Kapitel 21
Nach Regensburg - Ein Fegefeuer für Benedikt
XVI.
Gewöhnlich enttäuscht es die Päpste, wenn auf ihre
Äußerungen keine Reaktion erfolgt. »Evviva il Papa« etwa hören sie
immer gern. Nach der Papstwahl zum Beispiel oder an den hohen
Festen. Wenn gar keine Antwort kommt, kann das unter Umständen zum
Tod führen. Pius X. sei, wie es heißt, so bekümmert gewesen, dass
im Sommer 1914 sein Flehen um Frieden von den europäischen
Großmächten nicht erhört wurde, dass er kurz nach dem Ausbruch des
Ersten Weltkriegs starb, am 20. August 1914. Aber häufig geht das
mit der Reaktion nicht so schnell. Ein Papst fragt nicht einfach
den nächsten Kardinal oder seinen Sekretär: Wie war ich? Habe ich
gut gesprochen? Was haben die Leute gesagt? Und dieser schon gar
nicht.
Die Worte Benedikts XVI. am Abend des 12. September
mussten erst einmal in der Welt verbreitet werden. Auch das Zitat
des christlichen Kaisers über Mohammed. Am nächsten Tag stand es
schwarz auf weiß in den Zeitungen. Da fingen die Fragen an. War es
nur des Kaisers Verdikt? Oder das des Papstes? Musste man da
nachfragen? Mussten sich Muslime beleidigt fühlen? Aus verletzter
Ehre? Oder weil man ihnen sagte, sie müssten sich empören? Widrige
Winde erhoben sich, aber noch keine Stürme. Den Mittwoch (13.
September) hatte Benedikt dem Privaten gewidmet, seinem Bruder
Georg in Regensburg-Pentling, der Einweihung einer Orgel durch den
Musikliebhaber. Was sollte man ihn da mit Lappalien stören.
Noch am Donnerstagmorgen (14. September) waren
Benedikt und sein ganzes Gefolge guter Dinge. Fröhlich, fast
ausgelassen bei einem Treffen mit Priestern, Ordensleuten und
Diakonen
im Dom zu Freising, zufrieden auf dem Flughafen. In seiner
Abschiedsrede dankte der Papst allen, die zum Gelingen seines
Besuches, zur »Freude des Glaubens« bei den einzelnen festlichen
Veranstaltungen beigetragen hätten.
»Unauslöschlich«, so Benedikt wörtlich, »trage ich
in meinem Herzen den bewegenden Eindruck, den die Begeisterung und
die spürbare starke Religiosität der großen Massen von Gläubigen in
mir ausgelöst hat. Ich habe bemerken können, wie viele Menschen
sich auch jetzt bemühen, um ihren Glauben in der heutigen
säkularisierten Welt zu bezeugen.«
»Überall«, so weiter, »bin ich mit größter
Zuvorkommenheit und Aufmerksamkeit empfangen worden; das hat mich
tief beeindruckt […]. Im Glauben bin ich gewiss, dass sich in
[Gottes] Wort der Weg finden lässt, um nicht nur die ewige
Glückseligkeit zu erlangen, sondern auch um eine menschenwürdige
Zukunft schon auf dieser Erde zu bauen. Von diesem Bewusstsein
angetrieben, hat die Kirche unter der Führung des Geistes die
Antworten auf die Herausforderungen, die im Laufe der Geschichte
auftraten, immer neu im Wort Gottes gesucht.«
Die Medienfalle schnappt zu
Da jedoch geisterte schon das Wort des Kaisers
durch die Welt, hatte die Medienfalle zugeschnappt, ein
Schreckensszenario des internationalen Kulturkampfs begonnen.
Nach einem bekannten Regiebuch der Politik: Jemand
sagt etwas. Journalisten, Oppositionelle, die politisch Korrekten
spitzen die Ohren. Einer stellt fest, dass da ein Wort, ganze Sätze
uneindeutig, missverständlich, übel lautend, frevelhaft seien. Ein
zweiter, dritter stimmt zu. Zaghaft kommt der Einwand, so sei es
doch gar nicht gemeint gewesen. Wie, heißt es nun in anschwellendem
Empörungsgesang zwischen den Interessierten und den vielleicht
Betroffenen, hier den Muslimen, du bist durch des Kaisers Worte
nicht beleidigt, betroffen, verletzt, entrüstet, entsetzt?! Hast du
keine muslimische Ehre im Leib,
wenn der Führer der Ungläubigen den Propheten Mohammed schmäht?!
