10. KAPITEL

Quantico, Virginia

Mittwoch, 17. Dezember

8:00 Uhr

Charlotte Douglas hob die Arme über ihren Kopf und streckte sich, sodass ihre Brüste gegen den Seidenstoff ihrer Bluse drückten. Drei Praktikanten, die gerade an ihrem Büro vorbeikamen, lungerten noch ein wenig länger im Flur herum und schauten sich die Show an. Sie reagierte auf die Zuschauer, indem sie ihren Rücken noch ein bisschen mehr durchbog und einen tiefen Seufzer ausstieß. Einer der Praktikanten stöhnte laut auf, und seine Freunde drängten ihn schnell weiter. Charlotte entspannte sich und unterdrückte ein Lachen. Jungs. Sie waren so einfach zu manipulieren. Jetzt würden sie sich tagelang in der Nähe aufhalten, begierig, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Es half, Laufburschen zu haben, besonders gut aussehende, dunkelhaarige Läufer von den besten Schulen des Landes. Mmmm …

Sie hatte Baldwin in seinem Büro angerufen und sich einen hässlichen kleinen Schlagabtausch mit ihm geliefert. Er hatte sie zu seinem Geschäftsführer abgeschoben, der wiederum Kontakt mit der Mordkommission in Nashville aufgenommen und einen Termin mit Captain Mitchell Price vereinbart hatte. Alles war vorbereitet. Sie kannte den Schneewittchenmörder in- und auswendig. Und sie wusste, dass sie ihn fangen konnte. Es war nur eine Frage des Timings.

Charlotte hatte den Hörer mit einem Lächeln aufgelegt und dann noch einen kurzen Anruf getätigt. Innerhalb von fünf Minuten stand Pietra Dunmore in ihrer Tür.

Es gab nichts im Bereich Forensik, das Pietra nicht wusste. Sie hatte mindestens sechs Bücher über dieses Thema selber geschrieben oder als Coautor mitgewirkt und stellte ihr Wissen an Universitäten und auf Seminaren im ganzen Land zur Verfügung. Sie war die unumstritten beste Kriminaltechnikerin der BSU. Die winzige Pietra war nur eins fünfzig groß, aber in allen anderen Bereichen ein wahrer Riese. Charlotte bewunderte diese Frau auf gewisse Weise und wusste, dass Pietras schwarze Hautfarbe dafür sorgte, dass sie wohl kaum jemals um die gleichen Männer buhlen würden. Pietra traf sich nicht mit Weißen und Charlotte nicht mit Schwarzen. So einfach war das.

„Was kann ich für dich tun, Charlotte?“

„Wir fliegen in den Süden.“

„Warum?“

„Du musst ein paar Ergebnisse aus dem Schneewittchenfall präsentieren. Ich habe dir die Details per E-Mail geschickt.“

Trotz Charlottes dramatischer Darbietung war Pietra ungerührt. „Alt oder neu?“

Charlotte hatte der Frau ein breites Lächeln geschenkt. „Beides. Wir haben aufregende Neuigkeiten mitzuteilen.“

Jetzt stand Pietra in ihrer Tür, die Aktentasche in der Hand. Es war an der Zeit, aufzubrechen. An der Zeit, ihr Zeichen zu setzen. Es war einfach an der Zeit.