22. Kapitel

Vom Meer her, das den Fuß der Klippe mit einer endlosen Abfolge wogender, schaumgekrönter Wellen attackierte, trieb der dunkle Schleier einer Gewitterwolke heran. Zwischen den Wellen tauchten Hunderte ovaler Formen aus dem Wasser auf, viele davon so groß wie Raumschiffe, aber vermutlich bloß Felsen. Weit draußen thronte der weiße Turm einer fernen Insel, die von Meeresklippen umschlossen war, genauso hoch wie jene, auf der Luke jetzt stand.

Als Luke keine Spur der Jadeschatten entdeckte, drehte er sich zu seinem pydyrianischen Führer um. »Ich hoffe, das ist kein Versuch, mich übers Ohr zu hauen, Sanar. Wenn die Schatten ins Meer gestürzt ist …«

»Nicht im Geringsten.« Sanar deutete auf den knöcheltiefen Teppich aus Bodenranken, in dem sie standen. »Das Schiff ist hier, unter uns.«

Luke senkte den Blick und tauchte in den Weißen Strom ein, für den Fall, dass er einer weiteren Fallanassi-Täuschung aufsaß, doch er sah sich bloß denselben mit vier Spitzen versehenen Bodenrankenblättern gegenüber wie zuvor. »Unter uns?«

»In einer Höhle.« Sanar trat an den Rand der Klippe, ehe er sich nach vorn lehnte und unter sie wies. »Da drunten.«

Luke benutzte die Macht, um seinen Stand zu festigen, beugte sich über die Kante und blickte die nackte Felswand hinab. Hundert Meter tiefer, halb von einem Schwarm kreischender, spitzflügeliger Seevögel verborgen, entdeckte er den dunklen Schatten eines Höhleneingangs.

»Ich verstehe.« Luke wandte sich wieder Sanar zu und fragte: »Wie kommen wir da runter?«

Der Pydyrianer zog seinen kleinen Mund zu etwas zusammen, das vermutlich ein Ausdruck der Überraschung war. »Ihr seid ein Jedi, oder nicht?«

»Das bin ich«, stimmte Luke zu. »Aber Jedi können nicht fliegen.«

»Nicht?« Sanar wirkte noch überraschter als zuvor. »Dann habe ich keine Ahnung, wie Ihr das anstellen wollt. Vielleicht sollten wir zurückgehen und einen Luftgleiter mieten.«

Luke schüttelte den Kopf. »Dafür ist keine Zeit. Ich werde es einfach auf die harte Tour machen.«

Er zog einen handflächengroßen Seilwerfer vom Gürtel und schoss einen Strang Flüssigkabel auf die Felsen weiter unten zu. Sobald die Schnur lang genug war, um die Höhle zu erreichen, stoppte er den Fluss des Kabels und drückte den HÄRTEN-Knopf, um eine kleine Energieladung durch den gesamten Strang zu schicken. Sofort verfestigte er sich und wurde zu einem massiven Metallkabel, das kräftig genug war, um mehrere hundert Kilo zu tragen. Um das obere Ende zu sichern, zog er einen daumengroßen Verankerungsbolzen aus einer Gürteltasche, führte das Kabel durch die Öse, steckte den Bolzen dann auf einen Blasteradapter und feuerte die ganze Konstruktion in den Boden.

Ein leises Tschwing ließ ihn wissen, dass die Ankerzähne griffen. Luke führte das Seil durch drei Bremshaken am Gürtel, trat dann rückwärts an den Rand der Klippe und beugte sich über den Abgrund.

Sanars schmale Augenbrauen wölbten sich vor Besorgnis. »Meister Skywalker, braucht Ihr mich noch länger?« Er stieß ein feucht klingendes Husten aus – das erste, das Luke von ihm gehört hatte – und fügte dann hinzu: »Ich fühle mich nicht allzu gut.«

»In Ordnung, Sanar. Vielen Dank für die Hilfe.«

»Nein … ich danke Euch, Meister Skywalker.« Noch während er sprach, trat Sanar den Rückweg zu seinem Landgleiter an. »Falls Ihr Schwierigkeiten habt, das Schiff Eurer Frau wiederzubeschaffen, und ein Transportmittel braucht, ruft mich einfach. Ihr habt meine Kom-Codes.«

