18. KAPITEL

Frank Richardson nahm die Lesebrille ab und rieb sich die Augen. Sein Gehirn schien leer gefegt. Er war alle Akten noch einmal durchgegangen, hatte seine Stories gelesen und Kopien der wichtigen Passagen angefertigt. Alles in allem hatte er über die Jahre mehr als vierhundert Artikel über den Schneewittchenmörder geschrieben.

Er erinnerte sich an diese Zeiten. Es war ein berauschendes Gefühl gewesen, den Einwohnern Nashvilles die schlimmstmöglichen Informationen mitteilen zu müssen. Damals hatte er eng mit den Cops zusammengearbeitet und mehr Exklusivberichte erhalten, als ein Reporter erhalten sollte, sowohl legal als auch auf andere Art. Er war stolz auf seine Arbeit, auf seine Aufmerksamkeit für Details, seine akribischen Analysen. Keine Vorverurteilung, keine Anschuldigungen gegen die Polizei, weil sie zu langsam arbeitete, sondern einfach nur solider Journalismus, der über das Wirken des Schneewittchenmörders berichtete.

Er wusste, dass Taylor an den Aspekten seiner Arbeit interessiert war, die sich mit möglichen Verdächtigen befassten. Sie hatte ihm von dem vermissten Siegelring erzählt und von ihren Vorbehalten gegenüber Burt Mars. Frank war daraufhin so frei gewesen, Mars aufzuspüren. Seine letzte bekannte Adresse war in Manhattan. Es war keine leichte Arbeit gewesen, aber was er herausgefunden hatte, erstaunte ihn. Lieutenant Jackson hatte recht damit, argwöhnisch zu sein.

Burt Mars war 1989 im Zuge eines Finanzskandals aus Nashville fortgezogen. Für seine Suche nach Geld und Anonymität hatte er sich den Norden des Landes ausgewählt. Mehrere Jahre verschwand er völlig von der Bildfläche, um dann wieder aufzutauchen, allerdings nicht mehr anonym. Er eröffnete eine Buchhaltungsfirma in der Lower East Side von Manhattan. Innerhalb von sechs Jahren erarbeitete er sich einen gewissen Ruf und war bei der Polizei bekannt wie ein bunter Hund. Wer nahm sich auch schon vor, ein notorischer Scheckfälscher und Aktienbetrüger zu werden? Nachdem er wegen Teilnahme am organisierten Verbrechen und Bestechung verurteilt worden war, hatte Mars ein paar Jahre im Staatsgefängnis von Otisville verbracht.

Inzwischen war er wieder frei und hatte eine neue Beratungsfirma für Immobilienfonds gegründet. Diese konnten einfach manipuliert werden, doch nach Mars’ öffentlich einsehbaren Konten war seine Firma sauber. Trotzdem munkelte man hinter vorgehaltener Hand, dass er weiterhin mit der Mafia zusammenarbeitete. Er hatte Verbindungen zu mehreren Geschäftsleuten, die der New Yorker Polizei nur zu bekannt waren, doch es gab keine offiziellen Untersuchungen, um ihm eine Teilnahme am organisierten Verbrechen nachzuweisen. Wenn er Dreck am Stecken hatte, war Mars inzwischen viel vorsichtiger geworden. An der Oberfläche wirkte seine Firma vollkommen legal, und mit Kriminellen befreundet zu sein war kein Verbrechen.

Allerdings war Richardson viele Jahre Reporter gewesen. Sein über die Jahre fein geschliffener Instinkt, den Dingen auf den Grund zu gehen, ließ ihn eine Ratte meilenweit riechen. Und Mars führte nichts Gutes im Schilde.

Richardson hatte den Tag mit Recherchen verbracht, sowohl am Telefon als auch im Internet, außerdem hatte er den einen oder anderen Gefallen eingefordert. Dabei drängten sich ihm einige sehr interessante Schlussfolgerungen auf. Sein Gefühl zahlte sich aus. Diese Geschichte war riesig.

Er fühlte sich so lebendig wie seit Wochen, ach was, Monaten nicht mehr. Zurück auf der Jagd. Er schmiedete bereits Pläne, über diese Geschichte zu schreiben, sich ein kleines Vermögen mit dem Verkauf der Buchrechte zu verdienen. Das hier war die Art von Story, die Millionen einbrachte.

Er druckte alle Informationen aus, die er finden konnte, inklusive Adressen und Telefonnummern. Bei der Arbeit war er immer gründlich. Er mochte Taylor Jackson und bewunderte ihren Mumm. Und ihre langen Beine. Ihr Verlobter war ein glücklicher Mann, so viel stand fest. Um ehrlich zu sein, sie erinnerte ihn ein wenig an seine Frau, als die noch jünger war.

Quietschfidel packte Frank seine Sachen zusammen. Wenn er sich beeilte, würde er die hübsche Lieutenant noch in ihrem Büro erreichen, bevor sie Feierabend machte.