ALINA
Die drei Wiederaufbereitungsanlagen, deren Leitungen noch intakt sind, werden nun von ganzen Regimentern abgeschirmt, die Türme sind von Scharfschützen besetzt. »Wir können auch schießen«, erkläre ich Jude Caffrey. Er nickt knapp, als wisse er das ohnehin am besten, und weist auf die Anlage Nord. »Geht mit Oscar«, sagt er.
Wir rasen auf die Anlage zu und überwinden den notdürftigen Schutzwall aus Sandsäcken. Ein Soldat an der Tür erkennt Oscar und lässt uns passieren und schon sind wir mit dem Windenaufzug auf dem Weg nach oben. Das Blut rauscht mir in den Ohren, ich kann nur an meine Tante denken, meinen Onkel, an Bea und Jazz, die ersticken werden, wenn wir nicht Sequoias Miliz an der Zerstörung der Rohrleitungen hindern. Genau das war immer die größte Angst des Ministeriums, die erklärte Schwachstelle bei Terrorangriffen, und im Hain haben wir über ihre Panikmache gelacht.
Ganz oben angekommen rasen wir aus dem Aufzug hinaus auf einen Balkon, wo wir uns bäuchlings hinwerfen und durch die Zielfernrohre unserer Gewehre das Gelände inspizieren. Von Westen her befindet sich Vanyas Miliz im direkten Anmarsch auf die Anlage. Gelegentlich geht einer von ihnen zu Boden, doch über Tote und Verletzte wird einfach ungebremst hinweggetrampelt. Die Soldaten des Ministeriums gehen hinter den Sandsäcken in Deckung und feuern eine Runde Munition nach der anderen ab, was die Sequoianer nicht zu jucken scheint.
Zu meiner Rechten erscheint wieder die klobige Zip für ihren Rundflug über die Kuppel. Erneut feuert sie auf unsere Anlage und ein paar Sekunden lang wackeln hier alle Wände. Silas, Oscar und ich starren einander an und fragen uns einen entsetzlichen Augenblick lang, ob das ganze Ding samt uns in sich zusammenstürzen wird. Aber der Schaden scheint nur oberflächlich zu sein und rasch kommt das Gebäude wieder zur Ruhe.
Oscar stößt mich mit dem Ellbogen an. »Worauf wartest du?«, fragt er. In seinen Augen liegt etwas Unerbittliches, der Krieg ist für ihn Alltag geworden.
Ich spähe wieder durchs Zielfernrohr. Um dem fliegenden Schutt der Anlage auszuweichen, sind einige der Ministeriumssoldaten ausgeschert und haben damit Vanyas Miliz ein Verteidigungsloch eröffnet, durch das sie über die Sandsäcke hinweg einfallen können. Schüsse knallen. Einer der Sequoianer schleudert einen Soldaten zu Boden und rammt seinen Kopf immer wieder in die Erde. Mir dreht sich der Magen um. Ich ziele und drücke ab. Der Milizionär lässt den Soldaten fallen und hält sich die Seite. Dann reißt er den Helm runter. Es ist nicht irgendein Soldat. Ich habe auf Wren geschossen. Wie ein schweres Eisenrohr kippt sie zu Boden. Binnen Minuten sind ihre Kameraden über sie hinweggetrampelt, und wenn sie vorher nicht tot war, dann ist sie’s jetzt.
»Ich hab Wren umgebracht«, sage ich zu Silas.
Er schaut finster. »Sie oder meine Familie, so ist das eben.« Ich hasse es, dass er recht hat. Ich hasse das Töten und das Aufrechnen eines Menschenlebens gegen das andere. Wann wird es jemals ein Ende haben? Es muss ein Ende haben, ich bin selbst am Ende, ich kann nicht mehr. Ich halte diese Welt nicht länger aus.
»Die sind schon zu nahe am Turm. Ich kann nicht mehr richtig zielen«, sagt Oscar im Aufstehen. »Und wenn die unten eindringen, können sie über die Feuerleiter in den Kontrollraum gelangen. Da kriegen wir sie dann nie wieder raus.«
Wir springen auf und folgen ihm. War Oscar einer der Ministeriumssoldaten, auf die ich noch vor ein paar Wochen beim Angriff auf den Hain geschossen habe? Ich bin ein Wendehals, der mit dem Feind gemeinsame Sache macht, wird mir bewusst. Aber heute müssen wir Seite an Seite kämpfen, um die Kuppel zu verteidigen und alle, die wir lieben.
Und das scheint das Richtige zu sein.