Bevor Luke darauf etwas erwidern konnte, saß der Pydyrianer schon im X-40 und schloss die Tür. Der hastige Abgang war nicht so beunruhigend, wie er hätte sein können. Als sie hier angekommen waren und zu der fernen Insel hinübergeschaut hatten, hatte sich eine unerwartete Atmosphäre der Unruhe über die Felskuppe gesenkt, die allmählich zu einem greifbaren Gefühl von Gefahr angewachsen war. Vermutlich handelte es sich dabei um nichts weiter als eine Fallanassi-Illusion, die dazu diente, Eindringlinge von ihrer Tempelzuflucht fernzuhalten. Doch vorhin hatte Luke gespürt, wie Ben mit einem Gefühl von Skepsis und Besorgnis seine Machtsinne nach ihm ausgestreckt hatte, und er war sich durchaus darüber im Klaren, dass Sanars Eifer zu verschwinden, ebenfalls das erste Anzeichen eines Verrats sein konnte.

Luke nahm sich einen Moment Zeit, um sich in der Macht zu sammeln und sie durch sich hindurchfließen zu lassen. Im windgepeitschten Feld oben auf der Klippe konnte er eine nebulöse Ansammlung von Tierleben fühlen, und im Meer hinter sich auch. Er konnte sogar die Wogen von Vorahnung und Geheimnis spüren, die von der fernen Insel ausgingen – zweifellos die Zuflucht und das Heim der Fallanassi. Doch sein Gefahrensinn regte sich nicht, und in der Höhle direkt unter sich nahm er nicht das Geringste wahr.

Luke begann, sich an der kreidehaltigen Felswand abzuseilen. Er ließ sich dabei Zeit und blieb Gefahren gegenüber wachsam. Ihm fielen ein Dutzend Gründe ein, warum Abeloth nach Pydyr gekommen sein könnte, und keiner davon war gut. Möglicherweise war sie in der Absicht hergekommen, eine Armee von Beschützerinnen zu rekrutieren. Oder vielleicht wusste sie von Lukes alter Romanze mit der Fallanassi-Anführerin Akanah und kam in der Hoffnung her, ihren Nutzen aus dieser Liaison zu schlagen – oder Rache an Luke zu nehmen, indem sie eine ehemalige Verehrerin umbrachte. So oder so, die Anhängerinnen des Weißen Stroms schwebten in schrecklicher Gefahr und mussten gewarnt werden.

Als er sich der Höhle näherte, schwirrten Seevögel über seinem Kopf herum, die nach unten schossen und kreischten, um ihn von ihren Nistplätzen zu vertreiben. Der Höhleneingang war ungefähr zwanzig Meter hoch und wie ein schräges O mit einer leicht abgeflachten Unterseite geformt. Er konnte die Schatten gerade so erkennen, wie sie siebzig Meter weiter drinnen auf ihren Landestützen thronte, ein nebulöses, silbernes Ding, das durch die Wolke umherflatternder, kreischender Vögel nur teilweise auszumachen war.

Bevor er die Höhle betrat, dehnte Luke sein Machtbewusstsein bis tief in die Grotte aus – und spürte nichts. Trotz tausender Vögel, trotz der Kakofonie ihrer Schreie und der Luft, die sie aufwühlten, wenn sie vorbeiflogen, um ihn näher in Augenschein zu nehmen, nahm er weiter vorn dennoch nirgends irgendwelche lebenden Präsenzen wahr. Er zog rasch den Blaster und das Lichtschwert, stieß sich dann von der Felswand ab und sauste das letzte Stück nach unten, ehe er die Macht einsetzte, um sich tief in die Einmündung der Höhle zu ziehen.

Nachdem er ein halbes Dutzend erschrockener Vögel beiseitegescheucht hatte, landete Luke tief geduckt ungefähr zwanzig Meter weit in der Höhle. Sofort sprang er hinter einem nahe gelegenen Felsen in Deckung und lag reglos da, während er sich auf seine gewöhnlicheren Sinne verließ, um das Wesen auszumachen, das die Macht im Innern der Höhle blockierte. Hundert Herzschläge lang hörte er bloß die Vögel und roch nichts – außer dem Duft von Guano.

