Kapitel 15
Johannes Paul II. in Indien und Indonesien - Der notwendige Dialog der Religionen
Der theoretisch-theologische Dialog der Religiösen, der Kirche mit den Weltreligionen war eine Sache; das andere waren die praktisch-politischen Überlegungen der vatikanischen Diplomatie und des Papstes als Weltpolitiker.
Seit Jahrhunderten sind Papst und Kurie daran gewöhnt, den »Dialog«, oder sagen wir einfach: die Beziehungen zu anderen Kirchen, Religionen oder Staaten nicht eindimensional-bilateral zu sehen oder zu betreiben, sondern gleichsam mit mehreren Bällen zu spielen. Wie oft habe ich in den kunstreichen Räumen der vatikanischen Politiker mitbekommen, wie Beschwerden weitergereicht wurden. Die Orthodoxen hätten sich, so wurde mir bedeutet, übereinander oder gemeinsam über die Sittenlosigkeit der Anglikaner beklagt, die Hindus über die Muslime, die Saudis über die Iraner. Den vatikanischen Diplomaten wurde bestätigt, dass nicht nur die Kirche Probleme mit der Moschee habe, sondern die Muslime untereinander noch mehr, ihre Politiker mit den Religionsführern und diese wiederum untereinander.
Doch darin sind Päpste seit alters Meister der Politik: Wenn andere sich streiten, ist Rom redlicher, doch nicht uninteressierter Vermittler und spricht zuweilen das entscheidende Wort, nicht ohne dadurch an Ansehen gewonnen zu haben.
Deshalb entschied Johannes Paul II. in den Achtzigerjahren, er werde in jenen beiden Großstaaten um den Dialog der Religionen werben, die von ihrer Staatsräson her auf die Friedlichkeit der religiösen Gruppen angewiesen sind: Indien und Indonesien.
Das leuchtet inzwischen jedem ein. Anfang der Achtzigerjahre - zwar schon nach der Islamischen Revolution im Iran, doch noch lange vor dem weltweiten Erwachen des politischen Islam und den entsprechenden Gegenreaktionen - war diese Einsicht neu, doch für Johannes Paul II. fester Bestandteil des Reisegepäcks. Indien und Indonesien galten ihm wegen ihrer Größe, noch mehr wegen ihrer multireligiösen Brisanz als Schlüsselländer für die Vermeidung des »Clash« der Religionen.

Indien - Hindus, Muslime, Christen

So scheute sich Johannes Paul II. nicht, im Februar 1986 Indien zu besuchen, ein riesiges Land, dessen Bevölkerungszahl damals schon auf eine Milliarde zuging, mit einer deutlichen Mehrheit von Hindus, einer beträchtlichen Minderheit von Muslimen und einer kleinen, hier verschwindenden, dort sichtbaren Minderheit von Christen. Eine gefährliche Mischung, die sich immer wieder entzündet. Eine Verpflichtung zum Dialog! Für die Hindus sind die Minderheiten zu groß, um religiösem Fanatismus ohne eigenen Schaden die Zügel schießen zu lassen. Die Muslime erfahren, in der Minderheit zu sein und jene Freiheit zu benötigen, die sie als Mehrheit oft anderen versagen. So konnte der Papst in der Hauptstadt Delhi zwar nicht auf die Anteilnahme der breiten Öffentlichkeit setzen, doch sehr wohl auf die Beachtung durch die politischen und religiösen Führer und die einflussreichen Schichten.
Es schien mir bewundernswert, wie Johannes Paul II., damals längst ein Superstar und, wichtiger, eine weltweit geachtete moralische Autorität, »in der Fremde« seine weltpolitische Einsicht vom Dialog der Religionen - unter Führung der katholischen Kirche und des Papsttums; dies hinter vorgehaltener Hand - beharrlich umsetzte. Das war eindrucksvoll und ungemein konsequent.
Von Anfang an wies der Papst 1986 in Indien auf das zweifache Ziel seiner Reise hin. Als Oberhaupt der katholischen Kirche komme er zu den Katholiken Indiens, auch wenn diese nur eine verschwindende Minderheit unter der Bevölkerung bildeten. Als Führer einer Weltreligion wolle er jedoch auch zu allen Indern sprechen, um hervorzuheben, was alle Religionen, auch Hinduismus und Islam, in ihrem Glauben und in ihrer Achtung vor den Menschen miteinander verbinde. Diesen Doppelzweck seiner Reise legte Johannes Paul II. dem indischen Staatspräsidenten Giani Zail Singh und Premierminister Rajiv Gandhi dar. Beide waren höchst erfreut. Wenn man so will, wurde das Oberhaupt der Kirche zum Anwalt der muslimischen Minderheit und des Staatsfriedens in Indien.

