8. Kapitel

Der Pfad war ein menschengroßer Tunnel durch das Unterholz und endete ungefähr einen Kilometer weit im Dschungel, wo eine große, zweibeinige Echse den giftigen Widerhaken eines Falldornstrauchs zum Opfer gefallen war. Das Reptil besaß einen breiten, flachen Rücken, noch immer grün von Chlorophyll, und einen dicken Schwanz, der nach wie vor auf den Boden trommelte, um seine Gefährten vor der hier drohenden Gefahr zu warnen. Das Geschöpf musterte Luke mit einem einzelnen blauen Auge, das eher vertrauensselig als furchtsam wirkte, doch aus beiden Nasenlöchern sickerte bereits gelber Schaum, und heftige Muskelzuckungen schüttelten seinen Körper. Es war offensichtlich, dass man für die Kreatur nichts anderes mehr tun konnte, als ihr zu einem friedlichen Ende zu verhelfen. Luke forschte in der Macht nach dem Reptil, drängte es zu schlafen, und sobald sich die Nickhaut über das Auge senkte, zog er den Blaster, den er auf dieser sonderbaren Welt als notwendig erachtete, und machte dem Leid des Geschöpfs ein Ende.

Das Wimmern des Laserschusses war kaum verklungen, als Luke spürte, wie seine Begleiter hinter ihm heraneilten. Ihre Beunruhigung fühlte sich in der Macht heiß und elektrisch an. Er drehte sich um und sah ihnen entgegen, schob den Blaster ins Halfter und schüttelte den Kopf.

»Tut mir leid, sie ist es nicht.« Er drehte sich zur Seite, um Sarasu Taalon und Gavar Khai einen freien Blick auf die Echse zu verschaffen, die tot am Ende des Pfades lag, dem sie gefolgt waren. Hinter den beiden Sith kamen Ben und Vestara, die ihre Lichtschwerter gezogen, aber nicht eingeschaltet hatten. »Bloß ein glückloses Wyvarl, das nicht aufgepasst hat, wo es hintritt.«

Taalon zog die Lippen zusammen und trat neben Luke, ehe er einen Finger in Richtung des Wyvarls schnalzen ließ. Die Echse erhob sich in die Luft und schwebte auf sie zu, ein verknäueltes Wirrwarr giftiger Falldornranken hinter sich herziehend. Sobald das Reptil nah genug herangekommen war, zog der Hochlord das Lichtschwert, aktivierte es und spaltete den Leib des Wyvarls der Länge nach entzwei. Er ließ die beiden Hälften weiter schweben, während er die inneren Organe in Augenschein nahm, um sicherzugehen, dass es sich tatsächlich um eine Echse handelte, ehe er sie mit einem Wink seiner Hand in den Dschungel davonschleuderte.

»Das funktioniert so nicht«, sagte er. »Alles, was wir aufspüren, sind Wyvarle und Drendeks.«

»Wir können uns jederzeit aufteilen«, schlug Luke vor. »Je mehr Fläche wir abdecken, desto besser stehen unsere Chancen, sie zu erwischen, bevor sie sich wieder erholt.«

Taalon neigte den Kopf nach vorn und musterte Luke. »Ja, ich bin mir sicher, dass Ihr uns nur zu gern loswerden möchtet.«

»Eigentlich nicht«, entgegnete Luke. Wenn sie alle auf eigene Faust oder in zwei kleinen Gruppen suchten, würden sie alle anfälliger für die gefräßige Pflanzenwelt des Planeten sein – und für den Verrat ihrer vermeintlichen Verbündeten. Doch nachdem sie zwei Tage lang falschen Fährten gefolgt waren, sah es langsam so aus, als müssten sie dieses Risiko eingehen. »Aber wir müssen unser Vorgehen ändern. Auf diese Weise werden wir Abeloth nicht finden.«

»Zweifellos deshalb, weil Ihr ihren wahren Leichnam so gut versteckt habt«, meinte Gavar Khai, der hinter Luke und Taalon auftauchte. »Ihr haltet niemanden zum Narren, Meister Skywalker – Ihr verschwendet bloß unsere Zeit.«

Luke seufzte. Nachdem sie entdeckt hatten, dass der Leichnam, den sie beim Quell der Kraft verbrennen wollten, nicht Abeloth gehörte, war eine dreistündige Patt-Situation nötig gewesen, bloß um die Sith davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee wäre, zur Jadeschatten zurückzukehren und die Identität desjenigen zu überprüfen, um wen auch immer es sich bei dem handelte, den Ben und Vestara auf der Medistation versorgt hatten. Leider war der Patient bereits geflohen, als sie schließlich eintrafen, sodass den widerstrebenden Verbündeten nichts von ihrem früheren Kampf gegen Abeloth blieb, außer Frustration, Ungewissheit und gegenseitiger Abneigung.