Dann nahm er plötzlich ihre Präsenzen wahr, die die Höhle füllten und sich übers Meer hinaus ergossen. Es waren wütende kleine Vögel, verängstigt durch sein Eindringen und kurz davor anzugreifen. Luke ließ Gedanken an Freundschaft und Sicherheit in seine Präsenz einfließen, und die Vögel beruhigten sich langsam, sowohl in der Macht als auch in der Höhle. Er befreite sich vom Abseilkabel und richtete sich auf die Knie auf, sorgsam darauf bedacht, seine Emotionen ruhig zu halten, als er um den Felsen herumspähte.

Luke sah eine großgewachsene, braunäugige Frau auf sich zukommen, der Zöpfe ihres lockigen braunen Haars über die Schultern fielen. Sie trug eine schlichte weiße Toga, die an der Hüfte von einer dünnen Goldkordel zusammengehalten wurde, und hatte hohe Wangenknochen und einen Mund mit vollen Lippen, der trotz seines breiten Lächelns irgendwie traurig wirkte. Sie sah Luke unverwandt an, und erst dann fühlte er die Wogen der Freude, die sie in die Macht ausstrahlte.

»Luke Skywalker.« Sie streckte ihm ihre Arme entgegen. »Willkommen!«

Luke erhob sich und quittierte ihr Lächeln mit seinem eigenen. Im Gegensatz zu allen

anderen, denen er auf Pydyr begegnet war, zeigte sie keinerlei Anzeichen der illusorischen Pocken, und in ihrem Auftreten lag keine Spur von Erschöpfung oder Krankheit. Er ging über den Höhlenboden auf sie zu, um sie zu begrüßen.

»Akanah. Es ist schön, dich zu sehen.«

Stirnrunzelnd musterte sie seine Waffen. »Du hast eine sonderbare Art, deine Freude zu zeigen.«

Luke sah nach unten und errötete vor Verlegenheit, schob jedoch bloß den Blaster ins

Halfter. »Verzeih mir.« Er wies auf die Vögel, die über ihren Köpfen ihre Kreise drehten. »Ich verfolge ein sehr gefährliches … Wesen, und als ich diese Vögel nicht in der Macht wahrnehmen konnte …«

»… wurdest du natürlich misstrauisch.« In Akanahs Stimme lag ein leiser Anflug von Missfallen, und sie warf dem Lichtschwert, das er immer noch in der Hand hielt, einen vielsagenden Blick zu. »Was muss ich tun, um dich davon zu überzeugen, dass du von mir nichts zu befürchten hast?«

»Überzeug mich einfach davon, dass du auch wirklich du bist«, entgegnete Luke. »Sag mir, wie meine Mutter hieß.«

Akanah zog eine Augenbraue hoch. »Ganz schön nachtragend, Großmeister Jedi. Eigentlich dachte ich, du wärest mittlerweile darüber hinweg.«

Das durchtriebene Lächeln, das ihre Worte begleitete, verriet Luke, dass er sich keiner Hochstaplerin gegenübersah. Er und Akanah hatten einander vor Jahrzehnten kennengelernt, als sie ihn mit einer List dazu gebracht hatte, ihr dabei zu helfen, die Fallanassi zu finden. Sie hatte damals behauptet, seine Mutter würde deren Orden angehören. Und obwohl Abeloth die Umstände jener Begegnung vielleicht kannte, konnte sie unmöglich wissen, wie sich Luke wegen des Schwindels gefühlt hatte – dass er Akanahs Verzweiflung verstanden und ihr verziehen hatte und sie eine Zeit lang sogar eine Liaison gehabt hatten.

Jetzt, wo er sicher war, dass er mit der wahren Akanah sprach – und nur mit Akanah – hängte Luke sein Lichtschwert an den Gürtel zurück. »Ich bin darüber hinweg.«

Er ergab sich in ihre Umarmung und war überrascht vom plötzlichen Gefühl der Wärme und des Wohlbefindens, das ihn überkam. Es fühlte sich gut an zu wissen, dass Akanah auch nach all diesen Jahren immer noch zärtliche Gefühle für ihn hegte. Doch da war auch ein Anflug von Traurigkeit, da er an die Arme erinnert wurde, die er nie wieder spüren würde – und dass er niemals wieder Angst haben musste, Mara eifersüchtig zu machen, wenn eine alte Freundin ihn ein bisschen länger festhielt, als es angemessen war.

