38.
„Schmerzlich ist die Wahrheit, ich will sie weder hören noch mit ihr leben.“
Zitat aus: Der Ruf des Korabal“, Komödie von Shila von Erten
Avanya führte ihren Liebsten durch Roen Orms überfüllte Straßen. Es gefiel ihnen beiden nicht, hier zu sein, die Menschen fürchteten sich offensichtlich vor ihnen. Misstrauisch wurde jeder ihrer Schritte beobachtet. Die Massen waren aufgescheucht von dem, was heute alles geschehen war.
„Wir müssen da hinüber“, flüsterte sie und deutete in eine stille Gasse. Eiven quetschte sich mühsam zwischen dem engen Spalt der Häuserwände hindurch, um ihr folgen zu können, froh, den Blicken zu entkommen.
„Niyam hatte von dem Misstrauen der Menschen erzählt, aber nicht, wie schlimm das sein kann“, murmelte er, während er sich die aufgeschürften Flügel rieb, soweit er sie erreichen konnte.
„Gleich, Eiven … ah, dort ist es!“ Avanya fand die geheimen Symbole und Linien, die den Eingang zu den Nola-Tunneln öffneten, und brachte sich mit Eiven zusammen auf die andere Seite. Mit einer Handbewegung sorgte sie für Licht, vergewisserte sich dabei rasch, dass hier oben seit langer Zeit niemand mehr gewesen war.
„Nola kommen selten so nah an die Stadt heran, das ist mein Glück. Man würde mich nicht sofort erschlagen, nur weil ich als Verstoßene einen der Tunnel nutze, aber wenn man mich mit einem fremden Loy zusammen findet, wird man uns beide als Feinde betrachten.“ Sie holte den Kristall hervor, den Thamar für sie bewahrt hatte. Der geheimnisvolle Vogel aus der Urzeit hatte ihn magisch verändert.
„Nun denn, erzähl mir, was genau du eigentlich suchst. Maondny sagte, ich kann es für dich finden.“
Eiven seufzte und verschränkte unbehaglich die Arme vor der Brust. Diese Tunnelwände, egal wie hell erleuchtet, gefielen ihm genauso wenig wie die misstrauischen Menschen auf der anderen Seite, das war Avanya bewusst.
„Der Larcima, der Gedankenstein, ist ein Mythos meines Volkes, ich habe dir bereits fast alles darüber erzählt, was ich selbst weiß. Die Alten sollen die Schöpfungsgeschichte darin geborgen haben, er gilt als größtes Heiligtum der Loy. Wie er verloren ging, weiß niemand, unzählige Krieger und Kriegerinnen haben seit undenklichen Zeiten danach gesucht. Manche sagten, er sei im Nihashgebirge, andere vermuten ihn in den Sümpfen von Ulaun. Die meisten glauben aber fest daran, dass Nola ihn einst gestohlen und nach Malaby, ihrer Hauptstadt unterhalb von Roen Orm verschleppt haben. Niyam hat lange danach gesucht und auch Hinweise gefunden, dass er tatsächlich hier verborgen sein muss, irgendwo zwischen Roen Orm und Malaby.“
Avanya dachte nach, ging im Geiste alle Legenden, Mythen und Erzählungen durch, die ihre Mutter ihr jemals am Schlaflager erzählt hatte. Ihre Mutter … Wie sehr vermisste sie ihre Familie!
Unwillig wischte sie sich die Tränen aus den Augen, die dafür sorgten, dass sie den Kristall in ihrer Hand von Regenbogenschleiern umgeben sah.
Plötzlich erstarrte sie, blickte ungläubig vom Kristall hoch zu Eiven und wieder zurück.
„Bei der Weisheit, das muss es sein!“, rief sie, und lachte auf, als sie Eivens Verständnislosigkeit bemerkte.
„Man erzählt bei uns den Kleinsten Gute Nacht-Geschichten über den Regenbogenstein. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es den wirklich gibt, aber es passt! Hör zu:
Vor langer, langer Zeit gab es Krieg zwischen den Nola und den Loy. Als der beendet wurde, brachten die Geflügelten einen Stein als Friedensgeschenk. Man nennt ihn den Regenbogenstein, weil er in allen Farben leuchtet, sobald Fackellicht auf ihn fällt, obwohl er nicht aus Kristall gemacht wurde, sondern aus einem Material besteht, das wir Nola nicht kennen. Ah, die Geschichte geht noch endlos weiter, sie erzählt von Nolakindern, die den Regenbogenstein nehmen wollten, um nicht im Dunkeln schlafen zu müssen, sich dabei die Finger verbrannten und ihn rasch versteckten, um nicht ausgeschimpft zu werden, was natürlich nicht gelungen ist. Es soll halt den Kleinsten die Angst vor der Dunkelheit nehmen und gleichzeitig warnen, leichtsinnig mit magischen Dingen zu spielen.“
„Das klingt fast zu gut, um wahr zu sein“, murmelte Eiven unentschlossen.
