28. Kapitel
Die Insel jenseits der Kanzel der Jadeschatten, eine Säule aus weißem Gestein, die sich dreihundert Meter aus dem wogenden grauen Meer erhob, war gleichermaßen schön wie Ehrfurcht gebietend. Ein Kranz tanzenden Meerschaums schlug gegen den Fuß des Eilands, ein schmales Band grünen Blattwerks krönte den Gipfel, und schon konnte man die fernen Pünktchen von Seevögeln ausmachen, die vor den weißen Klippen kreisten. Gleichwohl, als Luke einen Blick in die Spiegelblende in der Cockpitkanzel warf, sah er Sarasu Taalon zusammengesackt im Kopilotensessel sitzen, von wo er den fernen Horizont immer noch nach einem Ziel absuchte, das direkt vor ihm lag.
Vielleicht standen Lukes Chancen doch gar nicht so schlecht.
Taalon begegnete Lukes Blick in der Spiegelblende. Genau wie die fünfzig Sith-Krieger, die sich mit Ben und Vestara hinten in der Passagierkabine aufhielten, trug er immer noch seinen Schutzanzug. Alles, was Luke vom Hochlord sehen konnte, war ein Gesicht, das von Sekunde zu Sekunde hagerer und fremdartiger zu werden schien, mit eingesunkenen, ovalen Augen und dünnem, lavendelfarbenem Fleisch, das sich über Knochen spannte.
»Ich weiß, was Ihr im Schilde führt, Meister Skywalker.« Taalons Vokabulator verlieh den Worten einen dünnen, beinahe flüsternden Klang. »Und es wird nicht funktionieren.«
»Ihr meint den Thermaldetonator, richtig?«, fragte Luke. Ein Thermaldetonator war das Letzte, was er im Sinn hatte, doch er hatte bereits gelernt zu vermeiden, in Taalons Gegenwart über seine Pläne nachzudenken. Seit seines Eintauchens in den Teich des Wissens hatte der Hochlord einige ausgesprochen beeindruckende Fähigkeiten entwickelt. »Ich habe mich schon gefragt, ob mir dafür genügend Zeit bleibt.«
Taalon musterte Luke einen Moment lang und sagte dann düster: »Denkt an Euren Sohn, Meister Skywalker. Er stirbt in dem Moment, in dem Ihr mich hintergeht.«
»Jetzt weiß ich, dass Ihr lügt«, erwiderte Luke. »Meinem Plan zufolge ist Ben längst fort, wenn ich Euch hintergehe.«
»Wir alle haben unsere Träume, Jedi.« Taalon ließ seinen Blick wieder zur Kanzel hinausschweifen und fragte dann: »Wie lange noch, bis wir die Heimstatt der Fallanassi erreichen?«
Luke schaute wieder nach vorn, wo sich die Fallanassi-Insel am Horizont abzeichnete. »Sie sollte jetzt jeden Moment in Sicht kommen.« Er glaubte nicht, dass Taalon die Illusion durchschauen konnte, die die Insel verbarg, doch es wurde Zeit, sich zu vergewissern. »Warum ruft Ihr nicht den Taktikschirm auf und seht nach, was sie uns entgegenschicken, um uns abzufangen?«
»Die Fallanassi sind Pazifisten, oder nicht?«, fragte Taalon. »Was könnten die uns schon entgegenschicken?«
»Ein Pazifist zu sein, bedeutet nicht zwangsläufig, hilflos zu sein«, entgegnete Luke. »Die Fallanassi verfügen über viele Sicherheitsvorkehrungen.«
Taalon streckte die Hand aus und machte sich an den Schirmkontrollen zu schaffen.
Offensichtlich bereiteten seine behandschuhten Hände ihm einige Schwierigkeiten.