Akanah schien den Wandel seiner Gedanken zu spüren und trat zurück, ohne seine Hände loszulassen. »Ich habe das von Mara gehört. Es tut mir sehr leid.«

Luke, der es besser wusste, als sich in Akanahs Gegenwart zu einem unaufrichtigen Lächeln zu zwingen, nickte und drückte ihre Hand. »Danke, das bedeutet mir viel«, sagte er. »Wir vermissen sie, aber inzwischen kommen Ben und ich ganz gut zurecht.«

»Es freut mich, das zu hören.« Akanahs Blick fiel wieder auf seine Waffen. »Das freut mich wesentlich mehr, als zu sehen, wie du die da in den Händen hattest. Ich denke, du weißt, dass du von den Fallanassi nichts zu befürchten hast?«

»Verzeih mir meine Vorsicht«, sagte Luke. Er hatte das Gefühl, als hätte er erleichtert sein sollen, Akanah zu sehen, doch dem war nicht so. Ihrem Verhalten haftete eine gewisse Zurückhaltung an – etwas, das nahelegte, dass er ihre Hilfe nicht als selbstverständlich voraussetzen sollte. »Die Person, nach der ich suche, besitzt einige beängstigende Fähigkeiten. Ich durfte kein Risiko eingehen.«

Akanah schüttelte traurig den Kopf. »Warum fürchten wir immer, was wir nicht verstehen?«

Sie nahm ihn am Arm und ging tiefer in die muffige Höhle hinein. Ihre Füße rutschten auf dem unebenen, von Vogeldung glitschigen Boden. »Aus diesem Grund wollte ich dich sehen, bevor du abfliegst. Ich hoffe, das macht dir nichts aus?«

»Natürlich nicht. Ich bin froh, dass du gekommen bist.« Jetzt, wo sie einige Augenblicke zusammen gewesen waren, konnte Luke in ihrer Machtaura eine gewisse Neutralität wahrnehmen – ein Hinweis darauf, dass es etwas gab, von dem sie nicht wollte, dass er es spürte. »Doch du musst wissen, dass ich nicht nur wegen der Schatten gekommen bin. Unter euch gibt es eine Neue – jemanden sehr Gefährliches.«

Akanah nickte. »Ja, Najee sagte, dass du auf der Suche nach der Überträgerin der Pocken bist«, entgegnete sie. »Doch es bestand kein Anlass, sich wegen ihr zu sorgen, Luke. Wir haben die Epidemie unter Kontrolle.«

»Es gibt keine Epidemie«, sagte Luke nachdrücklich, »und wir beide wissen das.«

»Warum bist du dann hier?«, fragte Akanah. »Gewiss bist du doch nicht so überheblich zu glauben, dass die Fallanassi Jedi-Schutz benötigen – oder dass wir ihn wünschen

Anstatt zu antworten, blieb Luke stehen, drehte sich um und blickte aus der Höhle zu der weißen Insel hinüber. »Dann versteckt ihr Abeloth also?«

»Das wusstest du bereits, als du nach Pydyr kamst«, erwiderte Akanah sanft. »Genauso, wie du weißt, dass es falsch von dir ist, hier zu sein.«

»Um nach Abeloth zu suchen?« Luke schüttelte den Kopf. »Das glaubst du bloß, weil du nicht weißt, was sie ist.«

»Ich weiß, dass du mit dem Weißen Strom herumspielst«, konterte Akanah. »Ich weiß, dass deine Jedi-Arroganz dich deine Frau und deine beiden Neffen gekostet hat.«

»Meine Jedi-Arroganz?« Luke hatte Mühe, seine Gefühle unter Kontrolle zu behalten. Die Akanah, an die er sich erinnerte, hätte ihn niemals aus reiner Gehässigkeit verletzt. Wenn sie solche Dinge sagte, lag das entweder daran, dass sie sich verändert hatte, oder weil sie das wirklich glaubte und dachte, er müsse die Wahrheit hören. »Wir haben einige Fehler gemacht, ja – ich habe Fehler gemacht. Doch die Jedi sind nicht wie die Fallanassi. Wir verstecken uns nicht vor der Galaxis, sondern wissen sie zu schätzen und leben darin – und das bedeutet, dass wir manchmal kämpfen müssen, um sie zu verteidigen.«

»Um sie zu verteidigen oder um sie zu kontrollieren?«, fragte Akanah mit sanfter Stimme.