Als der Hochlord Khai nicht widersprach, wandte Luke sich dem breitschultrigen Sith zu.

»Ich wünschte, ich würde Eure Zeit vergeuden, Gavar. Das wünschte ich wirklich.« Er wies den Pfad hinunter. »Aber da das nicht der Fall ist, sollten wir zu den Schiffen zurückkehren und schauen, ob uns noch eine andere Möglichkeit einfällt, diese Sache anzugehen.«

Khai verweilte in der Mitte des Pfads, ließ seinen grimmigen Blick jedoch an Lukes Schulter vorbeischnellen, um Anweisungen von Taalon entgegenzunehmen.

»Tun wir, was er vorschlägt, Schwert Khai«, sagte Taalon. »Zumindest wird es … angenehmer sein, diese Angelegenheit bei den Schiffen zu erörtern.«

Der Anflug eines Lächelns huschte über Khais dünne Lippen und verriet, dass er Taalons Worte genauso verstand wie Luke: dass es eine Auseinandersetzung geben würde, und falls diese Auseinandersetzung in Gewalt eskalierte, würde ihre zahlenmäßige Überlegenheit den Sith auf der freien Fläche des Flussufers von größerem Vorteil sein als hier.

»Wie Ihr wünscht, Hochlord.«

Khai beugte vor Taalon sein Haupt und warf Luke einen letzten finsteren Blick zu, ehe er sich umdrehte und an Ben und seiner Tochter vorbei an die Spitze ging. Luke hatte bereits alle Hoffnung aufgegeben, sich die Sith aus dem Rücken zu halten, also atmete er langsam und bewusst aus, während er sich im Stillen auf seinen Gefahrensinn konzentrierte, und folgte seinem Sohn und Vestara den Pfad hinab.

Nach dem falschen Spiel des Sith-Mädchens beim Kampf gegen Abeloth schien Ben in ihrer Nähe wesentlich vorsichtiger zu sein, und das war eine gewaltige Erleichterung. Doch Luke hätte sich selbst etwas vorgemacht, wenn er sich eingeredet hätte, dass die Ablenkung damit hinfällig war. Vestara war eine gescheite, schöne junge Frau mit einer einnehmenden Persönlichkeit, und Ben war ein heranwachsender junger Mann, der noch immer dabei war, mit seinen Hormonen ins Reine zu kommen. Es würde mehr als ein paar Lügen und einen tödlichen Verrat brauchen, um seinen Gefühlen einen Dämpfer zu verpassen. Das ließ sich leicht an den verstohlenen Blicken erkennen, die er Vestara jetzt, wo er hinter ihr ging, anstatt vor ihr, immer wieder zuwarf, und an der Art und Weise, wie er strauchelte und sanft gegen sie stieß, wann immer das Gelände uneben wurde.

Luke streckte einen Arm aus und hielt seine Hand hinter Bens Ohr. Als Ben sie auch nach einem halben Dutzend Schritten noch nicht bemerkt hatte, schüttelte Luke verzweifelt den Kopf und verpasste seinem Sohn einen Klaps übers Ohr.

»He!« Ben schaute über die Schulter und runzelte die Stirn. »Wofür war das denn?«

»Bleib aufmerksam!« befahl Luke. Er blickte auf seine eigene Schulter und ließ die Augen dann in Taalons Richtung schweifen. »Wir sind hier auf einem Todesplaneten.«

In Bens Augen leuchtete Begreifen auf, und seine finstere Miene wurde schuldbewusst. »Ja, in Ordnung«, sagte er und schaute wieder nach vorn. »Aber du hättest auch einfach bloß was sagen können.«

»Und du bist sicher, dass ich das nicht getan habe?«, fragte Luke.

