4. Kapitel

Als Vestara über die Schulter blickte, sah sie lediglich den Farn-Pilz-Dschungel, der ihren Pfad verschluckte. Als sie stehen blieb, um zu horchen, vernahm sie bloß das Hämmern ihres eigenen Herzens. Als sie die heiße, feuchte Luft durch ihre Nasenlöcher einatmete und hinunter in ihre sich hebende und senkende Brust sog, roch sie nur den säuerlichen Duft ihrer eigenen Furcht.

Doch sie wusste, dass Ben Skywalker hinter ihr war, bloß zwanzig oder dreißig Meter den Hang hinab. Sie konnte ihn fühlen, eine grimmige, feurige Präsenz in der Macht, die hinter ihr den Kamm erklomm, unermüdlich, entschlossen und unerbittlich.

Natürlich war das ihre eigene Schuld. Vestara hätte einen Thermaldetonator in die Krankenstation werfen können, als sie Ben darin eingeschlossen hatte, oder sie hätte sich einen Moment lang Zeit nehmen können, um den Fusionskern der Schatten zu sabotieren, bevor sie davoneilte. Doch sie hatte sich eingeredet, dass Ben zu flink und zu schlau sei, um sich so leicht eliminieren zu lassen, dass der Versuch, ihn zu töten, bloß ihre Chancen senken würde, mit der Neuigkeit von Schiffs Rückkehr zu Lord Taalon zu gelangen. Die Wahrheit war, dass sie Ben einfach nicht hatte umbringen wollen. Sie hatte zugelassen, dass ihre Zuneigung zu ihm zu einer Schwäche wurde, und Vestara verabscheute Schwäche … besonders bei sich selbst.

Während sie weiter den Kamm hinaufeilte und dabei auf die Macht zurückgriff, um gegen ihre wachsende Erschöpfung anzukämpfen, riskierte Vestara einen raschen Blick zurück. Sie sah keine Spur von Ben, bloß eine Handvoll Farnwedel, die in ihrem Kielwasser immer noch schwankten. Wenn Ben schließlich hier vorbeikam, würden sie wieder reglos sein, und das dichte Unterholz war perfekt für einen Hinterhalt. Alles, was sie tun musste, war, sich etwas einfallen zu lassen, um seinen Gefahrensinn nicht zu alarmieren … oder ihn zu überlisten. Falls sie auf einen Ring Paroxisporen oder einen Busch Säureflieder stieß, würde Ben nicht wissen, wo die wahre Gefahr lauerte. Dann konnte sie sich in der Nähe verbergen und ihren Fehler korrigieren, selbst mit einer Schulter, die bloß zur Hälfte einsatzfähig war. Es bestand keine Notwendigkeit, dass ihr Vater jemals von ihrer Schwäche erfuhr … ebenso wenig wie Hochlord Taalon.

Entschlossen, einen guten Platz für einen Hinterhalt zu suchen, ließ Vestara ihren Blick wieder den Hang hinaufschweifen und sah vor sich eine große, graugrüne Blüte hängen. Sie hatte kein Staubblatt oder einen Stempel, bloß einen langen, röhrenförmigen Staubbeutel, der mit feinen, rostfarbenen Pollen gefüllt war.

»Ach, shrak

Vestara blieb abrupt stehen und versuchte, sich wegzudrehen, ihre Augen fest zusammenzukneifen, doch sie war zu langsam. Schon folgte ein Krampf dem anderen, und eine Wolke purpurner Pollen schoss in ihr Gesicht, um die Augen mit gleißendem, stechendem Schmerz zu erfüllen. Ihr Blickfeld erblühte zu flammenfarbener Blindheit. In dem Wissen, dass sie sterben würde, wenn sie nichts unternahm – und das zweifellos langsam und schmerzhaft –, setzte sie ihre Drehung fort und hechtete mit einem Machtsprung blind beiseite.

Vestara hatte keine Ahnung, ob sie jetzt quer über den Hang oder nach unten sprang – und sie würde es niemals herausfinden. Sie war noch in der Luft, als sie in ein Rankengewirr krachte und einfach schwingend da hing. In der Annahme, sich gerade verheddert zu haben, griff sie nach ihrem Lichtschwert – und spürte dann, wie sich eine Ranke um ihr Handgelenk zusammenzog und das Schwert von ihrem Körper fortzog. Sie versuchte, sich loszureißen, doch ein hartnäckiges, süßlich riechendes Harz ließ die Ranke an ihrem Ärmel kleben. Als sie die Ranke mit der Macht ergriff, zog sie sich noch enger zusammen. Vestara streckte den Arm gerade aus und zog so fest daran, dass sie fürchtete, er würde aus dem Schultergelenk springen.

Vestara versuchte, ihr Blickfeld freizublinzeln, doch sie schaffte es bloß, dabei Harz in die Augen zu bekommen, sodass sie noch schlimmer brannten als zuvor. Sie zog ihren anderen Arm aus der Schlinge und schob die Hand Stück für Stück auf ihr Parang zu, bemüht, sich so langsam zu bewegen, dass sie keinen weiteren Angriff der Ranke auslöste.

Irgendetwas Hölzernes und Geschmeidiges glitt die Innenseite ihres Arms empor und begann, Druck in die entgegengesetzte Richtung auszuüben. Vestaras Herz fing an, in ihrer Brust zu hämmern. Panik ließ sie in kurzen, keuchenden Schüben atmen. Eine weitere Ranke schlängelte sich ihr Bein hinauf, ehe sie sich um ihren Oberkörper schlang und zudrückte. Ihre Gedanken wirbelten in einem wilden Zyklon des Zorns und des Entsetzens durch ihren Kopf. Nachdem sie so vieles auf diesem Planeten überlebt hatte – Angriffe fleischfressender Pflanzen, Abeloth’ Machenschaften, hier ohne Hoffnung auf Rettung gestrandet zu sein, abgeschnitten von der Außenwelt –, hatte der Gedanke daran, hierher zurückzukehren, Vestaras Herz mit Schrecken erfüllt. Doch sie war zurückgekehrt, weil Lord Taalon es befohlen hatte, und hier war sie wieder, blind und gefesselt und drauf und dran, als Mittagessen für einen Baum zu enden.