Sie ergriff seinen Arm und bewegte sich wieder in Richtung der Schatten. »Die Jedi sind von ihrem Weg abgekommen – du hast zugelassen, dass sie von ihrem Weg abkommen, Luke. Zuerst reden sie sich ein, dass sie über Licht und Dunkel erhaben sind …«

»Das war nie der Grundsatz der Jedi«, erwiderte Luke. »Eine Sith-Infiltratorin hat versucht, unseren Glauben zu verderben.«

»Und sie hatte Erfolg, oder nicht?«, fragte Akanah. »Die Beweise dafür sind unübersehbar.

Eine Jedi-Ritterin hat den Thron des Hapes-Konsortiums bestiegen. Jacen Solo hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Fluss des Stroms zu verändern. Und jetzt macht ein Jedi-Großmeister gemeinsame Sache mit den Sith. Wenn das keine Verderbtheit ist, verstehe ich den Begriff wohl falsch.«

Luke schwieg, mehr überrascht über die Anschuldigungen als davon betroffen. Zweifellos hatte Akanah von Abeloth selbst von der Sith-Allianz erfahren. Doch wie sie zu dem Schluss gekommen war, dass Jacen die Zukunft verändern wollte, vermochte er nicht zu sagen. Luke selbst war erst nach und nach zu dieser Erkenntnis gelangt, nachdem er die Reise, die sein Neffe mit den Geistwandlern unternommen hatte, ebenfalls auf sich genommen und im See der Erscheinungen mit Jacens Geist gesprochen hatte. Wieder war die einzig vernünftige Erklärung dafür Abeloth selbst.

Ein halbes Dutzend Schritte später fragte Luke schließlich: »Akanah, woher weißt du, wonach Jacen gesucht hat? Hat dir Abeloth davon erzählt?«

» Woher ich das weiß, spielt keine Rolle.« Akanahs Machtaura verblasste und wurde unschärfer, als sie sich stärker abzuschirmen begann. »Was hingegen eine Rolle spielt, ist, dass du ebenfalls daran glaubst.«

Sie erreichten das Heck der Schatten und gingen um das Schiff herum zur Backbordseite.

Die Einstiegsrampe war heruntergelassen, und Luke war bestürzt, ein Dutzend der spitzflügeligen Vögel zu sehen, die durch das offene Schott rein- und rausflatterten.

»Das Versagen trifft nicht dich allein«, sagte Akanah, die jetzt mit sanfterer Stimme sprach.

»Ich gewahrte den Schatten in Jacen, als er darum bat, gemeinsam mit uns Studien betreiben zu dürfen, doch ich gestattete ihm zu bleiben, weil er dein Neffe war … und weil ich glaubte, ihm dabei helfen zu können, das Licht in sich wiederzufinden.«

»Danke, dass du es versucht hast«, sagte Luke. »Ich weiß, dass du einigen Eindruck gemacht hast – Jacen sprach liebevoll und mit Respekt von dir.«

Akanah tat seine Worte mit einer abweisenden Handbewegung ab. »Es war ein Fehler«, beharrte sie. »In ihm war zu viel Feuer … zu viel Wille. Ich hätte wissen müssen, dass er wieder aufbrechen würde, bevor er angemessen vorbereitet ist.«

»Vorbereitet?«, fragte Luke überrascht. »Du hattest Pläne für ihn?«

Akanah nickte. »Ich wollte ihn lehren, Dinge hinzunehmen. In ihm steckte so viel Jedi, dass er stets glaubte, es sei an ihm, die Galaxis zu retten.« Sie blieb vor der Einstiegsrampe der Schatten stehen, und ein kalter Nebel begann ihre Machtpräsenz zu verschleiern. »Darum wurde er zu dem, was er wurde. Darum werden so viele deiner Jedi-Ritter zu Ungeheuern. Es fängt ganz harmlos an, mit dem Schwur, die Galaxis zu schützen. Doch die Jedi haben die Angewohnheit, sich größere Bürden aufzuladen, als sie tragen können. Bald wird aus Schutz Kontrolle, und aus dem Jedi-Beschützer wird der Jedi-Herrscher, so wie Kueller auf Almania, so wie Raynar Thul in der Kolonie – so wie Tenel Ka im Hapes-Konsortium. Du erwartest zu viel, und die Galaxis bezahlt den Preis dafür.«

Während Akanah diese letzten Worte sprach, rollte vom Höhleneingang her ein Zittern der Aufregung durch die Macht, und Luke wurde klar, dass sie nicht allein waren. Er dehnte sein Bewusstsein dorthin aus und war nicht im Geringsten überrascht, gleich draußen die Präsenz seines Sohnes wahrzunehmen, der am oberen Klippenrand hing – vermutlich sogar am selben Seil, das auch er benutzt hatte. Und bei Ben war Vestaras Präsenz, gedämpft und – abgesehen von dem Ausbruch der Aufregung, der sie verraten hatte – beinahe nicht zu entdecken.

