bei den Muslimen. Die ihrerseits schuld sind am Patriarchentitel. Denn den erhielt Venedig geschenkt, vom nahen Grado-Aquileia mit älterer Tradition. Als im 15. Jahrhundert das Oströmische Reich der christlichen Byzantiner von den Türken liquidiert (1451/1457) und Konstantinopel erobert wurde. Viele Christen, darunter große Humanisten, des Griechischen mächtig, flüchteten damals nach Westen und bereicherten das Abendland.
Der am 7. November 1941 im lombardischen Städtchen Malgrate (nördlich von Mailand bei Lecco) geborene Kardinal-Patriarch verhehlt nicht, dass Venedig für die Gründung von »Oasis«, der Zeitschrift und des Studienzentrums, maßgeblich war. Gegen Ende einer lebhaften, wechselvollen Karriere: 1970 Priesterweihe, nach einem politisch bewegten, gegen linksextremistische Bedrohungen durchgesetzten Studium (Politische Philosophie und Moraltheologie), Engagement in der Laienbewegung »Gemeinschaft und Befreiung«, weitere Studien und Universitätsseelsorge im schweizerischen Freiburg, in München und Paris, Professor in Rom, 1991 Bischof im Toskana-Bistum Grosseto, 1995 Rektor der Päpstlichen Lateran-Universität in Rom, Januar 2002 Patriarch, Oktober 2003 Kardinal. Nach dem Tod von Johannes Paul II. galt der Patriarch von Venedig, so mit vielerlei vertraut, als »papabile« im Konklave, als möglicher Nachfolger des Papstes.
Nein, sagt der Patriarch in seinem Palazzo, es war doch mehr die Geschichte Venedigs, die das Interesse auf den Orient lenkte, das Geschick der Venezianer, die Jahrhunderte hindurch - nach dem Zusammenbruch des antiken Imperium Romanum im Westen, beim Ringen zwischen dem Byzantinischen Reich und den muslimischen Mächten im Osten des Mittelmeers - die Verbindungen zur See nach Osten aufrechterhielten, bis zur Aufhebung der Seerepublik durch Napoleon 1797. Die Venezianer waren dabei ganz unideologisch stets auf den eigenen Vorteil bedacht, mal mit den christlichen Byzantinern gegen die Mächte unter dem Banner des Propheten, mal mit Letzteren gegen unliebsame Handelskonkurrenten, mal mit den christlichen Abendländern gegen die Glaubensbrüder in Byzanz (etwa beim Kreuzzug von 1204).
Die geografische Lage an der Adria spielte dafür eine Rolle, vielleicht auch die Gründungstradition seit dem 9. Jahrhundert: Zwei Kaufleute hätten die Reliquien des heiligen Evangelisten Markus aus dem ägyptischen Alexandrien nach Venedig gebracht. So wurde es die »Repubblica di San Marco«. Die Basilika des Evangelisten zeigt die Verbindung zwischen Ost und West in ihrem Äußeren mit morgenländischen Kuppeln und einem Campanile, der fast ein Minarett sein könnte. Im Sommer 2007 fand passend dazu im Dogenpalast daneben eine Ausstellung statt: »Venedig & der Islam, 828-1797«, in der man an 200 Kunstobjekten die schönen Ergebnisse einer tausendjährigen Beziehung bewundern und über deren Wechselfälle staunen konnte.
Dann pflegt der kraftvoll und entschieden wirkende Kirchenmann eine klare Sprache über die Auseinandersetzungen heute zwischen Kreuz und Halbmond: »Natürlich sind wir zum Dialog mit dem Islam bereit; aber die Muslime müssen ebenso unsere Werte respektieren; nicht nur ein paar moderate Intellektuelle«, sagt er. »Es gibt eine Identitätskrise des Islam, hervorgerufen durch die Globalisierung, durch den technisch-wissenschaftlichen Anspruch des Westens, das Glück des Menschen zu schaffen ohne seine geistliche Dimension. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Ausprägungen des Islam von Marokko bis Indonesien, eine Dialektik zwischen Radikalismus und Modernisierung.«
Weil die Probleme mit dem Islam und den Muslimen so vielfältig sind - Bau von Moscheen, Integration der Immigranten, Schleier der Frauen, Polygamie, Koranunterricht in den Schulen - und die Lösungen entscheidend für die Zukunft der Gesellschaften in Europa, hat der Kardinal dieses Forum der Begegnung und Information gegründet, »Oasis«. Die anspruchsvolle Zeitschrift erscheint in fünf Sprachen, Italienisch, Arabisch, Englisch, Französisch und Urdu (Pakistan, Indien). Kardinal Scola hebt hervor, dass er sein Wissen über Islam und die Muslime den Bischöfen und Ordensleuten des Mittleren Ostens verdanke, den langjährigen Treffen mit Wissenschaftlern aus allen muslimischen Ländern in der »Oasis«-Redaktion. So habe er auch besser die wachsenden Probleme mit muslimischen Immigranten in seinem Bistum Venedig und der wirtschaftlich boomenden Region Venetien einschätzen können.