Die Art und Weise, wie Vestara den Kopf auf die Seite legte, verriet ihm, dass sie sich diesbezüglich absolut sicher war, doch Ben ließ bloß den Blick sinken und fing an, sorgsamer darauf zu achten, wo er hintrat. Luke wusste, dass er seinen Sohn mit der Anmerkung, dieser sei abgelenkt, in Verlegenheit gebracht hatte, und das war ihm nur recht. Besser verlegen als tot – was genau das war, was Ben sein würde, falls sich seine Gedanken immer noch um Mädchen drehten, wenn es schließlich zum Kampf kam.

Nach einigen Minuten des Marschierens erreichten sie den purpurnen Fluss, der diese Seite von Abeloth’ Vulkan umringte. Am gegenüberliegenden Ufer thronten ihre drei Raumschiffe, die Schatten der Skywalkers und die Emiax der Sith, flankiert von der venendurchzogenen roten Kugel des kürzlich eingetroffenen Schiffs. Die uralte Meditationssphäre, deren Außenhülle von Brandblumen und Einschlagkratern übersät war, zeigte noch immer die Nachwirkungen eines Luftkampfs mit einer erstklassigen Jedi-Pilotin in einem StealthX. Doch die schlimmste Beschädigung war von außen überhaupt nicht zu sehen. Jaina hatte ein paar Kanonensalven in die Emissionsöffnung gejagt, was das Triebwerk so schwer beschädigt hatte, dass Schiff mehrere Tage gebraucht hatte, um sich zum Planeten zurückzuschleppen.

Khai führte die Gruppe oben auf dem Flussufer entlang, bis sie sich über ihrem Floß befanden, und stieg dann den sandigen Hang hinab, um alles fürs Übersetzen vorzubereiten. Vestara folgte ihrem Vater dicht auf dem Fuße, doch Luke setzte die Macht ein, um Ben oben bei sich auf dem Ufer zu behalten. Taalon blieb zwei Schritt entfernt stehen und präsentierte Luke seine Flanke, sodass er imstande war, sich zu verteidigen.

»Gibt es einen Grund dafür, dass Ihr in höher gelegenem Gelände bleiben wollt, Meister Skywalker?« Taalon legte eine Hand auf sein Lichtschwert. »Oder seid Ihr der Ansicht, die Zeit ist gekommen, um getrennte Wege zu gehen?«

»Bevor wir wissen, was aus Abeloth geworden ist?« Luke schüttelte den Kopf. »Da riskiere ich es lieber mit den Sith – aber das heißt nicht, dass ich vorhabe, unachtsam zu sein.«

»Eine geschickte Antwort«, entgegnete Taalon. »Sie deutet vieles an und verspricht nichts.«

»Ihr habt bereits mein Wort, das auch nicht gebrochen wurde.« Während Luke sprach, blieb sein Blick über den Fluss in Richtung der Raumschiffe gerichtet. »Hat Vestara nicht berichtet, dass Schiff unter Abeloth’ Kontrolle stand?«

»Das Entscheidende hier ist die Vergangenheitsform«, erwiderte Taalon. »Jetzt kontrollieren es die Sith.«

Luke sah den Keshiri an. »Wie sicher seid Ihr Euch da?«

»Sehr sicher.« Taalons Augen verzogen sich zu Schlitzen. »Wenn Ihr vorhabt, Schiff als Vorwand zu benutzen, um …«

»Nicht als Vorwand«, erwiderte Luke. »Aber hat Schiff kundgetan, warum er nach dem Gefecht hierher zurückgekehrt ist? Er muss gesehen haben, wie der Rest Eurer Flotte den Schlund verließ.«

»Ja«, sagte Ben. »Er war ziemlich überrascht, als er erfuhr, dass ich immer noch hier bin – und ich habe den Eindruck, dass es Vestara genauso ging.«

»Dann glaubt ihr also, dass Abeloth Schiff herbeigerufen hat?«, fragte Taalon. »Um ihr bei der Flucht zu helfen?«

Luke nickte. »Ich denke, das ist eine Möglichkeit – insbesondere dann, wenn es statt Dyon Abeloth war, um die sich Ben und Vestara auf der Krankenstation gekümmert haben.«

Taalon ließ sich das durch den Kopf gehen und schaute dann zum Ufer hinunter, zu der Stelle, wo Vestara und ihr Vater das Floß zum Ablegen bereit machten. Khai nutzte die Macht, um das Floß aufs Wasser des Flusses zuschweben zu lassen, während seine Tochter das Seil festhielt, das verhindern würde, dass es davontrieb.

»Vestara, hast du das mitbekommen?«, fragte Taalon.

