35. Kapitel
Leia fand sie allein auf dem höchsten Punkt des Tempels. Sie stand da wie eine Statue, während sie ihren Blick über ein Coruscant schweifen ließ, das bereits im Abendglanz funkelte. Die Barabel hatte ihre Hände fest hinter dem Rücken verschränkt, als fürchtete sie, was sie tun würden, wenn sie ihnen erlaubte, einfach locker herabzuhängen. Ihre Schultern hoben und senkten sich im Rhythmus einer Atmung, die so schwer und gleichmäßig ging, dass sie noch auf der anderen Seite der Kuppel zu hören war. Sorgsam darauf bedacht, eine Meisterin nicht bei der Meditation zu stören – selbst, wenn man sie angewiesen hatte, Bericht zu erstatten –, blieb Leia dicht hinter der Schwelle stehen und wartete auf die Aufforderung näherzutreten, die nur wenige Herzschläge später erfolgte.
»Zwischen unz sind Förmlichkeiten unangebracht, Jedi Solo.« Obwohl Saba weiter durch das Sichtfenster nach draußen blickte, während sie sprach, schien ihre Stimme direkt neben Leias Schulter zu ertönen. »Dafür sind wir schon zu lange Freunde, diese hier und du.«
»Ja, das sind wir«, sagte Leia und trat an die Seite der Barabel. »Aber zu einer Freundschaft gehört auch zu wissen, wann man den anderen nicht stören sollte.«
»Ist das so?« Saba drehte sich zu ihr um, und Leia sah, dass die schmalen Augen der Barabel rot gerändert waren. »Es gibt Zeiten, in denen die Menschen die Gesellschaft ihnen Nahestehender nicht schätzen?«
»Manchmal«, sagte Leia, die Sabas Gesicht aufmerksam musterte. »Zum Beispiel, wenn wir weinen. Dann wollen wir manchmal allein sein.«
Saba zeigte die Spitzen ihrer Zähne, um so etwas wie ein trauriges Grinsen zur Schau zu stellen. »Denkst du, Barabel weinen, Jedi Solo?«
»Vielleicht nicht«, sagte Leia nicht ganz sicher, ob sie Saba beleidigt oder amüsiert hatte.
»Aber ich kann in der Macht fühlen, wenn dir das Herz schwer ist.«
Saba ließ ihr Kinn sinken. »Ja, heute hat diese hier ein Herz wie aus Stein.« Ihr Kinn ruhte weiterhin auf ihrer Brust, doch sie hob die Augen, um Leia anzusehen. »Du hast das von Großmeister Hamner gehört?«
Leia nickte. »Ja, und es tut mir leid, dass es dazu kommen musste«, sagte sie. »Aber es war nicht deine Schuld.«
»Wessen Schuld war es dann, Jedi Solo?«, fragte Saba und senkte den Kopf. »Es war diese hier, die entschied, ihn fallen zu lassen.«
»Und Kenth war derjenige, der dich dazu zwang, diese Entscheidung zu treffen«, erinnerte Leia sie. »Hättest du es nicht getan, wären Luke und Ben jetzt Gefangene der Sith – oder womöglich Schlimmeres –, und die Jedi hätten keine Möglichkeit, Abeloth aufzuspüren. Du hast die richtige Wahl getroffen.«
Saba zuckte die Schultern und blickte wieder durch den Transparistahl nach draußen.
»Meister Skywalker hätte eine bessere Möglichkeit gefunden.«
»Luke war nicht dabei, Meisterin«, sagte Leia. »Niemand wird je wissen, was er anders gemacht hätte. Vielleicht hätte er nicht so angestrengt wie du versucht, Kenth das Leben zu retten.«
»Das hätte er überhaupt nicht gemusst, Jedi Solo. Das ist der Unterschied.« Sie löste die Hände hinter sich und legte Leia eine auf den Rücken, für eine Barabel eine ungewöhnliche Geste der Vertrautheit. »Ist für Großmeister Hamner eine Beisetzung nötig, wie Mara sie hatte?«
»Ja, ich schätze, das ist es«, antwortete Leia.
»Diese hier versteht von solchen Dingen nichtz«, sagte sie. »Hilfst du ihr, alles zu organisieren?«
»Ich denke, das wäre das Beste«, stimmte Leia zu. Während ihrer Ausbildung zur Jedi hatte sie genügend Zeit mit Barabel verbracht. So wusste sie, dass sich Saba dazu verpflichtet fühlen würde, für Kenth die Sterberituale zu zelebrieren, da sie die Verantwortung für seinen Tod trug.
