Mitternacht

Joyce begrüßte mich an der Tür und führte mich an den Wohnzimmerwänden entlang, an denen die Familienporträts und Fotografien der Grenfells und Langhornes hängen. Ihre Mutter war eine der Schwestern der Langhorne-Familie aus Virginia. Eine Schwester heiratete Charles Dana Gibson und war das ursprüngliche Gibson-Girl, eine andere heiratete Lord Astor und war die berühmte Lady Astor, MP, und die dritte heiratete den Vater von Joyce.

Sehr wenige Theaterfotos an der Wand. Ihr größter Stolz ist eins von der Markise am Haymarket-Theater mit ihrem Namen in Leuchtschrift darauf. Beim Haymarket gibt es eine Regel, wonach der Name des Stars nicht in Leuchtschrift erscheinen darf, sondern nur der Titel des Stücks. Aber als Joyce ihre Ein-Mann-Show dort aufführte, war sie nicht nur der Star, sie war auch die Show.

Sie gab mir eine Biographie von Florence Nightingale und meinte, sie würde mir gefallen. Sie stellt den Wecker jeden Morgen auf sechs Uhr und liest bis sieben im Bett; sie sagte, wenn sie sich das nicht angewöhnt hätte, würde sie nie etwas lesen. Aber so kommt es mir vor, als hätte sie alles gelesen.

Ich bin immer beschämt, wenn ich feststelle, wie belesen andere sind und wie unwissend ich im Vergleich bin. Keiner würde glauben, wie lang die Liste der berühmten Werke und Autoren ist, die ich nicht gelesen habe. Ich habe das Problem, dass ich in der Zeit, in der andere fünfzig Bücher lesen, das gleiche Buch fünfzig Mal lese. Ich lege es erst beiseite, wenn ich am Ende von, sagen wir, Seite 20 weiß, dass ich die Seiten 21 und 22 aus dem Gedächtnis aufsagen kann. Erst dann lasse ich das Buch ein paar Jahre liegen.

Nach dem Essen machten wir eine Tour durch Chelsea, und sie zeigten mir das Haus, in dem sie geheiratet haben. Joyce erzählte, sie würden sich praktisch von Kindheit an kennen.

»Ich war siebzehn und Reggie hatte gerade seinen Abschluss in Oxford gemacht. Als ich das erste Mal mit ihm Tennis spielte, trug ich noch Zöpfe. Ich habe mein Haar nur abends hochgesteckt.«

Sie fuhren mit mir in die alte City of London und zeigten mir St. Mary LeBOW. So schreibt man sie nämlich. Nur die Engländer können ein »Bow« an ein »Le« hängen. Es war so dunkel, dass ich nicht sehen konnte, wo ich mich am Morgen verirrt hatte.

Die ganze Zeit führten die beiden ein freundliches Streitgespräch darüber, was sie mir noch zeigen wollten.

»Oh, nicht St. Paul’s, Schatz, die hat sie doch schon gesehen.«

»Aber vielleicht würde sie sie gern erleuchtet sehen, ReGEE!«

»Wahrscheinlich hat sie sie ein Dutzend Mal erleuchtet gesehen, warum zeigst du ihr nicht Fleet Street?«

Ich meldete mich vom Rücksitz und sagte, ich würde gern die Londoner Slums sehen.

»Ich fürchte, es gibt keine«, sagte Joyce sanft.

Zählt man das zu der Tatsache, dass die medizinische Versorgung in Großbritannien umsonst ist, dann weiß man genug, um den Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu verstehen.