Freitag, 16. Juli

Bin gerade zurück von Noras kaltem Buffet – zu dem ich mit einer Verspätung von anderthalb Stunden eintraf, und ich war der Ehrengast, ich muss schon sagen, der Abend begann katastrophal.

Nora hatte morgens angerufen und gesagt, dass mich ein Wagen um sieben Uhr fünfzehn abholen würde, also saß ich wie immer um sieben ausgehfertig in der Halle und wartete. Kein Wagen kam um sieben Uhr fünfzehn, kein Wagen kam um sieben Uhr dreißig, und um sieben Uhr fünfundvierzig beschloss ich, dass Noras Freunde vergessen hatten, mich abzuholen, und rief Nora an. Sie sagte, sie habe mir ein Taxi bestellt, damit ich »stilgemäß vorfahren würde«. Das Taxi kam nie an. Sie sagte, ich solle auf der Straße ein Taxi anhalten und zu ihr kommen.

Ich ging auf die Straße und hielt ein Taxi an und setzte mich hinein. Doch der Norden Londons ist vom Zentrum ungefähr so weit weg wie das äußerste Ende Brooklyns von Manhattan, und die Londoner Taxifahrer ähneln in grimmiger Weise New Yorker Taxifahrern. Ich gab dem Fahrer Noras Adresse, und er sah mich mit stierem Blick an.

»Ich weiß nicht, wo das ist, Madam«, sagte er mit tonloser Stimme. Voller Unschuld erklärte ich ihm, das sei in Highgate. Jetzt starrte er vor sich hin und wiederholte mit derselben ausdruckslosen Stimme:

»Ich weiß nicht, wo das ist, Madam.«

Ich verstand die Botschaft, stieg aus, wartete zehn Minuten auf das nächste Taxi und stieg ein. Ich gab dem Fahrer Noras Adresse, und wir spielten das gleiche Spiel noch einmal. Diesmal war der Fahrer allerdings so begierig, sich aus dem Staub zu machen, dass er Gas gab, bevor ich richtig ausgestiegen war, und ich fiel hin und schürfte mir das Bein auf. Da stand ich also mit blutüberströmtem Bein, es war acht Uhr fünfzehn, und um sieben Uhr dreißig hatte ein Essen zu meinen Ehren angefangen. Ich konnte nicht auf mein Zimmer gehen, mir die Wunde säubern und neue Strümpfe anziehen, weil ich dann noch einmal fünfzehn Minuten später dran gewesen wäre.

Ich ging in die Halle und fragte den Mann an der Rezeption, und der sagte, was ich bräuchte, sei ein Minicab, die würden überall hinfahren. Minicabs in London entsprechen dem New Yorker Limousine Service (und sind genauso teuer). Er rief für mich den Mincab Service an, und der Wagen fuhr zehn Minuten später vor. Der Fahrer sagte, sein Name sei Barry, er mache ein Praktikum im Krankenhaus und fahre Minicab, um sich nebenher etwas Geld zu verdienen. Er bretterte durch die Hügel von Nord-London, als wolle er uns beide ins Grab bringen, doch was soll’s, er hat mich zum Ziel gebracht, und die Fahrt hat sehr viel Spaß gemacht.

Er erzählte mir, er habe an der McGill-Universität in Kanada studiert und im Sommer in Manhattan gearbeitet. An seinem ersten Tag in New York stand er plötzlich auf der Verkehrsinsel an der Kreuzung von Broadway und der zweiundvierzigsten Straße, er hatte keine Ahnung, wo er war, wollte aber zum Times Square. Er sah einen Polizisten, der den Verkehr regelte, und weil Barry ihn nach dem Weg fragen wollte, stellte er sich hinter ihn und tippte ihm auf die Schulter. Worauf der Polizist, der Tradition von Höflichkeit und Hilfsbereitschaft der feinen New Yorker Polizei zur Ehre gereichend, sich umdrehte und Barry den Lauf seiner Pistole in den Bauch stieß.

»Ich wollte nur nach dem Weg zum Times Square fragen, Sir«, sagte Barry.

»So, so«, sagte der Polizist.