Vestara wandte sich um und nickte. »Natürlich, Hochlord.«

»Hat der junge Skywalker recht?«, wollte er wissen. »Schien Schiff überrascht zu sein, dich hier vorzufinden?«

Vestara brauchte nicht einmal nachzudenken, bevor sie nickte. »Ben hat zur Hälfte recht.«

Sie warf Ben einen flüchtigen Blick zu und schenkte ihm ein rasches Lächeln. » Schiff war bereits unterwegs, als ich ihn kommen fühlte. Ich brauchte ihn nicht zu rufen.«

»Das ist kein Beweis dafür, dass Skywalker die Wahrheit sagt, Lord Taalon«, meinte Khai.

Er ließ das Floß auf den Sand hinabsinken. »Wenn Schiff wegen Abeloth gekommen ist, warum ist er dann noch hier

»Wahrscheinlich, weil Schiff so stark beschädigt ist«, entgegnete Ben. Er wandte seinen Blick wieder Vestara zu. »Wie lange hat Schiff gebraucht, um hier anzukommen, nachdem wir gespürt haben, dass er kommt? Drei Stunden?«

»Ohne Weiteres«, bestätigte Vestara. »Wir haben den Gebirgskamm zu den Fontänen-Ruinen überquert, festgestellt, dass wir den falschen Leichnam haben, sind dann wieder über den Kamm zurückgegangen und fanden die Krankenstation der Schatten leer vor. Das waren mindestens drei Stunden, und Schiff ist erst später eingetroffen, nachdem wir bereits angefangen hatten, nach Abeloth zu suchen.«

»Stimmt«, sagte Ben. »Wenn Abeloth darauf gebaut hat, dass Schiff sie retten würde, wurde sie also enttäuscht. In seinem gegenwärtigen Zustand hätten die Schatten oder die Emiax Schiff in zwei Sekunden eingeholt und sie beide zu Atomen zerblasen.«

»Was die Frage aufwirft, warum Abeloth Schiff überhaupt erst rufen sollte«, merkte Taalon an. »Was hat Schiff für sie für einen Nutzen, wenn sie nicht damit fliehen kann?«

»Hätte sie denn überhaupt gewusst, dass Schiff beschädigt ist?«, fragte Luke. »Wenn ich meine Machtsinne nach jemandem ausstrecke, bekomme ich erst ein Gefühl für die Verfassung der betreffenden Person, nachdem ich den Kontakt hergestellt habe.«

Taalons Miene wurde nachdenklich. »Vielleicht.«

»Aber vielleicht auch nicht, Hochlord«, wandte Khai ein. »Bloß, weil etwas plausibel klingt, muss es nicht die Wahrheit sein. Allem Anschein nach hat Abeloth etliche Jahrtausende lang auf diesem Planeten gelebt. Warum sollte sie ausgerechnet jetzt beschließen, von hier fortzugehen?«

»Zum einen, weil sie verwundet ist und gejagt wird«, sagte Ben, »und zum anderen, weil sie es jetzt kann

Alle drei Sith runzelten die Stirn, und Ben schaute zu Luke hinüber und fragte sich offenkundig, wie viel er von dem preisgeben sollte, das sie sich über Abeloth’ Vergangenheit zusammengereimt hatten. Da Luke zu dem Schluss gelangte, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Sith ihnen glaubten, größer war, je mehr sie jetzt enthüllten, nickte er.

»Nur zu«, sagte er. »Vielleicht wird sie das von der Wahrheit überzeugen.«

»Wir werden erst überzeugt sein, wenn wir Abeloth’ Leib wieder in unseren Händen haben«, stellte Taalon klar und wandte sich an Ben. »Aber nur zu. Ich bin sicher, uns erwartet eine interessante Geschichte.«

Bens Augen blitzten, doch er nickte. »Ihr wisst ja, was bei der Schlundloch-Station passiert ist.«

»Die Explosion, die meine Fregatte zerstört hat?«, hakte Taalon nach.