»Ich … hasse … diesen … Planeten!«

Vestara packte ihr Lichtschwert mit der Macht und ließ es von seinem Gürtelhaken gleiten.

Das Letzte, was sie gebrauchen konnte, war, dass Ben sie so vorfand, und das nicht nur, weil sie dann seiner Gnade ausgeliefert wäre. Er hatte die schlechte Angewohnheit zu glauben, er würde ihr das Leben retten, was sich für gewöhnlich in einem übermütigen Grinsen äußerte, das andeutete, dass er dafür eine Gegenleistung erwartete – wie zum Beispiel, dass sie ehrlich zu ihm war oder ihn nicht reinlegte, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Sie ließ ihr Lichtschwert zur Seite schweben und betätigte dann den Aktivierungsschalter.

Die Waffe erwachte zum Leben, gab das vertraute Brummen und Knistern einer Energiezelle wieder, die von einem der leistungsstarken Lignan-Kristalle des Vergessenen Stammes fokussiert wurde. Sie dirigierte die Klinge nach Gehör, um die Ranken über ihrem Kopf und neben sich zu durchtrennen. Anstatt zu Boden zu stürzen, kippte Vestara kopfüber und hing mit einem Mal umgekehrt da, jetzt an ihren Knöcheln und einem Arm gefangen. Sie nutzte die Macht, um das Lichtschwert über ihren Füßen umherzuschwingen.

Ihre Beine kamen rasch frei und schwangen nach unten, bis sie auf einer Höhe mit ihrem Kopf waren. Jetzt hing sie parallel zum Boden, nur noch an einem Handgelenk und einem Arm gefangen. In der Annahme, sich die Erniedrigung ersparen zu können, von ihrem Jedi-Rivalen gerettet zu werden, ließ sie das Lichtschwert in die freie Hand schweben, damit sie genauer schneiden konnte – dann drehte sie ihren Körper herum und streckte den Arm über ihre Taille nach oben.

»Stopp!«

Ben … natürlich. Vestara ließ frustriert das Kinn sinken und durchschlug dann eine Ranke.

Ihr Fuß schwang genauso nach unten, wie sie es erwartet hatte, ohne jedoch den Boden zu berühren, und nun hing sie bloß noch an ihrem Handgelenk.

»Vestara, nein!«, platzte Ben heraus. Seine Stimme kam aus vier oder fünf Metern Entfernung, etwas schräg unter ihr. »Was machst du da? Du bringst dich noch um!«

»Schon möglich«, erwiderte Vestara und hob die Klinge über den Kopf. »Das sieht euch Jedi ähnlich – zu versuchen, die Schwäche eines blinden Mädchens auszunutzen.«

»Blind?« Ben klang ehrlich überrascht. »Vestara, ich mein’s ernst – du hängst über einer Klippe!«

»Über einer Klippe?«

Vestara deaktivierte das Lichtschwert und hakte es wieder an den Gürtel. Dann zog sie einen überschüssigen Energieriegel aus einer Tasche am Oberschenkel und ließ ihn fallen. Sie hörte nicht, wie er auf dem Boden landete.

»In Ordnung, dann hänge ich also über einer Klippe.« Vestara konnte das Zittern aus ihrer Stimme nicht heraushalten – und sie machte sich auch gar nicht erst die Mühe, es zu versuchen.

Normalerweise verstand sie sich sehr gut darauf, ihre Emotionen zu verbergen, doch Ben hatte die Macht eingesetzt, um ihr zu folgen, als sie in die Blüte gelaufen war, und es war möglich, dass er das Entsetzen in ihrer Aura wahrgenommen hatte. »Und was willst du tun, um das zu ändern?«

Sie spürte nicht, dass Ben näher kam. »Warum sollte ich etwas daran ändern wollen

»Ben, du vergeudest Zeit.« Vestaras Augen brannten, als würde jemand heiße Asche hineinpusten, und sie konnte spüren, dass die Lider anschwollen. Wenn sie die Pollen nicht bald auswusch, würde sie tagelang blind sein – und auf diesem Planeten kam Blindsein einem Todesurteil gleich. »Wenn du die Absicht hättest, mich umzubringen, hättest du mir nichts von der Klippe erzählt.«

»Vielleicht gefällst du mir ja da, wo du bist.«

Vestara seufzte verbittert. »Ich hätte dich töten sollen, als ich die Chance dazu hatte.«

»Hast du aber nicht«, entgegnete Ben. »Eine Chance dazu gehabt, meine ich.«

Vestara drehte den Kopf in seine Richtung und setzte dann die Macht ein, um ihr Parang aus der Scheide zu ziehen und es in Richtung seiner Stimme fliegen zu lassen. Ein überraschter, strangulierter Schrei kam über Bens Lippen, und sie hörte das Unterholz rascheln, als er aus der Flugbahn der Waffe sprang.

»Die Chance dazu besteht immer, Ben«, erinnerte Vestara ihn. Als sie sprach, zog sich die Ranke um ihr Handgelenk fester zusammen, und sie hatte das unbehagliche Gefühl, dass sie in die Krone des Baumes gezogen wurde, der sie gefangen hatte. »Jetzt hör auf, Zeit zu verschwenden, und sag mir, was du willst!«

»Nicht viel.« Ben klang jetzt näher, so, als wäre er zum Rand der Klippe herübergekommen.