Mit purem Neid suche ich auf der anderen Seite des Canal Grande das Redaktionsbüro dieser Zeitschrift auf. In einem alten Palazzo auf der Landzunge von Santa Maria della Salute befinden sich die Räume, mit einem einzigartigen Blick auf das west-östliche Ensemble von San Marco. Die Aussicht scheint schon Imperativ: Begegnung zwischen Orient und Okzident. Der Name »Oasis« soll - nach einem Wort von Papst Johannes Paul II. bei seiner Ansprache in der Omaijaden-Moschee zu Damaskus im Mai 2001 - für Christen und Muslime zugleich Programm sein: Leben spendendes Wasser in einer Oase. Garantie dafür sei, wie Maria Laura Conte vom Wissenschaftlichen Beirat erklärt, dass hier nicht ein abstrakt-theoretischer Monolog geführt werde; vielmehr stünden Erfahrungsberichte, wirklichkeitsgesättigt und am Ideal allgemein geltender Menschenrechte wie der Religionsfreiheit orientiert, im Vordergrund.
So geht es längst nicht mehr nur um unverbindlichen Dialog, den man führen oder auch lassen kann. Während in Italien Moscheen geplant und eingerichtet werden, spricht man in Venedig von der Bereitschaft der Christen zum Martyrium in den muslimischen Ländern. Ob in der Türkei oder in Indonesien - Priester mussten Verfolgungen erleiden, ihren Glauben sogar mit dem Leben bezahlen. Mit Schrecken hatten auch im Vatikan »Au ßenminister« Mamberti und Kardinal Tauran gewarnt, dass die christlichen Gemeinden in nicht wenigen muslimischen Ländern vom Aussterben bedroht sind; von ihren erbärmlichen Existenzund Unrechtsbedingungen wolle man in Europa nicht viel wissen. Derweil weisen die italienischen Geheimdienste darauf hin, dass von muslimischen Gemeinden in Europa Gefahren für die nationale Sicherheit ausgehen; spektakuläre Aktionen und handfeste Indizien für terroristische Aktivitäten, wie etwa in Mailand und Perugia, seien nur die Spitze eines Eisbergs. Der Patriarch nickt. Sein Wort hat auch in Rom Gewicht.

»Cibedo« der Deutschen Bischofskonferenz

Es fiel noch in die Zeit, da Joseph Ratzinger Erzbischof von München war, dass die Deutsche Bischofskonferenz das Problem mit dem Islam und den Muslimen erkannte und schon 1978 die Gründung von »Cibedo« förderte. Unter der Abkürzung verbirgt sich die »Christlich-islamische Begegnungs- und Dokumentationsstelle«, die als Einrichtung des Missionsordens der »Weißen Väter« (siehe Kapitel 25) von Hans Vöcking mit Köln als erstem Sitz über die Jahre aufgebaut wurde. Sie ist heute die besondere Institution der deutschen Bischöfe für den christlich-islamischen Dialog (mit Sitz in: Balduinstraße 62, 60599 Frankfurt am Main, Telefon: 069 / 726491, Fax: 069 / 723052; www.cibedo.de).
Die Arbeitsstelle hat sich dank ihrer hervorragenden Mitarbeiter in der Aufgabe bewährt, »den interreligiösen Dialog zwischen Christentum und Islam sowie das Zusammenleben von Christen und Muslimen zu fördern«. Wenn auch ihre Bedeutung entsprechend der wachsenden Problematik mit Islamverbänden und Muslimen erst im Lauf der Jahre zugenommen hat. Ihre Veranstaltungen, Beratung und Bildung für das interkulturelle Gespräch werden von Christen, Muslimen und Glaubenslosen geschätzt. Die öffentliche Bibliothek mit einem umfangreichen Pressearchiv und die Internetseiten werden häufig genutzt; die Beiträge der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift »CIBEDO-Beiträge« ergänzen das Angebot. Es ist eine wahre Fundgrube sowohl für aktuelle Vorgänge als auch für historische Fragen und theoretische, religionswissenschaftlichtheologische Erläuterungen.
Einer der Wichtigsten bei »Cibedo« ist Professor Christian Troll, Mitglied des Jesuitenordens und seit Jahrzehnten engagiert im Dialog der Religionen. In den letzten Jahren hat er sich - mit anderen Wissenschaftlern seines Ordens - vor allem im Gespräch mit Muslimen einen hervorragenden Ruf erworben. Er bringt in Rom immer wieder seine Erfahrungen in die offiziellen Gespräche auf höchster Ebene mit ein.
Zwischen Rom und Mekka
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