„Du weißt doch, am Grund des Brunnens der Überlieferung schöpfst du Erkenntnis. Wenn nur genug Zeit vergeht, dass niemand sich mehr an die wahren Begebenheiten erinnert, wird daraus irgendwann tatsächlich ein Kindermärchen.“
„Und wo soll man den Regenbogenstein versteckt haben?“
„Lass mich nachdenken. Es muss in der Nähe sein, sonst könnten wir ihn nicht auf die Schnelle finden, wie die Elfe behauptet hat. Niyam vermutete ihn zwischen Roen Orm und Malaby.“ Avanya furchte die Stirn und versuchte, sich an die Erzählungen ihrer Mutter zu erinnern.
„Hm …Die Kinder … und sie schlüpften aus der Tür hinaus, vorbei am Wächter, der nicht auf die winzigen Gestalten achtete … Ja, damit wäre man schon außerhalb von Malaby“, murmelte sie, den Blick in die Ferne gerichtet. „Und hinauf ging der Weg, immer hinauf, vorbei an den Brücken und vorbei an den endlos Schlafenden …“
Ratlos schüttelte sie den Kopf. „Ich erinnere mich nicht sehr gut, und ich weiß nicht, was mit den endlos Schlafenden gemeint ist. Das hat glaube ich noch niemand enträtselt. Zu einfach kann es auch nicht sein, sonst hätte man den Regenbogenstein längst gefunden und nach Malaby gebracht, nicht wahr?“
Niedergeschlagen nickte Eiven ihr zu. „Können wir uns zu diesen Brücken schleichen, ohne von deinen Leuten erwischt zu werden? Weißt du, wo die sind?“, fragte er ohne Hoffnung.
Doch Avanya nickte sofort: „Können wir, wenn wir sehr vorsichtig sind. Die Brücken befinden sich in einem Tunnelabschnitt, den niemand mehr benutzt, nachdem von dort häufig Angriffe der Chyrsk erfolgt waren. Dort wurde einiges zerstört, man hat mehrere Haupttunnel versiegelt.“
„Möglicherweise können wir also gar nicht mehr zum Stein gelangen?“
„Doch. Ich kann ein Nola-Siegel jederzeit lösen. Komm!“
Avanya kauerte am Boden, Eiven spürte ihre Anspannung.
„Wir sind da!“, wisperte sie ihm zu. Ihm war ebenso klar wie ihr, dass sich Noliwächter in der Nähe befanden, Malabys Tore lagen kaum ein Steinwurf hinter ihnen. Es war schwierig genug gewesen, sich an ihnen vorbeizuschleichen, ohne entdeckt zu werden. Vor ihnen öffnete sich ein Abgrund, dessen Tiefe in der lichtlosen Finsternis so wenig zu bestimmen war wie die Entfernung zur anderen Seite. Avanya strahlte einen Hauch von Licht aus, der gerade genügte, dass sie beide sich orientieren konnten.
„Es gibt noch mehr Brücken, hier und an anderen Stellen. Sie dienen der Verteidigung von Malaby, und dem Zugang zu den Kristallfeldern. Ich denke aber, wir sind richtig, ich glaube zu wissen, wer mit den ewig Schlafenden gemeint ist.“ Sie zögerte noch einen Moment, dann nickte sie Eiven zu. „Sicherer als jetzt wird es nicht.“
„Warte, wir müssen nicht die Brücke nehmen.“ Bevor Avanya ihn abwehren konnte, hatte Eiven sie gepackt und flog mit ihr in die Dunkelheit hinein, über den Abgrund. Warme Aufwinde halfen ihm, die rund zweihundert Schritt rasch zu überwinden.
„Ich hasse das!“, wisperte Avanya, als er sie wieder auf festen Boden absetzte. Sie hatte die Augen fest geschlossen, ihr inneres Licht flackerte leicht.
