Ausblick
Kaum war der große Dialog auf dem ersten Seminar
des Katholisch-Muslimischen Forums Anfang November 2008 im Vatikan
zu Ende, mit den geheimen Sitzungen in der Via della Conciliazione,
der »Straße der Versöhnung«, und der öffentlichen Konferenz in der
Gregoriana-Universität, mit der schönen gemeinsamen Erklärung und
den Unterschriften der Autoritäten von beiden Seiten, überraschte
Benedikt XVI. mit der Erklärung: Streng genommen könne es gar
keinen interreligiösen Dialog geben. Also auch keinen mit dem
Islam!? In einem Brief-Vorwort für das Buch des ehemaligen
italienischen Senatspräsidenten Marcello Pera, »Perchè dobbiamo
dirci cristiani« (»Warum wir uns Christen nennen müssen«), das Ende
November 2008 in Italien (im Mondadori-Verlag) veröffentlicht
wurde, lobte Benedikt die Analysen des Senators Pera und schrieb
kurz und bündig, ein interreligiöser Dialog »im engen Sinn« sei, so
wörtlich, »nicht möglich«.
Wie war das zu verstehen? Wollte der Papst seine
eigenen Bemühungen um den Dialog mit anderen Religionen, und vor
allem mit der konkurrierenden anderen Weltreligion, dem Islam,
desavouieren und entwerten? Musste er etwas richtigstellen, sich
etwa gegen den Vorwurf verteidigen, er gebe Positionen der
römisch-katholischen Kirche preis? Oder war es seine Absicht, die
muslimischen Autoritäten vor Anklagen des Verrats der eigenen
Religion zu schützen?
Aus dem Gesamten der katholischen Theologie und
spezifischen Dokumenten des Zweiten Vatikanischen Konzils, aus
anderen Darlegungen und bisherigen Veröffentlichungen des
Papst-Theologen Ratzinger wird deutlich, dass Benedikt damit
»ergebnisoffene« Verhandlungen zwischen Anhängern verschiedener
Religionen meint, als ob sie über Positionen ihres eigenen
Glaubensbekenntnisses gleichsam »verhandeln« könnten. Die Dogmen
und moralischen Überzeugungen dürfen jedoch von einem Dialog nicht
angetastet, korrigiert oder redigiert werden.
»Aggiornamento«,Anpassung an die Moderne, ist daher von dem Dialog
im engen Sinn weder für die eigene noch die fremde Position
beabsichtigt. Zunächst nicht. Wie der Dialog wirkt, ist eine andere
Sache. Wie bereits dargelegt.
Keine ergebnisoffenen Religionsgespräche
Papst, Kardinäle und Bischöfe, Scheichs, Muftis
und Ayatollahs treten also nicht in ergebnisoffene
Religionsgespräche ein, bereit, ein wenig hier, ein bisschen dort
von ihrem Areal des Glaubens und der Gebote aufzugeben und dafür
ein paar fremde Grundsätze anzunehmen. »Ich bin doch der Papst«,
antwortete Johannes Paul II. fast naiv-selbstbewusst auf solche
Wünsche oder Befürchtungen und zeigte keinerlei Berührungsängste
bei den verschiedenen Treffen mit den Führern anderer Religionen.
Von einem Papst weiß man, was er glaubt, wofür er steht. Von einem
Ayatollah auch. Man mag sich einen »weichen« Papst ersehnen. Aber
die weltpolitische und geistesgeschichtliche Wirklichkeit ist der
»Felsen Petri«. So wird er vielleicht nicht von allen Christen,
wohl aber von den Muslimen wahrgenommen.
Genauso hat es Benedikt XVI. in den letzten
Monaten empfunden, als er immer wieder nach der Bedeutung, nach dem
Stellenwert und dem Sinn des Dialogs zwischen Katholiken und
Muslimen auf höchster Ebene, eben auch unter der Autorität des
Päpstlichen Rats, gefragt wurde. Deshalb warnte er im Herbst 2008
vor Illusionen im interreligiösen Dialog und lehnte ausdrücklich
diesen »Dialog im engen Sinn des Wortes« ab. Damit sind
Verhandlungen über religiöse Kernsätze, etwa über das Prophetentum
Mohammeds, die Gottessohnschaft Jesu Christi oder die
unterschiedlichen göttlichen Offenbarungen, ausgeschlossen. Dazu
war es im November in Rom auch in der Tat nicht gekommen.
