Sonntag, 4. Juli

Verfiel in düstere Stimmung bei der Erinnerung an die Zeiten vor dem Vietnamkrieg, als ich der ruhmreichen Geschichte meines Landes ohne Scham gedenken konnte und der 4. Juli noch eine Bedeutung hatte.

Marc Connelly holte mich um ein Uhr ab. Ich trug den braunen Rock und den weißen Blazer, und er sagte: »Wie hübsch Sie aussehen in Ihrem kleinen Segler-Aufzug«, und salutierte vor mir. Wir würden zum Lunch ins Hilton gehen, sagte er, weil sonst nichts geöffnet habe.

Das Hilton hat verschiedene Speisesäle, und er ging mit mir in den größten. Alle Tische waren besetzt mit eleganten, gepflegten Männern und schick gekleideten Damen; niemand sah schäbig aus, wie im Kenilworth. Und die Erdbeeren waren riesig, und die Sahne war dick, die Brötchen waren warm, und die Butter war kalt, und die Hühnerleber war perfekt gebraten.

Aber im Kenilworth lässt niemand die Eier zurückgehen. Keiner spricht in einem lässig-unhöflichen Ton mit den Kellnern, mit dem man zum Ausdruck bringt: »Ich bin besser als du, weil ich mehr Geld habe.« Und die Kellner antworten nicht mit dieser geübten Mischung aus Verachtung und Dienstfertigkeit, und sie sind nicht devot – lieber Gott, Alvaro wüsste gar nicht, wie man das schreibt. Und beim Frühstück im Kenilworth sieht niemand bitter oder unzufrieden aus, die Männer im Kenilworth trinken ihren Drink beim Lunch nicht missgelaunt, und es gibt keine Frauen mit hart geschminkten Gesichtern, die ihre Handtaschen mit scharfen Augen bewachen.

Wenn man die Menschen im Speisesaal des Hilton erblickt, möchte man erst zuschlagen, aber dann hat man nur noch Mitleid mit ihnen – niemand im Saal sah glücklich aus.

Nach dem Lunch nahm Marc mich mit in seinen Club in der St. James’s Street. Von der Straße aus sieht das Haus schmal aus, aber wenn man durch die Tür kommt, betritt man einen enormen Salon, der in andere Räume übergeht, man schreitet eine großartige, geschwungene Treppe hinauf, und an der Wand hängen die Porträts der Besitzer, die alle wie Peter Ustinov aussehen, und im Obergeschoss sind weitere geräumige Säle: der Frühstücksraum, Spielräume, der Lesesaal. Eine Weile lang sahen wir uns im Farbfernsehen ein Cricket-Spiel an. Das heißt, ich habe es mir angesehen, Marc hat geschlafen. Er ist achtzig, er darf das.

Ich weckte ihn um drei und sagte, ich würde jetzt gehen, und er sagte fröhlich: »Jetzt wissen Sie, was ich von Cricket halte!«, brachte mich zur Tür und sagte, ich solle die Jermyn Street entlanggehen und mir die Auslagen in den Schaufenstern ansehen.

Das habe ich gemacht, dann bin ich in die Regent Street eingebogen, und als ich auf dem Weg zum St. James’s Park am Waterloo Place entlangging, wem begegnete ich da? Niemand anderem als dem distinguierten Johnny Burgoyne, klein und schmuck in einer Ecke auf einem kleinen Podest, der die Schlacht von Saratoga gegen uns Rebellen verloren hat. Ich glaube, er sollte zu den Einheiten eines anderen Generals aufschließen, aber es entstand ein heilloses Durcheinander, und Burgoynes ganzes Regiment wurde gefangen genommen. Es würde ihm gefallen, wenn er wüsste, dass er in Der Teufelsschüler von Shaw die einnehmendste Gestalt ist, er war selbst Bühnenautor. Er schrieb ein Stück und brachte es in Boston auf die Bühne, seine Offiziere traten als Schauspieler auf, als seine Truppen die Stadt besetzt hatten. Mir ist unklar, was die Briten veranlasst hat, ihm zu Ehren eine Statue aufzustellen, wahrscheinlich hat er irgendwo anders eine Schlacht gewonnen, aber während des amerikanischen Revolutionskrieges hat er sie fast eigenhändig verloren.

Ich wünschte ihm einen schönen 4. Juli.

Als ich zur Mall kam, wurde dort ein Promenadenkonzert gegeben. Anlässlich des 4. Juli spielte die Kapelle »Dixie« und »The Battle Hymn of the Republic«. Warum auch nicht? Wenn ich nicht weiß, wer Hampden war, warum sollen sie hier dann wissen, dass am 4. Juli nicht des Bürgerkriegs gedacht wird?

Sonnte mich eine Weile im St. James’s Park, aber die Kapelle spielte immer weiter, und ich war nicht in der Stimmung dafür, also nahm ich mir vor, stattdessen zu Lincoln’s Inn Fields zu gehen. Da ich nicht die Marmortreppe raufgehen konnte – überall auf den Stufen saßen Zuhörer –, wanderte ich die Mall entlang auf der Suche nach einem anderen Ausgang. Ich fand eine kleine Treppe, schlängelte mich zwischen den Menschen, die dort saßen, hindurch und kam in Carlton Gardens raus, einer hübschen Straße mit sehr vornehmen Wohnhäusern. Ich fühlte mich ein wenig an Sutton Place erinnert: die Häuser, die teuren Autos am Straßenrand, die Kinderfrau im gestärkten Kleid, die einen Kinderwagen schob – alles roch nach Geld. Ich ging umher, lief vielleicht in eine Nebenstraße, ich weiß es nicht mehr genau. Dann bog ich um eine Ecke und war plötzlich in einer Straße, die ich nicht kannte und derengleichen ich nicht ein weiteres Mal zu sehen erwarte.

Ich weiß nicht, wo ich war. Ich konnte kein Straßenschild entdecken, ich weiß nicht einmal mit Sicherheit, ob es eine Straße war. Es war eine Art umschlossener Hof, eine Sackgasse hinter dem Clarence House und dem St. James’s Palace. Die namenlosen weißen Häuser waren möglicherweise die Rückseiten der Paläste. Weißer, prachtvoll glänzender Stein und die Straße absolut still. Schritte sind laut, und man steht regungslos, fast ohne zu atmen. Hier herrscht nicht der Geruch des Geldes, hier herrscht die geradezu heilige Stille des Privilegs. Im Kopf gehen einem Geschichten vom märchenhaften Prunk der Monarchie herum, von dem zeremoniellen Pomp der englischen Könige und Königinnen. Und plötzlich fällt einem Karl Marx ein, der unbehelligt in seinem Grab in Highgate liegt, und Königin Mary, die Gandhi empfing, so wie sie zuvor die Radschahs empfangen hat, so wie George III. den alten Emporkömmling John Adams als Botschafter am Hof von St. James empfangen musste. Voller Ehrfurcht steht man vor den Kontrasten – vor der Tatsache, dass der St. James’s Palace und das Clarence House im sozialistischen England so friedlich ihren Platz haben.

Ich beschließe, das Wort Anachronismus nicht mehr zu benutzen, wenn eine Kutsche aus dem siebzehnten Jahrhundert durch die Tore des Buckingham Palace rollt und russische oder afrikanische Diplomaten des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem Empfang bei der Königin bringt. »Anachronismus« bezieht sich auf etwas, das seit langem tot ist, und hier ist nichts tot. Die Geschichte, so könnte man sagen, erfreut sich bester Gesundheit und lebt in London.