„Du hast dir einen Geflügelten zum Freund gesucht, da musst du mit solchen Überraschungen einfach rechnen“, sagte er, umarmte sie und gab ihr einen innigen Kuss. „Wird es gehen?“
„Sicher. Ich werde mich rächen, mein Lieber, die Tunnel, die auf uns warten, sind ausgesprochen eng und niedrig!“, knurrte sie, aber er hörte das Lachen in ihrer Stimme.
„Komm, bevor die Wächter uns doch noch hören!“
Sie folgten dem Weg, der hinter der Brücke begann. Avanya hatte nicht übertrieben, er führte durch Gänge, die sehr niedrig waren. So sehr, dass es Eiven fast alles kostete, was er an Selbstbeherrschung aufzubieten hatte, um sich hindurchzuquälen. Dafür musste er noch mehr als einmal seine Flügel nutzen, um Abgründe zu überwinden.
Nach einer gefühlten Ewigkeit gelangten sie an den Fuß eines Tunnels, der steil nach oben führte. Links und rechts ragten seltsame Statuen auf, halb verwitterte Gestalten, die entfernt an gesichtslose Chyrsk erinnerten.
„Niemand weiß mehr, was sie genau darstellen sollen. Es existieren Zeichnungen und Erzählungen von ihnen, gesehen hat sie seit Ewigkeiten niemand mehr. Sie haben keine Augen, deshalb sind sie untauglich als Wächter. Im Dialekt der Nola bedeutet Wächter so viel wie „der, der ewig wacht“, womit sowohl aufpassen als auch nicht-schlafen gemeint ist. Wer keine Augen hat, also nicht wachen kann, befindet sich also im ewigen Schlaf. Ich denke, das muss es sein.“ Sie lächelte verlegen. „Zumindest bilde ich es mir ein. Den Gedanken hatte ich schon vor langer Zeit, als ich den alten Dialekt gelernt hatte und ich weiß, dass andere ebenfalls von dieser Möglichkeit überzeugt waren, es nur nicht prüfen konnten, weil die Wege nicht mehr begehbar sind.“
Zweifelnd betrachtete Eiven die Statuen. „Und es sind nicht doch eher die Toten mit den ewig Schlafenden gemeint? Irgendwelche Statuen, die fast vergessen sind, klingt etwas weit hergeholt … Habt ihr keinen Ort, an dem ihr eure Verstorbenen lasst?“, fragte er.
„Gewiss. Ich weiß aber, dass schon viele versucht haben, auf den alten Friedhöfen Hinweise auf den Regenbogenstein zu finden, und niemals Erfolg hatten.“
„Wie geht die Legende denn weiter?“
„Sie liefen, und liefen, bis zur Mitte aller Dinge, und fanden dort, was sie begehrten.“
„Und was kann das bedeuten, die Mitte aller Dinge?“ Eiven unterdrückte ein erschöpftes Seufzen. Das Wissen, hunderte Schritt Erde und Gestein über sich zu haben, zehrte an seinen Nerven.
„Ich weiß es nicht. Dieser Tunnel ist zerstört, etwa auf halber Höhe geht es nicht weiter. Da ist ein riesiges Loch, dessen Ende noch niemand gefunden hat. Darum ist es seit langem verboten, hierher zu kommen. Niemand hat sich je die Mühe machen wollen, ihn zu reparieren, da sich niemand erinnert, wohin er führt.“
Eiven betrachtete die ihn umgebenden Wände. Es würde sehr eng werden.
„Ich kann versuchen, über das Loch zu fliegen, wenn dort genug Platz für mich ist. Sollte es allerdings enger werden als jetzt, besteht keine Aussicht durchzukommen.“
„Versuchen wir es“, erwiderte Avanya vertrauensvoll und ergriff seine Hand. „Sollte ich abstürzen, erwarte ich gerettet zu werden, verstanden?“
„Jawohl, Gnädigste.“ Eiven küsste sie rasch, dann begannen sie den endlosen Aufstieg. Stunden vergingen, in denen es oft genug nur Eivens Flügel waren, die sie vor dem Tod bewahrten. Über weite Strecken musste er Avanya tragen, bis sie endlich eine Höhle erreichten, die dicht unter der Oberfläche liegen musste. Avanya dachte nach, und nickte schließlich.
