32. KAPITEL

Irgendwo

Montag, 22. Dezember

3:00 Uhr

Der Lärm war ohrenbetäubend. Es klang wie das Summen einer Hummel – nur dreimal so laut. Es kam nah an ihr Ohr, und sie wollte es verscheuchen. Doch sie konnte ihren Arm nicht heben. Ihre Hand blieb wie angewachsen an ihrer Seite. Was zum Teufel sollte das?

Sie öffnete die Augen. Nun, tot war sie wohl zumindest nicht. Außer wenn Himmel oder Hölle oder welcher Ort auch immer nach ihrem Ableben für sie vorgesehen war aussah wie ein Lagerhaus. Vielleicht war sie im Fegefeuer? Nein, daran glaubte sie nicht. Es gab nur oben oder unten. Auch wenn sie in ihrem Leben weiß Gott genug Blut vergossen hatte, um sich auf direktem Weg nach unten zu begeben. Bei dem Gedanken verzog sie das Gesicht, und ein scharfer Schmerz schoss durch ihren Kopf. Sie versuchte erneut, die Augen zu öffnen, dieses Mal langsam. Erst gab sie dem rechten Auge Zeit, zu fokussieren, dann dem linken. Ihr Kopf brummte; es war keine Hummel, sondern ihr Gehirn, das Klangwellen im Tausend-Dezibel-Bereich von sich gab. Ihr Blick landete auf etwas, das aussah wie eine Betonsäule. Langsam ließ sie ihn durch den Raum schweifen. In ihrem Kopf hämmerte es, aber der Eindruck blieb derselbe. Ein Lagerhaus.

Sie versuchte, aufzustehen, und bekam kaum mit, dass es ihr nicht gelingen wollte. Um sie herum drehte sich alles, dann hüllte Dunkelheit sie ein.

Er spürte die Bewegung, stand auf und trat an das Fenster, durch das er in den Raum schauen konnte. Sie war wach. Gut. Es war beinahe so weit. Er wollte mit ihr reden, ihre rauchige Stimme wieder hören. Aber sie brauchte ewig, um sich von den Folgen des Elektroschockers zu erholen. Vielleicht war es auch etwas zu viel Chloroform gewesen. Er wusste nicht, wie stark sie war, wie heftig sie sich wehren würde. Sie war sogar einen Augenblick zu sich gekommen, als er sie zum Flugzeug getragen hatte. Er hatte gespürt, wie ihre Muskeln sich anspannten, und ihr ein mit Chloroform getränktes Taschentuch über Mund und Nase gehalten.

Schon vor Stunden hatte er gehofft, dass sie aufwachen würde. Stattdessen saß sie angebunden auf diesem Stuhl und schlief. Er hatte das Gefühl, dass sie sogar geträumt hatte. Ihre Augen waren unter den Lidern hin und her gerollt, und sie hatte leise gestöhnt. Dieses Stöhnen hatte in zwei Sekunden mehr in ihm ausgelöst als alle Frauen in den letzten zwei Jahren. Sie war einfach nur köstlich. Er wollte sie. In so vielerlei Hinsicht.

Während er sie beobachtete, bewegte sie sich ein bisschen, dann schlief sie wieder ein. Vielleicht war es doch noch nicht so weit. Zu schade.

Er tätigte einen Anruf und ließ L’Uomo wissen, dass sie langsam zu sich kam. L’Uomo hatte ihn gewarnt, seine Finger von ihr zu lassen, aber er sehnte sich danach, ihre Haut erneut zu berühren, die so warm, so fest war.

Wieder regte sich was in dem Raum. Ja, sie war jetzt vollständig wach.

Am Fenster stehend, beobachtete er sie, bewunderte ihre Schönheit. Sie versuchte, ihren Kopf zu schütteln, was sie zu seiner unendlichen Freude laut aufstöhnen ließ. Vielleicht konnte er sie nicht berühren, aber niemand hatte gesagt, dass das auch für ihn selbst galt. Seine Hand rutschte zum Reißverschluss seiner Hose, und er griff hinein, umfasste sich. Eine bewegungsunfähig gemachte Frau, an einen Stuhl gebunden – ein normaler Mann würde sich ritterlich benehmen und nicht erregt und hart wie Stahl sein. Er brauchte nur ein paar schnelle Handbewegungen, dann schloss er seine Augen und ergab sich dem Höhepunkt.

„Atlas, du widerliche Kreatur.“

L’Uomos Stimme dröhnte an sein Ohr, und Atlas öffnete geschockt die Augen, die Hand immer noch um seinen rapide schrumpfenden Penis gelegt. Oh Gott, er war erwischt worden. Rückwärts stolperte er gegen die Wand und versuchte, seinen Schwanz wieder in die Hose zu stopfen, während ein adretter grauhaariger Gentleman ihn mit Ekel in den Augen beobachtete.

„Es tut mir leid, es tut mir leid, es hat mich einfach überkommen.“ Atlas senkte den Kopf.

„Offensichtlich bist du nicht in der Lage, diese Situation zu handhaben, Atlas. Du bist entlassen. Schick Dusty, damit er dich ersetzt. Sag ihm, keine Bücher, das hier verlangt seine höchste Aufmerksamkeit. Du kannst jetzt gehen.“

Atlas drehte sich zum Fenster und warf einen letzten Blick auf die Frau. „Wunderschön“, murmelte er, dann verließ er den kleinen Beobachtungsraum.

L’Uomo stand am Fenster und sah zu, wie Taylor Jackson gegen ihre Fesseln ankämpfte. Wunderschön, wie wahr. Aber er konnte es sich nicht leisten, seine Männer von einem hilflosen Sukkubus ablenken zu lassen. Dusty würde mit ihr fertig werden; er schien nichts für das andere Geschlecht zu empfinden. Wie sollte er auch, die vom Gericht angeordneten Depo-Provera-Spritzen, die er regelmäßig bekam, kastrierten ihn sehr effektiv.

Die Frau kämpfte nun richtig, sie war bei vollem Bewusstsein und versuchte, die Fesseln zu lösen. Er sah zu und fühlte selber ein leichtes Ziehen in den Lenden. Wenn er sie ließe, würde sie stundenlang so weitermachen. Zähes Mädchen. Er würde mit ihr sprechen, sie davor bewahren, sich selber zu verletzen. Sicher würde sie sich bald erleichtern müssen, und dann mussten sie ihr was zu essen und zu trinken geben.

Er bewunderte ihre Willenskraft. Was ein hohes Kompliment war von einem Mann, der nichts und niemanden bewunderte.