»Ich wüsste bloß gern, wo du so dringend hinwillst.«

Vestara runzelte die Stirn, versuchte, sich einen Reim darauf zu machen, was Ben dadurch zu erfahren hoffte, dass er eine derart offensichtliche Frage stellte. »Was denkst du wohl, wo ich hinwill?«, fragte sie. »Zum selben Ort wie du.«

»Zu den Ruinen«, bestätigte Ben, »um Taalon zu sagen, dass Schiff auf dem Weg zurück ist?«

Vestara pfiff, als wäre sie beeindruckt. »Ihr Jedi seid wirklich clever. Ich hatte echt nicht erwartet, dass du da draufkommst.«

»Dieser Teil war leicht.« Bens Stimme war gelassen, ohne einen Hinweis darauf, dass ihr Sarkasmus ihm sauer aufstieß. »Was ich wissen will, ist, warum du nicht die Emiax nimmst?«

Das war eine heimtückische Frage, und eine so unerwartete, dass Vestara sich ganz bewusst beruhigen musste, damit ihre Machtaura nicht ihre Überraschung preisgab.

»Was glaubst du wohl, warum ich sie nicht nehme?«, fragte sie, um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen. Ganz egal, wie sehr Ben ihr drohte, ganz gleich, wie wütend er wegen ihres jüngsten Verrats war, er würde sie hier nicht einfach blind und dem Tode geweiht hängen lassen – das konnte er sich nicht leisten, weil er sie brauchte, um sich im Dschungel zurechtzufinden. »Die Emiax ist Lord Taalons Raumfähre.«

»Und du hattest Angst, dass ich sie abschießen würde«, sagte Ben, um damit eine bessere Antwort auf seine eigene Frage zu liefern, als es Vestara je möglich gewesen wäre. »Kluges Mädchen.«

»Ich habe meine Momente«, erwiderte Vestara. Wieder hatte sie Mühe, ihre Überraschung zu verbergen. Ihr war überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass Ben tatsächlich auf sie feuern könnte, nachdem sie es eigens auf sich genommen hatte, sein Leben zu verschonen … doch diese Jedi steckten voller Überraschungen, was auch das war, was sie so gefährlich machte. »Folgendes wüsste ich gerne: Warum hast du nicht die Schatten genommen, um zu den Ruinen zu fliegen, nachdem du aus der Krankenstation entkommen bist? Dann wärst du eine Stunde eher da gewesen als ich.«

»Das ist leicht zu beantworten«, sagte Ben. Er ließ eine lange Pause, die darauf hinwies, dass er sich eifrig eine Erklärung einfallen ließ. »Ich habe mir, ähm, Sorgen um dich gemacht.«

»Sorgen?«, echote Vestara. »Um eine Sith? Um eine, die dich etliche Male hintergangen hat?«

»Du bist bloß eine Schülerin«, erwiderte Ben leichthin. Es klang nicht so, als wäre er noch näher herangekommen, und das flaue Gefühl in Vestaras Magen deutete definitiv darauf hin, dass sie in den Baum hochgezogen wurde. »Noch ist Zeit, dich zu läutern.«

»Wie niedlich«, sagte Vestara. Ihre Augenlider fühlten sich jetzt so groß an wie ihre Daumen, und sie konnte fühlen, wie aus ihren Tränenkanälen Eiter sickerte. »Aber ich würde nicht darauf warten, dass das in nächster Zeit passiert, Ben – und ich würde mich hier auch nicht länger hängen lassen. Noch zwei Minuten, und dann werde ich wochenlang nichts sehen können.«

»Und warum sollte mich das kümmern?«

Vestara warf ein schiefes Grinsen in Richtung seiner Stimme. »Weil du wüsstest, dass du nicht in einem Raumschiff zu den Ruinen gelangen kannst, wenn du auch nur die geringste Ahnung hättest, wo sie liegen«, erklärte sie. »Sie sind im Dschungel, in einer Schlucht am Fuß des Vulkans. Wo wolltest du denn da landen?«

Ben stieß ein wütendes Schnauben aus und gab zurück: »Dann hast du mich also über den Grund belogen, warum du nicht die Emiax genommen hast?«

»Erwartest du wirklich, dass ich dir glaube, du hättest mich tatsächlich abgeschossen?«

Vestara schenkte ihm ein sinnliches Lächeln – zumindest glaubte sie, dass es in seine Richtung ging. »Komm schon, Ben, hilf mir runter! Ich muss mir wirklich dringend diese Pollen aus den Augen waschen.«

»Warum sollte ich?«, wollte Ben wissen.

»Ähm, weil du gern deinen Vater finden würdest, bevor Schiff Taalon findet?«, erwiderte Vestara. »Sobald dem Hochlord klar wird, dass Schiff zurückkommt …«

»Ich weiß, was passieren wird, wenn Taalon glaubt, meinen Vater nicht länger zu brauchen«, unterbrach Ben. »Was ich nicht weiß, ist, warum ich dir trauen sollte.«

Vestara runzelte die Stirn und verstimmte. Das war eine schwierige Frage – und noch dazu eine, auf die sie keine gute Antwort hatte. »Hör zu, Ben, du brauchst mich.«

»Und du brauchst mich«, erwiderte Ben. »Also gib mir einen Grund, dir da runterzuhelfen.«

»Einen Grund?«, fragte Vestara. Ihre Verwirrung wuchs von Sekunde zu Sekunde. »Ich habe dir bereits einen gegeben. Ohne mich wirst du deinen Vater nicht rechtzeitig finden.«

»Das ist ein Argument, vielleicht sogar eine Tatsache«, insistierte Ben. »Aber es ist kein Grund. Wenn ich dir runterhelfen und in diesem Medikit etwas suchen soll, um deine Augen zu behandeln …«

»Du hast ein Medikit dabei?«, unterbrach Vestara.

»Ich bin ein Jedi-Ritter«, erwiderte Ben. »Ich habe immer ein Medikit dabei.«

Vestara musste lächeln – dann straffte sich die Ranke wieder um ihr Handgelenk, und sie spürte, wie sie schneller höherzugleiten begann. »Okay, was willst du, Ben?«, fragte sie. »Uns läuft die Zeit davon.«

»Du weißt, was ich will«, sagte Ben. »Dein Wort.«

»Mein Wort?«, echote Vestara. »Du meinst, bloß ein Versprechen?«

»Nicht bloß ein Versprechen. Dein Versprechen.«

» Mein Versprechen?« Vestara war sicher, dass das irgendein Trick von Ben war – möglicherweise so eine Art Machtverpflichtung oder eine Jedi-Gedankensperre –, doch sie konnte nichts Ungewöhnliches wahrnehmen. »Das ist alles?«

»Du musst es ernst meinen«, entgegnete Ben. »Wenn du meine Hilfe willst, musst du mir versprechen, dass du mich nicht mehr hintergehst.«

Vestara biss sich auf die Lippen, und das war der Moment, in dem ihr klar wurde, was Ben mit ihr machte: Er spielte mit ihren Gefühlen, versuchte, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.