„Wir müssen genau in der Mitte unter Roen Orms erster Ebene stehen.“ Sie verstärkte ihr inneres Leuchten, und ein bunter Lichtregen erstrahlte. Gemeinsam eilten sie zu dem Stein, der dort in einer Nische in der Felswand ruhte: ein schwarzer Stein, ähnlich einem Onyx, so groß wie Eivens Kopf, durchzogen von weiß schimmernden Kristallstrukturen. Ehrfürchtig hoben sie dieses kostbare Artefakt heraus aus seiner Mulde, hielten ihn gemeinsam, wie der weiße Vogel es ihnen aufgetragen hatte.
„Nur zwei Kinder gegensätzlichen Herzens können sehen, was in ihm verborgen ist, und nur, wenn sie ihn gemeinsam halten. Erst, wenn du in den Larcima der Loy geblickt hast, Avanya, wirst du deinem Volk offenbaren können, was ich in deinen Kristall legte, es ist dasselbe Wissen. Die Geschichte all unserer Kinder.“
Sie wussten nicht, was sie tun sollten, um die Magie des Steins zu erwecken, doch diese Sorge war unnötig: Er leuchtete plötzlich in ihren Händen auf, und erfüllte ihre Gedanken mit Bildern aus fernen Zeiten.
Gemeinsam sahen sie, wovon bereits Thamar berichtet hatte: die Wesen der Tiefe und der Lüfte, die Ersten, vom Weltenschöpfer selbst erweckt. Von ihnen stammten Loy und Nola, Flügelpferde, Chyrsk und Saduj. Nachdem Pya und Ti diese Welt mit Magie und Leben gesegnet hatten, zogen die Ersten sich zurück und kehrten heim zum Weltenschöpfer. Nur der weiße Vogel, der freiwillig bei Thamar verblieb, war davon ausgenommen. Lange Zeit lebten alle Völker friedlich nebeneinander, gemeinsam legten sie den Grundstein für Roen Orm. Auch die Menschen waren dabei, jenes Volk, das zuletzt geboren wurde, erschaffen von den göttlichen Geschwistern. Hier, an genau dieser Stelle, war Pyas Splitter aufgeschlagen, wodurch der Weltenstrudel entstand. Danach war er ins Meer gestürzt, hatte Erdbeben und Vulkanausbrüche verursacht, Tod und Verderben über die Ersten gebracht. Durch Verschiebungen von Land und Meer war der Splitter dann bis an die Stelle gewandert, wo Thamar ihn viel, viel später finden würde, während der Weltenstrudel sich nach oben verlagert hatte. Die Völker Enras erbauten gemeinsam die ewige Stadt, jene, die Tiefe bevorzugten, lebten unterhalb der großen Klippe. Malaby war einst nichts weiter als der untere Ausläufer Roen Orms gewesen. Die anderen lebten unter freiem Himmel, bewachten dabei alle gemeinsam den Weltenstrudel.
Irgendwann entstand ein Ungleichgewicht: Die Nola begehrten jene Tunnel und Höhlen, die bis dahin von den Chyrsk bewohnt gewesen waren. Mit Magie und Gewalt verjagten sie dieses Volk und begannen damit den Krieg, der bis zum heutigen Tag andauerte. Die Chyrsk konnten nicht an der Oberfläche leben, sie hatten auf der langen Flucht das Wissen verloren, wie man sich Wohnräume schaffte, die nicht beständig einzustürzen drohten, wie man ausreichend Nahrung fand oder anbaute. Es war Hunger und die Suche nach sicherer Bleibe, was die Tunneltrolle antrieb, gegen die Nola zu kämpfen, kein Hass.
„Also das meinten die Legenden!“, rief Avanya fassungslos. „Das also war das Wichtigste, was der Segen der Götter uns stahl. Die Magie hat uns von den Chyrsk und Saduj getrennt, wir vergaßen, dass wir den gleichen Ursprung haben.“
„Sieh nur“, erwiderte Eiven, und wies auf den Larcima.
Die Loy und die Flügelpferde lockten die Saduj in die Tunnel der Nola, wissend, dass die klugen, geschickten vierbeinigen Jäger der Nacht vom kleinen Volk erbarmungslos angegriffen werden würden. Die Geflügelten rächten sich auf diese Weise, dass die Saduj immer wieder die Kinder der Loy und Flügelpferde angriffen. Diese scheinbar so feige Tat war wiederum nur Rache dafür, dass die Jungen der Saduj von den anderen Völkern gejagt wurden. Gemeinsam mit den Nola schafften sie es, die Saduj so sehr zu dezimieren, die Überlebenden dieser Rasse so grausam zu foltern, dass sie ihre Seelen verloren. Aus ihnen wurden feige Aasfresser, gefährlich nur in der Horde. Jeder Funken Magie oder göttlichen Segens in ihnen war verloren, der Stolz, den dieses Volk einst besaß, war durch nichts mehr zu retten.
