20. Kapitel
Eine Wolke Staubpartikel wirbelte durch den riesigen Hangar, und die lange Reihe von Landebuchten, die sich leer und dunkel an der Rückwand drängten, sorgte dafür, dass der Raumhafen von Corocus mehr wie ein Narglatch-Bau als wie eine planetare Transitstation wirkte.
Aus den Nieten und Schweißnähten der gewaltigen Wartungskräne sickerte orangefarbener Rost, und irgendwo im hinteren Bereich einer abgedunkelten Reparaturbucht erklang das leise Schnaufen einer undichten Druckkupplung. Durch das Sichtfenster konnte Luke bloß ein anderes Schiff im Hangar ausmachen, einen schnellen leichten ZipDel-Raumfrachter von BTW, der gegenüber in der Einmündung einer Transferbucht thronte. Die menschliche Besatzung des Frachters spähte durch die eigenen Sichtfenster zur Emiax hinüber.
Ihre Machtauren bebten vor Furcht, die Gesichter übersät von blauen Blasen und eiternden Geschwüren. Die lila Tränensäcke unter den Augen verrieten Luke, dass sie erschöpft vor Sorge waren, und ihr ungekämmtes Haar und die hängenden Schultern machten deutlich, dass sie dicht davor standen, die Hoffnung aufzugeben. Er hielt ihren Blicken stand und begann dann mit einer speziellen Atemübung, die dazu ihm dabei helfen sollte, in den Weißen Strom einzutauchen – zweimal kurz einatmen, gefolgt von einem einzigen langen Ausatmen.
Jene, die um den Weißen Strom wussten, glaubten, dass der Strom etwas anderes sei als die Macht; dass die Anhänger anderer Macht-Schulen ihre Kräfte aus irgendeiner geringeren Form mystischer Energie zogen. Andere Macht-Schulen tendierten zu der Ansicht, dass der Weiße Strom nichts weiter sei als eine andere Manifestation der Macht. Soweit es Luke betraf, hatten beide recht.
Der Weiße Strom war tatsächlich anders als die Macht – jedoch bloß in dem Sinne, dass jede Strömung ein anderer Teil des Meeres war, in dem sie vorkam. In ihrer essenziellen Gesamtheit waren sie ein und dasselbe.
Nach ein paar Atemzügen spürte Luke, wie der Weiße Strom ihn durchfloss, eine federleichte Berührung, die über ihn hinwegstrich und dafür sorgte, dass er sich erfrischt und stark fühlte. Er öffnete sich dem Strom genauso, wie er es bei der Macht getan hätte, und er begann ihn zu durchdringen, ihn mit einem Gefühl der Wärme zu erfüllen. Er gab sich dem Strom hin, ließ zu, dass er zu einem Teil der Strömung wurde und die Strömung ein Teil von ihm.
Jetzt, wo Luke mit dem Weißen Strom vereint war, konnte er dadurch hindurch Dinge sehen – nicht so, wie sie zu sein schienen, sondern so, wie sie tatsächlich waren. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der anderen Seite des Hangars zu, speiste den Weißen Strom mit Gefühlen der Bestärkung und der Ruhe und nahm die beiden Mannschaftsmitglieder des ZipDel-Frachters durch den Strom erneut in Augenschein.
Rasch verschwanden ihre Pusteln und Geschwüre, und ihre Hautfarbe nahm einen gesünder wirkenden blassrosa-beigen Ton an. Allerdings blieb ihre Haltung zusammengesunken, und ihre Augen waren nach wie vor von Verzweiflung getrübt, was darauf hinwies, dass ihre Krankheit zwar bloß eine Täuschung war, sie diese jedoch für sich selbst als real ansahen. Für Adepten des Weißen Stroms war es eine unvorstellbare Grausamkeit, solches Leid zu verursachen – und das verriet Luke alles, was er darüber wissen musste, wo sich Abeloth verbarg.