Sie unterdrückte ein Lächeln. »Für wie lange?«, fragte sie. Es brachte nichts, zu eifrig zu wirken. Er würde ihr nicht glauben, wenn sie sich zu leicht geschlagen gab. »Ich verspreche nichts für die Ewigkeit.«

Ben zögerte, bevor er antwortete, und Vestara wusste, dass sie ihn am Haken hatte.

Schließlich nickte er. »Na gut … bis Schiff eintrifft. Wenn es so weit ist, erreichen die Reaktorkerne ohnehin allmählich den kritischen Bereich.«

Vestara gab vor, einen Moment lang darüber nachzudenken, und schüttelte dann den Kopf.

»Bis du Gelegenheit hast, deinem Vater von Schiff zu berichten. Wenn ich Lord Taalon nicht sage, dass er zurückkehrt, kann ich zusammen mit dir und deinem Vater um mein Leben rennen … mal wieder

»Wäre das so schlimm?«

Vestara nickte. »Ich bin keine Jedi, Ben – und ich will auch keine werden.«

»In Ordnung, wenn du dir da sicher bist«, meinte Ben. Vestara spürte, wie er sie mit der Macht packte. »Dann habe ich also dein Wort?«

»Ja, Ben.« Vestara ergriff abermals ihr Lichtschwert und aktivierte die Klinge. Sie schnitt sich von der letzten Ranke los und fühlte, wie Ben sie auf sich zuschweben ließ. »Du hast mein Wort.«

Was auch immer das wert sein mag, fügte sie im Stillen hinzu.

Sobald sie den Kamm erklommen hatten, tat Ben nicht mehr länger so, als würde er irgendwelche Hilfe brauchen, um die Ruinen aufzuspüren. Der Rauch des Scheiterhaufens, der durch den Dschungel emporwaberte, war so dicht und beißend, dass er auf die Macht zurückgreifen musste, um sich die Peinlichkeit zu ersparen, vor Vestara zu würgen, und dann ging es bloß noch darum, in den Gestank hinabzusteigen. Da Vestaras Sicht noch immer verschwommen war und ihre Augen nach wie vor tränten, blieb sie dicht hinter ihm, hielt sich an seinem Gürtel fest und nutzte die Macht, um sich auf dem steilen Abhang einen besseren Stand zu verschaffen. Eigentlich wäre direkt hinter ihm der letzte Ort gewesen, an dem er eine bewaffnete Sith haben wollte, doch das Versprechen, das Vestara ihm gegeben hatte, war stärker, als ihr bewusst war – und alles Vertrauen, das er in sie setzte, würde seine Kraft nur steigern.

Nach einigen Minuten trieben dunkle Rauchfahnen durch die Farne und das Moos, und Ben spürte, wie sich Vestaras Hand hinten an seinem Gürtel anspannte. Er gab vor, es nicht zu merken, hielt sein Lichtschwert jedoch einsatzbereit und seinen Finger dicht beim Aktivierungsschalter. Er konnte ihre Väter und Taalon einige hundert Meter weiter den Hang hinab wahrnehmen, argwöhnisch und wachsam, eher neugierig als beunruhigt über seine unerwartete Rückkehr – und das bedeutete, dass Ben noch Zeit hatte, um seinen Vater wegen Schiff zu warnen.

Sie stiegen weiter ab, und langsam wurde der Dschungel weniger dicht. Unter ihnen kamen allmählich die Ruinen in Sicht, in einer kleinen Schlucht am Fuße des Vulkans gelegen. Der uralte Komplex besaß einen schlichten Grundriss mit einem grauen Steinhof, der an drei Seiten von einer Art Bogengang umringt wurde, der in die Stirnseite einer zehn Meter hohen Felswand gebaut war.

Das offene Ende des Hofs überblickte einen dampfenden, von Moos und Ranken überwucherten Sumpf, doch das Herzstück bildete eine gurgelnde, in beißenden gelben Dunst gehüllte Fontäne.

Dreißig Meter von der Fontäne entfernt stand Gavar Khai, eine Gestalt mit einer dunklen Kapuze, der abgehackte Farnwedel und Pilzbrocken auf einen großen, schwelenden Scheiterhaufen warf. Bens Vater und Lord Taalon waren nirgends zu sehen, doch Ben nahm ihre Machtpräsenzen unter dem gegenüberliegenden Hang wahr. Vermutlich waren sie gerade dabei, ein Labyrinth unterirdischer Kammern unter dem Bogengang zu erkunden.

Ben blieb stehen und sagte beinahe im Flüsterton über die Schulter: »Denk an dein Versprechen!«

»Wie könnte ich das vergessen?«, entgegnete Vestara, ebenfalls flüsternd. »So viele gebe ich davon ja nicht.«

»Ich bin geschmeichelt, schätze ich.« Ben trat an den Rand der Klippe, bei der es sich in Wahrheit um das Dach des Bogengangs auf ihrer Seite der Ruine handelte, und fragte dann: »Wie geht’s deinen Augen?«

»Gut genug, um mir das Gesicht meines Vaters auszumalen«, sagte sie. »Ich werde sie nicht lange hinhalten können, daher hoffe ich, dass du dir einen guten Grund dafür parat gelegt hast, dass wir unseren Posten verlassen haben.«

»Eigentlich nicht«, meinte Ben. »Aber wenn es so weit ist, dass es darauf ankommt, wird das ohnehin keine Rolle mehr spielen.«

Vestaras Machtaura kräuselte sich vor Verwirrung. »Was soll das denn heißen?«

»Vertrau mir einfach … und halte dich bereit.« Ben drehte sich zur Seite. »Mach jetzt einen großen Schritt!«

Er trat von dem Dach herunter, fuhr mit einer Hand an der Steinmauer entlang und nutzte die Macht, um den Abstieg zu verlangsamen. Hinter ihm ließ Vestara seinen Gürtel los und ließ sich einfach fallen. Im letzten Augenblick streckte sie eine Hand über den Kopf und stoppte ihren Fall, indem sie sich zur Decke des Bogengangs zog, um ein gutes Stück vor Ben zu landen – und so sanft wie eine Feder. Es war eine ernüchternde Erinnerung daran, wie ungeheuer selbstverständlich die Sith des Vergessenen Stammes die Macht einsetzten und wie wenig die Jedi tatsächlich über sie wussten.

