OSCAR
Auf und ab, auf und ab trotte ich die kleine Gasse in Zone Drei, doch Jude ist spät dran. Bereits zum dritten Mal checke ich mein Pad. Zwischen den Wohnanlagen stiehlt sich nur ein magerer Lichtstreifen hinein. Trübsinniger geht’s kaum. Unfassbar, dass Bea ihr ganzes Leben hier verbracht hat.
»Die Senatssitzung hat länger gedauert«, höre ich Jude vom anderen Ende der Gasse. Er kommt in großen Schritten auf mich zu und reicht mir die Hand. »Sind sie dir gefolgt?«
»Zwei Soldaten. Ich hab sie in Zone Zwei abgeschüttelt. Ist Bea in Ordnung? Was ist mit Wendy?«
Ich hab die ganze Nacht vor Sorge kein Auge zugemacht, und obwohl Niamh über alles Bescheid weiß, kann ich sie nicht darauf ansprechen. Seit Bea in meinem Atelier aufgegriffen wurde, hat sie den Mund nicht mehr aufgemacht. Ich kann nur froh sein, dass sie mich nicht verpfiffen hat.
»Lance Vine hat einen Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgeschlagen, mit anschließender öffentlicher Hinrichtung von Wendy und allen aus dem Atelier. Niemand hatte Einwände.«
»Dann müssen wir sie aufhalten«, sage ich.
Jude zieht die Mütze ab und kratzt sich den Schädel. »Ich hab Familie, Oscar. Ich bin nicht hergekommen, um mit dir Rettungspläne zu schmieden, ich bin hier, um dir zu sagen: Ich bin draußen. Ich hab den Rebellen in meiner Garage Sauerstoffflaschen und Zugang zu einer Wohnung in Zone Zwei verschafft.« Kein Wort des Bedauerns.
Wie kann ein Mann, der mit dem Schutz der Kuppel und der Führung einer Armee betraut ist, einfach so das Handtuch schmeißen? Ich starre ihn an, hin-und hergerissen zwischen Zorn und Enttäuschung. »Und die Soldaten, die du ausbildest?«
»Werden morgen wegen Untauglichkeit entlassen.«
»Wie kannst du nur so ein Feigling sein?«, frage ich. Und ich dachte, er hätte sich geändert.
Aber meine Worte scheinen an ihm vorbeizugehen. Er setzt den Hut wieder auf und rückt ihn gerade. »Wenn du selbst mal Vater bist, wirst du mich vielleicht verstehen.«
»Also, ich gebe nicht auf«, sage ich.
Als er gerade auf dem Absatz kehrtmacht, kreischt Sirenengeheul durch Zone Drei bis zu uns in die Gasse. Jude schlägt gegen die Mauer. »NEIN!«, brüllt er.
»Was ist passiert?«, frage ich. Instinktiv ziehe ich meine Pistole aus dem Hosenbund und entsichere sie.
Jude zieht mich die Gasse hoch. »Grenzalarm«, sagt er. »Die Kuppel wird angegriffen.«
Jude trommelt alle Soldaten zusammen, Rebellen und Nicht-Rebellen, und versammelt sie in der Sporthalle. In ihren Uniformen kann ich sie kaum auseinanderhalten. Ihr nervöses Geplapper lässt die Wände vibrieren.
Jude hebt das Megafon an seinen Mund. »Die Kuppel steht unter Beschuss. Wir wissen nicht, durch wen, aber wir müssen zusammenhalten.«
Robyn ist aus dem Ödland zurück und steht direkt neben mir. »Noch so ein Witz von einem Krieg. Ich hab’s so was von satt.« Sie ist abgemagert und hat dunkle Ringe unter den Augen.
»Ich glaube, das hier ist Ernst«, erkläre ich ihr. Ich wünschte, es wäre nicht so. Ich wünschte, wir hätten diese Rekruten dafür einsetzen können, etwas in der Kuppel zu verändern, statt sie in einen Kampf zu führen, der nie der ihre war.
»Viele von euch sind unerfahren und haben Angst. Das hätte ich an eurer Stelle auch, aber ihr müsst stark sein. Wir werden zusammenhalten… und leben.« Er stockt. »Seid ihr bereit?« Er schreit, versucht, die Truppe aufzuputschen wie neulich beim Hain. Die Stille in der Turnhalle hallt uns laut in den Ohren.
Sie sind nicht bereit, noch nicht mal ansatzweise. Doch das interessiert jetzt niemanden mehr. Wir gehen da raus und kämpfen. Ministerium und Rebellen, Seite an Seite.
Und zwar jetzt.