QUINN
Die Explosion reißt mich kopfüber zu Boden, rammt mir das Gesicht in die Steine und schabt mir die Haut von den Händen. Die Luft ist plötzlich grau. Ich richte mich auf, der Soldat neben mir nicht, und so rolle ich ihn auf den Rücken. Er stöhnt. »Was ist los?«
»Mein Bein«, sagt er. Aber ich kann mich nicht dreiteilen zwischen ihm, meinem Vater und dem, was da eben diese Explosion verursacht hat.
Eine Entscheidung muss her.
»Bleib hier«, sage ich zum Soldaten und renne zu meinem Vater und Oscar, die ungeschützt nahe einer Anlage kauern. Oscar hat seine Hand am Hals meines Vaters.
»Lebt er noch?«, frage ich.
»Er verliert ständig das Bewusstsein«, sagt Oscar. Das Gewehrfeuer in der Ferne reißt ab. Oscar und ich schauen uns an. Könnte es das gewesen sein?
»Dad«, sage ich. »Dad?«
Er zieht die Atemmaske ab und spuckt Blut. »Quinn?«
»Ja, ich bin’s.« Mit meinem Ärmel wische ich ihm das Blut vom Gesicht. Ich versuche, ihm die Maske wieder richtig anzulegen, doch er dreht abwehrend den Kopf zur Seite. Oscar lässt den Stoff los, den er ihm gegen den Hals gedrückt hat, und entblößt eine klaffende Wunde.
»Er hat einen Schuss abgekriegt«, sagt Oscar, als ob ich mir das nicht selbst zusammenreimen könnte.
Mein Vater stöhnt und hustet einen Blutklumpen in seine Hand. Diesmal sträubt er sich nicht, als ich ihm die Maske wieder anlegen will. »Die Anlagen haben drinnen Ventile zum Flaschenauffüllen«, röchelt er. »Selbst wenn sie’s schaffen sollten…«
»Nicht reden«, sage ich, weil ich merke, wie sehr es ihn anstrengt. »Versuchen wir mal, dich reinzuschaffen.«
»Quinn«, setzt Oscar an und legt mir eine Hand auf den Arm.
»Hilf mir«, sage ich und gemeinsam wuchten wir meinen Vater auf die Trage. Zurück bleibt eine dunkle Pfütze. Noch nie zuvor habe ich meinen Vater bluten sehen. Irgendwie hatte ich mir den Kinderglauben bewahrt, dass er das gar nicht könnte.
Auf der Trage breitet sich ein Blutsee aus und er lässt sich kaum transportieren, weil er so viel herumzappelt. Wir setzen ihn wieder ab und ich knie mich neben ihn.
»Die Zwillinge. Deine Mutter«, sagt er.
»Es geht ihnen gut«, sagt er, weil ich es zumindest hoffe. »Mom hat das Baby bekommen.«
Mein Vater schließt die Augen, und als er sie wieder aufschlägt, stehen Tränen darin. Er hebt einen Finger und winkt mich näher zu sich heran. Ich senke mein Ohr zum Luftauslassventil seiner Maske. »Ich bin nicht der beste aller Väter«, sagt er.
Das stimmt, er war manchmal sogar ein ziemlich grauenhafter Vater. Aber irgendwie hat es sich so angefühlt, als habe er es nicht besser gelernt. Ich hebe den Kopf und blicke meinem Vater in die Augen. »Oscar hat mir erzählt, du hättest ihn nach mir geschickt. Danke.«
Ein Schuss bricht die Stille und Oscar hebt das Gewehr. »Wir sitzen hier voll auf dem Präsentierteller.« Er versucht, meinen Vater wieder auf die Trage zu heben. Ich helfe ihm nicht. Es ist sinnlos.
»Du hast mal gemeint, dass wir in einer anderen Welt vermutlich Freunde hätten sein können.« Ich halte inne und warte auf ein Zeichen, dass er mich verstanden hat. Ich muss wissen, dass er mir zuhört.
»Hör auf«, flüstert er.
»Und ich glaube, du hattest recht.« Er reißt sich die Maske vom Gesicht und schleudert sie außer Reichweite. Aus seiner Nase tröpfelt das Blut. Seine Augen sind leer.
Oscar eilt nach der Maske. Aber mein Vater wird sie nicht mehr brauchen.
Ich lege ihm meine Hand auf die Brust. Er blickt empor zum Himmel, dann zu mir. »Quinn«, sagt er. Sein Atem ist flach und sanft. »Quinn«, wiederholt er und schließt die Augen.