»Ihr könnt diese Handschuhe ebenso gut ausziehen«, sagte Luke. »Euer Anzug wird Euch ohnehin nicht schützen.«
»Lügner!«, rief Gavar Khai aus, der neben Taalon auf dem Platz des Navigators saß. »Ihr versucht, uns zu infizieren.«
Luke grinste in die Spiegelblende. »Seht Ihr vielleicht, dass ich einen Schutzanzug trage?«, fragte er. »Das, worunter Ben und Vestara leiden – und was auch Euch längst befallen hat –, sind die Nässenden Pocken. Schutzanzüge können dagegen nichts ausrichten. Die Krankheit verbreitet sich durch die Macht.«
»Warum seid Ihr dann nicht krank?«, fragte Taalon.
Luke zog in gespieltem Interesse die Augenbrauen hoch und fragte: »Kennen die Sith denn keine Heilmeditation?« Er tat sein Bestes, den Eindruck zu erwecken, als wäre das eine angenehme Feststellung. »Das erklärt, warum es Vestara im Vergleich zu Ben so schlecht geht.«
Khais Augen blitzten beunruhigt auf. »Und Ihr habt sie das nicht gelehrt?«
Luke zeigte sich keiner Schuld bewusst. »Ich dachte, sie wüsste, wie’s geht«, sagte er. »Für uns ist das eine so grundlegende Technik.«
»Lügner!« Khai beugte sich vor. »Falls sie stirbt, dann wird Euer Sohn …«
»Schwert Khai!« Taalon hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. »Skywalker
spielt bloß mit Euren Ängsten. Wenn er uns davon überzeugen kann, dass wir bereits infiziert sind, werden wir unsere Anzüge ablegen und uns wirklich anstecken.«
Luke gab sich gleichgültig. »Dann lasst Eure Anzüge eben an.« Trotz seiner Lässigkeit hatte sich in Lukes Magen ein kalter Klumpen gebildet. Auch ohne die wahre Natur der »Krankheit« zu kennen, hatte Taalon seine Absicht beinahe erraten. »Wir werden die Wahrheit noch früh genug erfahren.«
Khais Augen verhärteten sich, und er starrte finster auf Lukes Hinterkopf hinab. »Hochlord Taalon kennt die Wahrheit jetzt schon.«
Luke gestattete sich ein Lächeln. Khais Tonfall war ein bisschen zu nachdrücklich. Das Schwert wurde nervös, was bedeutete, dass Luke die Saat des Zweifels erfolgreich gesät hatte. Mit der Zeit würde diese Saat zu einer voll ausgewachsenen Illusion heranreifen. Und sobald im Innern von Khais Anzug blaue Pusteln auftauchten, würden auch die übrigen Sith glauben, dass sie infiziert waren.
Schließlich betätigte Taalon die richtige Kombination von Tasten. Auf den Hauptschirmen beider Piloten erschien die Taktikanzeige, mit der Schatten in der Mitte, während das Sith-Truppenshuttle, die Obuuri, dicht hinter ihnen folgte.
Ihr Ziel nahm den Großteil des oberen Bildrands ein, doch der Mangel an Reaktion hinter Luke wies darauf hin, dass die Insel seinen Passagieren auch weiterhin verborgen blieb. Fallanassi-Illusionen funktionierten von innen heraus, machten sich den Weißen Strom zunutze, um im Verstand des Opfers einen Eindruck zu erzeugen, der so lebendig und realistisch war, dass sein eigener Intellekt gegen ihn arbeitete, um die Täuschung mit den winzigsten Einzelheiten zu versorgen – und um alles zu verschleiern, das möglicherweise Zweifel an ihrer Wahrhaftigkeit aufkommen ließ.
Nach einem Moment schüttelte Taalon den Kopf. »Ich sehe nichts.« Er lehnte sich vor und sprach in Lukes Ohr. »Ich warne Euch. Falls Ihr glaubt, Ihr könntet uns in die Irre führen, seid Ihr gewaltig im Irr…«
Taalons Drohung wurde von einem erstaunten Ausruf vom Navigatorsitz unterbrochen.
»Lord Taalon!« Khai streckte seinen Arm aus und wies auf den Taktikschirm. »Seht!«
Taalon sagte irgendetwas Unwirsches in seiner Muttersprache und fragte dann: »Wie ist das möglich?«
Luke schaute nach unten und entdeckte ein vertrautes Kennungssymbol, das gerade die Insel umrundete: SCHIFF.