»Ihr zwei bleibt bei der Emiax.« Luke öffnete das Schott und ging die Einstiegsrampe hinunter. »Ich gehe und finde heraus, wo sie die Schatten verstecken.«
»Mit nichts an als Eurem Gewand, Meister Skywalker?« Die Besorgnis in Vestaras Stimme klang aufrichtig. »Wir haben Schutzanzüge an Bord.«
Luke schaute zurück. »Einen Schutzanzug?« Da er eine weitere Chance witterte, sie in Bezug auf die Fähigkeiten der Jedi zu einer falschen Schlussfolgerung zu verleiten, ließ er sein herablassendstes Grinsen aufblitzen. »Wer braucht schon einen Schutzanzug, wenn er die Macht hat?«
Er ging über die Einstiegsrampe in die salzige, feuchte Luft des Hangars hinunter und bahnte sich dann den Weg durch eine Wolke noch immer herumwirbelnden Staubs zur anderen Seite des Landefelds, wo er eine Steintreppe zum Büro des Hafenmeisters hochstieg. Drinnen stieß er bloß auf zwei Pydyrianer, die beide von denselben bläulichen Pusteln und eiternden Geschwüren bedeckt waren wie die Menschen, die er vorhin gesehen hatte. Kleinwüchsig und schlank, mit langen Gesichtern und feinen, vage vogelartigen Zügen, kauerten die zwei Pydyrianer auf rostigen Hockern, ihre sich nach hinten faltenden Knie unter den Sitzen verstaut und ihre Zehenkrallen fest um hölzerne Querstangen geklammert. Beide neigten sich bedenklich nach vorn – der Kommunikationsoffizier über seiner Kom-Ausrüstung und der Hafenmeister über der schrägen Platte seines Schreibtisches –, und beide wirkten krank und kurz davor zusammenzubrechen.
Luke musterte sie durch den Weißen Strom, so, wie er es bei der ZipDel-Besatzung getan hatte, und sah, dass ihre Krankheit eine Illusion war. Aber so sehr er auch glauben wollte, dass Abeloth diejenige war, die die Bewohner von Pydyr täuschte, hegte er doch seine Zweifel daran.
Dutzende von Sith – einschließlich mehrerer Meister und eines mächtigen Lords – hatten Wochen in Abeloth’ Gegenwart verbracht, ohne ihre wahre Natur zu erkennen, und auch ihm selbst war es tagelang nicht gelungen, ihr Blendwerk zu durchschauen, als sie als Dyon Stadd getarnt auf der Krankenstation der Schatten lag. Angesichts des Umstands, wie mühelos er diese Illusion erkannt hatte, schien es unwahrscheinlich, dass es sich dabei um Abeloth’ Werk handelte.
Luke ging zum Tisch des Hafenmeisters hinüber und räusperte sich.
Der Pydyrianer hob kaum den Kopf. »Ihr seid dann wohl Luke Skywalker? Der Luke Skywalker?«
»Das ist richtig«, bestätigte Luke. Obgleich sein Gesicht auf Pydyr vielleicht nicht allzu bekannt war, kannte hier nahezu jeder seinen Namen. Jahrzehnte zuvor hatten Leia und er dabei geholfen, das Almania-System von einem tyrannischen Kriegsherrn zu befreien, der drauf und dran gewesen war, die pydyrianische Spezies auszulöschen. »Ich bin auf der Suche nach der Raumyacht meiner Frau, der Jadeschatten.«
Der Hafenmeister nickte. »Das sagtet Ihr bereits. Und wie ich Euch bereits über Kom sagte, ist hier kein Schiff mit diesem Namen gelandet.« Er benutzte eine schlanke Hand mit drei langen Fingern, um einen Befehl in ein Datapad auf seinem Schreibtisch einzutippen, und drehte Luke dann den Bildschirm zu. »Bitte, seht selbst. Sie haben sich gerade für nichts und wieder nichts umgebracht.«
»Das bezweifle ich.« Luke schaute nach unten und sah das Verkehrsprotokoll des Raumhafens auf dem Schirm. Obwohl auf der ersten Seite lediglich fünfzig Einträge verzeichnet waren, reichten sie fast einen Monat zurück, und bei keinem davon handelte es sich um eine Raumyacht der Horizont-Klasse. »Die Schatten ist vielleicht nicht hier im Raumhafen gelandet, doch ich habe bereits sämtliche nötigen Belege dafür gefunden, um zu beweisen, dass die Diebin auf Pydyr runtergegangen ist.«
»Während Ihr über das Landefeld spaziert seid?«, spottete der Hafenmeister. Er wippte auf den Fersen nach hinten und schaute Luke direkt in die Augen. »Ihr Jedi seid wirklich gut.«
»So gut nun auch wieder nicht«, erwiderte Luke. Er legte ein bisschen Macht hinter seine Worte, die er dazu benutzte, um die Lüge, die er erzählen wollte, noch tiefer in den Geist des Hafenmeisters zu pflanzen. »Wissen Sie, sie ist die Überträgerin.«
»Die Überträgerin?«
Luke wies auf das von Geschwüren bedeckte Gesicht des Hafenmeisters und dachte sich spontan einen Namen für die Scheinkrankheit aus. »… der Nässenden Pocken«, ergänzte er. So sehr es ihm auch widerstrebte zu lügen, kam man als Jedi manchmal einfach nicht darum herum – und im Augenblick bestand seine beste Option darin, sich die Täuschung zunutze zu machen, nicht dagegen anzukämpfen. »Die Diebin selbst ist immun gegen diese Erkrankung, doch sie ist diejenige, die sie verbreitet.«
»Sie verbreitet sie?«, wiederholte der Kom-Offizier, der jetzt aufmerksam wurde. »Jemand verursacht diese Seuche mit Absicht?«
»Wir kennen ihre Beweggründe nicht«, sagte Luke, der sich dem Kom-Offizier zuwandte.
