39.

Peking, China
Verbotene Stadt
Palast der Gesammelten Eleganz
8. Oktober 1860
Ortszeit: 19.00 Uhr
Unternehmen Esra – Tag 219

Im Kamin prasselte ein lebhaftes Feuer, die Flammen leckten in den eisernen Rauchfang. Es verströmte eine starke Hitze und sandte ein goldenes Licht auf die Wände des großen säulengestützten Raumes.

Allein in Cixis Schlafgemach, schritt Randall wartend auf und ab. Sie hatte ihn vor einer halben Stunde herbestellt, und das erfüllte ihn mit bösen Vorahnungen.

In vier Tagen schon würde er ein für alle Mal von hier verschwinden. Sein Eingreifen würde im Stolz der Sieger untergehen und bei den Besiegten vergessen werden. Die Geschichte würde sagen, dass Randall Chen nie existiert hatte. Dafür würden Lord Elgin und Harry Parkes als erfolgreiche Invasoren dastehen, und Cixi wäre für immer die Frau, die im Alleingang das Reich der Mitte vor der Selbstzerstörung bewahrt hatte. Nur der Esra-Aufseher würde die Wahrheit kennen. Er fragte sich, ob er wohl weiterhin die unzähligen Toten betrauern werde, die es wegen seines Eingreifens gegeben hatte, doch er bezweifelte es. Die Geschichte war grausam, schon immer, und sie würde es immer sein. Wäre er nicht gewesen, hätten die taktischen Möglichkeiten, die er zum Vorteil der Alliierten genutzt hatte, sicher zu etwas anderem geführt. Der Vorteil hätte an anderer Stelle gewirkt, genauso brutal, genauso schrecklich.

Er ging an Cixis Bett und beugte sich über eines ihrer bestickten Kissen, um den Duft einzuatmen. Augenblicklich wurde er weich in den Knien. Der Duft brachte ihm den Abend zurück, als er ihren nackten Körper berührt hatte. Er fühlte es wieder, wie sie ihre Haare über sein Gesicht und seine Brust gleiten ließ. Er schloss die Augen und seufzte.

Am Vormittag hatte man den Gesandten ihre Pferde und Waffen zurückgegeben und sie von einer großen Ehrengarde zur äußeren Stadtmauer eskortieren lassen; alle verfügbaren Kavalleristen und Fußsoldaten, über dreitausend Mann, waren dazu angetreten. Cixi hatte entschieden, die letzte Erinnerung, die Parkes aus der Hauptstadt mitnehmen sollte, sei die an eine tapfere, wiedererstarkte Streitmacht, nicht an eine besiegte Nation, die der Gnade der roten Teufel ausgeliefert war.

Randall hatte zugestimmt, obwohl davon nichts in den Auftragstexten stand. Viele Ereignisse waren vom ursprünglichen Plan abgewichen, doch im Großen und Ganzen war es, wie es sein sollte. Er dachte an sein letztes Gespräch mit Parkes, bei dem ein ausgezehrter Henry Loch im Hintergrund gestanden hatte.

»Sie sind frei und können zu Lord Elgin zurückkehren.« Mit diesen Worten hatte er sie zur Tür geleitet. »Ihre Gefangennahme war ein überaus unglücklicher Zwischenfall in diesem Krieg.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe«, sagte Parkes darauf.

»Das ist nicht nötig. Mein Anteil an Ihrer Freilassung ist gering. Die anderen warten draußen, die Pferde sind gesattelt. Ihre Toten wurden leider nur in schlichte Särge gelegt und auf einen Karren gepackt, der mit Ihnen fährt. Bedauerlicherweise werden zwei Männer noch vermisst. Ich entschuldige mich im Namen der Qing für das sinnlose Ableben Ihrer Leute. Es ist viele Tage her, dass sie gestorben sind, und die Leichen wurden eingekalkt, um die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern, sodass sie keinen schönen Anblick bieten.« Randall deutete zur Tür. »Ich hoffe sehr, dass Sie zugunsten eines besseren Verhältnisses zwischen den Qing und den Mächten des Abendlandes über ihr Schicksal hinwegsehen können.« Er schwieg für einen Moment. »Wenn nicht, sollten Sie Ihr Handeln sorgfältig abwägen und bedenken, dass ich auf Seiten der Qing über die Ereignisse wachen werde, um zu gewährleisten, dass Sie Ihren Teil unserer Abmachung einhalten.«

Parkes blieb vollkommen ruhig. »Sie haben mein Wort, dass wir die Mauern Pekings unzerstört lassen. Und Sie haben mein Wort, dass die Qing nicht gestürzt werden. Aber eines will ich sagen …« Er schluckte mehrmals nervös, ehe er fortfuhr. »Das Britische Empire ist die mächtigste Nation der Welt. Das hat sich bei der Schlacht an der Acht-Li-Brücke im Jahre des Herrn 1860 wieder einmal gezeigt. Wir hätten auch ohne Ihre Hilfe gesiegt, Randall Chen.«

Randall warf ihm einen strengen Blick zu. »Ohne mich wären Sie niedergemetzelt worden. Lassen Sie sich Ihr Urteilsvermögen nicht durch Hochmut trüben, der Preis könnte bitter sein.«

»Ich habe keinen Zweifel, dass wir uns noch einmal wiedersehen werden«, meinte Parkes.