Nach dieser Abwehr fährt der Papst jedoch fast
dialektisch fort: »Umso notwendiger ist der interkulturelle Dialog,
der die kulturellen Konsequenzen der religiösen Grundentscheidung
vertieft. Während«, so heißt es weiter in dem Brief-Vorwort, »über
Letztere ein wirklicher Dialog nicht möglich ist, ohne den eigenen
Glauben in Klammern zu setzen, muss man in öffentlicher
Auseinandersetzung die kulturellen Konsequenzen der religiösen
Grundentscheidungen angehen. Hier sind der Dialog und eine
gegenseitige Korrektur und eine wechselseitige Bereicherung möglich
und notwendig.«
Also doch! Aber offenbar auf einem anderen Feld,
in einer anderen Ebene und Dimension. Das ist nicht theologische
Haarspalterei, sondern die wichtige Unterscheidung zwischen dem
Primär-Religiösen der fest verwurzelten Glaubensüberzeugungen und
dem Sekundären der »kulturellen Konsequenzen«. Auch wenn diese
Unterscheidung in der europäischen Geistestradition leichter fallen
mag als im Islam.
»Multikulturalität unmöglich«
Die Freiheit zu diesem Dialog im weiten Sinn
erwachse jedoch nur, so Benedikt weiter, wieder fast dialektisch,
aus der Festigkeit der eigenen Identität. Denn auch für die
westliche Welt gilt, dass »zur Substanz des Liberalismus seine
Verwurzelung im christlichen Gottesbild gehört: von Gott haben wir
das Geschenk der Freiheit«. Ebenso bekräftigt der Papst des
Senators Pera kritische Darstellung der »Multikulturalität«; sie
sei »innerlich widersprüchlich« und daher »politisch und kulturell
unmöglich«. Europa müsse daher von seinem »christlich-liberalen
Fundament seine Identität« finden, nicht eine imaginäre
»kosmopolitische«.
Die Sätze des Papstes fanden sofort ein weites
internationales Echo, meist im Sinn einer klärenden Unterscheidung.
Allerdings musste der Vatikansprecher Lombardi erläutern, der Papst
wolle damit keineswegs friedlichen Zielen des interreligiösen
Dialogs abschwören. Benedikt habe seine Bereitschaft zum Dialog
durch Besuche in Moschee und Synagoge hinlänglich demonstriert, so
Lombardi. Alles andere wäre auch wenig sinnvoll. Denn der Dialog
muss schon deshalb weitergeführt werden, weil seine Verweigerung -
von wem auch immer - schweren politischen Schaden anrichten
würde.
Mit seiner Klarstellung setzt sich Benedikt von
zwei Deutungen des interreligiösen Dialogs ab. Die eine wird durch
die unter Christen verbreitete Meinung oder Hoffnung bestimmt,
durch besseres Kennenlernen der Muslime, durch ein tieferes
Verständnis des Islam würden sich Vorbehalte, Misstrauen oder gar
Gegnerschaft von allein auflösen. Gewiss ist ein Studium des Islam,
seiner Geschichte und politischen Ausprägungen nützlich.
Andererseits kann dies kaum - außer für die beteiligten Experten -
als unerlässliche Bedingung für einen Dialog (im weiten Sinn)
verlangt werden. Zudem erschöpft sich der Dialog weder von der
einen noch von der anderen Seite in der Vorleistung dieser besseren
Kenntnis; vielleicht macht dies ihn sogar schwieriger und
verwickelter. So wie man von Muslimen nicht eine genaue Kenntnis
der Trinitätslehre einfordern darf, damit ihr Vorwurf
gegenstandslos wird, Christen würden nicht an einen Gott,
sondern wegen der Dreifaltigkeit an drei Götter glauben.
Die zweite Deutung, vor der Benedikt warnt,
betrifft die Erwartung, durch Dialog würden der bisherige
Antagonismus der Religionen und der Streit der Religiösen einmünden
in ein allgemeines Weltethos. Nicht wenige Diskussionsteilnehmer
auf dem west-östlichen Diwan meinten, so der päpstliche Verdacht,
dass im Dialog aus erbitterten Religiösen durch eindringliches
Zureden Menschen guten Willens würden. Je weniger religiös, desto
besser für den Weltfrieden - dieser Schlussfolgerung muss der Papst
widersprechen.