»Vielleicht hat sie bloß Angst. Aber wir müssen sie aufhalten.«
Die Augen des Kom-Offiziers schrumpften zu wütenden Perlen zusammen. »Ihr hättet sie aufhalten sollen, bevor sie Pydyr erreichte.«
»Man war uns gegenüber nicht sonderlich kooperativ.« Luke breitete die Hände aus. »Ich fürchte, sie hat sich als sehr geschickt darin erwiesen, die Leute davon zu überzeugen, sie zu verstecken.«
Der Blick des Kom-Offiziers glitt zum Hafenmeister hinüber, entweder, um seinen Vorgesetzten dazu zu drängen preiszugeben, was sie wussten – oder mit der Bitte um Erlaubnis, dies selbst tun zu dürfen.
»Und das ist ausgesprochen bedauerlich«, fuhr Luke fort. »Denn je länger es dauert, bis wir sie in ein Labor schaffen können, desto mehr Lebewesen werden sterben.«
»Ins Labor?«, fragte der Kom-Offizier. »Ihr denkt, Ihr könnt die Krankheit heilen?«
»Das haben die Wissenschaftler mir versichert«, entgegnete Luke. »Wenn sie herausfinden, warum sie immun ist, können sie ein Heilmittel herstellen.«
Die Augen des Offiziers wanderten zurück zum Hafenmeister. »Najee, wir müssen es ihm sagen.«
»Das hast du bereits, du Trottel«, entgegnete der Hafenmeister.
»Und damit hat er das Richtige getan.« Luke fixierte seinen Blick auf den Hafenmeister – Najee – und verlieh seiner Stimme eine gewisse Schärfe. »Hier steht nicht bloß das Leben von Pydyrianern auf dem Spiel. Wo finde ich sie?«
Najee zuckte die Schultern. »Wer weiß das schon? Wir haben ihr Schiff bis zur … bis zur Küste verfolgt, ein gutes Stück außerhalb der Stadt.«
»In der Nähe eines gewissen Tempels«, mutmaßte Luke. Er sah, wie die Miene des Pydyrianers in sich zusammenfiel, und wusste, dass seine Vermutung richtig war – dass er mit seiner Vermutung richtig lag, seit die Emiax ins Almania-System eingetreten war. Abeloth war auf der Suche nach den Fallanassi hierhergekommen, eines Geheimordens von Frauen, die auch als die Adepten des Weißen Stroms bekannt waren. »Najee, ich weiß, dass die Fallanassi hier zu Hause sind, und ich habe allen Grund zu der Annahme, dass die Diebin beabsichtigt, sich unter ihnen zu verbergen. Wenn ich damit recht habe, ist ihr Leben in großer Gefahr.«
»Ihr habt recht damit«, unterbrach der Kom-Offizier. »Die Jadeschatten kam unter ihrem eigenen Transpondercode hierher und …«
»Sanar!«, zischte Najee. »Die Lady hat uns darum gebeten, nicht darüber zu sprechen.«
»Du kannst ja schweigen, wenn du willst.« Sanar zog sein Headset herunter und warf es auf die Kom-Konsole, ehe er von seinem Hocker hüpfte. »Aber wenn Luke Skywalker Hilfe dabei braucht, die Galaxis von dieser Plage zu befreien, kann ich ihm zumindest zeigen, wo er damit anfangen sollte.«