Als Ben schließlich auf dem Boden war, durchquerte Vestara bereits den Hof und marschierte ungeachtet ihrer verletzten Schulter und der Probleme, die ihre triefenden Augen ihr bereiteten, mit entschlossenen, zuversichtlichen Schritten auf ihren finster dreinblickenden Vater zu. Ben hielt inne, um sich das Gewand abzuklopfen und Vestara damit reichlich Zeit zu verschaffen, ihn zu hintergehen … weil er wusste, dass sie das nicht tun würde. Sie würde erkennen, dass die Gelegenheit viel zu offensichtlich war, und eine Falle vermuten, und Fehler fürchtete Vestara mehr als den Tod. Anstatt das Risiko einzugehen, vor ihrem Vater und Lord Taalon töricht auszusehen, würde sie ihr Wort halten und dabei feststellen, wie gut es sich anfühlte, ein Versprechen zu halten … und sobald sie den ersten Schritt in Richtung Erlösung erst einmal getan hatte, hatte Ben sie. Er würde sie weiterhin aufs Licht zuziehen, Stück für Stück, genauso, wie sein Vater es bei seiner Mutter gemacht hatte, bis sich Vestara schließlich an seine Wärme gewöhnte und für immer aus den Schatten heraustrat.

Doch Gavar Khai schaute kaum in Vestaras Richtung, als sie vor ihm stehen blieb.

Stattdessen hielt er den Blick auf Ben fixiert, eine Hand bereit, um einen Machtblitz auf ihn zu schleudern, während die andere auf dem Knauf seines Lichtschwerts ruhte. Ben gestand Vater und Tochter ein paar Sekunden alleine zu, ehe er lächelte wie ein nervöser Verehrer und sich in Bewegung setzte, um den Hof zu überqueren und sich zu ihnen zu gesellen. Durch die Macht konnte er die Neugierde seines eigenen Vaters spüren, ein dumpfer Stich des Unbehagens in der Magengegend, und er reagierte darauf, indem er sich auf seine Gefühle der Dringlichkeit und der Sorge konzentrierte, eine stumme Warnung, dass ihr angespanntes Bündnis drauf und dran war, vollends zu zerreißen.

Sobald sich Ben zu den Khais in die rauchschwangere Luft neben dem Scheiterhaufen begeben hatte, wandte sich Gavar Khai schließlich an seine Tochter. »Hochlord Taalon hat dir aufgetragen, bei dem Jedi zu bleiben, oder nicht?«

Vestara ließ den Blick sinken und nickte. »Das hat er.«

»Was machst du dann hier?«, wollte Khai wissen. »Er hat sich darauf verlassen, dass du verhinderst, dass sie uns hintergehen.«

»Ja, ich weiß.« Vestara warf einen schneidenden Blick in Bens Richtung, um ihm schweigend damit zu drohen, ihr Versprechen zu brechen, wenn er ihr nicht beisprang. »Aber es haben sich gewisse … Entwicklungen ergeben.«

Khai kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und blickte rasch in Bens Richtung, ehe er wieder Vestara anschaute. »Hoffen wir, dass Hochlord Taalon diese Entwicklungen als wichtig genug erachtet, um zu tolerieren, dass du seinen Befehl missachtet hast«, sagte er. »Er gehört nicht zu denen, die Ungehorsam leicht verzeihen.«

Vestara schluckte schwer und senkte den Blick. »Ich werde mich seinem Urteil stellen.« Sie warf Ben einen finsteren Seitenblick zu, eine deutliche Warnung an ihn, sie nicht auf die Probe zu stellen. Er lächelte und schwieg weiter. Ein Versprechen bedeutete nichts, wenn es einfach zu halten war. Sie unterdrückte ein spöttisches Grinsen und schaute wieder ihren Vater an. »Ich bin zuversichtlich, dass der Hochlord Verständnis haben wird, sobald er die Fakten hört.«

Khai musterte sie einen Moment lang, dann wurde seine Miene besorgt. »Da solltest du lieber nicht so zuversichtlich sein, Tochter … nicht im Geringsten.« Sein Blick verweilte auf ihr, während die Farbe aus seinem Gesicht wich. Dann wandte er sich an Ben und trat vor, bis sie sich Kinn an Nase gegenüberstanden. »Also, junger Skywalker, sagst du mir, was du mit meiner Tochter gemacht hast?«

Ben rollte mit den Augen und hielt Khais Blick stand, ohne seinen Kopf in den Nacken zu legen. »Ich habe ihr das Leben gerettet.«

Khais Miene wurde noch eisiger. »Und dafür musstest du ihr beide Augen blau schlagen?«

Ben warf einen Blick auf Vestaras geschwollene, lila Augen und stellte fest, dass es tatsächlich so aussah, als wäre sie verprügelt worden. Vestara grinste spöttisch und schaute weg, um ihn wissen zu lassen, dass er auf sich allein gestellt war. Er erwiderte das Grinsen mit einem einseitigen, hämischen Lächeln, ehe er wieder ihren Vater anschaute.