So wurde es immer deutlicher.
Da half es nichts, dass nach dem Abflug des Papstes
alle, der bayerische Ministerpräsident Stoiber, der Münchner
Kardinal-Erzbischof Wetter als Hauptgastgeber, Kardinal Lehmann als
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, dazu die Bischöfe der
besuchten Bistümer Passau (mit Altötting) und Regensburg, Schraml
und Müller, eine uneingeschränkt positive Bilanz der Papstvisite
zogen. Nichts Kritisches wurde vermerkt. Kardinal Lehmann zögerte
nicht, den »großen Rang dieses Besuches« anzuerkennen; nun gelte
es, »die Impulse aufzunehmen und mit Nachhaltigkeit zu
pflegen«.
Letzteres geschah. Überall in der muslimischen
Welt. Doch anders als gewünscht.
Kritik und Empörung in der muslimischen Welt wurden
laut und lauter. Muslimische Verbände in Deutschland zeigten sich
irritiert. Der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Aiman
Mazyek, und der Vorsitzende des deutschen Islamrats, Ali Kizilkaya,
erinnerten an die Geschichte des Christentums mit blutigen
Kreuzzügen und Zwangsbekehrungen. Der Chef der türkischen
Religionsbehörde, Ali Bardakoglu, forderte eine Entschuldigung; der
Papst habe eine »Kreuzfahrermentalität« und eine »feindselige
Haltung« an den Tag gelegt. Die Christen sollten erst einmal
erklären, wie ihre Religion mit der Vernunft in Einklang gebracht
werden könne. Der Vorsitzende des französischen Islamrats, Dalil
Boubakeur, verlangte vom Papst eine »Klarstellung«; die katholische
Kirche müsse deutlich machen, dass sie den Islam als Religion sehe
und nicht mit dem Islamismus gleichsetze, der eine »politische
Ideologie« sei.
Klarstellungen genügen nicht
Der Sprecher des Vatikans, Federico Lombardi,
Priester des Jesuitenordens und als langjähriger Chef von Radio
Vatikan ein Medienexperte, doch erst zwei Monate im Amt, stellte
schnell klar (14. September), es sei »nicht die Absicht des
Heiligen Vaters gewesen, weit entfernt, die Sensibilität gläubiger
Muslime
zu verletzen«. Aber die Wogen ließen sich damit nicht mehr
glätten. Die zuerst hier und da aufflackernde Empörung wurde immer
mehr zum Flächenbrand.
Am Samstag (16. September) legte der gerade erst,
am Vortag, ernannte neue Kardinalstaatssekretär Bertone nach,
erklärte höchstoffiziell das »Bedauern« des Papstes und präzisierte
in fünf Punkten:
- »Die Haltung des Papstes zum Islam ist
unmissverständlich in der Erklärung des Zweiten Vatikanischen
Konzils dargelegt: ›Die Kirche betrachtet die Muslime mit Achtung‹«
- auch wegen einiger gemeinsamer Glaubenssätze, so über den einen
Gott, Abraham oder die Jungfrau Maria, und gemeinsamer religiöser
Praktiken wie Gebet, Almosengeben und Fasten.
- »Die Option des Papstes für einen Dialog der
Religionen und Kulturen ist ebenso unmissverständlich.« Erst bei
einem Treffen mit Muslimen im August 2005 in Köln habe er sich
lebhaft für einen Dialog zwischen Christen und Muslimen
ausgesprochen.
- Was das Urteil des Kaisers Manuel in dem Zitat
angehe, so »hat der Papst nie beabsichtigt und beabsichtigt es
absolut nicht, es sich zu eigen zu machen«. Es habe ihm vielmehr
als Ausgangspunkt dafür gedient, »einige Betrachtungen über das
Thema des Verhältnisses zwischen Religion und Gewalt im Allgemeinen
anzustellen und mit einer klaren und radikalen Absage an jede
religiös motivierte Gewalt, von welcher Seite auch immer, zu
schließen«.
