14.
„Rache ist wie der Glühwein aus Dror: Heiß genossen bitter, aber berauschend, kalt getrunken hingegen süße Lust, die schwere Träume nach sich ziehen kann.“
Sinnspruch aus Roen Orm
„Ihr dran seid mit Reihe, Graf Orelli“, zwitscherte Inani mit hoher Stimme und ewigem Lächeln. Sie liebte es, wie der eingebildete Schönling die Nase kräuselte, wann immer sie seinen Namen verstümmelte. Natürlich durfte Graf Orel sie nicht berichtigen, die Hofetikette gab Inani unendliche Gelegenheit, diesen Mann zu quälen. Nach rund vier Wochen am Königshof hatten sich die Gemüter mittlerweile ein bisschen beruhigt. Man gewöhnte sich an die bunten, exotischen Frauen in ihrer Mitte, die lächelnd und in ihrer seltsamen Sprache plappernd gegen alle Konventionen und Traditionen verstießen. Mit vorsichtigem Schaudern nahm man hin, dass Inani beständig umgeben von Schlangen und Raubkatzen war. Niemand fiel mehr in Ohnmacht, wenn Inani ihre Leopardin bei Tisch mit rohem Fleisch fütterte, einer Dame ohne jeden ersichtlichen Grund Ohrfeigen verpasste, oder mit mörderischem Blick eine ihrer Gefolgsdamen aufforderte, einen unglücklichen Mann mit Stockschlägen zu traktieren, nur weil der etwas gesagt hatte, was Inani offenbar nicht verstand. Dabei machte die Aussprache der Prinzessin von Kashuum, wie man sie allgemein nannte, gute Fortschritte. Halb Roen Orm ahmte hingerissen ihren Akzent nach, die Art, wie sie die Worte verdrehte. Sie war ein schillerndes Geschöpf, das überall Interesse und Staunen erregte und es genoss, im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit zu stehen.
Im Moment spielte sie allerdings züchtig Narren und Krieger, ein Kartenspiel, das Geschick, Strategie und Menschenkenntnis erforderte. Graf Orel, seit Jahren ein wichtiger Vertrauter und Berater des Königs, war Janiels Partner, Inani spielte mit Ilat. Sie ließ sich nicht anmerken, wie sehr Rynwolfs halb verdeckte Attacke, seinen wichtigsten Verbündeten an den Hof zu schicken, sie in Sorge versetzte. Janiel wich seit Tagen nicht mehr von Ilats Seite, der sich geradezu gierig auf den jungen Geweihten stürzte, um jeden Funken Information über Rynwolf aus ihm herauszupressen.
Zumindest immer dann, wenn er gerade nicht seine unerfüllte Gier nach Inani bejammerte. Nach außen hin ignorierte sie ihren Geliebten mehr oder weniger, spottete in Ilats Nähe über ihn und die Sonnenpriester. Nur wenn sie mit ihm allein war sprach sie über ihre Angst. Die Angst, er könnte zum Opfer in diesem Spiel werden. Janiel nahm diese Sorgen ernst, aber sie spürte, er wollte sich ihr beweisen.
Dabei kann es doch keinen Zweifel an seinem Mut oder seinem Geschick geben! Oh Liebster, sei vorsichtig, für mich!
Immerhin verstand sie nun ein wenig besser, wie es Kythara und Corin regelmäßig ergehen musste.
Graf Orel legte einen Schiffsführer ab, was Inani sofort mit mitleidigen Schnalzlauten kommentierte.
„Seht er muss hier, Schiffeherren und Sonnenherren immer schlecht beisammen!“ Sie strahlte und parierte Orels Flottenführer-Karte mit einem Sonnenpriester. Ilat stöhnte laut, er hatte selbstverständlich gewusst, dass Inani noch eine Priesterkarte hielt, mit dem sie Orels hohen Trumpf zunichtemachte. Nun hatte er allerdings selbst offenbar Schwierigkeiten zu bedienen, denn er zögerte lange.
„Würdest du dich mit mir verbünden?“, fragte er Janiel.
„Ich habe keinen Grund, die Allianz mit Graf Orel aufzukündigen.“
„Und wenn ich dir zwanzig Fußsoldaten anbiete?“ Janiel sah zu Inani herüber, sie konnte ihm jetzt ein Gegenangebot machen.
„Vier Fässer von Perlen“, sagte sie.
„Ich muss passen“, murmelte Orel niedergeschlagen.