Programm der Gewaltlosigkeit

Johannes Paul II. ging Schritt für Schritt vor. Nach der Begrüßung auf dem Flughafen von Delhi am Samstag, dem 1. Februar 1986, eilte er zum Gebet in die katholische Kathedrale, doch fast noch schneller zum Grab des legendären Staatsgründers Mahatma Gandhi, bei dem er in einem Gebet sein Friedensprogramm der Gewaltlosigkeit allen Indern ohne Widerspruch vorstellen konnte; erst danach ging es zur feierlichen Messe ins Indira-Gandhi-Stadion. Und weiter. Sonntag: Treffen mit Vertretern verschiedener religiöser und kultureller Traditionen, wieder im Indira-Gandhi-Stadion von Delhi. Montag: Rede vor Vertretern anderer Religionen im Kolleg des heiligen Franz Xaver in Kalkutta. Mittwoch: Treffen mit Vertretern nicht christlicher Religionen in der Rajaji Hall von Madras. Dahinter stand die Idee, einen Dialog mit und zwischen den Religionen zu führen und anzuführen.
So sagte Johannes Paul II. schon in der Begrüßungsrede, er komme als »Diener der Einheit und des Friedens«:
»In der heutigen Welt müssen alle Religionen für die Sache der Menschheit zusammenarbeiten, und dies aus der Überzeugung von der geistlichen Natur des Menschen. Als Hindus, Muslime, Sikhs, Buddhisten, Dschainas, Parsen und Christen sind wir brüderlich vereint, um dies durch unsere Gegenwart zu bezeugen. Indem wir die Wahrheit vom Menschen verkünden, bekräftigen wir, dass die Suche des Menschen nach zeitlichem und sozialem Wohlstand und voller menschlicher Würde der tiefen Bestimmung seiner geistlichen Natur entspricht. Diese Zusammenarbeit zwischen den Religionen muss auch bestimmt sein von dem Bemühen, Hunger, Armut, Unwissenheit, Verfolgung, Diskriminierung und jede Form der Knechtung des menschlichen Geistes zu beseitigen.«
Diese päpstliche Mahnung konnte nicht schaden, nicht nur angesichts der starken sozialen Unterschiede in Indien, sondern auch wegen der Defizite anderer Religionen in der Soziallehre. Da schwang auch Stolz mit, dass es Christen und der Papst doch etwas besser wüssten in der Sorge um die Menschen als andere Religionen.

Kein oberflächlicher Synkretismus

Auf dem Flug von Kalkutta nach Madras (heute: Chennai) am Mittwoch (5. Februar) zog Johannes Paul II. - im privaten Gespräch, wie er es zuweilen gern tat - eine Zwischenbilanz. Er sei »sehr zufrieden«, so der Papst wörtlich, mit dem Verlauf der Reise. »Ich bin aus zwei Gründen hierhergekommen: um der katholischen Kirche in Indien einen Besuch abzustatten und um sie zu ermutigen, sich dem Dialog mit den großen Religionen dieses Landes zu öffnen. Nicht in einem oberflächlichen Synkretismus, sondern für die großen und kleinen Themen des Menschen und der Menschheit. Wie in Casablanca gegenüber dem Islam«, fuhr der Papst mit Bezug auf sein Treffen in Marokko mit jugendlichen Muslimen und Vertretern des Islam ein halbes Jahr zuvor fort, »so hier gegenüber den Religionen Asiens. Ich kann mit großer Zufriedenheit feststellen, dass meine indischen Gesprächspartner dies verstanden und akzeptiert haben.«
Und weiter. Bei einem Treffen mit Vertretern nicht christlicher Religionen in Madras (5. Februar) formulierte Johannes Paul II. gleichsam ein Manifest für die zukünftigen Beziehungen zwischen den Religionen in Asien. Die Religiosität der Inder, so führte der Papst aus, ihr ausgeprägter Sinn für die Größe des höchsten Seins sei ein machtvolles Zeugnis gegen den Materialismus und Atheismus des Lebens. Dieses große Erbe des religiösen Geistes in Indien ermögliche einen wahren Dialog zwischen den Religionen; denn »in einer Welt voll Armut, Elend, Unwissenheit und Leid vermag reiner Glaube nicht nur das Herz des Menschen, sondern auch die Welt zum Besseren zu verändern. Die katholische Kirche hat immer wieder ihre Überzeugung ausgesprochen, dass alle Menschen, Gläubige und Nichtgläubige, sich vereinen und, zusammenarbeiten müssen, um die Welt zu verbessern, in der wir alle leben. Der Dialog zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen mehrt und vertieft den gegenseitigen Respekt und bereitet den Weg für Beziehungen, die wesentlich sind, um die Probleme des menschlichen Leides zu lösen. Die Frucht dieses Dialogs ist die Einheit zwischen den Menschen und die Einheit der Menschen mit Gott. Als Angehörige verschiedener Religionen sollten wir uns dazu verbünden, die gemeinsamen Ideale in den Bereichen der religiösen Freiheit, der menschlichen Brüderlichkeit, der Erziehung und Kultur, der Sozialfürsorge und der bürgerlichen Ordnung zu fördern und zu verteidigen.«
Es galt demnach allen Religionen und »religiösen« Staaten, wie Johannes Paul II. die Inder mahnte, ihrer Verfassung getreu zu sein, die »allen Bürgern die Freiheit des Gedankens und der Meinungsäußerung, des Glaubens, des Bekenntnisses und des Kultus zusichert«. Deshalb müssten auch alle religiösen Führer beachten, dass in Indien die Bürger »ihre Religion bekennen, praktizieren und verbreiten« können. Das gelte für die Wirklichkeit des öffentlichen Lebens in jedem Land.