- »Dennoch bedauert der Heilige Vater tief, dass
einige Stellen seiner Rede für sensible gläubige Muslime
beleidigend haben klingen und in einer Weise, die seinen Absichten
gänzlich nicht entsprach, haben interpretiert werden können. Im
Gegenteil, der Papst hat angesichts des religiösen Eifers der
gläubigen Muslime die westliche Kultur ermahnt, die Geringschätzung
Gottes und den Zynismus, der die Verspottung des Heiligen als
Freiheitsrecht ansieht, zu vermeiden.«
- »Der Papst bekräftigt Respekt und Wertschätzung
für jene, die den Islam bekennen, und bittet, dass seine Worte im
rechten
Sinn verstanden werden, damit bald dieser nicht leichte Moment
überwunden und das Zeugnis für den einen Gott bestärkt
werde.«
Doch das genügte nicht.
Die Kniefälle des Papstes
Am Sonntagmittag (17. September) beim
traditionellen Angelus-Gebet im Innenhof der päpstlichen
Sommerresidenz von Castel Gandolfo bei Rom äußerte Benedikt sein
»lebhaftes Bedauern«. Da hatten sich trotz des strömenden Regens
Hunderte von Gläubigen versammelt, um ihre Solidarität mit ihm zu
demonstrieren. Wörtlich sagte der Papst:
»In diesem Moment möchte ich nur anmerken, dass
ich lebhaft betrübt bin über die Reaktionen, die ein kurzer Passus
meiner Rede in der Universität Regensburg hervorgerufen hat, der
von sensiblen gläubigen Muslimen als verletzend empfunden wurde,
während es sich um die Zitierung eines mittelalterlichen Textes
handelte, der in keiner Weise mein persönliches Denken ausdrückt.
Ich hoffe«, so schloss der Papst, »dass dies dazu dient, die Seelen
zu beruhigen und den wirklichen Sinn meiner Rede zu klären, der in
seiner Ganzheit eine Einladung zu einem offenen und ehrlichen
Dialog in gegenseitiger Achtung war und ist.«
Nach diesen Worten ließ in Castel Gandolfo auch
der - von Benedikt nach den sonnigen Tagen in Bayern mehrfach
verwundert angesprochene - prasselnde Regen nach, und die Gläubigen
konnten ihre Schirme einklappen, um den weiteren religiösen
Betrachtungen des Papstes zu lauschen. Im übertragenen Sinne jedoch
- gegen das stürmische Tief aus der muslimischen Welt - konnte von
einer Wetterbesserung keine Rede sein. Der Papst fragte nun nicht
mehr wie Jesus bei der Geißelung: »Habe ich übel geredet, so
beweise, dass es böse ist; habe ich aber recht geredet, was
schlägst du mich?« Vielmehr suchte er selbst seine Unschuld
herauszustellen.
Zuerst mit einer diplomatischen Offensive bei den
Regierungen aller muslimischen Staaten. Dabei gehe es, wie
Kardinalstaatssekretär Bertone in einem Gespräch mit der
italienischen Zeitung »Corriere della Sera« am Montag (18.
September) erklärte, um eine gerechte und vorurteilsfreie Würdigung
des gesamten Textes der Vorlesung. Doch feindliche
Protestkundgebungen und unerhörte Drohungen gegen Christliches,
Westliches und den Vatikan nahmen in der islamischen Welt
beängstigend zu. Hier und da wurden Papstpuppen verbrannt, dazu
amerikanische und deutsche Nationalflaggen, sei es aus spontaner
Wut oder von interessierter Seite angestiftet. Eine extremistische
Terrororganisation verbreitete über das Internet terroristische
Drohungen gegen den Vatikan und gegen den Papst.
Mord und Drohungen
Dazu erschreckte die Ermordung der katholischen
italienischen Ordensschwester Suor Leonella in Mogadischu. Die fast
70 Jahre alte Ordensfrau, die seit Langem in einem Krankenhaus
wirkte und gerade von einer Lehrtätigkeit im sozialen Bereich
zurückkehrte, wurde zusammen mit einem Leibwächter von Verbrechern
erschossen. Die Tat wurde radikalen Islamisten aus religiösen
Motiven zugeschrieben. Der schockierte Benedikt klagte und hoffte:
»Das so vergossene Blut werde Same der Hoffnung, um eine wahre
Brüderlichkeit unter den Völkern aufzubauen im gegenseitigen
Respekt der religiösen Überzeugungen eines jeden!« In Somalia war
es schon in der Vergangenheit immer wieder zu Terrorüberfällen
gegen Christen gekommen; im Juli 1989 hatte man dort sogar den
katholischen Bischof Salvatore Colombo umgebracht. In der Türkei,
nächstes Ziel einer päpstlichen Reise, hatte ein muslimischer
Extremist im Februar einen italienischen Priester ermordet.
