Kapitel 7
Sonderfall Rom - Der päpstliche Bischof, seine Moschee und eine Taufe

Eine Herausforderung

Die beiden Päpste waren sich als Bischöfe von Rom einig. Als Paul VI. und Johannes Paul II. den Bau der römischen Moschee, eines Islamischen Zentrums in der Ewigen Stadt, nicht mehr verhindern konnten und vielleicht auch gar nicht wollten, taten sie mit gleichen Intensionen ihre Ansicht kund. Eine Herausforderung sei eine solche Moschee, die größte für lange Jahre in Europa, irgendwie schon. Aber, so Paul VI., als er in den Siebzigerjahren seine Einwilligung zum Bau der Moschee gab, sie sei »ein Symbol der Toleranz« in der vornehmsten und ehrwürdigsten Kulturstadt des christlichen Abendlands.
Johannes Paul II. erklärte anlässlich der Eröffnung am 21. Juni 1995, die Moschee sei »das beredte Zeichen der Religionsfreiheit, die hier allen Gläubigen zuerkannt wird«. »Hier«, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche und schien vom Vatikan aus, aus fünf Kilometern Entfernung, scharf die Vertreter arabisch-muslimischer Staaten anzublicken. Denn, so der Papst weiter, er müsse »leider feststellen, dass in einigen islamischen Ländern ebensolche Zeichen der Anerkennung fehlen«. Alles klar?!
Aber, so meinten bald die Römer mit ihrer charakteristischen Gleichgültigkeit, warum nicht auch eine Moschee in Rom? Kirchen gibt es schon genug, zumindest in der Innenstadt. Und eine Synagoge für die Römer jüdischen Glaubens, gut sichtbar in zentraler Lage zwischen Tiber und Kapitol, besitzt die Ewige Stadt seit Anfang des 20. Jahrhunderts. So wurde im Juni 1995 nach jahrelangen Schwierigkeiten und zwei Jahre nach einer inoffiziellen Eröffnung das Islamische Zentrum mit Gebetsraum und einem 39 Meter hohen Minarett feierlich seiner Bestimmung übergeben, in Gegenwart des saudischen Prinzen Salman al-Saud und des italienischen Staatspräsidenten Scalfaro. Selbst der Oberrabbiner von Rom, Toaff, begrüßte die Muslimenstätte am Monte Antenne im Norden Roms. Ohne die mehr oder weniger willige, im friedlichen Geist christlicher Toleranz und ohne den Blick auf Gegenseitigkeit nach Mekka gewährte Zustimmung des Vatikans hätte das Gebetshaus kaum errichtet werden können.

