QUINN
Die Schüsse da draußen haben die Kuppel mit einer dicken Staubschicht bedeckt, sodass wir drinnen kaum was mitkriegen. Und Zone Eins ist das reinste Chaos. In jedem Premiumgebäude schrillt der Alarm, während die Seconds auf Plündertour gehen. Überall liegen Leichen. Jeder ist in Gefahr, doch das Ministerium hält sich auffällig zurück.
Hat das Ganze nicht ein bisschen was vom Switch? Menschen, die so ausgehungert nach Luft sind, dass sie alles täten, um nur noch ein bisschen länger durchzuhalten? Und letztendlich mussten dann doch alle dran glauben.
Ich trage Jazz huckepack, Bea hält Lennon und Keane an der Hand. Wir sind auf dem Weg zur Grenze. Eine Gestalt kommt auf mich zugerast und ich lege die Hände schützend um meine Sauerstoffflasche. Ich will schon zuschlagen, als mir klar wird, dass es Gideon ist. Gideon mit einem riesigen Rucksack auf dem Rücken. »Ich bin in die Biosphäre eingebrochen. Ich hab Zwiebeln, Samen und ein paar Stecklinge organisiert, alles, was wir brauchen«, sagt er. Er beäugt Lennon und Keane.
»Meine Brüder«, erkläre ich. »Wo sind die anderen?«
»Die sind schon vorgegangen.«
Beim Einbiegen in die Grenzallee bremsen wir abrupt ab. Ein Pulk Männer mit Atemgeräten und schartigen Glasflaschen hat uns entdeckt und stürzt auf uns zu. »Keinen Schritt näher«, sagt Gideon und schwingt ein Küchenmesser. Die Männer bleiben mit etwas Sicherheitsabstand stehen.
»Wir könnten über die Abfallrutschen raus«, meint Bea, vor den Männern zurückweichend.
Einer von ihnen deutet auf mich. »Das ist der Premium, der bei der Pressekonferenz gesprochen hat. Es hat geheißen, du seist tot.«
»Bin ich nicht.«
»Du hast gesagt, wir könnten draußen atmen«, fährt der Mann fort. Der Rest der Bande lauscht. Eine größere Gruppe – Jugendliche in meinem Alter mit Sturmhauben – bleibt stehen und schaut zu.
»Das ist der Typ aus der Sendung!«, sagt einer von ihnen. »He Leute, das ist dieser eine Premium!« Binnen Sekunden sind wir umringt.
»Also können wir da draußen atmen?«, wiederholt der Mann. Beim Anblick ihrer verstörten, angespannten Gesichter wird mir klar, dass sie gar keine Bedrohung darstellen, sondern einfach nur einen Ausweg aus ihren elenden Leben suchen.
»Es ist nicht ganz leicht«, sage ich.
Der Kreis um uns wird enger. »Was müssen wir machen?«, will einer wissen. »Du bist derjenige, der damit angefangen hat.« Dass ich mal eine Art Vorreiter sein könnte, hätte ich mir vor Monaten auch nie träumen lassen und selbst jetzt muss ich mich fragen, ob ich das Zeug zum Anführer habe.
»Sag ihnen, was sie tun müssen.« Jazz fingert mir am Ohr rum.
»Das Wichtigste ist Hingabe«, sage ich. »Aber ihr könnt eure Körper darauf hintrainieren, draußen zu überleben. Und wir können euch dabei helfen.«
»Geschenkt. Ich geh da jetzt raus und schließ mich den Rebellen an. Die wissen, wie man’s anpackt«, sagt der eine.
»Wir sind die Einzigen, die noch übrig sind«, sagt Bea. »Das Ministerium hat sie alle ermordet.«
»Glaubt ihr, wir haben Avocados und Rote Bete gezüchtet für den Fall, dass ihr euch doch irgendwann zur Flucht entschließt? Macht euch nichts vor. Ihr braucht Luft, aber genauso braucht ihr Lebensmittel. Haltbare Lebensmittel. Alles, was ihr auftreiben könnt. Wir warten draußen am Ehrengrabmal auf euch«, sagt Gideon.
»Und stellt euch darauf ein, dass es hart wird da draußen«, warne ich.
»Gut«, sagt der Mann und die Menge zerstreut sich. Wahrscheinlich gehen sie sich jetzt Nahrung zusammenrauben, aber wenn jemand solche Verluste verkraften kann, dann die Premiums. An so was darf man jetzt keinen Gedanken verschwenden, wo es den Armen selbst an der Luft zum Atmen fehlt.
Harriet, Old Watson und die übrigen Rebellen warten schon an der Grenze auf uns. Sie sind schwer beladen mit Sauerstoffflaschen, Lebensmitteln und Waffen. Wache schiebt hier keiner mehr. »Da draußen herrscht Krieg«, sagt Harriet, als wir uns durch den Glastunnel schleppen. Sie öffnet ihren Rucksack und zieht ein paar Handfeuerwaffen raus.
»Und in ein paar Monaten, wenn wir keine Luft und kein Essen mehr haben?«, raunt Bea mir zu, damit es sonst keiner mitkriegt.
Ich deute auf die Tasche mit den Setzlingen und Samen in Gideons Hand. »Das bauen wir uns alles selbst an«, sage ich, drücke mich gegen die Drehtür am Ende des Tunnels und führe alle raus ins Kriegsgebiet.
Ein Soldat nahe des Eingangs gafft mich an. »Quinn Caffrey? Der Sohn von General Caffrey?« Er lässt die leere Trage von seinem Rücken fallen und klappt das Visier hoch, um mir in die Augen zu schauen. »Dein Vater ist angeschossen worden.« Ich reagiere nicht. Bea nimmt mich bei der Hand. »Ich wollte gerade die Trage hinbringen. Komm mit«, sagt der Soldat.
Ich sollte jetzt bei Bea bleiben und den Rebellen bei der Flucht helfen. Aber als ich sie ansehe, schüttelt sie den Kopf. »Geh«, sagt sie.
Ich schnappe mir das eine Ende der Trage und folge dem Soldaten aufs Schlachtfeld. Ich muss meinen Dad finden.