Krieg, Hass und Blut kam über Nola und Loy, sie bekämpften einander, sie bekämpften sich auch untereinander, bis wenige Jahrhunderte nach Roen Orms Gründung alle Nachfahren der Ersten zerstritten waren. Sie flohen voreinander, und überließen die ewige Stadt den Menschen.
Zu erschüttert, um sprechen zu können, kehrten Avanya und Eiven zurück zur Brücke. Sie zeigten sich offen den Noliwächtern, wussten, dies war ihre Pflicht. Das Volk der Nola musste die Wahrheit erfahren, sich an das erinnern, was es niemals hätte vergessen dürfen.
„Avanya?“ Es war Leoro, der Malabys Tore bewachte, der Noli, der sie zu Niyam geführt hatte. Dies war ein Segen, denn er war rasch bereit, eine Botschaft von ihr zu Ionnon, dem obersten Clanführer zu bringen.
Misstrauisch wurde sie, eine Verstoßene, und dieser Loy beobachtet, doch niemand griff sie an. Dies war bereits seit langer Zeit nicht mehr der Weg der Nola.
„Macht Platz für Ionnon!“, rief Leoro schon bald, und schritt dem Führer der Nola voran.
„Bleib ganz ruhig“, wisperte Avanya ihrem Geliebten zu. „Niemand wird uns etwas tun, auch, wenn es für dich so klingen mag.“ Sie wusste, es würde schwer für ihn sein, nur zuzusehen, während in einer für ihn unbekannten Sprache verhandelt wurde, aber es war wichtig, dass er zu keinem Zeitpunkt eingriff. Nur so war gewährleistet, dass sie alle unverletzt von hier fortgehen konnten.
„Du, eine Verstoßene, die von den Menschen verschleppt wurde, behauptest, wichtige Neuigkeiten für das Volk der Nola zu haben?“, begann Ionnon misstrauisch. „Ich sehe, was du meintest, Leoro. Ein Mensch trug sie fort, in Begleitung eines Loy kehrt sie zurück. Es ist nicht der Loy, der in Roen Orm hauste, wie ich sehe?“
„Nein, Ionnon. Dies ist Eiven von der Adlersippe, der mit meiner Hilfe gefunden hat, was Niyam, sein Vorgänger, vergeblich suchte: Den Larcima, den Erinnerungsstein der Loy, den wir als Regenbogenstein kennen.“
Verwirrt blickten die Wächter und der Clanführer auf den großen Onyx in Eivens Händen.
„Und dies betrifft auch unser Volk?“, fragte Ionnon schließlich.
Avanya nahm ihren Kristallanhänger ab und hielt ihn dem Sippenältesten hin.
„Das Wissen, das in dem Regenbogenstein verborgen ist, findet sich genauso in meinem Anhänger. Du wirst gleich verstehen, warum dies so ist. Nimm diesen Kristall und lass uns beide gehen, Ionnon. Ich begehre weder, Malaby zu betreten noch verlange ich, zu meiner Familie zurückkehren zu dürfen. Ich ehre die Gesetze, die mich für alle Zeiten von meinem Volk trennen.“ Sie verneigte sich und wartete mit angehaltenem Atem, was als nächstes geschehen würde. Ionnon stand lange da, den Kristall in der Hand, durchlebte die Erinnerungen, die zeigten, was einst war.
Unruhig schritten die Wächter auf und ab, bis der Führer sich endlich wieder bewegte. Seufzend nickte er Avanya zu.
„Ich weine um all das, was wir verloren haben … Geh, Avanya, geh in Frieden mit diesem Loy. Zu viel Blut haben wir vergossen, in dem Glauben, das Richtige zu tun. Geh in dem Wissen, dass die Botschaft an jeden Nola weitergetragen wird, auf dass der sinnlose Kampf gegen die Chyrsk ein Ende findet.“
Und so kehrten sie Hand in Hand zurück zum Tempel des Ti, wo sie bereits von den anderen Herrschern der Elemente erwartet wurden.