»Wenn, dann nur weil Sie die Abmachung gebrochen haben«, widersprach Randall sofort. »Und das hieße, Sie tun Ihren letzten Atemzug.« Augenblicklich trat ein feiner Schweißfilm auf Parkes’ Stirn. Die Drohung hatte gewirkt.

Parkes nickte, gab Loch einen Wink und ging mit ihm durch die Tür. »Dann hoffe ich, Sie nie wieder zu sehen«, sagte er gerade so leise, dass Randall es noch verstehen konnte.

Nun stand er also in Cixis Schlafzimmer und schaute wieder einmal sinnend den Rauchfäden nach, die aus den Räucherschalen in die stille Nachtluft aufstiegen. Wie er so an Parkes zurückdachte, beschlich ihn der Eindruck, dass sein Benehmen etwas Berechnendes gehabt hatte. Er hatte immer die passenden Sätze gesprochen und Zusagen gemacht, aber so, als hätte er Hintergedanken, als plante er etwas.

Plötzlich flog die Tür auf, und Cixi kam mit wehenden Kleidern herein. Sie sah wütend und verzweifelt aus. In der Hand hielt sie einen zinnoberroten Brief und zeigte damit auf Randall. »Keine drei Stunden nachdem die Gefangenen im Feldlager der Alliierten angekommen waren, ließ Lord Elgin seine Soldaten antreten!«, berichtete sie gereizt. »Er hat tausend Männer zurückgelassen, die die Kanonen und das Lager bewachen. Alle anderen marschieren nach Norden.«

Randall dachte als Erstes an Jehol, doch das lag eigentlich zu weit im Gebirge, und der Winter näherte sich schnell. »Wohin wollen sie?«, fragte er. »Einen Angriff auf Peking werden sie nicht wagen.«

Cixi stampfte mit dem Fuß auf wie ein bockiges Kind. »Sie ziehen zum Sommerpalast, Yuan Min Yuan!«

Sowie sie es ausgesprochen hatte, war Randall klar, dass Parkes genau das im Sinn gehabt hatte. Er und Elgin würden die größten Schätze des Reiches an sich reißen, und weil der Palast nicht innerhalb der Stadtmauer Pekings lag, hätten sie sich dennoch an die Vereinbarung gehalten.

»Ihr habt Euch getäuscht!«, sagte Cixi beißend. »Ich sehe es Eurem Gesicht an. Ihr habt diesen verräterischen Gesandten laufen lassen, und wie es scheint, hat sich Euer Mitgefühl in unverhohlene Nichtachtung verwandelt.«

»Was für eine Befestigung hat der Palast?«, fragte er.

»So gut wie keine«, antwortete Cixi frustriert. »Dort leben tausend Diener und zweihundert Palastwachen. Kaum genug, um einen Angriff abzuwehren. Sie können von allen Seiten mühelos überrannt werden.« Mit schmalen Augen sah sie Randall an. »Ihr habt versagt.«

Zorn flammte in ihm auf. »Wie könnt Ihr es wagen, so mit mir zu reden!«, knurrte er. »Ich bin gekommen, um die Verbotene Stadt zu schützen – und geschützt habe ich sie. Elgin wird Peking nicht angreifen, weil er meine Rache fürchtet. Dass der Sommerpalast außerhalb der Mauern liegt ist bedauerlich. Aber die Verbotene Stadt ist sicher, und damit seid auch Ihr und Euer Sohn es, das ist das Wichtigste. Nur so wird die Herrschaft der Qing fortbestehen.«

»Aber der Sommerpalast ist mir der liebste Platz auf Erden«, beharrte Cixi in weichem Ton. Randalls Wutausbruch schien sie besänftigt zu haben. »Es muss ein Mittel geben, um ihn zu bewahren.«

Randall dachte darüber nach, doch die Zeit und seine Unkenntnis der Zukunft waren gegen ihn. Nach der Geschichte, wie er sie gelernt hatte, war Lord Elgin nicht zum Sommerpalast gezogen. Schließlich sagte er: »Wenn Ihr die Wahl zwischen der Verbotenen Stadt und dem Sommerpalast hättet, was würdet Ihr schützen wollen?«