Der bekannte Schweizer Theologe Hans Küng
repräsentiert wohl am besten diese beiden Positionen, die Benedikt
nicht ablehnt, aber doch relativiert. Hans Küng hat als junger
Experte die Einsichten und Reformen des Konzils erlebt. Er hat dann
einen wackeren Kampf gekämpft gegen traditionelle profilierte
Lehren in seiner Kirche. Er ist in den Neunzigerjahren, mit
sicherem Gespür für die Erfordernisse der Zeit, eingetreten
in das Studium der Weltreligionen und hat lehrreiche Bücher über
die drei abrahamitischen Offenbarungsreligionen vorgelegt, »Das
Judentum« (1991), »Das Christentum« (1994) und schließlich »Der
Islam. Geschichte, Gegenwart und Zukunft« (2004). Zugleich suchte
er durch die »Stiftung Weltethos« mit der finanziellen
Unterstützung von Wohlmeinenden das Gespräch zwischen den Anhängern
verschiedener Religionen zu fördern. Dabei hat sich Hans Küng immer
wieder von den offiziellen Lehren seiner Kirche distanziert: der
Unfehlbarkeit des Papstes, dem Nein gegen künstliche
Empfängnisverhütung, dem strikten Verbot der Abtreibung, der
Nichtzulassung von Frauen zur Priesterweihe oder dem Gebot der
Ehelosigkeit für Priester (Zölibat), allgemein von dem
Absolutheitsanspruch der katholischen Kirche und ihres Lehramts.
Weniger katholisch, umso offener für den Dialog? Auch dem muss der
Papst widersprechen.
Hans Küng - Kein Weltethos
Für den Versuch der Anpassung an die Forderungen
der Zeit oder der Aufweichung traditioneller Strukturen der
katholischen Kirche wurde Hans Küng von vielen gelobt, von anderen
mit Misstrauen bedacht. Die Hauptfrage war lange, ob der Schweizer
Theologe aus der Tübinger Universität heraus die Papstkirche
repräsentiere und ihre weitere Entwicklung bestimme. Sie wurde
dadurch beantwortet, dass nicht Hans Küng zum Kardinalpräfekten der
vatikanischen Glaubenskongregation ernannt und zum Papst gewählt
wurde, sondern Joseph Ratzinger. Das war eine Entscheidung gegen
die Liberalisierung des Katholischen und weiter die
Grundausrichtung für den profilierten Dialog zwischen Religiösen,
nicht für einen weichen Dialog zwischen religiös Entschärften oder
Erschlafften.
Dies gilt auch für die sogenannten »moderaten«
Muslime. Der Dialog mit ihnen erscheint nur dann für das Ganze
sinnvoll und fruchtbar, wenn deutlich wird, wen und was sie
innerhalb der muslimischen Weltgemeinde repräsentieren. Ihre
Mäßigung richtet sich in erster Linie an ihre Glaubensgenossen für
einen
innermuslimischen Entwicklungsprozess. Ob sie damit Dialogbereite
in pluralistischen Gesellschaften beeindrucken, ist weniger für die
beiden Weltreligionen entscheidend.
Dabei bleibt offen, ob den Muslimen die religiös
schwachen aufgeklärten Christen im Dialog willkommener und
angenehmer sind als die aus Überzeugung gefestigten Katholiken wie
der Papst. Die Letzteren mögen in ihnen die Erinnerung an Kreuzzüge
hervorrufen. Die Ersteren werden jedoch auch verbunden mit dem
Kolonialismus der letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte. Denn der
westliche Kolonialismus war oft, offenbar bis heute, bis zu den
Kriegen in Afghanistan und im Irak, verbunden mit einem starken
säkularen Sendungsbewusstsein, den muslimischen Völkern die
Errungenschaften von Aufklärung und Zivilisation, westliche Werte
und Ordnungen, zu bescheren. Bei den Kreuzzügen hingegen fehlte,
wie dargestellt, die Grundabsicht zur Missionierung.
Aber darüber mögen sich Historiker die Köpfe heiß
denken und reden und zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Von
weltpolitischer Wichtigkeit ist, dass ein interreligiöser Dialog
(im weiten Sinn) die gemeinsamen Werte auch außerhalb des
Religiösen (im engen Sinn) aufdeckt und verteidigt. Das ist in den
letzten Monaten und Jahren mit zufriedenstellenden Ergebnissen
geschehen. Diese gemeinsamen Werte, nicht nur
christlich-katholische, nicht nur muslimische, sondern universale,
allen Menschen vertraute Werte wie Gewaltverzicht, Ablehnung von
Terrorismus und Verzicht auf Zwang in Glaubenssachen, Gerechtigkeit
und Solidarität für eine Zivilisation der Liebe, Menschenrechte,
Würde des Einzelnen und Gleichheit aller, wurden immer wieder, wie
dargestellt, von den Päpsten und ihren Beauftragten sowie von
muslimischen Autoritäten proklamiert. Das ist richtig und wichtig,
für die Zukunft entscheidend und hoffnungsvoll.