Es kam noch heftiger. Nach Drohungen der
islamistischen Terrororganisation Al-Qaida gegen Papst Benedikt
XVI. wurden in Rom die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt, vor allem
für den Vatikanstaat und vatikanische Einrichtungen. In einer über
das Internet verbreiteten Botschaft hatten die Muslimterroristen
gedroht: »Wir werden Rom erobern, wie es der Prophet (Mohammed)
versprochen hat.« Damit bezogen sich die Extremisten auch auf die
Plünderung und Brandschatzung der heiligen Stätten von Sankt Peter
und Sankt Paul in Rom durch Muslime am 26. August 846.
Der italienische Ministerpräsident Prodi suchte zu
beruhigen, auch nach einem Treffen in New York mit dem iranischen
Präsidenten Ahmadinedschad. Als freundliche Geste und notwendige
Hilfe veröffentlichte die Vatikanzeitung »Osservatore Romano« den
von Muslimen beanstandeten Text der Rede auch in arabischer
Sprache. Der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz,
Kardinal Ruini, bekräftigte die »totale Solidarität« der
italienischen Bischöfe mit dem Papst und wandte sich »mit
Überraschung und Schmerz gegen alle einschüchternden Gesten und
unqualifizierten Drohungen«. Italienische Politiker verteidigten
den Papst. Später beklagte der Präsident der Europäischen
Kommission, Barroso, fehlende Solidarität unter den führenden
Politikern Europas für den Papst. Im Europäischen Parlament fand
der Antrag auf eine Solidaritätserklärung für den Papst keine
Mehrheit; deshalb schloss der Parlamentspräsident, der Spanier
Borrell, eine entsprechende Initiative aus.
Der Bürgermeister von Rom, Veltroni, bekräftigte am
Dienstag (19. September) bei einem von ihm initiierten Treffen mit
Vertretern der »drei Religionen aus dem Samen Abrahams« auf dem
Kapitol die Bedeutung Roms als »Stadt des Friedens« und die
Verpflichtung Roms »zur Förderung des Dialogs zwischen Kulturen und
Religionen«. Anwesend waren bei dem Treffen Kardinal Poupard als
Präsident des Päpstlichen Rats für den interreligiösen Dialog, der
römische Oberrabbiner Riccardo Di Segni und der Imam der Moschee
von Rom, Sami Salem.
Ehrfurcht vor dem, was dem anderen heilig ist
Am Mittwoch (20. September) erhöhten die
Sicherheitskräfte ihre Aufmerksamkeit für die traditionelle
wöchentliche Generalaudienz des Papstes mit Tausenden von Pilgern
und Besuchern aus aller Welt. Eine neue Gelegenheit für Benedikt,
nicht
nur Bilanz über einen schönen Heimatbesuch zu ziehen und die
Intentionen seiner Vorlesung darzulegen, sondern auch, um wieder
bei den Muslimen um gut Wetter zu bitten. So wörtlich in deutscher
Sprache:
»Ein besonderes Anliegen war es mir, das
Verhältnis von Glaube und Vernunft und die Notwendigkeit des
interreligiösen Dialogs sowie des Dialogs zwischen Wissenschaft und
Religion aufzuzeigen. Hier bedarf es der Selbstkritik und, wie ich
in München hervorgehoben habe, der Toleranz, die ›die Ehrfurcht vor
dem, was dem anderen heilig ist‹, einschließt. Mit diesen Worten
möchte ich nochmals klar meinen tiefen Respekt vor den
Weltreligionen und vor den Muslimen bekunden, mit denen wir
gemeinsam eintreten für Schutz und Förderung der sozialen
Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens
und der Freiheit für alle Menschen.«
Auf Italienisch beschrieb er, wie es zu dem
Missverständnis kam:
»Als Thema hatte ich die Frage des Verhältnisses
zwischen Glaube und Vernunft gewählt. Um die Zuhörer in die
Dramatik und Aktualität des Themas einzuführen, zitierte ich einige
Worte eines christlich-islamischen Dialogs des 14. Jahrhunderts,
mit denen der Christ - der byzantinische Kaiser Manuel II.