»Überlass das nur mir – du wirst genug mit Daala zu tun haben.«
Sabas Hand, die so groß war, dass sie über Leias gesamten Rücken reichte, spannte sich an.
»Ja, Staatschefin Daala verhält sich deutlich zu ruhig. Sie bereitet etwas Großes vor.«
In Leias Magen bildete sich ein Knoten der Anspannung. Das war die Schattenseite der jüngsten Erfolge des Ordens. Daala würde darauf reagieren – das musste sie schlicht –, und je weniger die Jedi darüber hörten, desto wahrscheinlicher war es, dass diese Reaktion tödlich und absolut ungeheuerlich ausfallen würde.
»Und die Jedi haben keine Ahnung, was Daala im Schilde führt?«, fragte Leia.
Saba schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Diese hier arbeitet daran.«
»In diesem Fall … Hast du daran gedacht, den Tempel zu evakuieren?«, gab Leia zurück.
»Je dichter wir beisammen bleiben …«
Sie wurde von dem gewaltigen, dumpfen Krachen unterbrochen, mit dem Sabas Schwanz auf den Boden schlug. »Das Nest verlassen?«, zischte sie, zu Leia herumwirbelnd. »Hat diese hier etwa eine Snekket ausgebildet?«
Leia, die klug genug war, um nicht vor einer Barabel zurückzuschrecken, beugte sich zu Saba vor und legte etwas Durastahl in ihre Stimme. »Das weißt du besser, Meisterin«, sagte sie.
»Doch es wäre ein taktischer Fehler, uns hier drin gebündelt zu lassen. Alles, was nötig wäre, um fünfzig Prozent des Jedi-Ordens auszulöschen, ist eine einzige Baradium-Rakete.«
» Das würde Daala tun?« Sabas Schuppen lagen flach an ihren Wangen an – ein sicheres Zeichen dafür, dass sie sich bedroht fühlte. »Sie würde auf Coruscant eine Baradium-Rakete einsetzen?«
»Wir wissen nicht, was Daala tun würde – genau das ist der springende Punkt«, entgegnete Leia. »In der Vergangenheit hat sie mit Sicherheit schon Schlimmeres getan.«
Sabas Blick wurde nachdenklich, und sie lehnte sich von Leia weg. »Du hast recht, Jedi Solo. Wir dürfen sie nicht alz Erstes zuschlagen lassen, nicht, wenn … wenn der Tempel auf dem Spiel steht.« Sie wandte sich wieder dem Fenster zu, ihre schwere Stirn gedankenverloren in Falten gelegt. »Vielen Dank, Jedi Solo. Du warst mir eine große Hilfe.«
Leia erkannte eine Entlassung, wenn sie eine hörte, doch sie machte keine Anstalten, sich zu entfernen. »Meisterin Sebatyne, ich wollte nicht andeuten, dass wir …«
»Diese hier weiß, was du meinst«, sagte Saba, »und sie hat nicht die Absicht, Daala zuerst anzugreifen.«
»Aber du wirst sie auch nicht als Erstes angreifen lassen?«, stellte Leia klar. »Die Jedi werden sie aufhalten, wenn sie es versucht?«
»Nein«, sagte Saba. »Die Jedi werden schneller sein.«
Leia schwieg einen Moment lang, während sie über die schlichte Eleganz der Barabel-Diplomatie nachdachte: Fang den Kampf nicht an – gewinne ihn!
»Das ist ein sehr schmaler Grat«, sagte Leia. »Ein Außenstehender könnte gar den Eindruck gewinnen, dass da überhaupt keiner ist.«
»Das ist der Grund, warum wir Jedi sind und die nicht«, entgegnete Saba. »Weil wir daran gewöhnt sind, auf schmalem Grat zu wandeln.«
Als Leia bewusst wurde, dass sie ihren Standpunkt deutlich gemacht hatte, neigte sie ihr Haupt. »Sehr wohl, Meisterin. Bitte lass mich wissen, wenn ich dir von Nutzen sein kann.«
Saba entließ sie mit einem Nicken, doch als Leia sich zum Gehen umwandte, fügte sie hinzu: »Eine Sache wäre da, Jedi Solo. Hat Staatschef Fel den Orbit bereits verlassen?«
»Ich glaube nicht«, sagte Leia. »Jaina hatte gehofft, mit ihm reden zu können, bevor er abfliegt.«
Saba nickte. »Gut. Bitte Jaina, Staatschef Fel vorzuschlagen, dass er noch eine Weile hierbleiben sollte.«
»Wie du wünschst. Darf ich fragen, warum?«
Saba neigte den Kopf und musterte Leia mit einem Auge. »Diese hier denkt, das weißt du bereitz, Jedi Solo«.