»Was ist das denn für eine verkorkste Taktikanzeige?«, wollte Taalon wissen. »SCHIFF? Was für Schiffe? Welcher Art? Wie groß? Stellen sie eine Bedrohung dar?«
» Sie?«, fragte Luke verwirrt.
»Habt Ihr keine Augen im Kopf?«, forschte Khai. »Der Schirm zeigt ein ganzes Geschwader – und wir fliegen geradewegs darauf zu!«
»Oh, diese Schiffe«, sagte Luke. Der Bildschirm zeigte bloß ein einziges Kennungssymbol, sodass es sich bei dem »Geschwader« offensichtlich um eine weitere Fallanassi-Illusion handelte.
»Sind das nicht Eure?«
»Unsere?«, fragte Taalon.
Luke wies auf das Symbol auf seinem Bildschirm. »Das ist nicht bloß irgendein Schiff«, erklärte er. »Das ist Schiff – die Meditationssphäre. Bis jetzt war uns nicht klar, dass ihr eine ganze Flotte davon besitzt. Also haben wir Schiffs Namen einfach als Kennungssymbol verwendet.«
Luke hielt weiterhin in direktem Kurs auf die Insel zu, während er sich fragte, wie lange es wohl dauern würde, bis Taalon zugab, dass die illusionären Schiffe nicht zu ihm gehörten. Je verzweifelter sich die Sith bemühten, einen Anschein von Truppenstärke zu vermitteln, die sie nicht besaßen, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass sie in Wahrheit sehr schwach waren, und das zu wissen wäre eine wertvolle Information. Dessen ungeachtet war Luke bereit, mit der Schatten beim ersten Kribbeln drohender Gefahr zu einem Ausweichsinkflug überzugehen. In der Atmosphäre war die Reichweite der meisten Weltraumwaffen deutlich vermindert, doch Schiff war immer noch Mysterium genug, dass sich unmöglich sagen ließ, wie bald es das Feuer eröffnen würde – falls überhaupt.
Am Horizont erschien der dunkle Punkt eines fernen Schiffs, ungefähr einen Kilometer neben der Insel und wuchs rasch an, als er sich der Schatten näherte. Luke ließ seinen Daumen auf dem Zielerfassungsfeld am Pilotenknüppel liegen, doch er sah davon ab, die Erschütterungsraketen scharf zu machen – oder auch nur, Schiff als Primärziel auszuweisen. Beides würde Bestätigungsmeldungen nach sich ziehen, die seine Passagiere aller Wahrscheinlichkeit nach bemerken würden.
Als sich Taalon weiterhin weigerte zuzugeben, dass die illusionären Schiffe nicht zu ihm gehörten, sagte Luke: »Lasst Euer Geschwader hinter die Obuuri fallen. So wird es einfacher, wenn alle der Schatten folgen.«
»Einfacher für Euch vielleicht – und für jeden, der sie ins Visier nimmt«, entgegnete Taalon.
» Ich entscheide, wie ich mein Geschwader einsetze, Meister Skywalker.«
Als der Hochlord zu Ende gesprochen hatte, war Schiff auf die Größe eines Daumennagels angeschwollen und vermutlich nah genug, um das Feuer zu eröffnen. Entweder glaubte Taalon tatsächlich, dass das Geschwader von Schiffen unter seinem Kommando stand, oder er hatte mehr Angst davor, schwach zu wirken, als zu sterben. So oder so, es war an der Zeit, den Hochlord dazu zu zwingen, Farbe zu bekennen.
»Wärt Ihr in diesem Fall dann zumindest so freundlich, das Geschwader zu bitten herumzuschwenken?«, fragte Luke. »Wir sind gleich in Kampfentfernung, und es gefällt mir nicht, dass diese ganzen Plasmalanzen in meine Richtung zielen.«
»Plasmalanzen?«, fragte Taalon, offensichtlich verwirrt.