Falls Akanah das leichte Erbeben in der Macht bemerkt hatte, ließ sie es sich nicht anmerken.

Luke beschloss, ihrem Beispiel zu folgen, und sagte: »Das, was du sagst, birgt große Weisheit. Aber was ist mit dem Bösen in der Galaxis? Sollten wir den Selbstsüchtigen einfach gestatten, die Schwachen zu versklaven? Zulassen, dass die Gierigen die Armen bestehlen?«

»Man kann die Galaxis nicht von einem Mörder befreien, ohne selbst zum Mörder zu werden«, konterte Akanah. »Man kann das Böse nicht bekämpfen, ohne selbst Böses zu tun. Haben die Jedi denn nichts gelernt, seit sie beschlossen, den Yuuzhan Vong die Stirn zu bieten?«

»Die Jedi haben eine gnadenlose, grausame Spezies daran gehindert, die Galaxis zu erobern«, entgegnete Luke, der allmählich anfing, sich zu ärgern. »Und später haben wir verhindert, dass an eben diesen Invasoren schreckliche Vergeltung geübt wurde.«

Akanah schüttelte den Kopf. »Ihr habt verhindert, dass der Galaxis eine Veränderung widerfährt«, sagte sie. »Das ist alles, was ihr getan habt.«

»Dann hätten wir also zulassen sollen, dass sich die Yuuzhan Vong alles nehmen?«, hielt Luke dagegen. »Hätten wir uns verkriechen und einfach zulassen sollen, dass sie ihren imaginären Göttern Milliarden Unschuldiger opfern? Willst du das damit sagen?«

»Ich will damit sagen, dass es uns nicht zusteht, den Strom zu kontrollieren«, entgegnete Akanah. »Wir wissen nicht, wohin er uns trägt oder welche Windungen er nimmt, um uns dorthin zu bringen. Wir können bloß auf seine Absichten vertrauen und dürfen nicht versuchen, ihn unseren zu unterwerfen.«

»Und du glaubst, dass Jacen das getan hat?«, fragte Luke, während er erneut nach der Quelle ihres Wissens tastete. »Dass er versucht hat, etwas in der Zukunft zu verändern?«

»Nein, ich bin davon überzeugt, dass er etwas verändert hat.« Akanah winkte Luke in Richtung der offenen Einstiegsluke der Schatten. »Und deshalb muss ich dich bitten, zu gehen und die Uralte hier bei uns zu lassen. Vielleicht ist sie mit unserer Hilfe in der Lage, den Schaden ungeschehen zu machen.«

In Lukes Magen bildete sich ein eisiger Klumpen. »Ihn ungeschehen machen?« Er wollte Akanah fragen, ob sie den Verstand verloren hatte, doch angesichts des Umstands, dass sie gerade zugegeben hatte, wem die Fallanassi Zuflucht gewährten, war er nicht sicher, ob er die Antwort darauf tatsächlich wissen wollte. »Wie?«

»Warum stellst du Fragen, wenn du die Antwort bereits kennst?«

Natürlich verstand Luke. Abeloth hatte versprochen, den Strom zu seinem ursprünglichen Verlauf zurückzuverhelfen. Vielleicht war so etwas sogar möglich – doch das machte es nicht zu einer guten Idee. Jacen hatte in den Teich des Wissens geblickt und die Machtversion eines dunklen Mannes in dunkler Rüstung gesehen, der – umringt von Gefolgsleuten in dunklen Roben – auf einem goldenen Thron saß. Doch als Luke in den Teich geschaut hatte, zwei Jahre, nachdem Jacen zu Darth Caedus wurde und getötet worden war, war in seiner Vision Jacens Tochter Allana zu sehen gewesen, die neben einem weißen Thron stand und von Freunden sämtlicher Spezies umgeben war. Falls das die Veränderung war, die Abeloth rückgängig machen wollte, gefiel Luke das ganz und gar nicht.