»Grandioses Monument des Islam«

Provoziert die Moschee mit ihrem Minarett die Römer? Man muss auf der Nordost-Tangente in Rom zwischen dem Olympiastadion und der Via Salaria schon genau hinschauen, um am Tiber die Moschee überhaupt wahrzunehmen. Am Freitag merkt man mehr davon, weil schon um die Mittagszeit der Verkehr stockt. Dann wollen sich Hunderte, ein kleiner Teil der rund fünfzig- bis sechzigtausend Muslime in Latium, zugleich zum Gebet in dem Islamkomplex einfinden. Vielleicht sind es auch mehr. Denn die Dunkelziffer der muslimischen Immigranten aus Asien und Afrika mit unklarem legalen Status ist hoch. Manche sehen darin eine »islamische Expansion«. Von der Schnellstraße erblickt man gerade noch, von den Bäumen immer mehr verborgen, das Minarett und den Zentralbau an den Abhängen der Villa Ada am Fuß des Monte Antenne. Wer dorthin fährt, findet sich plötzlich mitten im Orient wieder, auf einem lebhaften Markt, auf dem viele orientalische Konsumwünsche erfüllt werden können. In dem »grandiosen Monument des Islam«, so die Eröffnungsinschrift, beten in sich gebeugt Muslime aus vielen Ländern.
Nur zum Freitagsgebet ist der Andrang zu dem ausgedehnten Areal von rund drei Hektar stark. Es mögen dann auch weit mehr als tausend sein. Sonst herrscht meist gähnende Leere. Nicht einmal zu besonderen Anlässen des Protestes erhöht sich die Zahl der Muslime hier sprunghaft oder die Eindringlichkeit ihrer Gebete oder die Wattleistung der Lautsprecher, Letzteres mit Rücksicht auf die nahen Hügelhäuser der Bürger von Parioli.
Nach dem Gebet bricht zuweilen die Erregung aus Einzelnen heraus, mögen sie nun aus Marokko, dem Sudan oder Somalia stammen. Dann wehren sie sich gegen die Vorwürfe oder den leise geäußerten Verdacht des Extremismus. Gläubige Muslime seien friedliche Menschen, sagen sie - »so sicher, wie Allah mächtig ist«. Dies gelte vor allem dann, wenn man Muslime nicht reize, sagen sie.
Für den Freitag hat die römische Stadtverwaltung sogar eine eigene Buslinie eingerichtet, um den muslimischen Mitbürgern die Erfüllung ihrer religiösen Pflichten zu erleichtern. Niemand soll den Stadtvätern, ob unter einem linken oder rechten Bürgermeister, vorwerfen können, sie seien nicht zur Toleranz bereit. Dabei verfügt das Islamische Zentrum, rund 300 Meter von der Via Olimpica entfernt, schon über eine vorzügliche Verkehrsanbindung. Die Züge der Vorortbahn Roma-Nord halten am nahen Sportzentrum (Campi Sportivi).
Der Prozentsatz muslimischer Moscheebeter ist kaum höher als jener der katholischen Kirchgänger in Rom. Er liegt bei etwa fünf Prozent. Doch niemand soll den Erbauern vorwerfen können, sie hätten nicht an Zuwachs gedacht. Die Moschee mit der flach gewölbten Kuppel des riesigen Gebetsraumes, mit breiten, prächtigen Aufgängen und einem weit ausgedehnten Kulturzentrum kann und soll immer mehr Besucher fassen.
An einem normalen Wochentag - Besichtigungszeit von 10 bis 13 Uhr - verlaufen sich die wenigen Besucher in dem ausgedehnten Areal, jene weiblichen Geschlechts mit einer Kopfbedeckung, wie der schwarze Wächter aus Afrika, sogar einiger deutscher Worte mächtig, freundlich fordert, und alle barfuß in der Moschee mit Gebetsnische (mihrab) und Kanzel (minbar), wie es die fremde Vorschrift fordert. Die orientalischen Bauformen und Ornamente wirken nicht einmal besonders exotisch in der bedeutendsten Kunststadt des Abendlands, die immer Einflüssen von außen geöffnet war.
In den italienischen Ministerien und im Vatikan setzt man beim politischen Gespräch über die Moschee stets eine freundliche Miene auf. Denn hier weiß man, wie die Moschee ins heilig-christliche Rom gekommen ist. Es war, so verkündet sogar eine offizielle Inschrift, im Jahre 1973, als in der westlichen Welt das Erdöl knapp und teuer zu werden begann, nach muslimischer Zeitrechnung im Jahr des Propheten 1394, als die Araber anfingen, in ihren Bodenschätzen ein vorzügliches Instrument der Politik zu sehen. 1973 stattete König Faisal von Saudi-Arabien Italien einen Staatsbesuch ab, und was dem Hüter der heiligen Stätten von Mekka in der Ewigen Stadt mit ihren vielen Kirchen fehlte, war ein Gebetsort. Deshalb zeigte sich das saudische Königshaus nie kleinlich bei der Finanzierung des Monumentalbaus, der von zwei italienischen und einem irakischen Architekten geplant wurde. Außer Saudi-Arabien ermöglichten 22 andere Staaten »mit Gottes, des Milden und Barmherzigen Hilfe« den Bau: Von A wie »Algeria« bis Y wie »Yemen« reicht die italienische Liste.
Wenn 23 Staaten sich für eine solche gute Sache wie eine Gebetsstätte verwenden, konnte man in Rom schlecht Nein sagen. Die Römer verzögerten nur etwas die Fertigstellung des Baus, nachdem die Stadt das Grundstück kostenlos zur Verfügung gestellt hatte. Aber eines Tages, 1993, war die Moschee eben doch zur allgemeinen Überraschung fertig. Man konnte noch einmal die »Einweihung« aufschieben, doch auch die fand 1995 schließlich statt. Das dabei angestimmte pflichtgemäße Hohelied der Toleranz störten nur einige »ultrakonservative«, vielleicht einfach nur besonders gläubige Katholiken. Wie zum Beispiel die damalige Präsidentin der italienischen Abgeordnetenkammer, Irene Pivetti. Sie beteten den Rosenkranz. Nur wenige hatten präsent, dass man den abendländisch-päpstlichen Seesieg bei Lepanto am 7. Oktober 1571 über die Türken dem Rosenkranzgebet zuschrieb. Vielleicht wollten die römischen Katholiken die christlichen Himmlischen über die Konkurrenz in »ihrer« Stadt trösten. Ein Kreuzzug wurde nicht daraus.