Luke senkte argwöhnisch die Stimme. »Habt Ihr noch nie etwas von den Plasmalanzen gehört?« Er machte die Erschütterungsraketen scharf und wies Schiff als Primärziel aus, ehe er in der Spiegelblende Taalons Blick suchte. »Wie könnt Ihr Meditationssphären befehligen und nicht wissen … oh, stimmt ja, tut Ihr ja gar nicht!«
Taalons Verwirrung verwandelte sich in ein wissendes Grinsen. »Netter Versuch, Meister Skywalker, aber so etwas wie Plasmalanzen gibt es nicht«, sagte er. »Ich versichere Euch, dass ich die völlige Kontrolle über Schiff und all seine Kameraden habe.«
Die Überzeugung in der Stimme des Hochlords wies darauf hin, dass er tatsächlich glaubte, was er da sagte – und Luke hatte das flaue Gefühl, dass er auch den Grund kannte.
»Wie seid Ihr und Schwert Khai eigentlich von Abeloth’ Planet entkommen?«, fragte Luke.
»An Bord von Schiff?«
»Natürlich«, erwiderte Taalon. »Ich befahl Schiff, zu mir zu kommen.«
»Und Schiff brachte Euch aus dem Schlund heraus«, mutmaßte Luke. »Dann brachtet Ihr Schiff in einem Fregattenhangar nach Pydyr … zurück zu Abeloth.«
Jetzt war Taalons Stimme weniger zuversichtlich. »Wir haben Schiff mitgebracht, ja«, bestätigte er. »Aber es steht nach wie vor unter meiner Kontrolle, nicht unter Abeloth’. Und im Augenblick fordert Schiff mich auf, ans Ufer zurückzukehren und Verstärkung zu rufen. Weiter vorn wartet eine große Streitmacht darauf, uns aus dem Hinterhalt anzugreifen.«
»Eine Fallanassi-Streitmacht?« Luke stieß eine Lachsalve aus. »Für einen Sith seid Ihr schrecklich naiv.«
» Schiff lügt mich nicht an, Meister Skywalker.« Taalons Stimme haftete ein gewisser Anflug von Dringlichkeit an – vielleicht, weil ihn ein ähnliches Kribbeln drohender Gefahr befiel, wie Luke es spürte. »Dreht …«
Die zweite Hälfte von Taalons Befehl ging im Schrillen der Annäherungswarnung unter.
Luke drückte auf den Feuerknopf am Pilotenknüppel und spürte dann zwei sanfte, dumpfe Schläge, als zwei Erschütterungsraketen aus ihren Abschussrohren schossen. Im selben Moment zischten aus Richtung von Schiff drei Rauchspuren auf sie zu. Bunte Striche fächerten über den Himmel, als die Obuuri das Geschwader illusionärer Meditationssphären mit Kanonenbeschuss beharkte. Luke zog die Schatten in eine Fassrolle, sank so tief, dass sie bloß noch wenige Meter über den wogenden Wellen waren – und hielt dann weiter auf die Insel zu.
Die Rauchspuren änderten den Kurs und kamen gnadenlos auf sie zu.
Bens Stimme drang aus dem Interkom-Lautsprecher. »Ähm, Dad? Du siehst diese ganzen Meditationssphären schon, oder? Die, unter denen du geradewegs hindurchfliegen willst?«
»Ja, Ben … Ich sehe sie.« Das stimmte nicht wirklich, doch Luke konnte das eine Gefährt sehen, auf das es ankam – Schiff. »Keine Sorge.«
»Wer macht sich hier Sorgen?«
Bens Erwiderung folgten ein gedämpftes »Ich!« von Vestara und ein Chor der Zustimmung von den anderen Sith, die sich in der Hauptkabine drängten.
»Wir haben uns bloß gefragt, ob du möchtest, dass wir irgendetwas tun«, fuhr Ben fort.
»Danke«, sagte Luke. Die Rauchspuren schlängelten sich immer noch auf die Schatten zu.