Anstatt die Rampe der Schatten hinaufzusteigen, sagte Luke: »Einst sagte mir Meister Yoda, dass die Zukunft immer in Bewegung ist. Wir können sie niemals richtig erkennen, weil sie sich ständig verändert.«

»Ja, du hast mir bereits von Yodas Lehren erzählt, als wir zusammen … gereist sind.«

Akanah lächelte angesichts der Erinnerung und fuhr dann fort: »Wir Fallanassi glauben mehr oder minder dasselbe – dass sich unmöglich vorhersagen lässt, wohin uns der Strom führen wird, weil er in ewigem Wandel ist.«

In Luke stieg ein Flattern freudiger Erregung auf, und in ihm keimte die Hoffnung, dass er Akanah womöglich doch davon überzeugen könne zu kooperieren. »Und warum wollt ihr dann, dass Abeloth Geschehenes rückgängig macht?«, fragte er. »Wenn wir ohnehin nicht wissen, wohin der Strom führt, woher wollen wir dann wissen, dass der alte Verlauf besser ist als der neue? Oder auch nur, dass er anders ist?«

»Weil wir jetzt wissen, dass es so ist«, entgegnete Akanah. »Als Jacen den Verlauf des Stroms veränderte, veränderte er ihn mit einem ganz bestimmten Ziel – zu jener Vision, die du im Teich des Wissens gesehen hat, zu der mit dem weißen Thron …«

»Woher weißt du davon?«, wollte Luke wissen. Er unterbrach sie vor allem, um zu verhindern, dass sie Allana erwähnte, während Vestara draußen lauschte. »Von Abeloth?«

»Dann stimmt es also.« Akanahs Stimme wurde resoluter. »Jacen hat den Strom auf ein Ziel seiner Wahl zugelenkt – und du hast es gesehen.«

»Ich hatte eine Vision, ja«, sagte Luke. »Aber ich habe keine Ahnung, ob das tatsächlich bedeutet, dass er den Verlauf des Stroms verändert hat.«

Alarmierte Wogen rollten durch die Macht, als Ben und Vestara plötzlich sehr besorgt wegen irgendetwas waren, das draußen vor dem Höhleneingang passierte. Luke drehte sich beiläufig auf einem Fuß, gab vor, sich umzudrehen, um seinen Blick über das Meer zur weißen Insel schweifen zu lassen, und sah, dass die Vögel in heller Aufregung waren.

»Aber wenn Jacen den Strom einem neuen Ziel zugekehrt hat«, fuhr Luke fort, »und Abeloth das rückgängig macht, würde sie seinen Verlauf dann nicht ebenfalls verändern? Würde sie damit nicht ebenfalls einen Kurs verändern, der eigentlich in ständigem Wandel sein sollte?«

Akanah runzelte die Stirn, und einen Moment lang glaubte Luke, es sei ihm gelungen, ihr die Lüge in Abeloth’ Versprechen vor Augen zu führen.

Dann umwölkten sich Akanahs Augen vor Verwirrung, und ihre Machtaura wurde kalt und nebulös. »Das ist eine törichte Frage«, sagte sie. »Abeloth geht über deinen Verstand hinaus.«

»Dann erkläre es mir.«

Anstatt zu antworten, schaute Akanah zum Eingang der Höhle hinüber. Von der Klippenwand draußen drangen zwei erschrockene Schreie herein, ehe Ben und Vestara in Sicht stürzten, um mit den Köpfen voran auf die Felsen weiter unten zuzustürzen. Luke streckte rasch seine Machtsinne aus und packte beide mit der Macht, um sie dann in Sicherheit zu ziehen. Sie landeten in einem schwankenden Haufen einige Meter im Innern der Höhle, rappelten sich sodann auf und standen schließlich Schulter an Schulter da.

Luke griff nach seinem Lichtschwert, während er sich umdrehte, um Akanah anzusehen – und stellte fest, dass sie bereits außer Reichweite war und mit einem Lächeln auf den Lippen zurückwich, das gleichzeitig verrückt und sanftmütig schien.

»Einfältiger Jedi!« Sie streckte eine Hand zur geöffneten Luke der Schatten aus und signalisierte ihm, die Einstiegsrampe hochzusteigen. »Abeloth kann niemand erklären.«