17. KAPITEL

Im Kamin brannte ein Feuer. Doch die gemütliche Szene konnte kaum über die angespannte Stimmung im Raum hinwegtäuschen. Der Schneewittchenmörder lief schäumend vor Wut auf und ab, wobei er sich schwer auf seinen Stock stützte.

„Verdammt, ich hatte Nein gesagt. Du hattest kein Recht, ohne meine Erlaubnis fortzufahren. Das war nicht Teil unserer Verabredung, du hirnloser Hurensohn. Diese Dinge müssen mit Vorsicht behandelt werden. Du hast unsere ganze Arbeit zunichtegemacht. Deinetwegen werden sie uns noch auf die Spur kommen.“

„Halt’s Maul, alter Mann. Ich habe getan, was getan werden musste. Du lässt mich ja nicht die dumme Schlampe töten, die wir uns gestern geschnappt haben. Ich musste es aus meinem System kriegen. Meine Güte, es sind nur Huren.“

Der Schneewittchenmörder wandte sich an das dritte Mitglied im Raum.

„Hast du das abgesegnet? Hast du ihm erlaubt, vom Protokoll abzuweichen? Ich schwöre dir, wenn einer von euch mich hier abkochen will, werde ich dafür sorgen, dass ihr nie vergesst, was es bedeutet, mich zum Feind zu haben.“

Die Frau drehte sich um. „Ich habe nicht mehr Kontrolle über ihn als du. Das wusstest du, als ich ihn dir gebracht habe. Er ist ein Soziopath.“

Der jüngere Mann schlug einen spöttischen Ton an. „Danke, Darling. Aus deinem Mund ist das wahrlich ein großes Kompliment.“

Sie sah ihn mit gerunzelter Stirn an. „Gern geschehen, auch wenn ich nicht mit dir einer Meinung bin. Sich in diesem Stadium des Spiels von den Vorgaben zu lösen könnte alles zum Scheitern bringen. Du willst doch, dass ich glücklich bin, oder?“

Der Schneewittchenmörder fühlte, wie ein Schrei aus ihm herausbrechen wollte. „Klappe halten, alle beide. Wir müssen herausfinden, was jetzt passiert, ob wir die ganze Sache abbrechen müssen. Was hast du dem Mädchen angetan?“

„Ich habe ihr gar nichts angetan. Sie ist in Sicherheit. Zumindest für den Moment.“

„Danach habe ich nicht gefragt. Wo ist sie? Ich will sie sehen.“

Sein Protegé streckte sich beiläufig und lächelte. „Sie ist sicher. Ich habe sie nicht angerührt. Aber das werde ich noch, glaub mir.“

„Leg Hand an sie, und du bist tot, bevor du blinzeln konntest. Du hast das Muster unterbrochen. Meine Regeln missachtet. Ich bestimme, wann du tötest. Und jetzt bist du losgezogen und hast so etwas angerichtet? Mit diesen … besudelten Dingern? Wir haben unsere Standards. Erst bist du so dumm, dir die Tochter einer Prominenten auszuwählen. So unbedeutend ihre Mutter auch sein mag, sie lenkt zu viel Aufmerksamkeit auf den Fall. Dann sicherst du dir noch mehr Medienecho, indem du dir ausgerechnet eine Reporterin greifst? Von einer der angesehensten Zeitungen? Wir hatten eine Vereinbarung! Du hättest mir genauso gut direkt ins Gesicht spucken können. Wenn du noch einmal von meinem Plan abweichst, wird dich das den Kopf kosten. Merk dir meine Worte. Sie sind jetzt hinter uns her, und das ist eindeutig zu früh.“

„Du hast auch nicht bemerkt, wer die kleine Jane war, alter Mann. Du steckst da genauso drin wie ich. Glaub ja nicht, dass ich das vergessen werde.“

„Du fasst sie nicht an, ist das klar?“

Der Schneewittchenmörder starrte seinen Lehrling an. Seine Drohungen waren leer; ihm fehlte die körperliche Kraft, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen, und der Junge wusste das. Der impertinente Idiot war gierig geworden, konnte seinen lächerlichen Hunger danach, Leben auszulöschen, nicht mal für ein paar Tage im Zaum halten. Er wusste, dass sie jetzt in Schwierigkeiten steckten.

Die Zimmertür wurde geöffnet.

„Vater?“

„Oh, der blinde Knecht. Willst du sehen, was dein Daddy mit echten Menschen ausheckt? Ich wette, er bereut den Tag, an dem du in diese Welt geworfen wurdest.“

Der Schneewittchenmörder kicherte, aber die Frau richtete sich verärgert auf. „Hey. Das ist mein Bruder, mit dem du da redest. Wage es ja nicht, so mit ihm zu sprechen. Hast du mich verstanden?“

„Sonst passiert was, Prinzessin?“

Sie ignorierte ihn und ging zu der deformierten Kreatur hinüber, die sie Bruder nannte. „Er meint es nicht so, er weiß es einfach nicht besser. Er ist ein Wüstling, Joshua. Komm, wir holen dir was zu trinken, ja?“ Gemeinsam verließen sie den Raum, und ihr Vater seufzte.

„Seit dem Augenblick, wo dieser Junge von der Schlampe ausgespuckt wurde, die sie ihre Mutter nennt, liebt sie ihn abgöttisch. Ich glaube nicht, dass Charlotte sich an ihre Mutter erinnert. Sie ist bei der Geburt von Joshua gestorben. Sie legten ihn ihr auf die Brust, und im selben Moment war sie weg. Als wenn sie den Anblick dessen, was sie da erschaffen hatte, nicht ertragen konnte.“

„Das ist eine Krankheit, alter Mann. Genauso wie du eine hast, nur dass seine sein Gesicht verkrüppelt und nicht die Seele.“

„Ach, sind wir heute nicht ein kleiner Philosoph? Vor einem Moment hast du ihn noch beleidigt. Woher kommt der Sinneswandel?“

„Das ist kein Sinneswandel. Ich habe kein Mitgefühl, das weißt du. Aber ich bewundere deine geschätzte Tochter für ihre Loyalität. Und jetzt genug davon. Ich bin müde. Ich hatte einen langen Tag und werde mich jetzt hinlegen.“

„Lass die Finger von dem Mädchen!“

Er verließ den Raum, und der Schneewittchenmörder ließ sich in seinen Stuhl sacken. Er hätte nicht zuhören sollen. Hätte nicht zulassen dürfen, dass es so schnell voranging. Zu wenig Planung und ein kurzsichtiges Monster, das sich jederzeit von der kurzen Leine losreißen konnte. Sosehr er es genossen hatte, davon zu hören, ein Teil davon zu sein, zu spüren, wie der Atem den Körper verließ, zu sehen, wie das Licht in den Augen dunkler wurde, wenn die Seele ging – er wusste, dass es zu viel war. Zu viele in zu kurzer Zeit. Der Junge war ihr Untergang.