»Ich schätze, schon«, sagte Leia nickend. Die Frage war nicht, ob Daala angreifen würde, sondern wie bald – und aller Wahrscheinlichkeit nach bedeutete das, dass Jags Gründe dafür, die Verhandlungen abzubrechen, in Kürze der Vergangenheit angehören würden. »Ich werde Jaina bitten, ihn davon zu überzeugen, noch ein paar Tage zu bleiben.«
Leia wartete, bis Saba sie erneut entließ. Dann trat sie in den Korridor hinaus, wo Han, der auf sie wartete, hin- und hertigerte. Er ergriff sie am Arm und marschierte in Richtung der Liftröhre. Offensichtlich hatte er Angst, sich zu verspäten.
»Also?«, fragte er. »Wie geht’s Saba?«
»Nicht gut«, gab Leia zu. »Vielleicht sogar ein bisschen ängstlich. Sie steckt die Sache mit Kenth nicht besonders gut weg.«
»Wer tut das schon?«, fragte Han. »Selbst ich fühle mich etwas schuldig wegen einiger der Dinge, die ich zu ihm gesagt habe.«
»Es ist mehr als bloß Schuldbewusstsein – sie scheint zu denken, es sei ein Führungsfehler.«
Sie gelangten zur Liftröhre und traten hinein, erst dann fuhr Leia fort: »Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie vollends verstehe. Vielleicht ist das so eine Barabel-Sache.«
»Dann bin ich sicher, dass du nicht alles verstehst«, meinte Han. »Niemand versteht Barabel abgesehen von Barabel. Zu schade, dass Tesar und die anderen nicht hier sind. Womöglich könnten sie irgendwas tun.«
»Das wäre schön«, stimmte Leia zu. »Aber sie hat nichts über sie gesagt …«
»Und es ist gefährlich zu fragen – ich weiß«, sagte Han. »Irgendeine Ahnung, was sie im Schilde führen?«
Leia schüttelte den Kopf. »Nicht so recht. Saba hat angedeutet, dass sie jemanden hat, der Daala im Auge behält. Vielleicht sind sie das.«
Han kratzte sich einen Moment die Kinnpartie und nickte dann. »Das macht Sinn«, sagte er.
»Barabel sind ziemlich gut darin, Ungeziefer auszudünnen.«
»Han! Sag so was nicht! Das ist schrecklich.«
»Ja, aber es stimmt«, konterte er. »Habe ich nicht recht?«
Leia lächelte. »Du hast recht«, gab sie zu. Der Lift hielt an, und sie kamen auf der Krankenstation heraus. »Wo wir gerade von abwesendem Nachwuchs reden …«
»Ich habe gerade mit ihr gesprochen«, erzählte Han und deutete auf sein Komlink. »Barv und sie waren auf Erkundungstour. Sie sind unterwegs.«
Leia runzelte die Stirn. »Auf Erkundungstour?«
»Entspann dich, okay? Allana ist ein Kind – sie muss auch mal ein wenig Spaß haben«, versuchte Han sie zu beruhigen. »Abgesehen davon sind sie immer noch im Tempel … irgendwo.«
»Das gefällt mir nicht«, sagte Leia. »Nicht, wo wir diesen ganzen Ärger mit Daala haben.«
»In Ordnung, ich rede mit ihr«, versprach Han. »Aber keine Sorge, sie ist auf dem Weg. Das wird sie auf keinen Fall verpassen wollen.«
»Boah!« Allana trat gegen die Tür, machte dann einen Schritt zurück und stolperte dabei beinahe über ihr Haustier, das Nexu Anji. Sie stützte sich mit der Hand an der Wand ab und sammelte sich, dann wischte sie sich das Haar aus den Augen – wobei sie ihre Stirn unabsichtlich mit Dreck, Staub und einem ganzen Haufen anderer Sachen beschmierte, über die sie wirklich nicht nachdenken wollte. »Das hat auch jemand zugeschweißt!«
Anji kratzte derweil an der Türkante, und hinter Allana erklang ein leises Rumpeln – eine tiefe Stimme, die in muttersprachlichem Ramoanisch darauf hinwies, dass kleine Mädchen vermutlich besser keine Worte wie Boah benutzen sollten. Allana wirbelte herum und leuchtete mit ihrem Glühstab geradewegs in das große grüne Gesicht ihres besten Freundes, Bazel Warv.