Die Sache des Menschen gegen die Religionen verteidigen

Wieder konnte ich den Papst direkt auf dem Rückflug nach Rom befragen: Er habe in den letzten Tagen so oft den religiösen Sinn der Inder herausgestellt, aber hindere nicht gerade der Hinduismus, die Religion, die Menschen an der Entfaltung ihrer Fähigkeiten und schränke die Früchte ihrer weltlichen Tätigkeiten ein? Johannes Paul II. antwortete, die Religion müsse dem Menschen in erster Linie einen Sinn geben; das sei vielleicht wichtiger, als ihn auf weltliche Tätigkeiten hin zu orientieren, für Ziele, die nicht immer human seien. In den Dialog zwischen den Religionen müsse die Christenheit, eingedenk der eigenen Vergangenheit, die Sache des Menschen mit einbringen.
Das Christentum hat in Europa, so die Einsicht, im Laufe von zwei Jahrtausenden Reinigungsbäder durchlaufen, deren Fehlen bei anderen Religionen schwer wiegt. Die Verbindung von Glaube und Vernunft, von Theologie und Wissenschaft, die protestantischen Ideale, die außerhalb und innerhalb der katholischen Kirche wirkten, die Aufbrüche des Geistes (in der Aufklärung), der Politik (in der Französischen Revolution, in den Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit), der Ideen der sozialen Gerechtigkeit und des technischen Fortschritts (im 19. und 20. Jahrhundert) haben die Gestalt des Christlichen mitgeformt. Davon kann und will die Kirche nicht abgehen. Deshalb steht die Auseinandersetzung zwischen den Weltreligionen erst am Anfang. Das waren die Überlegungen, als ein wüster Schneesturm in Rom unser Flugzeug zwang, mitten in der Nacht in Neapel zu landen.
Dass der Dialog der Religionen in friedlicher Weise geführt wird, zum Besten der Menschen, durfte man nach dem Besuch Johannes Pauls II. in Indien mit größerer Zuversicht hoffen.

