36. KAPITEL
New York, New York
Montag, 22. Dezember
13:00 Uhr
In der kleinen Straße hinter dem Restaurant war er von dem Riesen abgeholt worden, den alle nur Atlas nannten. Atlas hatte ihm die Augen verbunden und war eine gefühlte Ewigkeit umhergefahren, bevor sie endlich an einem Lagerhaus am Fluss ankamen, vor dessen Tür L’Uomo sie bereits erwartete. L’Uomo entließ seinen Fahrer und hielt die schmutzige Stahltür für seinen Besucher auf. Unhöflichkeit war eine Eigenschaft, die man ihm nicht nachsagen konnte.
Sie gingen durch ein Gewirr mehrerer Flure, das an einer Tür endete. Zur Rechten gab es eine weitere Tür, und L’Uomo trat zu ihr, drehte den Knauf und bedeutete seinem Gast, näher zu kommen.
„Bitte.“
Besser, der ganze Aufwand lohnt sich auch, dachte der jüngere Mann. Er trat durch die Tür und ging dann einen langen Korridor hinunter, an dessen Ende ihn eine Stahltür mit einem eingelassenen Fenster erwartete. Er trat näher heran. L’Uomo war hinter ihm und lud ihn mit einer Geste ein, durch das Fenster zu schauen. So wenig es ihm auch gefiel, diesem Mann den Rücken zuzudrehen, er hatte keine andere Wahl. Lupenglas, ging ihm durch den Kopf.
Seine Augen brauchten einen Moment, um sich anzupassen. Auf dem Boden lag ein Körper. Ein männlicher Körper. Was zum Teufel …?
Er drehte sich zu L’Uomo um.
„Sie haben mich den ganzen Weg von den Toten hierher gebracht, um mir eine Leiche zu zeigen? Was für ein krankes Spiel spielen Sie denn jetzt schon wieder? Soll das eine neue Drohung sein? Tut mir leid, aber das interessiert mich nicht mehr.“
Einen Moment sah L’Uomo verwirrt aus, dann schaute er selber durch die Scheibe.
„Verdammt! Wo ist sie?“
Er riss die Tür auf und stürmte in die Halle. Der Mann namens Dusty lag in einem Haufen auf dem Boden, den Rücken der Decke zugewandt. Sein Kopf war zu drei Vierteln herumgedreht, offensichtlich nicht der natürliche Winkel.
L’Uomo schrie frustriert auf. Er war kein Mann, der leicht die Kontrolle verlor, aber diese offensichtliche Änderung seines durchtriebenen Plans hatte ihn kalt erwischt. „Sie hat ihm das Genick gebrochen. Ich kann es nicht glauben. Und es geschafft, zu fliehen. Das ist nicht gut. Das ist überhaupt nicht gut.“
Wut blitzte in den Augen des Mannes auf, und er richtete sie auf seinen Gast.
„Verdammter Hurensohn, Win. Deine verfluchte Tochter hat meinen Mann umgebracht. Das kann nicht ungesühnt bleiben.“ Er rauschte aus dem Raum und ließ Win zurück, der immer noch in die milchig weißen Augen des toten Fremden starrte.
Taylor? Taylor war hier gewesen? Taylor hatte das getan? Jesus, dann musste sie aber ganz schön wütend gewesen sein. Ein Gemütszustand, den sie eigentlich immer zur Schau trug, wenn es um Win ging.
Hurensohn war richtig. Wenn Anthony Malik entschieden hatte, Taylor ins Spiel zu bringen, hatte er ein größeres Problem, als er bisher vermutet hatte.
L’Uomo kehrte zurück, ruhiger, die blauen Augen aber immer noch umwölkt. „Dein kleines Mädchen hat es zur 108th geschafft. Wir müssen hier sofort verschwinden. Hast du immer noch das Boot, das ich für dich organisiert habe? Ja? Dann los.“
Er klappte sein Handy auf, drückte eine einzelne Taste und sprach mit angespannter Stimme zu dem, der den Anruf entgegengenommen hatte. „Ich brauche einen Aufräumer im Lagerhaus. Sofort.“