Palaeologos - in einer für uns unbegreiflich [!] schroffen Weise
seinem islamischen Gesprächspartner das Problem der Beziehung
zwischen Religion und Gewalt darlegte. Dieses Zitat hat leider
Anlass zu Missverständnissen gegeben. Für den aufmerksamen Leser
meines Textes ergibt sich jedoch klar, dass ich in keiner Weise die
negativen Worte des mittelalterlichen Kaisers in diesem Dialog mir
zu eigen machen wollte und dass ihr polemischer Inhalt nicht meine
persönliche Überzeugung ausdrückt. Meine Intention war eine ganz
andere: Ausgehend von dem, was Manuel II. in der Folge positiv mit
einem sehr schönen Wort über die Vernünftigkeit, die bei der
Verbreitung des Glaubens führend sein muss, sagt, wollte ich
erklären, dass nicht Religion und Gewalt,
sondern Religion und Vernunft zusammengehen. Das Thema meiner
Vorlesung war also die Beziehung zwischen Glaube und Vernunft: Ich
wollte zum Dialog des christlichen Glaubens mit der modernen Welt
einladen und zum Dialog aller Kulturen und Religionen.
Ich hoffe«, so fuhr Benedikt fort, »dass bei
anderen Gelegenheiten meines Besuches - zum Beispiel, als ich in
München hervorgehoben habe, wie wichtig es sei, das zu
respektieren, was anderen heilig ist - mein tiefer Respekt für die
großen Religionen klar geworden ist und, im Besonderen, für die
Muslime, die den einen Gott anbeten und mit denen wir verpflichtet
sind, zusammen soziale Gerechtigkeit, moralische Werte, den Frieden
und die Freiheit für alle Menschen zu verteidigen und zu befördern.
Ich vertraue also darauf, dass nach den ersten Reaktionen meine
Worte in der Universität zu Regensburg einen Impuls und eine
Ermutigung zu einem positiven, auch selbstkritischen Dialog bilden,
unter den Religionen wie zwischen der modernen Vernunft und dem
Glauben der Christen.«
Konnte der Papst noch mehr sagen?
Diplomatische Offensive
Ja, er musste offenbar. Nun vor den Botschaftern
der muslimischen Staaten.
Denn nun ging es nicht mehr nur um päpstliche (oder
kaiserliche) Worte, sondern auch um die feindseligen Reaktionen in
muslimischen oder halbmuslimischen Staaten, von
(un)verantwortlichen Politikern angestoßen, von wilden Massen
demonstriert. Ein weiteres Thema zwischen dem Vatikan und den
muslimischen Staaten war seit Langem die Lage der christlichen
Minderheiten, denen oft weithin bürgerliche Rechte - sowohl für den
Einzelnen als auch für die Gemeinden - verweigert werden. Der
Heilige Stuhl unterhielt mit 37 muslimischen Staaten diplomatische
Beziehungen, die damit - wenn auch häufig nicht mit einer eigenen
Botschaft in Rom - das international anerkannte Vertretungsrecht
für Katholiken in aller Welt bestätigen.
Keine diplomatischen Beziehungen unterhielt der Vatikan 2006 mit
Afghanistan, Brunei, den Komoren-Inseln, Malaysia, Mauretanien,
Oman, Saudi-Arabien, Somalia und den Vereinigten Arabischen
Emiraten (mit Letzteren seit 2007).
So ermahnte Benedikt am 25. September im Schweizer
Saal der Sommerresidenz die muslimischen Botschafter und zahlreiche
Führer muslimischer Gemeinden in Italien zu Toleranz und
Gewaltlosigkeit im Dialog der Kulturen und Religionen und zum
Frieden. »Von diesem Dialog hängt zum großen Teil unsere Zukunft
ab«, erklärte der Papst unter Beifall. Die ungewöhnliche und in
diesem Kreis erstmalige Initiative bot dem Papst zunächst Anlass,
seine ganze Achtung und seinen tiefen Respekt gegenüber den
gläubigen Muslimen auszudrücken. »Seit Beginn meines Pontifikats«,
so Benedikt wörtlich, »habe ich den Wunsch geäußert, dass die
Brücken der Freundschaft zwischen den Gläubigen aller Religionen,
mit einer besonderen Wertschätzung für das Wachsen des Dialogs
zwischen Muslimen und Christen, sich weiter festigen.«
Das sei, so Benedikt, »keine Wahl des Augenblicks,
sondern vitale Notwendigkeit. In einer Welt, die von Relativismus
geprägt ist und die allzu häufig die Transzendenz der Universalität
der Religion ausschließt, brauchen wir unbedingt einen
authentischen Dialog zwischen den Religionen und Kulturen, einen
Dialog, der uns helfen kann, alle Spannungen in einem Geist
fruchtbaren Verständnisses zu überwinden.« Deshalb sei es
»notwendig, dass Christen und Muslime in der Treue zu ihren
jeweiligen religiösen Traditionen zusammenarbeiten, um jede Form
der Intoleranz zu vermeiden und sich jeder Manifestation von Gewalt
zu widersetzen«. Es sei weiterhin notwendig, wandte sich der Papst
direkt an die von den Botschaftern vertretenen Staaten, »dass wir,
religiöse Führer und politisch Verantwortliche, die Völker in
diesem Sinn führen und sie dazu ermuntern«. Daran dürften auch die
Erfahrungen einer wechselvollen Geschichte, »nicht weniger
Differenzen und Feindschaften«, nichts ändern. Für die christlichen
Gemeinden in den mehrheitlich muslimischen Ländern forderte
Benedikt »die fundamentalen Freiheiten und im Besonderen die
Religionsfreiheit«.