»Wäre es Euch lieber gewesen, wenn ich sie in einer Blutranke hängen gelassen hätte?«

Ein Anflug von Furcht geisterte über Khais Antlitz, der ebenso schnell wieder verschwand, wie er auftauchte. Er machte keine Anstalten zurückzutreten und wirkte auch nicht minder drohend als zuvor, doch Ben wusste, dass er seinen Standpunkt deutlich gemacht hatten – und dass die Zeit gekommen war, Vestara zu beweisen, dass sie darauf vertrauen konnte, dass er sie ebenfalls nicht hinterging.

»Das dachte ich mir«, sagte Ben. »Und sie hat niemandes Anweisungen missachtet. Sie hat mich verfolgt.«

Khai runzelte die Stirn. »Sie war hinter dir?«, fragte er. »Und du lebst noch?«

Ben rollte mit den Augen. »So einfach ist ein Skywalker nicht zu töten«, entgegnete er.

»Das solltet Ihr mittlerweile wissen.«

Ungefähr fünf Meter hinter Ben betrat eine kalte Präsenz den Hof, ehe eine seidige Keshiri-Stimme sagte: »Oh, das wissen wir, Jedi Skywalker – dessen kannst du dir gewiss sein.«

Vestara und ihr Vater legten ihre Schwerthände auf die Brust und verbeugten sich, und Ben drehte sich um und sah, wie Hochlord Taalon durch den Hof auf ihn zukam. Bens Vater ging neben dem Sith her. Seine Miene verriet im selben Maße Neugier, wie seine Machtaura energiegeladen und wachsam war.

Taalon blieb zwei Schritte vor Ben stehen, in optimaler Schlagreichweite seines Lichtschwerts, und verlangte zu wissen: »Dennoch stellt sich die Frage: Warum widersetzt du dich deinen Befehlen?« Er drehte sich so, dass er schräg vor Ben und Luke stand, brachte sich geschickt in eine bessere Position, um das Wort an sie zu richten – oder sich gegen sie zur Wehr zu setzen.

»Mir ist bewusst, dass ihr Jedi Disziplin nicht denselben Wert zumesst wie wir Sith, doch wenn ein Vater seinem Sohn Anweisungen erteilt, kann er wohl erwarten, dass sein Spross gehorcht.«

Luke schaute Taalon unverwandt an und runzelte die Stirn. »Funktioniert das bei Euch? Bei Jugendlichen?« Er setzte eine Miene auf, die gleichermaßen überrascht wie zweifelnd wirkte. »Ich hoffe, Ihr erwartet nicht, dass ich das glaube.«

Taalons Augen wurden kalt. »Ich versichere Euch, Meister Skywalker, dass ich mich von Eurem Spott nicht vom Thema abbringen lassen werde.« Er wandte sich wieder an Ben. »Also, werdet Ihr Euren Sohn jetzt anweisen, mir zu antworten? Oder muss ich Vestara fragen?«

Ben, der den Wink seines Vaters verstand, die Rolle des widerspenstigen Jugendlichen zu spielen, sprach ohne Erlaubnis. »Es war der Rauch.« Er winkte mit einem Arm in Richtung des Scheiterhaufens und gestikulierte so energisch, dass Taalon zusammenzuckte und halb nach seinem Lichtschwert griff. »Ich habe den Rauch mit den Sensoren der Schatten ausgemacht und dachte, es könne hier ein … ein Problem geben.«

»Einen Kampf, meinst du«, vermutete Taalon. »Und deshalb hast du zu Fuß den Gebirgskamm überquert, weil du dachtest, wir würden immer noch kämpfen … eine Stunde später

»Tja, eigentlich schon.« Ben warf einen raschen Blick in Gavar Khais Richtung und runzelte dann die Stirn, als würde Taalons Erklärung absolut Sinn machen. »Ihr seid zu zweit, daher nahm ich an, Dad würde eine Weile brauchen, um euch fertigzumachen.«

»Dein Mangel an Vertrauen schmerzt mich.« Die Belustigung in Lukes Machtaura strafte seinen strengen Tonfall Lügen. »Offensichtlich müssen wir die Zahl deiner Trainingsstunden erhöhen.«

Taalons Miene wurde säuerlich. »Mir war gar nicht bewusst, dass ihr Jedi solche Komiker seid. Vielleicht nehme ich ein paar von euch mit, um unser Jungvolk zu amüsieren, wenn ich nach Hause zurückkehre.« Seine Augen wurden noch kälter und zorniger als je zuvor. »Bis dahin gehe ich davon aus, dass ich sie aus Vestara herausholen muss, wenn ich eine ehrliche Antwort will.«

»Ich bin sicher, dass meine Tochter Euch alles sagen wird, was Ihr zu erfahren wünscht«, sagte Khai, ein wenig zu schnell damit, ihm die Kooperation seiner Tochter zuzusagen. Er wandte sich an Ben. »Was ist eigentlich mit deinem verwundeten Freund? Ist er tot, oder hast du ihn einfach sich selbst überlassen?«

Khai schindete Zeit, versuchte, Ben so dazu zu zwingen, den Grund dafür preiszugeben, warum er und Vestara ihren Posten verlassen hatten. Vielleicht hatte er sie beide belauscht, als sie oben auf der Klippe stehen geblieben waren, um über ihre Abmachung zu sprechen, oder vielleicht spürte er auch bloß dasselbe wie Ben – dass Vestara Ben gern genug hatte, um für ihn zu lügen. So oder so versuchte Khai bloß, seine Tochter zu beschützen, und das konnte man einem Vater kaum verübeln.