»Ich bin Tourist, ich kenne mich nicht aus«, erklärte Barry, »ich bin Engländer.«

»Mach Sachen«, sagte der Polizist, der seine Pistole nach wie vor an Barrys Bauch hielt. Also gab Barry auf und sagte:

»Sir, wenn Sie mich erschießen wollen, dann treten Sie bitte zurück, damit Sie nicht die vierhundert Menschen hinter mir gleich mit umbringen.«

Der Polizist ließ ihn gehen, und Barry überquerte die Straße und fragte einen Passanten nach dem Weg zum Times Square. Der Passant überlegte eine Weile und antwortete dann: »Gehen Sie einen Block weiter und biegen Sie links ab, gehen Sie wieder einen Block, dann links und noch einen Block und wieder links, und Sie sind da.«

Also ging Barry einmal um den Block und entdeckte auf diese Art und Weise, dass er schon die ganze Zeit auf dem Times Square gestanden hatte. Er hatte sich einen englischen Square vorgestellt – mit einer Grünanlage in der Mitte. Der Passant hingegen wusste nicht, dass man in London einen Block gehen und links abbiegen, noch einen Block gehen und links abbiegen und noch einen Block gehen und links abbiegen kann, ohne wieder an den Ausgangspunkt zu gelangen.

Er hat die Encyclopaedia Britannica und Füllfederhalter von Haus zu Haus verkauft. Die meisten Hausfrauen schlugen ihm die Tür vor der Nase zu (»Oftmals musste ich rufen: ›Madam, würden Sie bitte die Tür aufmachen, damit ich meine Krawatte rausziehen kann‹«), deswegen gab er das auf und ging dazu über, Füllfederhalter bei Woolworth vorzuführen. Er entdeckte, dass man das System zu seinen Gunsten nutzen konnte, indem man sich besonders gut anstellte und dadurch zum Ausbilder befördert wurde. »Wenn man anderen beibrachte, wie man die Ware vorführt, durfte man sich wenigstens hinsetzen«, erklärte er.

Er setzte mich bei Nora ab und sagte, er würde mich um Mitternacht wieder abholen und in die Stadt bringen.

Ich hätte Nora umbringen können, weil sie den anderen Gästen nicht gesagt hatte, dass ich seit sieben Uhr fünfzehn auf das Taxi gewartet hatte. Eine Frau sprach mich an und sagte höflich: »Dürfte ich Sie fragen, was Sie so lange aufgehalten hat?«, und ich war dermaßen sprachlos, dass ich nicht antworten konnte und mit Sheila in den ersten Stock entkam, wo ich mich in ihrem Zimmer versteckte, bis ich mich wieder gefangen hatte. Ich kann keine Haltung bewahren.

Die Antiquare erheiterten mich mit Geschichten aus der Branche. Sie erzählten, dass es nach dem Krieg zu viele Bücher und nicht genügend Buchhandlungen gegeben habe, so dass die Händler in London Hunderte von Büchern in den offenen Bombenkratern VERGRUBEN! Heute wären die vergrabenen Bücher ein Vermögen wert, wenn man sie wieder ausgraben könnte, das heißt, wenn man die neuen Gebäude abreißen und die neuen Straßen aufreißen könnte. Plötzlich hatte ich die Vorstellung von einem Atomkrieg, der alles in der Welt zerstört, nur hier und da liegt ein altes Buch, das aus der Tiefe Londons emporgeschleudert worden war.

Jeder gab mir ein kleines Geschenk, und ich glaube, in einem Fall habe ich einen Fauxpas begangen. Eine sehr charmante Frau, die mit alten Handschriften handelt, gab mir ein wunderhübsch gebundenes Notizbuch. Ich brauchte eins, da ich mein altes in einen Terminkalender umgewandelt hatte, und als einer der Händler vom Antiquariat Quaritch mir seinen Namen und seine Adresse gab, schrieb ich sie in das Notizbuch. Aus dem Schweigen, das darauf folgte, entnahm ich, dass es eine Art von Entweihung war, in das Notizbuch zu schreiben. Mir kam der schreckliche Gedanke, dass das Notizbuch eine von diesen Antiquitäten war, die man nicht benutzen, sondern nur ansehen soll. Was soll ich mit einem Notizbuch, das ich nicht benutzen kann? Immer wieder setze ich mich auf diese Weise in die Nesseln.

Barry klingelte um Punkt zwölf und fuhr mich zum Hotel. Er sagte, ich solle ihn mal in seinem Krankenhaus besuchen, wenn ich je in der Gegend wäre, es sei das St. Bartholomew’s, sagte er, und ich solle bei dem Henry-VIII.-Tor reingehen und mir die Kapelle ansehen, sie sei schön. Ich schrieb seinen Namen – Barry Goldhill – in das entweihte Notizbuch und fragte ihn, was sein Fachgebiet sei. Er sagte: »Gynäkologie.« Ich sagte: »Zu spät, Schätzchen, da kann ich dir nichts mehr bieten.«