»Aber wir haben hier oben alles unter Kontrolle.«
»Unter Kontrolle?«, rief Gavar Khai. »Wir sind zahlenmäßig sechs zu eins unterlegen!«
»Aber wir haben doch Euch und … Taalon«, meinte Luke, der den Hals reckte, um oben
durch die Kanzel zu schauen. An der Spitze jeder Rauchspur erschien ein winziger orangefarbener Flammenball, höchstwahrscheinlich ein Reibungsbrand, der von einem der mit der Macht geschleuderten Steine verursacht worden war, die Schiff zuweilen als Geschosse benutzte. »Wie wär’s damit, diesen Felsbrocken einen kleinen Machtschubs zu verpassen?«
»Welchen?«, keuchte Taalon. »Das müssen fünfzig sein!«
»Festhalten.« Luke drehte die Schatten direkt auf die drei echten Raketen zu, und sofort schwollen die winzigen Feuerbälle zur Größe von Wookiee-Köpfen an. »Denen.«
»Seid Ihr verrückt?«
Trotz Taalons überraschtem Ausruf drehten die drei Feuerbälle scharf nach links bei und verschwanden. Luke hätte gern die Taktikanzeige überprüft, um zu sehen, was aus Schiff geworden war, doch weiter vorn ragte ein Vorhang weißer Klippen empor. Bei der Geschwindigkeit, mit der sie flogen, war es unmöglich, die Entfernung einzuschätzen. Aber sie waren dicht dran. Schon ließen Kanonensalven von der Obuuri feine Steinstaubwolken von den nackten Felsen der Insel aufsteigen.
Luke wusste, dass sich nie eine bessere Gelegenheit bieten würde, um die Sith in eine Falle zu locken, doch angesichts des Umstands, dass Taalon so nahe war, war der einzige Plan, der Erfolgsaussichten hatte, keinem Plan zu folgen. Er musste einfach agieren und reagieren.
Noch mehr Kanonensalven beendeten ihr Dasein in einem Strahlenkranz überhitzten Gesteins. Luke riskierte einen raschen Blick auf die Taktikanzeige und sah keine Spur von Schiff, bloß die Obuuri, die in dem Bestreben hin und her tanzte, illusionären Raketen auszuweichen.
Als Luke seinen Blick wieder hob, schlugen die Kanonensalven der Obuuri nur eine Sekunde, nachdem sie an der Schatten vorbeigezischt waren, in die Klippenwand. Luke riss den Steuerknüppel nach hinten und spürte, wie der Bug der Raumyacht nach oben schnappte.
»Seid Ihr irre?«, rief Taalon.
Der Bug der Schatten sank wieder nach unten und sie sausten weiter auf die Klippe zu. Luke spürte das Herz im Hals pochen. Als ihm klar wurde, dass er dem Hochlord irgendeinen anderen Grund dazu geben musste hochzuziehen als eine Insel, die er nicht sehen konnte, wies Luke auf die Abfolge explodierender Kanonenschüsse.
»Barriere …feld!« Er konnte die Worte kaum hervorwürgen, da die Salven der Obuuri keinen Herzschlag, nachdem sie vorbeigezischt waren, an der Klippe explodierten. »Seht Euch die Kanonen …«
Ihr Bug stieg so schnell nach oben, dass sie beinahe einen Looping machten. Luke drückte den Steuerknüppel nach vorn, und die Schatten stieg auf den azurblauen Himmel zu, schoss parallel zur Klippe dahin – und begann dann zu buckeln und zu zittern, als sie von hinten eine Explosionswelle traf. Er kämpfte einen Moment lang darum, die Kontrolle zu behalten, warf dann einen raschen Blick auf den Taktikschirm und sah das Kennungssymbol der Obuuri im hellroten Kreis einer Hitzeblüte verschwinden.
»Wo kam dieses Barrierefeld so plötzlich her?«, wollte Taalon wissen. »Warum hat der Taktikschirm es nicht angezeigt?«
»Vielleicht ist es so eine Art Machtmauer«, schlug Khai vor.