»Ich bin kein kleines Mädchen, Barv«, sagte sie. »Ich bin eine berühmte Xenoarchäologin, die einen fünfundzwanzigtausend Jahre alten Tempel erforscht.«
Bazel brummelte wieder und tat die Ansicht kund, dass kluge Frauen wie berühmte Xenoarchäologinnen vermutlich auch keine Worte wie Boah verwendeten.
»Wahrscheinlich nicht«, gab Allana zu. »Zumindest dann nicht, wenn es jemand hören könnte.«
Sie konsultierte wieder ihr Datapad, dann schwang sie den Glühstab hinter sich und überprüfte die Durchgangsnummer.
»Aber diese Tür sollte eigentlich nicht auf diese Weise gesichert sein. Du solltest lieber dein Lichtschwert benutzen, um sie aufzuschneiden.«
Allana fuhr mit dem Glühstab an einer Türkante entlang, um die silbrigen Schlieren zweier Schweißnähte zu erhellen. Bazel schüttelte den Kopf und sagte, dass die Schweißnähte frisch aussähen, was bedeutete, dass jemand den Zugang vermutlich aus gutem Grund versiegelt hatte.
»Warum haben sie es dann nicht im Wartungsprotokoll des Tempels vermerkt?«
Allana hielt ihr Datapad über den Kopf, damit der große Ramoaner sich selbst davon überzeugen konnte. Er spähte einen Moment lang auf den Schirm und meinte dann, dass derjenige, der die Arbeit erledigt hatte, vermutlich bloß vergessen hat, eine Meldung darüber weiterzugeben.
Allana seufzte und ließ das Datapad sinken. »Hör mal, Barv, es wird eine Stunde dauern, den ganzen Weg zurückzugehen. Das heißt, dass ich Ärger kriegen werde und du nicht dabei sein wirst, wenn sie Valin und Jysella aus dem Karbonit rausholen.«
Als Bazel dazu nichts zu sagen hatte, schaute Allana aus dem Augenwinkel auf und fügte hinzu: »Und da willst du doch dabei sein, nicht wahr? Ich meine, während alle anderen ins Inhaftierungszentrum eingebrochen sind, musstest du auf mich und Anji aufpassen …«
Bazel unterbrach sie, um sie darüber zu informieren, dass es die wichtigste Aufgabe des ganzen Plans gewesen sei, auf sie und Anji achtzugeben. Leia und Taryn hatten ihm das dreimal gesagt – jede von ihnen.
»Ja, sicher«, sagte Allana. »Aber du und Yaqueel, ihr gehört zur Einheit. Das bedeutet, dass ihr dabei sein müsst, richtig?«
Bazel seufzte und zog sie dann mit einer riesigen Hand hinter sich. Er bat sie darum, Anji festzuhalten, und aktivierte sein Lichtschwert. Zwei Minuten später war der Durchgang offen, und der widerlichste Gestank, den Allana je gerochen hatte, drang aus dem Innern. Natürlich schoss Anji geradewegs durch die Öffnung.
»Stang!«, keuchte Allana. »Was ist das denn für Poodoo?«
Diesmal beschwerte sich Bazel nicht über ihre Ausdrucksweise. Er schüttelte einfach den Kopf und erkundigte sich, ob sie jetzt denselben Weg zurückgehen wolle, den sie gekommen waren.
Allana dachte einen Moment darüber nach und sah dann auf ihr Chrono. »Können wir nicht«, sagte sie. »Wir kommen ohnehin schon zu spät.«
Das hatte Bazel befürchtet. Er schaltete seinen eigenen Glühstab ein, nahm dann einen tiefen Atemzug und trat durch den Durchgang in eine kleine, heiße und feuchte Kammer. Er blieb einen Moment stehen, überprüfte den Ort mithilfe der Macht und informierte Allana dann darüber, dass sich da drinnen jemand aufhielt.