»Beide.«

»Beides geht nicht.«

Cixi rang die Hände. »Yuan Min Yuan ist von erlesener Pracht. Dort stehen auch drei abendländische Paläste, die schöner und erhabener sind, als man sie in Europa findet.«

»Ich kann nichts versprechen«, erwiderte Randall. »Nur hoffen, dass Elgin und Parkes die Schönheit, die Qianlong da erschaffen hat, anerkennen und sich mit dem Plündern begnügen werden.«

»Ihr müsst mehr tun, als auf ihre Einsicht hoffen!«, fauchte Cixi. »Sie sind in unser Land eingedrungen, und nun wollen sie die größten Schätze des Reiches rauben!«

Randall schaute in ihre zornigen Augen. Sie waren kalt und loderten dennoch vor Feindseligkeit. »Es gibt nichts, das ich tun kann«, sagte er.

Cixi ging mit heftigen Schritten zum Kamin, ihr Schatten streckte sich über den glänzenden Boden und die Wand an der Gartenseite. »Es muss einen Weg geben!«

»Was steht in dem Brief?«, fragte Randall. Cixi hatte ihn nicht aus der Hand gelegt.

Sie drehte sich nicht um, sondern hielt ihm das Schreiben mit ausgestrecktem Arm hin. »Der zweite Befehl, die Gefangenen hinzurichten. Er kam eine Viertelstunde, nachdem sie Peking verlassen hatten.« Sie wandte sich ihm zu. »Es scheint, dass Eure Taktik, sie freizulassen, ehe dieser Brief eintrifft, erfolgreich war. Doch ich fürchte, sie war dennoch ein Fehler. Wir haben nun kein Druckmittel mehr.«

»Wir hätten spätestens jetzt, da der Brief eingetroffen ist, kein Druckmittel mehr«, gab Randall zu bedenken. »Wären die Gefangenen exekutiert worden, hätten wir die Vergeltungsmaßnahmen der Invasoren unmöglich eindämmen können. Ihr Ziel wäre dann nicht der Sommerpalast, sondern die Verbotene Stadt gewesen.«

Cixi stand wie versteinert da und strahlte doch Erhabenheit aus. »Aber wir müssen doch etwas tun können«, sagte sie mit zitternder Stimme. Dann, als hätte sich ihre Entschlossenheit aufgelöst, fing sie leise an zu wimmern.

Randall legte die Arme um ihre Schultern. Er sah ihre Traurigkeit und fühlte das sanfte Heben und Senken ihrer Brust, doch es erregte eher sein Begehren, als dass es eine mitfühlende Saite anschlug.

Cixi wand sich in seinen Armen wie ein Aal in der Hand des Anglers. »Können wir denn gar nichts tun?«

Als Randall in ihr schönes, trauriges Gesicht sah, fühlte er plötzlich ungeheuren Mut in sich. »Wir riskieren viel, wenn wir darauf reagieren.«

Sie legte die Hand an seine Brust und griff mit der anderen um seine Taille. »Ihr seid ein Held, der viel über die Zukunft weiß. Ich weiß, Ihr könnt sie aufhalten. Sie fürchten Eure Macht.«

»Wir können uns weitere Verluste auf dem Schlachtfeld nicht leisten; damit würden wir die Verbotene Stadt entblößen.«

Cixi lockerte das Band seiner Hose und schob die Hand hinein. Er stöhnte unwillkürlich.

»Wir müssen Yuan Min Yuan vor den roten Teufeln schützen«, flüsterte sie.

Es gab nur eine Möglichkeit, erkannte Randall. Er müsste selbst hinreiten und vor den Alliierten ankommen.

Cixi zog sein Obergewand auseinander und küsste seine nackte Brust. »Ich tue alles, um ihn zu retten. Alles«, hauchte sie.

Um Elgin aufzuhalten, brauchte es eine blutige Warnung – das war die einzige Sprache, die die Invasoren verstanden. Als ihre Zunge über seinen Bauch leckte, entfuhr ihm ein neuerliches Stöhnen. »Ich kann den Sommerpalast retten«, sagte er heftig atmend.

Cixi schob die Hände um seinen Hintern. »Ich weiß«, erwiderte sie. »Aber wird Euch auch nichts zustoßen? Ich will Euch nicht in Gefahr bringen.«

»Mir wird nichts passieren«, versprach er.

Darauf ging sie auf die Knie, zog ihm die Hose herunter und streichelte seine nackten Schenkel. Kurz schaute sie zu ihm hoch. »Für mich steht viel auf dem Spiel«, sagte sie. »Die Lust, die ich Euch nun bereiten werde, ist nur ein Vorgeschmack auf die unvorstellbaren Freuden, die ich noch für Euch bereithalte, falls Ihr meinen Lieblingsplatz auf Erden rettet.«