BEA
Lance Vines Hautton ist von rosa ins Bläuliche übergegangen. Nicht mehr lange und ich sehe genauso aus. Ich schließe die Augen und verdränge den Gedanken. Ich verdränge jeden Gedanken und konzentriere mich aufs Ausatmen. Mitzählen, erst bei zehn wieder einatmen, um das Bisschen verbliebenen Sauerstoff in der Zelle zu rationieren. Die Luft ist so dünn, dass jeder Atemzug zur Qual wird. Mein Kopf droht zu zerspringen.
Ich öffne die Augen und richte sie aufs rote Blinklicht an der Decke, als Niamh reingestürzt kommt.
»Lass die Tür auf«, röchle ich in den Sirenenlärm, der aus den Lautsprechern heult. Sie hört mich nicht und schon ist die Tür wieder zu.
»Oh nein!« Niamh starrt auf Vine, der leblos auf dem Boden liegt. Sie stupst ihn mit dem Fuß an. »Was hast du gemacht?« Sie fasst sich an den Hals. »Die Luft«, sagt sie. »Ich kann nicht…« Der Rest geht in ihrem Husten unter.
Ihr Blick auf mich ist mörderisch und angsterfüllt zugleich. Ich lebe, Lance Vine ist tot. »Die Wachen haben alle einfach ihre Posten verlassen, aber das regeln wir… wenn alles wieder normal läuft«, sagt sie. Sie geht zur Gegensprechanlage und will gerade den Knopf drücken, als der Groschen fällt. Röchelnd glotzt sie mich an und mich überkommt gerade das ungute Gefühl, dass ich jetzt wohl auch noch Niamh beim Sterben zusehen darf, als sie an der Klinke zerrt und die Tür aufschwingt. Niamh schreit auf. Genau wie ich.
Da steht Quinn.
»Oh Bea!« Er schiebt Niamh beiseite und eilt zu mir. Er nimmt mein Gesicht in die Hände, blickt zum Toten und dann wieder zu mir und meinen aufgeschabten Handgelenken. »Bist du in Ordnung? Es tut mir leid. Es tut mir so leid.« Mit seinem Messer macht er mich los und hilft mir auf. Dann zieht er sich die Maske vom Gesicht und küsst meine Handballen. »Ich hab gewusst, du hältst durch. Hältst durch und zeigst allen, was Sache ist«, sagt er.
»Du bist da!« Ich schlinge ihm die Arme um den Hals und umarme ihn so fest, dass es schon wehtun muss. Er drückt mir Küsse auf Mund, Stirn und Hals und dann sanft die Maske aufs Gesicht. Einen Augenblick lang vergesse ich, wie eklig ich gerade bin. »Wir müssen Oscar und deinen Dad finden. Die helfen uns.«
»Haltet meinen Bruder da raus«, sagt Niamh. Sie hält die Tür auf und aus dem Flur wird ein bisschen Sauerstoff hereingeweht. Wenn sie jetzt geht, sind Quinn und ich geliefert. Ich muss sie in ein Gespräch verwickeln.
»Oscar ist auf unserer Seite, Niamh. Das weißt du.« Ich rapple mich auf.
»Ihr habt ihn irgendwie gegen uns aufgehetzt«, ruft sie.
»Nein, haben wir nicht. Er hat sich uns aus freiem Willen angeschlossen und du könntest es genauso.« Der Alarm schrillt in einem fort.
Niamhs Kopf wird knallrot. »Und eine werden wie du?« Das war’s dann mit den Missionierungsversuchen. Ich stürme auf sie zu, stoße sie zu Boden und werfe mich über sie in die offene Tür, damit sie nicht zuschlagen kann. Niamh zerkratzt mir das Gesicht. Soll sie doch. Ich hebe die Hand, Quinn hilft mir auf und zerrt mich auf den Flur, weg vom roten Geblinke.
Niamh kommt mühsam auf die Beine. »Das wird euch noch leidtun.«
»Nein, glaub ich nicht«, sage ich.
Ihr Blick zeigt mir, dass sie noch viel mehr zu sagen hätte, doch dann flüchtet sie lieber über den Flur und brüllt nach einem Soldaten, der nie erscheinen wird.
»Die Kuppel steht unter Beschuss«, sagt Quinn.
»Dann sollten wir uns beeilen.« Ich schnappe mir seinen Schlüsselbund und öffne die Zelle gegenüber. In der Ecke kauert Old Watson. Ich wusste noch nicht mal, dass sie ihn einkassiert haben. »Watson!« Ich sinke zu Boden und schüttle ihn. Keine Reaktion. Ich halte mein Ohr an sein Gesicht, aber es ist kein Atem zu hören. Habe ich ihn in den Knast gebracht oder war es seine Pflanzenzucht?
Ich reiße mir Quinns Maske vom Gesicht, drücke sie auf Old Watsons Nase und ziehe seine Beine gerade, damit er auf dem Rücken liegt. Versuche mich an einer Herzmassage, verlagere mein Gewicht in beide Hände, während Quinn den Kopf des alten Mannes nach hinten überstreckt und ihn beatmet.
Einmal. Zweimal.
Doch nichts geschieht.
»Atme, verdammt noch mal.« Wieder drücke ich zu.
Quinn steht auf. »Es funktioniert nicht, Bea. Wir müssen hier raus.« Er kapiert das nicht: Old Watson hat mich gerettet, als ich selbst den Willen dazu verloren hatte. Ich werde ihn hier nicht liegen lassen.
»Neuer Versuch«, sage ich und lege Old Watson meine Hände auf die Brust. Ich führe die Druckmassage ganz schulmäßig durch, eins zu dreißig, und wieder geht Quinn auf die Knie und bläst ihm in den Mund, füllt ihn mit Luft.
Und es funktioniert! Old Watson keucht auf. Ich schiebe ihm die paar verbliebenen Haarsträhnen aus den Augen und er klappt die Lider hoch. »Nicht reden«, sage ich und helfe ihm auf.
Ich werfe Quinn die Schlüssel wieder zu. »Die anderen Zellen.«
»Kommst du hier klar?«, fragt er.
»Ja«, sage ich. »Na klar komm ich klar.«