»Wer?« Sie trat um seinen massigen Oberschenkel herum und übernahm, mit ihrem Glühstab um sich leuchtend, die Führung. »Hallo?«
Weiter vorn huschte etwas, dann klapperte es, und Anji stieß ein neugieriges Maunzen aus.
Einen Moment später fiel der Schein von Allanas Glühstab auf einen Haufen winziger Nagetierknochen, der so hoch war wie sie selbst. Sie wusste, dass es sich um Nagetierknochen handelte, weil viele der kleinen Kadaver noch ihre Köpfe hatten, und an einigen klebten noch Fellfetzen. Anji fraß einen.
Allana blieb wie angewurzelt stehen. Ohne sich umzudrehen, fragte sie leise: »Barv … siehst du das?«
Er fragte, ob sie das Nest meinte.
»Das Nest?«, wiederholte sie. »Das kann kein …«
Allana ließ ihren Satz unvollendet, als die Knochen vor ihr plötzlich klapperten und raschelten. Anji stieß ein erschrockenes Jaulen aus und sprang davon. Allana wich zurück – und lief direkt gegen Bazels felsbrockengroßes Knie. Einen Moment später tauchten vier große, schuppige Schädel aus den Knochen auf, um sie mit reptilienhaften Augen finster anzustarren. Anji fauchte und versteckte sich hinter Bazel.
»Tesar?«, keuchte Allana. »Dordi?«
»Und Wilyem und Zal«, ergänzte Zal.
»Amelia?« Tesar klang genauso überrascht wie Allana. Er bedachte Bazel mit düsterer Miene und wollte dann wissen: »Wie habt ihr unz gefunden?«
Bazel setzte zu einer langatmigen, nervösen Erklärung darüber an, dass er versuchen würde, Allana durch das Erkunden der Untergeschosse des Tempels beizubringen, wie man Gebäudebaupläne liest.
Allana brachte ihn mit einem Wink zum Schweigen und sagte einfach: »Das war nicht unsere Absicht. Wir waren bloß auf Erkundungstour.«
»Auf Erkundungssstour?«, zischte Tesar. »In unserem Jagdrevier?«
»Ihr habt niemandem gesagt, dass es eures ist«, wandte Allana ein. »Ihr seid einfach verschwunden.«
Während sie sprach, schlängelten sich Tesar und die anderen drei Barabel aus dem Nest, um mehrere kleine Aushöhlungen zurückzulassen, durch die Allana einen flüchtigen Blick auf ein Gelege großer, gefleckter Kugeln erhaschte.
»Hey, das sind ja Eier!« Allana schaute zu Tesar auf und fragte: »Habt ihr die gelegt?«
Es war offenkundig der falsche Moment, das zu fragen. Innerhalb eines Lidschlags hatten drei der Barabel ihre Lichtschwerter aktiviert und sie und Bazel umzingelt – der genügend praktische Vernunft besaß, seine eigene Klinge ausgeschaltet zu lassen. Die vierte Barabel, Zal, hatte Anji am Genick gepackt und achtete nicht auf die krallenlosen Bemühungen des wütenden Nexu, den Arm zu zerfetzen, der sie festhielt.
» Jetzt hast du es getan!«, informierte Dordi sie.
Allana blickte von Tesar zu Dordi, aber eine Barabel sah ziemlich genauso aus wie eine andere – oder wie ein anderer. Die Frauen sahen genauso bösartig aus wie die Männer. »Ähm … Besteht irgendeine Chance, dass das, was ich getan habe, etwas … Gutes ist?«
»Vielleicht.« Wilyem schlug mit seinem Schwanz um sich, um überall winzige Nagetierknochen zu verstreuen. »Das hängt davon ab, wie man es betrachtet.«
Bazel grummelte eine Frage. Er wollte wissen, was Wilyem damit meinte. Doch die Barabel verstanden kein Ramoanisch, also kniffen sie einfach ihre Augen zusammen und wirkten, als würden sie darüber nachdenken, ob sie ihn fressen sollten.
Allana wandte sich wieder an Tesar. »Das hängt davon ab, wie man was genau betrachtet?«
»Die nächsten zwei Monate hier unten zu verbringen«, informierte sie Tesar. »Jetzt, wo ihr das Nest gesehen habt …«
» Und die Eier«, erinnerte Zal ihn.