Indonesien - Muslime und Christen

Dreieinhalb Jahre später, im Oktober 1989, schlug in Indonesien die große Stunde des Dialogs mit dem Islam. Doch Glocken hörte man nicht, als Johannes Paul II. in der Hauptstadt Jakarta weilte. Dafür erhob regelmäßig, von leistungsfähigen Lautsprechern verstärkt, ein Muezzin seine Stimme über den Lärm der Zehn-Millionen-Metropole und rief die Muslime zum Gebet auf.
»Allah ist groß, und Mohammed ist sein Prophet« gilt im mekkafernen Indonesien schon seit dem 10. Jahrhundert: Arabische und indische Händler legten den Grundstein für das volkreichste muslimische Land. 87 Prozent der 170 Millionen Indonesier (1989) sind Sunniten (2006: 88 Prozent von 223 Millionen). In diesem Meer des Islam und der 6000 bewohnten von 13 600 Inseln insgesamt - in einem Gebiet mit einer Ausdehnung wie der Atlantik zwischen New York und Großbritannien - sollte sich fünf Tage lang das Oberhaupt der katholischen Kirche behaupten. Um seine Fünf-Millionen-Herde zu stärken, ohne dass die Muslime darin eine Störung sehen konnten. Und um seine Botschaft vom friedlichen Zusammenleben der Religiösen zu verkünden, auf dass die Muslime ihm zustimmten.
Es soll nach dem Willen der indonesischen Führer so bleiben, wie es sich in Jakarta schon architektonisch artikuliert. Eine riesige Moschee, eine der größten der Welt, mit weiß strahlender Kuppel und spitzem Minarett, steht am zentralen Freiheitsplatz. Dahinter ragen von der katholischen Kathedrale zwei filigrane Turmskelette aus Eisen auf, harmlos, klein und bescheiden. Es gilt, als Christ nur nicht aufzufallen. So empfahl es Johannes Paul II. sogleich den Bischöfen, Priestern und Ordensleuten des Landes. In der Mitte des weiten, imperial anmutenden Freiheitsplatzes schießt ein 128 Meter hoher Obelisk mit einer goldenen Flamme auf der Spitze in den Himmel. Wer wie die Indonesier 350 Jahre lang holländische Kolonialherren ertragen musste, schätzt ein solches Monument von Freiheit und Unabhängigkeit und passt auf, dass die Einheit der Nation, die Harmonie von Muslimen und Christen, Buddhisten und Hinduisten, das Miteinander von 300 verschiedenen ethnischen Gruppen, von 250 Sprachen und Dialekten, nicht gefährdet wird.
Als »Freund aller Indonesier« sei er gekommen, sagte der Papst sofort. Da konnte sich kein Indonesier versagen im Respekt vor einer Vaterfigur, deren religiöse Autorität überall in der Welt anerkannt wird. So häufig und auffällig waren die Begegnungen zwischen Johannes Paul II. und den politischen Führern des Landes, dass man den Eindruck gewinnen musste, der Papst komme ihnen gerade recht und erfülle manches legitime politische Kalkül in Jakarta. Im Sinne des Grundgesetzes der seit 1945 unabhängigen Republik, »Pancasila«, fünf eherner Prinzipien: An den einen Gott sollen die Indonesier glauben, für Humanität eintreten, die Einheit des Inselreiches verteidigen, Demokratie beschwören und soziale Gerechtigkeit auch.
Damit haben der Papst und die Katholiken keine Schwierigkeiten. Wohl aber einst die Kommunisten, nun die radikalen Muslime, die mit überzogenen Forderungen politische Unruhe stiften. Christen müssen daher ihrem missionarischen Eifer die Zügel anlegen. Was ihnen offenbar leichter fällt als Muslimen. Diese tun sich schwer, Politik und Religion auseinanderzuhalten. Aber Friede ist die oberste Bürgerpflicht aller Religiösen in Indonesien. So stellte Johannes Paul II. »den wichtigen Dienst der Katholiken für die Entwicklung des Landes« heraus, doch fast noch mehr, dass dies stets »im Respekt für die verschiedenen Meinungen und Überzeugungen, die unterschiedlichen Gebräuche und Werte« geschehe.
Wer diesen Dienst in der Realität Jakartas kennenlernen will, christlichen »Dialog« in muslimischem Umfeld, muss aus dem Zentrum hinaus, von den großen Autostraßen weg, etwa auf der schmalen, kilometerlangen Percetakan-Negara-Straße. Da findet man eine katholische Kirche, die sich nicht im Festtagskleid zum Papstbesuch zeigt. Daneben in einer Klinik Ärzte und Krankenschwestern, die auch denen beistehen, die kein Geld haben, nicht katholisch sind; in der Schule Lehrer, die Jungen und Mädchen unabhängig von ihrer Religion Bildung vermitteln; in einer Hochschule Priester und Ordensleute, die Philosophie lehren für künftige Priester und junge interessierte Muslime. Dass die Kirche den Menschen bei der Suche nach einem würdigeren Dasein beisteht, im Erziehungssystem, im Gesundheitswesen und bei den sozialen Diensten, war nur ein Satz in der Rede des Papstes, ist aber das Entscheidende, worauf Indonesien nicht verzichten kann und wofür die Kirche immer wieder neue Kräfte wecken muss.