»So etwas Ähnliches muss es sein«, entgegnete Luke. »Was ist mit Schiff passiert? Haben wir es erwischt?«
»Unsere Raketen wurden abgelenkt«, berichtete Khai. »Aber woher wusstet Ihr, dass Ihr auf Schiff feuert und nicht auf irgendeine andere Sphäre?«
»Nur so ein Gefühl.«
»Ich denke, Ihr habt viele Gefühle, die Ihr nicht mit uns geteilt habt«, sagte Taalon mit vor Argwohn kalter Stimme. »Gefühle, die die Obuuri womöglich gerettet hätten, wenn Ihr sie früher kundgetan hättet.«
»Tut mir leid, ich war irgendwie beschäftigt«, erwiderte Luke. »Nächstes Mal solltet Ihr vielleicht einfach darauf vertrauen, dass ich mein eigenes Schiff durchaus zu fliegen weiß.«
»Dazu wird es nicht kommen, Meister Skywalker«, sagte Taalon. »Tatsächlich vertraue ich Euch nicht im Geringsten. Wir kehren zum Ufer zurück und rufen Verstärkung.«
Luke schüttelte den Kopf. »Um den Fallanassi noch mehr Zeit zu geben, sich vorzubereiten?« Draußen vor der Kanzel sauste der grün gefranste Rand der Klippe vorbei, und dann stieg die Schatten in den verwaisten Himmel empor. »Wenn Ihr das tut, wird es keine Rolle mehr spielen, wie viele Sith Ihr mitbringt.«
»Diese Entscheidung trefft nicht Ihr«, bekräftigte Taalon. »Ihr kehrt jetzt zum Ufer zurück, oder Ben wird steroooaaaagh!«
Taalons Drohung verwandelte sich in einen Aufschrei, als Luke ihren Bug nach unten kippte und die Geschwindigkeit reduzierte, um so stark abzubremsen, dass er gegen sein Sicherheitsgeschirr geworfen wurde. Trotzdem war die Schatten bereits halb über die Insel hinweg, bevor sie langsam genug flogen, um zu sehen, dass die Oberfläche von Keulenmoos und Baumfarnen bedeckt war. In eine Seite der Klippe war die pilzbewachsene Kluft einer alten Treppe gemeißelt, die zur Spitze des Plateaus hochführte und zu einem bemoosten Wasserlauf wurde, der auf eine ferne Ansammlung von Erdhügeln hin verlief. Als die Schatten weiter nach vorn glitt, nahmen die Hügel die Formen kegelförmiger Hütten und länglicher Versammlungshallen mit Halbfassdächern an. Von der größten Halle stieg durch eine Öffnung in einem Haufen aufgestapelter Steine eine Säule gelben Rauchs in die Luft.
»Ist das die Heimstatt der Fallanassi?«, fragte Khai. Offensichtlich war er jetzt imstande, die Insel so deutlich zu sehen wie Luke. »Hier sieht es wie auf Abeloth’ Planet im Schlund aus!«
»Zumindest wissen wir, dass wir hier richtig sind.« Luke bremste weiter ab, während er sich gleichzeitig darüber klar zu werden versuchte, wie er überprüfen konnte, ob seine Passagiere dieselbe Insel sahen wie er – anstatt eine leicht abweichende Illusion. »Was sind diese Hügel am anderen Ende der Insel?«
»Offensichtlich ihr Dorf.« Taalons Stimme klang drohend. »Falls Ihr mich erneut austrickst, Skywalker, wird Ben als Erster sterben.«
»Nicht, wenn Ihr vorher dran seid«, gab Luke zurück. »Sagt Euren Kriegern, sie sollen sich bereit machen.«
»Sith sind immer bereit«, entgegnete Khai. »Wollt Ihr uns nicht daran erinnern, dass die Fallanassi Pazifisten sind?«
»Nein«, sagte Luke. »Ich habe Euch schon genug gewarnt.«
Khais Augenbrauen wölbten sich vor Neugierde, doch sie näherten sich bereits dem Dorf, und Luke nutzte diesen Vorwand, um den Blickkontakt abzubrechen, ohne weiter darauf einzugehen. Er landete in einem moosbewachsenen Areal, bei dem es sich um den Dorfplatz zu handeln schien, vor der großen Halle, von der der gelbe Rauch aufstieg.