»Und die Eier«, fügte Tesar hinzu, »müsst ihr bis zum Schlüpfen bleiben.«
Allanas Herz bahnte sich mit scharfen Klauen seinen Weg in ihre Kehle. »Zwei Monate?«, fragte sie außer Atem. »Das können wir nicht. Mom wird mich umbringen!«
»Besser Jedi Solo als dieser hier«, sagte Wilyem düster.
»Und zumindest bleiben dir damit zwei gute Monate, bevor du stirbst«, stimmte Dordi zu.
»Es wird Spaß machen. Wir können jagen.«
Allana runzelte die Stirn und tippte auf das Chrono auf ihrem Datapad. »Ihr versteht nicht.
Barv und ich sollen eigentlich in fünfzehn Minuten auf der Krankenstation sein.«
Tesar nahm das Datapad und warf es in das Nest. »Diesem hier tut es leid«, sagte er, »denn ihr werdet euch verspäten.«
Barv rumpelte eine unheilvolle ramoanische Warnung und schwor bei den Stoßzähnen seiner Ahnen, dass er dabei sein würde, wenn Valin und Jysella erwachten.
Natürlich ignorierten die Barabel seinen heiligen Schwur – was ein großer Fehler war. Einen Augenblick später trafen Lichtschwerter summend und knisternd aufeinander, dann schleuderte Barv eine der Barabel durch die Tür hinter sich, und die Sache fing an, hässlich zu werden.
Allana nahm einen tiefen Atemzug und konzentrierte sich dann so auf die Macht, wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte, als sie sich das letzte Mal auf Shedu Maad getroffen hatten.
»He!«, rief sie.
Fünf verblüffte Augenpaare drehten sich um und sahen sie an. Als eine rasche Überprüfung mit dem Glühstab enthüllte, dass niemandem momentan Gliedmaßen fehlten, trat Allana in die Mitte der Gruppe und schaute zu ihnen auf.
»Wir können die Sache klären.«
Die Barabel schauten zweifelnd drein, und Bazel grummelte, dass er das Auftauen auf keinen Fall versäumen würde, doch als Allana Tesars Blick suchte, schlug der Barabel mit seinem jetzt gekürzten Schwanz auf den dreckigen Permabeton.
»Wie?«, fragte er.
»Ihr habt bloß Angst, dass Barv und ich irgendwem von eurem Nest erzählen, richtig?«, fragte sie. »Aber ich versichere euch, dass wir uns nicht hier runterschleichen würden, um zu versuchen, eure Eier zu essen.«
Die Barabel tauschten Blicke, musterten Bazel einen Moment lang zweifelnd und schienen dann schließlich zu einer Entscheidung zu kommen.
»Niemand wird unsere Eier fressen«, verkündete Wilyem. Er warf Bazel einen warnenden Blick zu. »Dieser hier wird hier sein, um dafür zu sorgen, dass das niemalz passiert.«
»Das dachte ich mir«, sagte Allana. Wenn eine Königin Fortschritte sieht, muss sie sich beeilen, darauf aufzubauen – das sagte ihre Mutter stets, wenn es darum ging, Verhandlungen voranzutreiben. »Also haben wir jetzt alle ein Geheimnis. Was, wenn wir tauschen?«
»Tauschen?«, fragte Dordi. » Was tauschen?«
»Geheimnisse«, gab Allana zurück. »Ich erzähle euch ein großes Geheimnis. Auf diese Weise werden Barv und ich niemals jemandem irgendetwas über euer Nest erzählen – weil ihr dann jedem mein Geheimnis verraten könntet.«
Die Barabel sahen einander einen Moment lang an, ehe Zal sagte: »Ist es ein sehr großes Geheimnis? Ein so großes wie unser Nest?«
Allana lächelte. »Vertraut mir, das ist es. Solltet ihr es jemals verraten, bin ich tot.«
»Tot?«, wiederholte Tesar.
» Richtig tot«, sagte Allana. »Mit Sicherheit innerhalb eines Jahres.«
Die Barabel brauchten einander nicht einmal anzusehen. Sie nickten einfach, und Dordi sagte: »Der Tod ist groß genug.«
»Gut.« Allana wandte sich an Bazel. »Barv, bist du dabei?«
Bazel schwor bei den Stoßzähnen seiner Ahnen, dass er niemals irgendetwas von dem preisgeben würde, was er in diesem Raum erfahren hatte, nicht einmal sich selbst gegenüber. Die Barabel schienen im Groben zu verstehen, worauf er hinauswollte, und nickten.