Friedlicher Wettbewerb um die Seelen

Dabei traf es sich, dass in der Hauptstadt Jakarta die Führer des Landes, allen voran Präsident Suharto, den Geburtstag des Propheten Mohammed feierten und der Bedeutung des Islam für ihre Nation gedachten, während Johannes Paul II. auf der Insel Flores weilte. Ganz unter den Seinen. Denn hier sind die Katholiken in jener gewöhnlich »erdrückend« genannten Mehrheit, mit welcher die Muslime im gesamten Inselreich leben - mit 84 Prozent. Johannes Paul II. forderte die Gläubigen auf, »Zeugen Christi« zu sein. Etwas Ähnliches empfahlen Präsident Suharto und der Minister für religiöse Angelegenheiten, Munawir, mit ihrer Deutung des Koran den Muslimen. Darin stünden Gottes eigene Worte; die Lehren des Propheten zu beachten sei deshalb rechte Muslimpflicht.
Suharto sprach allgemein von der Rolle des Rechts im Leben einer Nation und davon, dass man heute säen müsse, damit sich kommende Generationen an der Ernte erfreuen könnten, dass man ebendeshalb jetzt jedoch nicht ernten könne. Der Minister hingegen las wie ein strenger Prediger der Festversammlung sozusagen die Leviten, tadelte, dass »viele von uns ihre Macht und das Vertrauen des Volkes missbrauchen«, dass »soziale Solidarität nottut« und »die Arbeitsmoral nicht hoch genug« sei. »Gott ändert nicht das Schicksal eines Volkes«, mahnte der Minister mit Berufung auf den Koran, »wenn nicht die Nation das Gleiche versucht.«
Aus dem Geist des Christentums hätte der Papst dem nicht widersprochen. Im Gegenteil. Harmonie unter den Religionen und deren Einsatz für das Wohl der Menschen war bis zum Schluss das Leitmotiv der päpstlichen Visite im muslimischen Indonesien. Etwas anderes wäre auch schwer möglich gewesen in einem Land, in dem die katholische Kirche auf das Wohlwollen der Mehrheit unter dem Halbmond angewiesen ist, in dem jedoch ebenso die Regierung jeden religiösen Extremismus - von welcher Seite auch immer - als Gefährdung einer labilen politischen Balance zwischen gänzlich verschiedenen Gruppen fürchten muss. Viel Übereinstimmung zwischen Papst und Präsident!
Gerechtigkeit und Menschenwürde, Toleranz und sympathisches Miteinander schienen deckungsgleich aus Bibel und Koran - wie in einer Synopse mit ähnlichen Belegstellen - zusammenzufließen. Aber natürlich hatte weder Suharto noch der Papst die eigene Überzeugung verraten, dass hier Mohammed, da Jesus das endgültige Wort Gottes an die Menschheit gewesen sei. Nur hat sich jeder das Seine gedacht und vor den eigenen Gläubigen auch ausgesprochen. Für Indonesien sind radikale Muslime, gar unter der Regie eines »Ayatolla«, gefährlich. Fundamentalisten können das mühsam errichtete Gleichgewicht unter den Indonesiern stören und das Riesenreich in Zwietracht und Chaos stürzen. Auch in der Völkergemeinschaft hat ein extremistisch muslimischer Staat, so zeigt die Erfahrung, einen schweren Stand und wenig Zukunft; man meidet ihn. Zu Weltmacht wird es ein solcher nie bringen können; denn die Zeiten eines islamischen Großreiches - von Marokko bis Indonesien mit Ausläufern bis nach Russland - werden kaum anbrechen. Also muss sich der Islam einfügen in die internationale Gemeinschaft; also wäre ein rein islamischer Staat Indonesien ohne Toleranz gegenüber den anderen Religionen anachronistisch. Deshalb war Johannes Paul II. auf Java und Sumatra, Flores und Timor ein gern gesehener Gast.
Der Papst hat die Fähigkeit der Kirche zur Toleranz bewiesen, zum friedlichen Wettbewerb um die Seelen der Menschen mit anderen Religionen. Und Religionen werden mehr denn je daran gemessen, ob sie miteinander friedlich umgehen. Indonesien kann dafür ein Beispiel sein. Auf Bali beeindrucken die Dörfer mit den Zeichen des Religiösen, den finsteren und den guten Geistern, die furchteinflößend und freundlich die unzähligen Tempel und Tempelchen beherrschen. Der Hinduismus hat auf dieser Insel seine bestimmende Kraft bewahrt. Auf Java, nahe bei Yogyakarta, dem kulturellen Zentrum der Insel, hat er einst die Menschen zum Bau der Tempel von Prambanan getrieben. Und der Buddhismus hat auf dem Hügel von Borobudur einen Kosmos der Kunst voller Statuen und Reliefs geschaffen, der zu den bedeutendsten Kulturgütern der Menschheit gehört. All das zeigt die kulturschöpferische Macht der asiatischen Religionen. Nicht das Zerstörerische.
Zwischen Rom und Mekka
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