Zahlreiche arabische Sender übertrugen das Treffen und die
Ansprache Benedikts direkt oder in langen Zusammenfassungen.
Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIK)
verlangte jedoch noch mehr. Nach Berichten italienischer Zeitungen
(vom 27. September) hätten die OIK-Außenminister anlässlich der
Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York sich noch immer
nicht mit den bisherigen Klarstellungen und Hinweisen auf
Missverständnisse begnügt und eine ausdrückliche Entschuldigung des
Papstes gefordert. Die Organisation hatte schon in einer ersten
Reaktion am 15. September von einer »Verleumdungskampagne des
Papstes« gesprochen.
Die endgültige Fassung der Rede von Regensburg
Währenddessen stellte Benedikt die endgültige
Fassung seiner Rede her, wie er sie gehalten zu haben wünschte,
Anmerkungen, wie bereits damals angekündigt, und leichte
Textveränderungen eingeschlossen. Am 10. Oktober wurde sie als die
allein gültige vom Presseamt veröffentlicht (siehe Seite 177-190).
Dabei wurde vor allem der wissenschaftliche Apparat in 13 Fußnoten
nachgeliefert.
Von dem »Schlechten und Inhumanen« in dem Zitat
»Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du
nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er
vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert
zu verbreiten«, hatte sich der Papst bereits fünfmal distanziert.
Nun hieß es in Fußnote 3:
»Dieses Zitat ist in der muslimischen Welt leider
als Ausdruck meiner eigenen Position aufgefasst worden und hat so
begreiflicherweise Empörung hervorgerufen. Ich hoffe, dass der
Leser meines Textes sofort erkennen kann, dass dieser Satz nicht
meine eigene Haltung dem Koran gegenüber ausdrückt, dem gegenüber
ich die Ehrfurcht empfinde, die dem heiligen Buch einer großen
Religion gebührt. Bei der Zitation des Texts von Kaiser Manuel II.
ging es mir einzig darum, auf den wesentlichen Zusammenhang
zwischen Glaube und Vernunft hinzuführen.
In diesem Punkt stimme ich Manuel zu, ohne mir deshalb seine
Polemik zuzueignen.«
Außerdem verstärkte der Papst in kleinen, den Sinn
erweiternden Textänderungen eine Distanz zu den Worten des
Anstoßes:
Im ursprünglichen schriftlichen Text des
vatikanischen Presseamtes - der jedoch nach alter Übereinkunft dem
gesprochenen Wort nachgeordnet ist - hieß es von dem Kaiser: »[…]
wendet er sich in erstaunlich schroffer Form an seinen
Gesprächspartner«. Dem hatte Benedikt schon in Regensburg
wiederholend und abschwächend, aus dem Stegreif mündlich
hinzugefügt: »in uns überraschend schroffer Form«. Nun hieß es im
endgültigen Text: »[…] wendet er sich in erstaunlich schroffer, für
uns unannehmbar schroffer Form […]«.
Abgeschwächt wird der Eindruck, der Papst wolle
sich mit der Unterscheidung eines frühen und späten Mohammed in die
Exegese des Koran einmischen oder diese fordern; allerdings nimmt
Benedikt Ergebnisse der Koranforschung auf. Der frühe Mohammed
habe, als er »selbst noch machtlos und bedroht war«, in Sure 2,256
gelehrt: »Kein Zwang in Glaubenssachen.« In diesem Zusammenhang
wird von Experten gesprochen.
