BEA

Sequoianer, Rebellen und Ministerium starren auf den schwarzen Dunst, der den Himmel erfüllt. Ich liege hinter einem ausgebombten Geländewagen und bemühe mich nach Kräften, Jazz daran zu hindern, sich ins Getümmel zu stürzen. Lennon und Keane müssen sich regelrecht auf sie draufsetzen, als wir Silas auf die Explosion zujagen sehen. Gideon und Harriet sind dicht hinter ihm. Von Alina keine Spur.

»Der Turm!«, plärrt Vanya ins Megafon, um ihre Miliz an ihre Aufgabe zu erinnern. Dann verschwindet sie vom Balkon der Aufbereitungsanlage. Sie möchte, dass sie den Turm stürmen, aber sie sind viel zu wenige, um noch irgendwas auszurichten. Ich spähe über den Rand des Autowracks. Nur noch vier Sequoianer sind auf den Beinen, die Hände in die Luft gereckt. Die anderen liegen auf dem Rücken und bekommen dort von Ministeriumssoldaten und Rebellen den Fuß auf die Brust gesetzt. Wenn Vanya glaubt, hier noch einen Krieg gewinnen zu können, ist sie völlig verblendet. Sie hat ihn längst verloren.

»Angriff!«, kreischt Vanya, hebt sich aus dem Staub und stürmt auf uns zu.

Doch ehe ich es verhindern kann, hat Jazz sich meine Waffe geschnappt und sie auf Vanya gerichtet. Wenn stimmt, was Quinn gesagt hat, ist sie drauf und dran, die eigene Mutter erschießen. So durchgeknallt und gemeingefährlich Vanya auch sein mag, das kann ich nicht zulassen. Ich schlage Jazz die Waffe aus der Hand und sie landet neben Lennon. Voller Grauen betrachtet er sie.

»Die Kuppel gehört mir!«, schreit Vanya. Sie hat keine Waffe, nur das Megafon. Zwei der Rebellen, die mit mir auf Oscars Dachboden gehaust haben, marschieren auf sie zu.

»Knall sie ab«, trägt Jazz Lennon auf und greift wieder nach der Waffe.

»Nein«, sage ich und stelle den Fuß drauf. Vielleicht sollte ich Jazz eine Erklärung liefern, aber nicht jetzt. Das hat auch später noch Zeit.

Die Rebellen zerren Vanya zu Boden, sie tritt und schlägt um sich wie ein Tier.

Silas, Gideon und Harriet sind jetzt Pünktchen am Horizont. Doch Alina kann ich immer noch nicht sehen. »Bleibt hier«, befehle ich.

Jazz klammert sich an meinem Bein fest. »Nimm mich mit.«

Ich schüttle den Kopf. »Ich komm ja wieder. Kümmer du dich um Lennon und Keane.« Sie schaut zu den vor sich hin schniefenden Zwillingen und verdreht die Augen.

»Na gut«, sagt sie.

Ich renne so schnell wie möglich los, wiederhole das Mantra Alina lebt, Alina lebt endlos in meinem Kopf. Sie ist zäher als wir alle zusammen, und wenn die Zeit gekommen ist, wird sie als Letzte gehen.

Als ich bei Gideon und Harriet anlange, dringt ein penetranter Chemiegestank in meine Maske. Der Boden ist mit Metallkonfetti bedeckt. Sie kauern neben Alina. Über ihnen steht Silas. Sie blicken zu mir hoch, als sei ich ein Geist.

»Alina?«, frage ich. Ihr Gesicht ist schwarz, ihr Haar an den Spitzen verkohlt. Ich warte darauf, dass sie die Augen aufschlägt und uns zusammenstaucht. »Alina.«

»Die Druckwelle…«, sagt Silas und bricht erstickt ab.

»Aber sie ist doch in Ordnung, oder?« Ich knie mich neben sie und berühre ihre Hand. Sie ist warm. Über einer Augenbraue hat sie eine fiese Schnittwunde.

»Sie ist tot«, sagt Silas.

»Nein, ist sie nicht… Gebt ihr doch Luft!« Ich lege meine Hand auf ihre Brust und beginne zu drücken, massiere ihr Herz wie das von Old Watson. Es muss einfach klappen – Alina hat immer überlebt.

Ich beuge mich runter, um in ihren Mund zu pusten, als Harriet mir die Hand auf den Arm legt. »Hör auf«, sagt sie. »Bitte.«

Und ich höre auf. Weil Alina nicht mehr aussieht wie sie selbst. Sie ist völlig entspannt.

Sie ist tot.

Gideon nimmt seine Maske ab, küsst Alina auf die Stirn und wischt sich dann mit dem Handballen die Tränen ab.

Das ist zu viel für Silas, er geht weg und brüllt in den Himmel hinein.

Ich streichle Alinas Gesicht mit der Rückseite meiner Finger. Ihre Haut ist weich. Im Hain habe ich sie zuletzt gesehen. So ein kurzer Abschied war das, so kurz. Zu kurz.

Tränen rinnen über meine Maske in den Staub.

Ich kenne das Gefühl, das Herz rausgerissen zu bekommen, es ist nichts Neues für mich, aber das macht es nicht weniger schmerzhaft.

Jetzt weine ich so sehr, dass ich kaum noch etwas sehe. Ich drücke Alinas Hand.

Ich will ihr berichten, was passiert ist. Ich will ihr sagen, wer sie ist und was sie getan hat. Für mich. Für uns alle.

Aber für Alina wäre nur eine Sache wichtig.

Und so hebe ich meine Maske und drücke meine Lippen an ihr Ohr.

»Ich glaube, wir haben gewonnen«, sage ich.

Sarah Crossan - Breathe Band 2 - Flucht nach Sequoia
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