»Ja, das«, erwiderte Ben, der sich von Taalons säuerlichem Tonfall nicht im Mindesten einschüchtern ließ. »Nun, wir glauben, dass die Schlundloch-Station möglicherweise gebaut wurde, um diesen Planeten mit einem Ring Schwarzer Löcher zu umgeben.«

»Zu welchem Zweck?«, wollte Khai wissen. »Willst du damit sagen, dass dieser Planet Abeloth’ Gefängnis war?«

»Wir wollen damit sagen, dass diese Möglichkeit besteht«, stellte Luke klar. »Es gibt vieles, das wir nicht wissen, aber unsere Probleme fingen erst an, nachdem sich in diesem Ring, in dieser Umhüllung ein, na ja, Riss gebildet hat.«

»Ein Riss?«, fragte Taalon. »Was für eine Art Riss?«

»Die Art von Riss, durch die wir alle hergekommen sind«, entgegnete Luke. »Als Ben und ich die Schlundloch-Station entdeckten, hatte sie bereits eine Fehlfunktion, und in der Außenhülle klaffte ein Loch. Wir verstehen von der Technologie der Station genauso wenig wie ihr, doch es war offensichtlich, dass irgendetwas schieflief.«

»Und im Hinblick darauf, dass die Station beim letzten Mal, als wir daran vorbeikamen, in einer Million Teile im Weltall trieb, scheint es, als habe Abeloth versucht, sich mit Gewalt ihren Weg in die Freiheit zu bahnen«, erklärte Ben. Er holte mit dem Arm aus, um mit der Geste den Planeten im Allgemeinen zu erfassen. »Daher denken wir, dass dieser Ort vermutlich ein Gefängnis war, keine Festung.«

Taalon dachte einen Moment darüber nach und sagte dann: »Eine sehr plausible Geschichte.«

»Das ist mehr als eine Geschichte«, erwiderte Luke zunehmend frustrierter. »Es ist eine Theorie, die zu den Fakten passt – was momentan so ziemlich alles ist, worauf wir uns berufen können.«

»Nicht ganz.« Taalons Stimme wurde kalt. »Denn wir Sith haben ebenfalls eine Theorie, die zu den Fakten passt – nämlich, dass ihr Abeloth’ Leichnam vor uns versteckt, weil ihr alles Wissen über ihre Natur für euch selbst behalten wollt.«

Luke rollte verzweifelt mit den Augen. Das Problem mit Taalons Theorie war, dass sie zur Hälfte zutraf. Er hatte ebenso wenig die Absicht, etwas vom wahren Wissen über Abeloth’ Natur mit den Sith zu teilen, wie sie ihm und Ben erlauben würden, den Planeten lebend zu verlassen.

Aber eins nach dem anderen – zunächst mussten sie ihre Beute finden und die Sache zu Ende bringen.

»Hört zu, das hatten wir doch alles schon. Abeloth ist am Leben, und ich habe keine Ahnung, wo sie sich verbirgt.« Luke blickte am Ufer entlang in Richtung Floß. Falls Abeloth am Leben blieb, dann war Callista – oder zu was auch immer Callista geworden war – vermutlich bei ihr geblieben. Sofern er die Möglichkeit hatte, sich in Ruhe zu konzentrieren, war es ihm vielleicht möglich, sich auf ihre Machtpräsenz zu fokussieren und ihre Beute auf diese Weise aufzuspüren.

»Falls Ihr keine bessere Idee habt, kehre ich jetzt zur Schatten zurück, um darüber zu meditieren.«

»Um zu meditieren?«, entfuhr es Taalon, der am Flussufer hinter Luke blieb. »Ich glaube, ich habe tatsächlich eine bessere Idee als das.«

Luke rechnete fast damit, dass sein Gefahrensinn sein Rückgrat kribbeln lassen würde.

Stattdessen sah er, wie sich Schiff schwankend in die Luft erhob und zu ihnen herumschwang. Er warf einen Blick hinter sich und sah, dass Taalon in Richtung des Gefährts schaute, die Augen vor Konzentration halb geschlossen.

»Denkt Ihr, dass Schiff uns helfen wird?«, fragte Luke.

»Ihr seid derjenige, der angemerkt hat, dass es unter Abeloth’ Kontrolle stand«, erinnerte Khai ihn. »Vielleicht kann der Hochlord etwas Nützliches davon erfahren.«

»Darauf würde ich mich nicht verlassen«, grummelte Ben. »Vermutlich hat Schiff für sie spioniert, seit er wieder da ist.«

Taalon bedachte Ben mit einem Grinsen. »Ich komme schon mit Schiff zurecht, junger Skywalker. Du sprichst jetzt mit einem Sith-Hochlord, nicht mit einer halbwüchsigen Schülerin.«