Roms Oberrabbiner in der Moschee

Im Gegenteil. Die Moschee dient auch als Stätte friedlicher Begegnung. Zum ersten Mal in der Geschichte empfing man hier offiziell einen Oberrabbiner in einer Moschee. Am 13. März 2006 wurden der Oberrabbiner Riccardo Di Segni und der Vorsteher der jüdischen Gemeinde Roms, Leone Pasermann, vom Leiter der Muslimischen Weltliga in Italien, Mario Sciajola, und vom Sekretär der Islamischen Gemeinde Roms, Abdellah Redouane, willkommen geheißen. Sciajola drückte seine Befriedigung darüber aus, dass diese Begegnung »im islamischen Kulturzentrum und nicht auf dem römischen Kapitol oder sonstwo stattfindet«.
»Wir müssen«, sagte Di Segni, »die Erfahrung des Dialogs machen. Es ist unsere Pflicht, daran mitzuwirken, die Bedingungen für den Frieden zu schaffen.«
Mit Bezug auf den aktuellen Streit über die zuerst in Dänemark veröffentlichten Mohammed-Karikaturen sagte Di Segni: »Der Kampf gegen Islamophobie und Antisemitismus muss parallel erfolgen und darf nicht von Beispielen und Wellen der Intoleranz erstickt werden.« Redouane bemerkte zum Karikaturenstreit: »Diese Episode hat uns sehr betrübt und verletzt, aber sie hat uns nicht das Vertrauen in die Menschen verlieren lassen.«
Der damalige römische Bürgermeister Veltroni nannte den Besuch des Oberrabbiners in der Moschee ein »historisches Ereignis«. Der Kurienkardinal Martino, Präsident des »Päpstlichen Rats für Gerechtigkeit und Frieden«, gab zu bedenken, ob nicht innerhalb des katholischen und christlichen Religionsunterrichts in Europa auch dem Koran größere Aufmerksamkeit zu schenken sei. Damit könnten die Achtung und das Verständnis für eine große Weltreligion gefördert werden. Am selben Tag empfing Papst Benedikt XVI. den ägyptischen Staatschef Mubarak. Aber das war reine Routine.

Die Taufe eines Muslims durch den Papst

Rom schien eine Stadt des Friedens. Auch als eine Empörungskampagne im Zeichen des Halbmonds hätte losgehen können. Nämlich als Benedikt XVI. in der Osternacht 2008 einen bekannten Muslim taufte. Die Konversion eines Muslims, der Abfall von der Lehre des Propheten Mohammed, ist nach dem Koran ein Vergehen und kann schwer bestraft werden. So rief die Taufe Verwunderung hervor, weil der Papst den Islam unnötig zu reizen schien. Es hätte Irritationen unter Muslimen hervorrufen und die in Rom einberufenen Gespräche zwischen katholischen und muslimischen Führern gefährden können. Es grummelte selbst unter den Dialogbereiten; nicht unberechtigte Anfragen wurden gestellt. Anlass war, dass Benedikt in der Osternacht traditionsgemäß Erwachsene tauft. An diesem Karsamstag, dem 22. März, war es jedoch ein besonderer: »Dr. Magdi Allam, ein bekannter Journalist ägyptischer Herkunft, persönlicher Vize-Chefredakteur der Zeitung ›Corriere della Sera‹«, wie das Presseamt am selben Abend in voller Erkenntnis der Brisanz dieser Konversion vom Islam zum Katholizismus mitteilte. Magdi Allam ist ein liberaler Muslim, der in der wichtigen italienischen Zeitung beständig vor dem Islam, dessen expansiven Absichten und antiliberalen Überzeugungen warnte. Deshalb stand er unter Polizeischutz. Tagelang diskutierte man in den italienischen Medien über Sinn und Ziel der päpstlichen Taufe.
Dass zur Religionsfreiheit auch die Freiheit gehört, die Religion zu wechseln, ist christliche und »westliche« Überzeugung. Dies legte dann der Leiter des vatikanischen Presseamtes, der Jesuitenpater Lombardi, dar. Kardinal Tauran, der eigentlich zuständige Präsident des »Rates für den Interreligiösen Dialog«, schwieg dazu. Denn dieser liberale Grundsatz - und seine lapidare Bekräftigung aus dem Vatikan noch mehr - gleicht, wie man inzwischen wissen könnte, für die Anhänger des Propheten Mohammed einer Kriegserklärung. Ihn als Muslim in die Tat umzusetzen, als Apostat, kann tödlich sein. Warum hat dann aber Benedikt diese Taufe vorgenommen, so fragte man, wenn er damit weder der persönlichen Sicherheit Magdi Allams noch dem von ihm selbst geplanten Dialog einen Gefallen tat? Denn nicht jeder wird vom Papst getauft. Bei gewöhnlicher vatikanischer Praxis hätte ein römischer Priester, vielleicht sogar der Generalvikar für Rom, Kardinal Ruini, die Konversion als Taufe vollzogen. Aber vielleicht wusste Benedikt gar nicht, wen er da taufte. Damit begnügte man sich in Rom.
Zwischen Rom und Mekka
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