13 Anmerkungen und fünf Textretuschen - nicht in
veränderndem, sondern in verdeutlichendem Sinn - sollten das
Unglück eines Zitats gleichsam ungeschehen machen. Das gelang nicht
einmal dem Papst, selbst wenn er viele Male, jetzt zum sechsten
Mal, eine Interpretation nachreichte - als Entschuldigung nicht
ausdrücklich deklariert, doch als Eingeständnis eines Fehlers
interpretierbar.
Überflüssig wie ein Kropf
Dabei waren die beiden Worte, die den Zorn der
Muslime, spontanen oder bestellten, erregt haben, so überflüssig
wie ein Kropf, weil sie für die päpstlich-professorale
Argumentation gänzlich unerheblich sind. Zugleich erscheinen sie
als offensichtliche Invektiven. Wer konnte im Vatikan meinen, man
ließe dem Führer
einer Weltreligion die Beleidigung des Gründers einer anderen
durchgehen! »Schlechtes und Inhumanes« bei dem Propheten Mohammed
zu finden gehört zu dem begreiflichen Wortschatz eines Krieg
führenden byzantinischen Kaisers des ausgehenden Mittelalters, aber
nicht zur Weisheit eines Papstes im angehenden 21. Jahrhundert, der
den Zusammenstoß von Religionen und Kulturen verhindern will.
Doch wenn auch der höchste Sprecher der
Christenheit vom Katheder aus auf eine so direkt-indirekte
Charakterisierung des Propheten Mohammed gut hätte verzichten
können, so hat der Professor Ratzinger auf dem Stuhl Petri doch nur
getreulich das in der europäischen und christlichen
Geistesgeschichte selbstverständliche Recht des Zitierens ausgeübt.
Noch dazu in einer Universität, in der die Freiheit des Geistes
gegenüber staatlicher oder kirchlich-religiöser Einschränkung
garantiert sein muss. In »westlichen« Universitäten dürfen
Religionsstifter beschrieben und bewertet werden, von wem auch
immer.
Mit den Klärungen hatte sich Benedikt den
bevorstehenden Weg in die Türkei Ende November zum Ökumenischen
Patriarchen freigekauft und zugleich den Dialog mit den Muslimen
gerettet.
Anfragen für den wirklichen Dialog
Denn für einen wirklichen Dialog bleibt die
Anfrage Benedikts, ob der Gott des Propheten Mohammed ein Gott der
Gewalt ist oder nicht, ob er ein Gott des »Logos« ist, dem die
Vernunft des Menschen entsprechen kann, oder nicht. Das wollen alle
wissen, die sich heute vom Islam bedroht fühlen.
Dazu war in der Vorlesung noch ein weiterer
päpstlicher, christlicher Befund »versteckt«. Der Papst zitierte
wiederum Gelehrte und einen Muslim, der »so weit gehe zu erklären,
dass Gott auch nicht durch sein eigenes Wort gehalten sei und dass
nichts ihn dazu verpflichte, uns die Wahrheit zu offenbaren; wenn
er es wollte, müsse der Mensch auch Götzendienst treiben«. Das wäre
eben ein Gott, der seine Anhänger auch in einen »Heiligen Krieg«
(Djihād) schicken könnte. »Hier tut sich
ein Scheideweg im Verständnis Gottes und so in der konkreten
Verwirklichung von Religion auf«, sagte Benedikt hellsichtig, »der
uns heute ganz unmittelbar herausfordert.« Auch darauf müsse eine
muslimische Theologie antworten.
Ganz nebenbei bemerkte der Professor Ratzinger,
dass die friedliche Sure »Kein Zwang in Glaubenssachen« aus der
Zeit stamme, »in der Mohammed selbst noch machtlos und bedroht
war«, die späteren jedoch vom »Heiligen Krieg« wohl von einem
selbstbewussteren, mächtigen Mohammed, es also innerhalb des Koran
eine Entwicklung gebe, so wie auch die Bibel im Lauf der
Jahrhunderte und Jahrzehnte sich zusammengefügt habe. Auch dies ist
keine unanständige Bemerkung, sondern naheliegend, wenn menschliche
Vernunft sich mit Religion beschäftigt, wie im Christentum
geschehen.
Der problematische Dialog fing also erst an.