»Dyon ist auf dem Weg der Besserung«, sagte Ben. »Er war munter genug, um auf sich selbst aufzupassen. Andernfalls hätte ich Vestara nicht zu ihm in die Medistation gesperrt.«

Taalons Augenbrauen schossen in die Höhe, und er wandte sich an Vestara. »Der junge Skywalker hat dich ausgetrickst

Vestara ließ ihr Kinn nach unten sacken. »Ich fürchte, ja, Hochlord.« Die Röte, die ihr in die Wangen stieg, war dunkel genug, um wie wahre Verlegenheit zu wirken, und Ben konnte in ihrer Machtaura keinen Hinweis darauf ausmachen, dass sie schwindelte. »Er bat mich, ihm beim Wechseln eines Verbandes zu helfen, ging dann raus und versiegelte den Zugang.«

»Ich verstehe.« Taalon packte mit einer Hand ihre Schulter und drehte sie in Richtung des Bogengangs auf der anderen Seite der Ruine. »Du kannst mir alles da drüben erklären … unter vier Augen.«

»Ja.« Vestara schaute zurück und warf Ben einen wütenden, finsteren Blick zu, der nahelegte, dass sie ihr Versprechen jetzt als gänzlich gehalten betrachtete. »Das ist vielleicht das Beste.«

Gavar Khai blieb mit stoischer und undeutbarer Miene mit Ben und Luke zurück, als seine Tochter zusammen mit Taalon in den Schatten verschwand. Ben regte sich unbehaglich unter seinem Blick. Er wünschte, der Sith würde fortgehen, um das Feuer des Scheiterhaufens zu füttern, oder irgendetwas anderes tun, das Ben Gelegenheit gab, ein paar leise Worte mit seinem Vater zu wechseln. Als ihm schließlich klar wurde, dass er die Chance dazu nur durch eigenes Zutun bekommen würde, sah Ben zum Bogengang hinüber.

»Ich hatte nicht die Absicht, Vestara in die Fusionskammer zu stoßen«, sagte er. »Lord Taalon wird ihr doch nicht wehtun, oder?«

»Sie wird ihre Strafe erhalten.« Khais Tonfall war schneidend und vorwurfsvoll, und er konnte nicht umhin, seiner Tochter im Bogengang nachzuschauen. »Wie schwerwiegend diese Strafe ausfällt, hängt davon ab, in welchem Maße sie bei ihrem Auftrag versagt hat.«

» So schlecht war sie doch gar nicht.« Ben ließ zu, dass seine sehr reale Sorge in seine Stimme kroch. »Es ist ja nicht so, als hätte sie mich aus den Augen verloren.«

Khai starrte weiterhin in den Bogengang. »Aber du bist derjenige, der ihr das Leben gerettet hat, und das wird Lord Taalon nicht gefallen.«

»Oh … also, bei ihm würde ich diesen Fehler nicht machen.«

Während Ben sprach, stupste er seinen Vater mit dem Ellbogen an, ehe er mit seinen Fingern eine gehende Geste vollführte und in den Dschungel wies. Er fühlte sich schlecht wegen der Schwierigkeiten, in denen Vestara jetzt steckte, doch er musste seinen Vater von hier fortschaffen, bevor Schiff auftauchte – und er hatte keine Ahnung, wie bald das passieren würde.

Unglücklicherweise schien sein Vater anderes im Sinn zu haben. Luke schüttelte mit Blick auf Bens Finger einfach nur den Kopf und nickte dann quer über den Hof, zu Abeloth’ umnebeltem Leichnam. Er hatte nicht die Absicht zu verschwinden, ohne eine Leiche mitzunehmen, die sie analysieren konnten.

Ben blickte finster drein und formte mit den Lippen ein Wort. Schiff!

Lukes Augenbrauen schossen in die Höhe, doch er setzte sich nicht in Richtung Dschungel in Bewegung.

Bald! , sagte Ben lautlos.

»Was flüstert ihr beide da?«, wollte Gavar Khai mit zorniger Stimme wissen. »Wir hatten genug Jedi-Tricks für heute.«

»Das ist kein Trick«, erwiderte Luke und wandte sich dem Bogengang zu, zu dem Taalon

Vestara gebracht hatte. »Aber ob Sith oder nicht, ich werde nicht einfach hier stehen und zulassen, dass ein sechzehnjähriges Mädchen verprügelt wird.«

Ohne auf eine Reaktion zu warten – und einen Moment lang die Tatsache ignorierend, dass es nicht den geringsten Hinweis darauf gab, dass irgendjemand verprügelt wurde –, eilte Luke über den Hof. Khai, der davon noch überraschter war als Ben, stand einige Herzschläge lang mit offenem Mund da, bevor ihm schließlich bewusst zu werden schien, dass er etwas unternehmen musste.

Bis dahin war Luke bloß noch ein paar Schritte vom Bogengang entfernt.

»Wartet!« Khai streckte seine Hand aus und setzte die Macht ein, um Luke mit einem Ruck zum Stehen zu bringen. »Ihr dürft Euch nicht einmiaaaaaa …«

Der Einwand fand ein kreischendes Ende, als Luke herumwirbelte und seine eigene

Machtstärke benutzte, um der von Khai Einhalt zu gebieten. Der Sith schwebte vom Boden empor und segelte fünf große Schritte weit über den Hof in den eisenharten Griff von Lukes künstlicher Hand.

»Jemand muss eingreifen«, sagte Luke ruhig. »Und da ihr Vater nichts tut, übernehme ich das.«

Natürlich wusste Ben, was sein Vater im Schilde führte, und er huschte bereits auf Abeloth’ mit einem Laken bedeckten Leichnam zu und streckte die Hand aus, um ihn mit der Macht zu packen und ihn zur anderen Seite des Scheiterhaufens herumschweben zu lassen. So grausam es auch erscheinen mochte, sich mit einer stinkenden, drei Tage alten Leiche davonzustehlen, so verstand er doch, warum sein Vater darauf bestand, sie mitzunehmen. Vorausgesetzt, dass es ihnen tatsächlich gelang, die Jadeschatten mit Abeloth’ Leichnam zu erreichen und ihn in den Jedi-Tempel zu schaffen, ließ sich dennoch unmöglich sagen, wie viel Cilghal womöglich herausfand, indem sie das Ding studierte. Vielleicht gelang es ihr, eine Spezies zu identifizieren oder zumindest eine Vermutung zu wagen, was für eine Art Geschöpf Abeloth gewesen war. Und falls sie nicht mit dem Kadaver selbst nach Coruscant zurückkehren konnten, waren sie vielleicht wenigstens in der Lage, Gewebeproben zu nehmen und ein paar Videos zu machen.