Säkularreligion der Religionslosen
Der Dialog zwischen Kirche und Moschee, den
Päpsten und den Muslimführern betrifft aber deshalb nicht nur die
Religiösen. Ein interreligiöser Dialog im engen Sinn könnte die
Religionslosen
in den westlichen Gesellschaften auch gleichgültig lassen. Doch
gerade weil es nicht um diesen Dialog geht - nicht darum, ob man
eine Einigung darüber findet, ob Jesus Christus der Sohn Gottes
oder Mohammed der unüberbietbare letzte Prophet Allahs sei -, sind
die Religionslosen in diesen Dialog mit hineingenommen. Denn auch
ihnen muss an den gemeinsamen Werten gelegen sein.
Noch aus einem anderen wesentlichen Grund. In der
westlichen Kultur Europas und Nordamerikas wurden die
entscheidenden Werte von Aufklärung und Freiheit auch gegen die
Religion und gegen den Streit der Konfessionen erkämpft. Daraus
sind Überzeugungen entstanden, die zur Gestaltung eines modernen
Gemeinwesens führten und in ihrer Kraft einer Säku lar-»Religion«
gleichkommen. Die historischen Stationen dieser westlichen
Zivilreligion sind die »Erklärung der Rechte und Freiheiten der
Untertanen« von 1689 (»Bill of Rights«), die »Verfassung der
Vereinigten Staaten von Amerika« (1787) mit den Zusatzartikeln von
1791 und die »Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte« durch die
Nationalversammlung von Frankreich (1789).
Freiheit der Religion - Freiheit von Religion
In allen drei Erklärungen wird die Freiheit der
Religion ebenso wie die Freiheit von Religion als eines der
wichtigsten Menschenrechte hervorgehoben. So richtet sich 1689 die
englische Erklärung »Bill of Rights« gegen den Zwang in
Glaubenssachen und bezweckt die »Befreiung dieses Königreichs von
Papismus und Willkür«. Das geschah im Todesjahr jenes Papstes,
Innozenz’ XI., welcher 1679 den Bannstrahl gegen Spinozas
religionskritischen »Tractatus« schleuderte und 1683 den
endgültigen Sieg des Abendlands über die Türken bei Wien feiern
konnte. So wichtig war den amerikanischen Gründungsvätern die
Überwindung der Religionsstreitigkeiten, dass sie als ersten
Zusatzartikel zur Verfassung mit dem Verbot für alle Zeiten
aufstellten: »Der Kongress soll kein Gesetz erlassen, das die
Einrichtung einer Religion zum Gegenstand hat oder deren freie
Ausübung
beschränkt […]« Im Artikel 10 der französischen Erklärung der
Menschen- und Bürgerrechte heißt es: »Niemand soll wegen seiner
Meinungen, selbst religiöser Art, beunruhigt werden, solange ihre
Äußerung nicht die durch das Gesetz festgelegte öffentliche Ordnung
stört.«
Diese »westlichen« Menschenrechte und Grundwerte
wurden universal, gültig für alle Menschen durch die »Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen« vom 10.
Dezember 1948. Auch wenn diese Erklärung die Basisrechte und
Grundfreiheiten »ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse,
Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder
sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen,
Geburt oder sonstigem Stand«, erweitert um nur dringlich
Wünschenswertes wie das Recht auf Erholung und Freizeit, Bildung
und Kultur, sind diese Grundsätze in keinem Dialog mehr
verhandelbar, sondern nur als Verpflichtung in der politischen
Praxis zu verwirklichen. Sie bilden, so scheint es, die zivile
Säkularreligion des Westens, der Bürger in den entwickelten
modernen Gesellschaften.
Mit diesen Menschenrechten und Grundwerten haben
sich nicht nur die Päpste in den letzten drei Jahrhunderten
zunächst schwergetan. Sie schienen außerhalb der traditionellen
christlichen Religion und deshalb verdammenswert, wenn auch, wie
Benedikt jetzt lehrt, aus ihrem Innern gekommen. Es bedurfte des
Zweiten Vatikanischen Konzils, um zwischen Kirche und Moderne
Frieden zu schließen. Dieser Friedensschluss gelang, weil die
Kirchenführer an ureigene christliche Werte wie Freiheit und
Gleichheit wieder anknüpfen konnten, die zugunsten anderer
Entwicklungen in der Kirche wie Einheit und Macht zurückgedrängt
worden waren. Auch dafür gilt das Leitwort Benedikts, dass es die
»Frucht einer langen, mühsamen Suche« war. Doch jetzt ist aus dem
Friedensschluss ein Bündnis geworden, in dem die Päpste gerade
diese säkularen Menschenrechte und Grundwerte verteidigen und jene
Grundlagen stabilisieren, die der pluralistische Staat oder
Minderheitseliten nicht schaffen können. Die westliche
Kulturrevolution nach 1968 hat die Notwendigkeit gemeinsamer
Grundüberzeugungen verschärft.