29. KAPITEL

Nashville
Mitternacht

Taylor lag im Bett und sah eine Wiederholung der Spätnachrichten im Fernsehen. Noch kämpfte sie gegen den Schlaf an, würde sich ihm aber in wenigen Minuten ergeben. Sie war jetzt seit sechsunddreißig Stunden wach, und selbst für sie, die nie gut schlief, war es jetzt an der Zeit, ein wenig Ruhe zu bekommen.

Nashville würde sich niemals an Nachrichten über tote Teenager gewöhnen. Vor allem um die Feiertage und zu Zeiten der Abschlussprüfungen brachten die abendlichen Nachrichten Geschichten voller Trauer und Reue. Mutige Mädchen, die gegen Meningitis kämpften. Dumme Jungen, die zu viel tranken und dann ihre Autos um Bäume wickelten. Cheerleader, die am Steuer sitzend ihren Footballhelden-Freunden eine SMS schickten und dabei in einen entgegenkommenden Truck rasten.

Aber nie hatte Nashville eine Berichterstattung in dieser Größenordnung erlebt. Es wurde noch schlimmer durch das erweiterte Grauen, das folgte – keine zwei Tage nach den Vorfällen, als die klaffenden Wunden in den Herzen aller langsam anfingen, sich wieder zu schließen, erschien das süße Gesicht der jungen Brittany Carson, das den Massen über die Bildschirme zulächelte und alles wieder aufriss.

Ihr Tod war als Sondermeldung von einer tränenerstickten jungen Reporterin vermeldet worden, die noch zu jung war, um gegen die beinahe täglichen Schilderungen von Tod und Gewalt, die auf Nashvilles Straßen tobten, abgehärtet zu sein. In den Zehn-Uhr-Nachrichten war Brittanys Organspende die Hauptnachricht – irgendein Geier berichtete aus dem Krankenhaus, dass sie während einer entsprechenden Kampagne in der Schule einen Organspenderausweis beantragt hatte. Die Medien stürzten sich auf diese Neuigkeit und erhielten von ihrer Mutter eine Bestätigung – Elissa, die immer noch die rote Bluse trug, die vom Blut ihrer Tochter durchtränkt war.

Sie war nicht die Einzige; die ganze Stadt hegte die Hoffnung, dass eines ihrer Kinder diese Tragödie überleben würde. Söhne und Töchter, Brüder, Schwestern, Pärchen, Alleinstehende, alle waren zum Sterben gekennzeichnet. Es schien keine Logik und keinen Grund für die Auswahl der Opfer zu geben. Sie hatten nichts Konkretes, nichts außer dem Wissen, dass ein Junge einem Mädchen eine Pille gegeben hatte, die mit einem Gift getränkt war, das sie töten sollte, und dann masturbiert hatte, während er ihr beim Sterben zusah.

Taylor seufzte und drehte sich auf den Rücken. Sie starrte die Decke an.

Die Bilder auf dem Fernseher waren durchsetzt gewesen mit lächelnden Gesichtern voller Hoffnung. Es war nahezu unmöglich, sich die gleichen Jungen und Mädchen auf den Edelstahltischen in der Rechtsmedizin vorzustellen, ihr jungfräuliches Fleisch durch YSchnitte brutal zerstört.

Die Rechtsmediziner waren vollkommen überfordert. Eltern, die auf Reisen gewesen waren, kehrten zurück, das Wissen um den Tod ihres Kindes lastete schwer auf ihrem Gewissen. Sie mussten sich verabschieden. Sie warteten in der Lobby des rechtsmedizinischen Instituts, bis sie an der Reihe waren, wurden einer nach dem anderen in einen Nebenraum geführt, wo eine Videoaufzeichnung lief, anhand derer sie ihre Toten identifizieren mussten.

Die ersten offiziellen toxikologischen Gutachten kamen rein. Alle acht Opfer wiesen hohe Dosen von Ritalin, Kodein, PMA, MDMA und Valium auf, versteckt in den kleinen, unauffälligen Ecstasy-Tabletten, die Juri Edvin ihnen verkauft hatte.

Taylor ertrug es nicht mehr. Sie schaltete den Fernseher aus. Sie wünschte, Baldwin wäre hier, stellte sich vor, wie er sie in die Arme nahm. Die Dunkelheit umfing sie, und sie fiel in einen tiefen Schlaf.