»Also gut, hier kommt’s.« Allana wusste, dass dies das größte Risiko war, das sie jemals eingegangen war, doch ihr Opa sagte immer, dass man keine Angst davor haben durfte, all seine Chips und Hoffnungen in die Waagschale zu werfen, wenn man ein gutes Blatt auf der Hand hatte.
»Mein Name ist nicht Amelia, und ich bin nicht wirklich eine Kriegswaise – zumindest nicht im herkömmlichen Sinne …«
Sie erklärte den Barabel ihre Situation zur Gänze und verriet ihnen, dass sie in Wahrheit die Tochter von Jacen Solo und der Königinmutter Tenel Ka war.
Einige Minuten später fuhren sie, Bazel und Anji mit einer Liftröhre zur Krankenstation des Jedi-Tempels hinauf. Sie alle rochen wie etwas, das ein Dianoga ausgespien hatte, und Allana war sich ziemlich sicher, dass sie beide gründlich desinfiziert werden würden, bevor sie diese Ebene wieder verließen. Sie hoffte bloß, dass es ihr gelingen würde, genügend Zeit zu schinden, um zu sehen, wie Valin und Jysella Horn aus dem Karbonit befreit wurden.
Als sie nach oben fuhren, wollte Bazel wissen, ob ihr Name wirklich nicht Amelia sei?
»Nein, Barv, wie ich schon sagte – ich heiße Allana Solo«, sagte sie. »Aber das darfst du niemals jemandem erzählen. Du musst mich weiterhin Amelia nennen.«
Er versprach, das zu tun, und fragte dann, ob die Solos ihr Geheimnis kannten.
»Natürlich kennen sie es«, sagte sie. »Sie sind ja ein Teil davon.«
Bazel wollte wissen, ob er es ihnen sagen könne.
»Barv!«, fuhr sie ihn an. » Niemandem! Du darfst es nicht einmal Yaqeel erzählen – nichts von dem, was dort unten passiert ist!«
Wo unten? , fragte Bazel.
Allana knuffte ihm gegen das Knie. Dann öffneten sich die Lifttüren und sie betraten die Krankenstation. In einem Raum am Ende des Korridors hatte sich bereits eine kleine Gruppe versammelt, darunter Meister Horn und seine Frau Mirax, die einander gegenüberstanden, jeder neben einer der Schwebetragen, auf denen die Karbonitblöcke mit ihren eingefrorenen Kindern ruhten. Meisterin Cilghal und ihre Assistentin Tekli standen zwischen den beiden Blöcken und machten sich schon an den Steuerkontrollen zu schaffen. Allanas Großeltern warteten an der Rückwand des Raums. In ihren Augen schimmerten Tränen der Freude und der Hoffnung.
Yaqeel stand am Fußende von einem der Blöcke, und ihre empfindliche Bothaner-Nase begann zu zucken und sich zu rümpfen, als Allana, Anji und Bazel näher kamen. Einen Moment lang sah es so aus, als würde Yaqeel irgendeine witzige Bemerkung darüber machen, wie sie rochen, oder sich zumindest danach erkundigen, wo sie gewesen waren. Doch dann ergriff Yaqeel einfach Bazels Hand und zog ihn zu sich rüber, damit er neben ihr stehen konnte.
Allana nahm Anji und trat vor, um sich zwischen ihre Großeltern zu stellen, die sich nur dicht an sie drückten und nicht einmal daran dachten zu fragen, warum sie so übel roch. Han zerwuschelte ihr sogar das schmutzige Haar.
»Ich bin froh, dass du es geschafft hast, Kleines.«
Allana schaute auf und entdeckte eine Träne auf seiner Wange. Sie lächelte und sah zurück zu den Horns. »Ich auch.«
Cilghal und Tekli drückten irgendwelche Schalter an den Blöcken, von denen daraufhin ein schrilles Heulen ausging. Das schwarze Karbonitgehäuse fing an zu schmelzen und gab endlich die Körper von Jysella und Valin Horn frei. Allana fühlte, wie eine plötzliche Welle der Freude durch die Macht wogte.
»Ich auch«, sagte sie noch einmal mit so leiser Stimme, dass niemand es hörte.