„Die Soldaten sind nützlicher, ich verbünde mich mit Euch, mein König.“
„Dann wir nun Partner ist“, gurrte Inani und schenkte Orel einen glühenden Blick, bis Ilat zu husten begann. Janiel und Ilat legten nacheinander ab, danach war Orel wieder dran. Er wählte eine Karte aus, doch bevor er sie gezogen hatte, pfiff Inani auf eher unweibliche Art. Sie warf einen ihrer zahllosen Ringe über den Tisch und traf dabei einen anderen Trumpf in Orels Händen. Erstaunt schaute er erst auf den Ring, dann auf die Karten, errötete, und legte hastig ab, was Inani ihm befohlen hatte. Ilat starrte finster auf den Drachen nieder, einen der schwierigsten Trümpfe im gesamten Spiel. Im Moment blockierte es seine Strategie, was haargenau
Inanis Absicht gewesen war.
„Euer Ring, edle Dame.“ Orel hüstelte verlegen.
„Behalten er das, ich habe zu viel von dem“, erwiderte Inani und winkte achtlos ab. Der Graf duckte sich ein wenig unter Ilats mörderischem Blick, wagte aber nicht, das Kleinod zurückzuweisen.
„Ich sollte mich wieder mit dir verbünden, wenn du solche Geschenke machst, mein Kätzchen“, zischte Ilat.
„Ah, er viel netter ist zu mir, du sagt nie edle Dame!“ Mit einem albernen Kichern stach Inani Janiels Bogenschützen mit einer Reitereinheit aus. Drei Spielrunden später gewannen Inani und Orel mit haushoher Überlegenheit, da sie beide zusammen zwei Könige und drei Erzpriester gesammelt hatten.
„Ich sehe schon, du bist nicht mit einem einzelnen König zufrieden zu stellen.“ Ilat stichelte mit verbissener Miene, sichtbar am Rande eines Wutausbruchs.
„Ich nicht verstehe, besseres als ein König ist doch überall da“, zwitscherte Inani mit gefährlichem Lächeln. Ilat wies auf das Spielfeld:
„Schade, die Grafen habe ich alle in der Hand, du gewinnst also nicht die Oberherrschaft über die Armee.“
„Ah, er ist zufrieden so leicht, nein?“ Inani strahlte, drückte Orel je einen Kuss auf beide Wangen und sprang dann auf.
„Ich muss gehen in die Park und laufen ein bisschen, meine Füße ist schon ganz müde, nein? Begleitet er mich, Graf Ollemi?“
Der Graf war leichenblass geworden, Inani sah, wie er unauffällig das Ti-Zeichen schlug.
„Schau, wie verzweifelt er ist“, sagte sie magisch zu Janiel, während sie geschäftig an ihrem Kleid und ihren Haaren herumputzte.
„Er hat allen Grund dazu, Ilat ist so eifersüchtig, er wird den Mann in Stücke reißen!“
„Das wäre viel zu gnädig für ihn! Er hat Savina an die Priester ausgeliefert. Hoffentlich findet Ilat einen langsamen, grausamen Tod für ihn. Ich werde nachher mit ihm darüber reden, er braucht womöglich noch ein bisschen Ermunterung.“
„Pass auf dich auf, Inani.“
„Ich auf mich? Janiel, du bist es, um den ich Angst habe!“
Sie lächelte noch einmal in die Runde, und verließ danach den Raum. Oh ja, Savina war gerächt. Graf Orel, dieser dumme, nutzlose Schönling, der so viele arme Hofdamen geschwängert und danach fallen gelassen hatte, der nicht nur Savina in die Gewalt der Sonnenpriester trieb, würde nie wieder Unglück über eine Frau bringen!
~*~
Graf Orels Sturz aus des Königs Gnade wurde schadenfreudig hingenommen. Einige adlige Damen weinten ihm zwar ein paar Tränen nach, als Ilat ihn als Unterhändler in die Salzwüste schickte – ein Ort, von dem keine Wiederkehr zu erwarten war – doch die meisten lauerten nun auf ihre Gelegenheit, in der engen Hierarchie aufsteigen zu können. Es war ein schwieriger Balanceakt für Inani gewesen, Ilat davon zu überzeugen, dass sie Orel lediglich ansprechend fand, er also keinen Grund hatte, den Grafen auf der Stelle zu Tode zu foltern, es aber trotzdem besser wäre, ihn vom Hofe zu entfernen.
„Zum Glück ist er so frustriert, weil er mich nicht anrühren darf, dass er sich leicht lenken lässt“, rief sie lachend, als sie selbstvergessen in Janiels Armen lag.