Die Schatten war noch dabei, sich auf ihre Landestreben zu senken, als ein leises, informatives Piepsen verkündete, dass die Einstiegsrampe runtergelassen worden war. Als Luke sein Sicherheitsgeschirr abgelegt hatte, eilten bereits Sith-Krieger nach draußen, um einen Verteidigungsgürtel zu errichten. Im Gegensatz zu Jedi-Kämpfern, die unter diesen Umständen ihre feuerbereiten Blaster in den Händen gehalten hätten, agierten die Schwerter, als würde ihre bloße Gegenwart genügen, um einen Angriff zu verhindern.
Luke ließ die Systeme der Schatten auf BEREIT-STANDBY, stand auf und folgte Taalon und Khai auf den Platz hinaus. Abgesehen von einem salzigen Meereshauch roch es in dem Dorf fast genauso wie auf Abeloth’ Planet, moderig und widerlich. Und nicht bloß die Luft allein stank.
Die Macht war bitter vor Kummer und Furcht. Luke konnte fühlen, wie sie an ihm vorbeiwirbelte und seinen ganzen Körper beutelte, als sie auf die große Versammlungshalle zufloss.
»Verdammt!«, krächzte Ben, der sich zu Luke und den anderen gesellte. »Was ist das?«
Es war Vestara, die antwortete. »Macht.« Genau wie Ben, wirkte sie noch immer erschöpft und krank. »Schiere Macht.«
Ben sah sie an und runzelte zweifelnd die Stirn. »Macht?«
»Ja, Ben.« Ein hungriges Lächeln trat auf ihre rissigen Lippen. »Du weißt doch, wie es geht.
Schmerz führt zu Furcht. Furcht führt zu Zorn.«
»Zorn führt zur Dunklen Seite«, beendete Luke den Sermon für sie.
Er wandte sich der Versammlungshalle zu und fragte sich, ob die Angst, die an ihm zu nagen begann, möglicherweise einen Nutzen hatte. Konnte sich Abeloth von dem Leid und der Furcht um sie herum nähren? War sie wirklich in der Lage, diese dunklen Gefühle in Energie der Dunklen Seite umzuwandeln?
Lukes Grübeleien fanden ein jähes Ende, als die Fallanassi nach und nach aus ihren Hütten kamen. In schlichte, an der Hüfte von Gürteln zusammengehaltene Gewänder gehüllt, waren es alles Frauen, größtenteils menschlich, und in ihren ausgemergelten Gesichtern sah Luke dasselbe Leid und dieselbe Furcht, die er in der Macht fühlte. Ungeachtet der vorsätzlichen Drohung, die von den Sith ausging, richtete eine grauhaarige Frau mit besorgten Augen und einer langen, klingendünnen Nase ihren Blick auf Luke. Sie trat vor und führte dabei ein halbes Dutzend Begleiterinnen an, die im selben Alter zu sein schienen.
»Kennt Ihr sie?«, fragte Taalon.
»Nein«, sagte Luke. »Aber das ist mit ziemlicher Sicherheit ihr Ältestenrat. Ihr solltet sie näher kommen lassen.«
Obgleich Taalon keinen Befehl gab, den Luke hören konnte, traten zwei Sith beiseite und gewährten den Fallanassi Zutritt in ihre Mitte. Die grauhaarige Frau kam geradewegs auf Luke zu.
Ohne auf Taalon und Khai zu achten, fixierte sie ihn mit ihrem wütenden Blick.
»Akanah sagte, Ihr würdet uns verraten.«
»Ich habe euch nicht verraten …« Luke hielt inne, wartete darauf, dass der Namen der Frau in ihrem Bewusstsein aufstieg, und fuhr dann fort: »… Eliya. Es ist offensichtlich, dass eure Gemeinschaft hier bereits in Schwierigkeiten steckt. Doch ich bezweifle, dass ihr die wahre Natur dieser Gefahr erkennt. Ich bin gekommen, um euch zu helfen.«
»Indem Ihr die da in unsere Mitte bringt?« Eliya deutete mit einer Hand wütend in Taalons Richtung. »Erwartet Ihr von uns, dass wir Sith heilen?«
»Die Gefahr, der ihr euch jetzt gegenüberseht, ist wesentlich schlimmer als … Sith«, entgegnete Luke. Der Ungestüm in ihrer Stimme erstaunte ihn so sehr, dass ihm der Hinweis beinahe entging, den sie ihm gegeben hatte – nämlich, dass die Fallanassi bereits einen Plan hatte, um mit den Sith fertigzuwerden. Alles, was er zu tun hatte, war zu verhindern, dass Taalon das mitbekam. »Und ich brauche sie lebend, um euch zu helfen.«
Eliya musterte Luke einen Moment lang und schüttelte dann voller Abscheu den Kopf.
