27. KAPITEL

Nashville, Tennessee

Samstag, 20. Dezember

15:40 Uhr

Unruhig lief Baldwin vor dem Prachtbau der St.-George’s-Kirche auf und ab. Er sah alles und nichts, war sich der Kälte vage bewusst. Statt eines Mantels trug er nur den förmlichen Cut – traditionell in Dunkelgrau gehalten, die Hose mit einem ganz leichten Streifen, taubengrau karierte Weste, dazu eine schiefergraue Krawatte mit einem Perlenstecker, die seinem Ururgroßvater gehört hatte. Taylor mochte ihn auslachen, weil er so ein Dandy war, aber er hatte vor, das hier nur einmal zu erleben, und deshalb wollte er es richtig machen. Außerdem erinnerten ihn die verschiedenen Grautöne an ihre Augen.

Aber wo war die Braut?

Er schaute noch einmal auf seine Uhr. Sie war schon vierzig Minuten zu spät. Innerlich starb er, schrumpfte von Sekunde zu Sekunde. Jeder Herzschlag schmerzte ein bisschen mehr als der vorherige. In allen Vorstellungen, die er sich von diesem Tag gemacht hatte, war die Möglichkeit, dass Taylor nicht erscheinen würde, nicht vorgekommen.

Die St. George’s Episcopal Church lag in Belle Meade, keine fünfzehn Minuten vom Hermitage Hotel in der Innenstadt von Nashville entfernt. Zehn Minuten, wenn alle Ampeln auf Grün standen und kein Verkehr herrschte. Es gab keinen Grund dafür, dass die Limousine so lange brauchte. Wenn sie liegen geblieben war oder sie einen Unfall gehabt hatten, hätte der Autoverleih oder einer der aufnehmenden Polizeibeamten ihn doch informiert. Beinahe die gesamte Hochzeitsgesellschaft bestand aus Mitgliedern der verschiedenen Strafverfolgungsbehörden. Entweder Kollegen von der Metro oder aus der Rechtsmedizin. Nashville war klein genug, dass nur wenige Mitglieder des Metro Police Department nicht darüber informiert sein dürften, dass der Lieutenant heute unter die Haube kam.

Es hatte keinen Zweck, sie auf ihrem Handy anrufen zu wollen, denn Sam hatte es in ihre Windeltasche gesteckt, weil Taylor keinen Platz dafür gehabt hatte.

Baldwin unterdrückte den Drang, sich den Cut auszuziehen und schreiend über den Parkplatz zu laufen. Verdammt, wo zum Teufel war diese Frau? Wie konnte sie ihm das nur antun?

Ein Schwall warmer Luft traf Baldwin mitten im Gehen, und Töne aus Händels Wassermusik schwebten an sein Ohr. Fitz trat durch die schwere dunkle Tür, die in das Hauptschiff der Kirche führte. Ein onkelhaftes Lächeln umspielte sein breites Gesicht. Baldwin hörte für einen Moment auf, hin und her zu gehen. Er freute sich über die kurzfristige Wärme und die Gesellschaft.

„Mein Sohn“, setzte Fitz an, aber Baldwin schüttelte den Kopf und hob abwehrend eine Hand.

„Ich will es nicht hören.“

„Sohn …“

„Ich weiß, was du sagen willst, Fitz.“ Er verfiel in einen tiefen Bariton mit starkem Südstaatenakzent. „Du kennst sie noch nicht so lange. Das war alles überstürzt. Sie ist eine Wilde, Baldwin, und das meine ich auf gute Art.“ Er wechselte zu seiner normalen Stimme. „Ich weiß, dass ihr alle schockiert wart, wie sehr wir uns ineinander verliebt haben. Du willst sagen, dass es so vielleicht am besten ist, nicht wahr? Du warst von Anfang an nicht einverstanden.“ Er schaute den älteren Mann an. „Und hör auf, mich Sohn zu nennen.“

„Hey, Junior. Du verstehst es einfach nicht, oder?“

Baldwin schaukelte auf seinen Fersen und starrte Fitz mit offenem Mund an. Entrüstung machte sich in seiner Brust breit, und er konnte nicht anders als auszukeilen.

„Du Hurensohn. Du hast ihr eingeredet, dass sie durchbrennen soll, oder? Du hast ihr den Ausweg gezeigt. Ich weiß, dass sie ein bisschen Panik vor dieser großen Hochzeit hatte, aber … Ich kann es einfach nicht glauben.“ Er stapfte davon, dann wirbelte er herum, das Kinn vorgereckt, die Hände zu Fäusten geballt. „Und du stehst da mit deinem Grinsen und findest das alles lustig oder was?“

Fitz hustete hinter vorgehaltener Hand. „Lustig? Nein, so würde ich es nicht nennen. Deine Reaktion ist ganz amüsant, ja, aber ich denke nicht, dass dieser Situation irgendetwas Komisches anhaftet. Wie gut kennst du sie wirklich, Sohn? Glaubst du ernsthaft, dass sie dich am Altar stehen lassen würde?“

„Ich …“ Baldwin schluckte schwer. Seine Hände entspannten sich, die Schultern sackten nach unten. Er biss die Zähne zusammen, was einen kleinen Muskel an seinem Kiefer zum Leben erweckte. Glaubte er das? Konnte er sich wirklich vorstellen, dass die Liebe seines Lebens so gnadenlos und ängstlich war, dass sie einfach nicht auf der Hochzeit auftauchte? Der Knoten in seiner Brust fing an, sich aufzulösen, nur um von einem noch größeren, schmerzhafteren Klumpen ersetzt zu werden.

„Endlich dämmert es dir, was, Sohn?“

Ja, endlich dämmerte es ihm. Fitz war sauer auf ihn, weil er sein Vertrauen in Taylor verloren hatte. Dass er überhaupt nur für den Bruchteil einer Sekunde hatte glauben können, dass diese starke, erstaunliche, schöne Frau nicht den Mut hätte, ihm ins Gesicht zu sagen, wenn sie ihn nicht heiraten wollte. Grauen überspülte ihn wie ein Eimer Wasser. Er sah Fitz an, sah ihn zum ersten Mal richtig. Sein Lächeln war nicht freundlich, es war angespannt und besorgt. Kleine Falten zeigten sich zwischen den Brauen des älteren Mannes.

„Jesus, Fitz, was glaubst du, was mit ihr passiert ist?“

„Ich weiß es nicht, aber ich denke, es ist an der Zeit, reinzugehen und um Hilfe zu bitten.“