In Vestaras Augen flammte wütender Unglaube auf, was darauf hinwies, dass sie dasselbe dachte wie Luke – dass Taalon seine Kontrolle über das Gefährt gewaltig überschätzte. Schiff sauste über sie hinweg und setzte auf seinen Landestreben auf dem Ufer auf. Das augenartige Sichtfenster war dem Hochlord zugewandt. Von Lukes Standpunkt ein bisschen hinter und unterhalb des Vehikels konnte man erkennen, dass der lange, dreieckige Hüllenbruch, den die Explosion des Triebwerks verursacht hatte, bereits wieder halb repariert war. Die Ränder waren jetzt glatt und wölbten sich nach innen, anstatt schartig und gezackt nach außen zu zeigen. Selbst die Krater, die Jainas Kanonentreffer hinterlassen hatten, begannen sich zu schließen, und die Brandmale waren von einem tiefen, rußigen Schwarz zu einem Holzkohlegrau verblasst. Luke hatte keine Ahnung, wie Schiff sich selbst reparierte – doch die Art und Weise, wie es reglos und abgeschaltet dagestanden hatte, darauf vertrauend, dass die Sith darüber wachten, erinnerte ihn stark an eine Heiltrance.

Taalon wandte sich an Schiff. »Ist Abeloth noch am Leben?«, fragte er. »Teile deine Antwort mit uns allen, damit die Jedi wissen, dass ich ehrlich bin.«

Die eisige Berührung der Dunklen Seite sorgte dafür, dass Lukes Rückgrat kribbelte, und dann sprach Schiff.

Die Toten rühren sich nicht von selbst. Seine Stimme war dünn und leise, bloß in ihren Gedanken hörbar. Wenn die Skywalkers sie nicht verstecken, dann muss sie noch leben.

Taalon runzelte die Stirn. »Das ist keine Antwort.«

Das ist die einzige Antwort, die ich habe, entgegnete Schiff. Sie gab mich frei, als ich verwundet war. Was später aus ihr wurde, wisst Ihr besser als ich.

Luke trat neben Taalon. »Lasst uns einfach davon ausgehen, dass sie noch lebt

»Ja, tun wir das«, stimmte Taalon zu. Er hielt den Blick auf Schiff gerichtet. »Wo sollen wir nach ihr suchen?«

Im Sichtfenster schimmerte etwas auf – nicht im Innern von Schiff, sondern im Material des Sichtfensters selbst –, und Luke hatte das Gefühl, dass sich Schiffs Aufmerksamkeit jetzt auf ihn verlagert hatte.

Ihr wisst, wo die Antwort darauf zu finden ist.

Luke spürte, wie in seinem Innern ein dunkler Tentakel des Verlangens Gestalt annahm, der höher glitt und zu wachsen begann, und er wusste, dass Ben recht gehabt hatte. Abeloth hatte überlebt – und Schiff stand nach wie vor unter ihrem Einfluss.

Ihr wart schon einmal dort.

Da er nicht recht wusste, ob Schiff zu ihm allein oder auch zu Taalon und allen anderen sprach, antwortete Luke nicht. Stattdessen bedeutete er seinem Sohn, um Schiff herum zu gehen.

Khai winkte Vestara das Ufer hinauf, um es ihm gleichzutun, ehe er herüberkam und neben Luke stehen blieb, sodass dieser auf beiden Seiten von Sith flankiert wurde.

Nach einem Augenblick des Schweigens sah Taalon schließlich hinüber zu Luke. »Was hat es gesagt?«

In dem Wissen, dass Taalon eine Lüge spüren würde, zuckte Luke bloß die Schultern und schüttelte den Kopf. »Nichts, worauf wir uns verlassen könnten«, sagte er. »Ben hat recht. Schiff spioniert für Abeloth.«

Jedi-Lügner! Der Schimmer verschwand aus Schiffs Sichtfenster, als es seine Aufmerksamkeit von Luke abwandte. Er versucht bloß, ihn vor Euch verborgen zu halten.

Taalon warf Luke einen langen Seitenblick zu und fragte dann: » Was will er vor uns verbergen?«

Luke seufzte, und da er wusste, dass Schiff den Namen nennen würde, wenn er es nicht selbst tat, entgegnete er: »Den Teich des Wissens.«

Den größten Schatz des Planeten. An Schiffs Seite öffnete sich ein Schlitz, und es fuhr eine lange Einstiegsrampe aus. Kommt an Bord, ihr alle. Ich werde euch dort hinbringen.