„Ich weiß. Er trinkt so viel wie schon lange nicht mehr und weint sich an meiner Schulter aus. Außerdem soll ich Rynwolf ausspionieren und Ilat alles berichten, was im Tempel vor sich geht, und ich soll dich im Auge behalten, weil Ilat glaubt, du würdest mich für unverdächtig halten.“ Janiel schnaubte. „Wie sagte er gleich? ‚Du bist so harmlos und nett, Kleiner, die Hexe würde nie glauben, dass du überhaupt ohne Hilfe deine eigene Nase finden kannst, und du scheinst ihr nicht zu gefallen, also kann ich dich leben lassen.’ Ist er nicht wunderbar?“
„Einzigartig, Janiel, einzigartig. Sieh, welch große Stücke alle auf dich halten! Jeder will dich als Meisterspion haben, Rynwolf, Ilat und ich.“ Sie küsste ihn zärtlich, trotz ihres unbekümmerten Tonfalls wusste sie nur zu gut, welcher Druck auf diesem Mann lastete, wie er sich nach allen Seiten drehen und verstellen, lügen und täuschen musste, und das Tag und Nacht, ohne je wirklich zur Ruhe zu kommen. Er würde mittels Magie noch lange Zeit so weitermachen können, aber nicht ewig.
Wenn ich dir nur besser helfen könnte, Liebster! Sei vorsichtig, bitte!
„Bald kommt das Schiff an, dann schließt sich der Kreis“, sagte Janiel. Diesmal konnte er seine Sorge nicht vollständig verbergen. „Haben wir an alles gedacht?“
„Ich hoffe es. Ganz Roen Orm wird hin und weg von Ilats neuester neuer Braut sein, die Provinzfürsten und vor allem der Kronrat werden sie vom Fleck weg unterstützen. Ich bin zwar eine nette Abwechslung, nach wie vor, doch sie merken langsam, wie anstrengend ich wirklich sein kann. Nein, zweifellos habe ich keinen einzigen Freund gewonnen.“ Genau das war das Ziel von Inanis flattrigem Getue mit Schlangen und exotischer Dekoration. Sie ging allen auf die Nerven, am meisten sich selbst und brachte Rynwolf und Ilat damit gleichermaßen um den Verstand. Ein wunderbares Spiel! Sie würde trotzdem erst wieder ruhig schlafen können, wenn es endlich beendet war.
„Ilat wird Feuer spucken und sich entweder bereit erklären, die Dame zu heiraten und mich beknien, dass ich seine Mätresse werden soll, oder sich aber sofort gegen Rynwolf stellen. Natürlich werde ich völlig empört ablehnen und vom Hofe verschwinden. Und schon herrscht ewiger Winter zwischen Rynwolf und Ilat, wo es bis jetzt nur Frost ist. Falls das noch nicht reichen wird, entführen wir zusätzlich die arme Braut und drehen es so, dass Ilat als Schuldiger dasteht. Der wahnwitzige Krieg ist aufgeschoben, weil König und Erzpriester zu beschäftigt sind, und Thamar kann von der Uneinigkeit zwischen Ilat und der Priesterschaft profitieren.“
„Ganz so leicht wird es sicher nicht“, murmelte Janiel, „du weißt, es ist nie so leicht, wie man es sich wünscht. Irgendetwas wird schief gehen.“
„Ich weiß, Liebster. Und ich habe entsetzliche Angst davor, was das sein wird.“
„Wir müssen sehr vorsichtig sein. Du passt auf mich auf, ich auf dich, gemeinsam halten wir all unsere Feinde im Blick, und Kythara wird auch da sein.“
Sie umarmten sich, gaben sich gegenseitig Halt und Trost. Sie wussten nur zu genau, was alles auf dem Spiel stand, was sie alles verlieren oder gewinnen konnten, ohne wirklich Einfluss auf den Verlauf zu haben.
~*~
Die Elfe lag still auf ihrem Lager, die Hände auf der Brust gefaltet. Nur die langsamen Atemzüge bewiesen, dass sie noch lebte. Sie war so glücklich in der Zwischenwelt, sie wollte sich nicht der Wirklichkeit stellen.
„Maondny, wach auf, es wird Zeit.“ Fin Marla beugte sich über ihre Tochter, die nun die Augen aufschlug. Tränen liefen über das Gesicht der Königin, und auch Maondny begann zu weinen.
„Ich weiß, es ist soweit. Doch nun, da der Moment gekommen ist, habe ich Angst“, schluchzte sie und klammerte sich an ihre Mutter.
„Fürchte dich, Kind. Solange du noch Angst empfindest, bist du eine Elfe. Möge der Tag niemals kommen, an dem du nichts mehr fürchtest, nicht die Götter, nicht dein Versagen. Aber nun geh. Mein Herz ist bei dir.“
Plötzlich zuckte Maondny zusammen, drehte den Kopf, als hätte sie etwas gesehen.
„Was ist?“, fragte Fin Marla besorgt.
„Schon gut, Mutter, nur ein Windhauch.“ Der vertraute goldene Schimmer legte sich über Maondnys Bewusstsein, sie lächelte in die Richtung, in der sie ihren Geliebten gespürt hatte.
Es hat begonnen.