Doch am wichtigsten war, dass die Skywalkers dadurch, dass sie den Leichnam selbst an sich nahmen, verhinderten, dass Taalon ihn sich schnappte. Wenn man bedachte, welche Absichten der Vergessene Stamm gehabt hatte – Abeloth zu unterwerfen und sie zu ihrer eigenen lebendigen Machtwaffe zu machen –, war die Sache das Risiko wert. Ben wünschte nur, er hätte daran gedacht, einen Thermaldetonator mitzubringen – auch wenn das natürlich ein Verstoß gegen ihre Waffenruhe mit den Sith gewesen wäre.

Ben hatte es bereits am Scheiterhaufen vorbei geschafft und war nur noch drei Schritte vom Dschungel entfernt, als er spürte, wie Abeloth’ Leichnam in den Hof zurückgezogen wurde. Leise fluchend, schnappte er sich das Lichtschwert von seinem Gürtel und begann, fester zu zerren, ehe er hinter sich eine vertraute Frauenstimme vernahm.

»Oh nein, das tust du nicht, Ben! Das war nicht Teil der Abmachung.«

Ben atmete frustriert aus und wirbelte herum, um festzustellen, dass Vestara ihm um den Scheiterhaufen herum folgte, während er noch fester zog. Taalon kam um die andere Seite des Feuers herum. Er hielt sein Lichtschwert in der Hand, und seine Augen brannten orange vor Zorn.

Luke und Khai blieben hinter dem Scheiterhaufen außer Sicht, stritten sich weiter und ahnten – ihren Machtauren nach zu urteilen – nicht, was auf der anderen Seite der Flammen vor sich ging.

»Gut gemacht, Vestara.« Taalon aktivierte seine Purpurklinge und näherte sich Bens Flanke.

»Kümmer dich um Abeloth! Ich nehme mich des Jungen an.«

Eine Woge der Trauer und des Verlusts schoss durch Vestaras Machtaura, doch sie neigte bloß ihr Haupt. »Wie Ihr wünscht, Lord Taalon. Ich bin nur froh, dass ich recht hatte.«

Sie begann, ihre Machtfähigkeiten stärker einzusetzen, und zog fest genug, dass Ben wusste, dass es sich als unmöglich erweisen würde, den Leichnam festzuhalten und sich gegen Taalon zu verteidigen. Er streckte seine Machtsinne nach seinem Vater aus … und fluchte: »Ach, verdammt

Taalon sprang vor, um sich mit einem schnellen, brutalen, vertikalen Hieb auf ihn zu stürzen, der in seiner Wucht und Plumpheit beinahe verächtlich wirkte. Ben drehte sich mühelos beiseite, während er Abeloth’ Leichnam gleichzeitig losließ und ihn mit einem kraftvollen Machtstoß in Richtung des Scheiterhaufens beförderte. Dann setzte er seine Drehung fort, sprang dabei in die Luft und vollführte aus der Bewegung heraus einen Tritt, der Taalon geradewegs im Kreuz traf, und einen Moment lang kam ihm der Gedanke, dass er diesen Kampf möglicherweise sogar gewinnen konnte.

Und das war selbstverständlich ein böser Fehler.

Anstatt mit ausgebreiteten Gliedern in den Dschungel zu fliegen, wie Ben erwartet hatte, setzte Taalon die Macht ein, um sich festzuwurzeln wie einen Baum, und rührte sich keinen Zentimeter vom Fleck. Bens Knie bogen sich durch, spannten sich, gaben nach und explodierten in dumpfem, stechendem Schmerz. In der nächsten Sekunde krachte Taalons Ellbogen gegen seine Schläfe und traf ihn mit solcher knochenzertrümmernden Wucht, dass der Kampf hier und jetzt zu Ende gewesen wäre, hätte Ben nicht auf die Macht zurückgegriffen, um sich mit einem Radschlag zur Seite in Sicherheit zu bringen.

Ben wankte immer noch, als er Taalons blutrote Klinge auf seinen Bauch zusausen sah. Er riss sein eigenes Lichtschwert hoch, um den Angriff abzublocken – und spürte, wie die unsichtbare Hand der Macht seinen Arm beiseitestieß, um dem Hieb des Hochlords den Weg zu klären.

»Wartet!« Vestaras Stimme dröhnte wie eine Thermitexplosion über den Hof. »Das ist ein Trick!«

»Ein Trick?«, wiederholte Taalon.

Mit einem Mal hing Ben kopfüber, sein Knöchel im zerdrückenden Griff des Hochlords

gefangen, seinen Blick auf die Purpurklinge gerichtet, die kaum einen Zentimeter davon entfernt war, sich in seine Brust zu bohren. Im nächsten Moment stürmten Luke und Gavar Khai um den Scheiterhaufen herum. Sie hatten ihre Lichtschwerter aktiviert, ohne jedoch die Klingen zu kreuzen.

Als sie sahen, was los war – und wie dicht Ben dem Tode war –, blieben beide Männer abrupt stehen.

Taalon warf ihnen bloß einen flüchtigen Blick zu, ehe er wieder zu Vestara zurückschaute.

»Erkläre dich!«

»Sie haben ihre Körper getauscht!«, rief Vestara. »Ich weiß nicht, wie sie das gemacht haben, aber sie haben es getan.«

Ben drehte seinen Kopf in die Richtung, aus der ihre Stimme kam, und sah, dass sie neben dem Scheiterhaufen stand und die Macht benutzte, um den Leichnam, um den sie gekämpft hatten, schweben zu lassen. Das blutige Laken war bei dem Hin- und Hergezerre fortgerissen worden, und jetzt konnte er erkennen, dass die Leiche darunter überhaupt nicht die von Abeloth war.

Tatsächlich war sie nicht einmal weiblich.

»Das ist nicht Abeloth«, fuhr Vestara fort. Sie ließ den Leichnam auf Taalon zuschweben, und Ben sah sich dem übel zugerichteten, aber immer noch wiedererkennbaren Gesicht eines Mannes gegenüber. »Das ist Dyon Stadd!«