»Nicht einmal Ihr selbst glaubt daran, dass sie ihr Wort halten werden.« Sie seufzte schwer und wandte sich dann an Taalon. »Doch unser Glauben lässt uns keine Wahl – wir müssen allen helfen.
Legt diese lächerlichen Anzüge ab, und wir werden versuchen, euch zu retten.«
»Uns retten?«, fragte Taalon.
»Vor der Weißen Pest«, erklärte eine von Eliyas Begleiterinnen. Sie wies auf Ben und
Vestara. »Ihr beide kommt mit mir. Wir müssen diese Geschwüre unverzüglich mit etwas Jigog-Salbe behandeln.«
Taalon hob die Hand. »Stopp!«
Er drehte sich um und musterte Luke eine Weile, zweifellos, während er sich auf die Kräfte der Erkenntnis besann, die das Eintauchen in den Teich des Wissens ihm beschert hatte. Luke kam sich hilflos vor ob des Umstands, dass ein Gegner seine Pläne vorhersehen konnte, einfach indem er ihn anschaute – doch gleichzeitig war das eine wichtige Information, die darauf hinwies, dass Taalon tatsächlich über die Situation nachsinnen musste, um vorherzusehen, was als Nächstes geschehen würde.
Nach einem Moment sagte Taalon zu Luke: »Ihr habt die Krankheit als die Nässenden Pocken bezeichnet.«
Es war Eliya, die antwortete. »Man kennt die Weiße Pest unter vielen …«
Taalon schlug so schnell zu, dass Luke nichts als den Rücken seiner behandschuhten Hand sah, die Eliyas Gesicht traf. Sie brach schlagartig zusammen und landete zu seinen Füßen. Blut strömte aus einer aufgerissenen Wange.
»Es gibt überhaupt keine Krankheit«, verkündete er. »Die Weiße Pest ist eine Fallanassi-List.«
Eliyas Augen weiteten sich vor Überraschung und Unglauben, doch sie schüttelte den Kopf und setzte an: »Glaub, was du willst, Sith. Aber das bedeutet deinen Tod …«
»Eliya, nicht!«, unterbrach Luke. Falls sie weiterhin log, würde Taalon an ihr bloß ein Exempel statuieren. »Ich weiß, dass es schwer ist, das zu glauben, aber den Fallanassi ist wirklich mehr damit geholfen, wenn ihr einfach kooperiert.«
»Wir sind hier, um Abeloth zu finden«, sagte Taalon. Er schaute in Richtung der Versammlungshalle. »Wo ist sie? Da drin?«
Eliya bedachte Luke mit einem wütenden, düsteren Blick und schüttelte dann den Kopf.
»Nein, nicht mehr«, sagte sie. »Sie verließ uns …«
»Ihr werdet euch Abeloth noch früh genug gegenübersehen«, rief eine vertraute Stimme.
Luke drehte sich um und sah Akanah in der Tür der Versammlungshalle stehen. Ihr Haar hing lose herab und wehte um ihre Schultern, wie von einer Brise erfasst, die überhaupt nicht blies, und in ihren Augen lag eine Dunkelheit, die aus den Untiefen der Zeit selbst emporzusteigen schien.
Ihr Blick wanderte von Taalon zu Luke, und sie lächelte, um einen Mund voller kleiner, scharfer Zähne zu präsentieren.
»Du hättest nicht herkommen sollen«, sagte sie. »Wirklich, das hättest du nicht tun sollen.«