Mrs. Tahn«, begann John Gills, als sie sich in dem kleinen Büro in der Polizeistation von Rhiconich gegenübersaßen. »Die Umstände sind denkbar ungünstig, und mir ist bewusst, wie schwer Sie unter dem Verlust Ihres Mannes leiden, aber ich muss Ihnen mitteilen, dass Sie verdächtigt werden, gemeinsam mit Ihrem Mann Tom Noviak getötet zu haben.«
Er sah, wie sie unter der leichten Sonnenbräune ihrer Haut noch blasser wurde, als sie es sowieso schon war, aber die Anschuldigung traf sie nicht unerwartet.
»Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern, und Anspruch darauf, einen Anwalt hinzuzuziehen. Ich muss Sie zudem darauf hinweisen, dass alles, was Sie ab jetzt sagen und zu Protokoll geben, gegen Sie verwendet werden kann.«
Ihr Blick fiel auf das Aufnahmegerät, das zwischen ihnen auf dem Tisch lag. »Ich brauche keinen Anwalt«, erwiderte sie mit unerwartet fester Stimme. »Ich habe Tom Noviak nicht getötet.«
»Und Ihr Mann?«
Sie schluckte, und er verfolgte, wie sie nach Worten suchte, während ihre schlanken Finger über die Tischplatte strichen. Dabei fiel ihm an ihrem rechten Ringfinger der fehlende Ehering auf. Der Abdruck, wo sie ihn normalerweise trug, war noch zu sehen.
»Tom Noviaks Tod war ein Unfall«, sagte sie schließlich.
»Ein Unfall?«, wiederholte er zweifelnd. »Warum haben Sie dann seine Leiche in der Sandwood Bay vergraben?«
Sie gab ihm keine Antwort.
Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Schon zu Beginn unserer Ermittlungen haben wir Blut in Ihrem Zelt gefunden«, fuhr er geduldig fort. Sie hielt nur den Schein aufrecht. Über kurz oder lang würde sie einbrechen. »Die DNA-Analyse hat ergeben, dass es weder von Ihnen noch Ihrem Mann stammt. Wir vergleichen die Probe in diesem Moment mit der DNA von Tom Noviak, und ich bin mir absolut sicher, Mrs. Tahn, dass wir eine Übereinstimmung bei den beiden Proben haben werden.«
Ihr Blick flog zum Fenster. Ihre Nasenflügel vibrierten nervös. Der Anblick, den sie bot, entsprach genau dem Foto in seiner Akte und schaffte eine unwirkliche Vertrautheit.
»Tom war nie in unserem Zelt«, sagte sie angespannt. »Ich weiß nicht, wie das Blut dorthin gekommen ist.«
Gills ließ sich nicht beirren. »Wissen Sie, Mrs. Tahn, mit den Möglichkeiten, die uns die Kriminaltechnik heutzutage bietet, können wir einen solchen Fall bis ins Detail rekonstruieren. Mit dem entsprechenden Aufwand werden wir nicht nur herausfinden, was die Todesursache und der genaue Todeszeitpunkt waren, sondern wir werden auch den Tathergang und den Tatort bestimmen können.« Er schenkte ihnen Wasser in die beiden Gläser ein, die auf dem Tisch bereitstanden. »Einfacher ist es natürlich, wenn Sie mir erzählen, was an jenem Tag wirklich in der Sandwood Bay geschehen ist. Wo Sie, zum Beispiel, Tom Noviak getroffen haben.«
Ihre Gesichtszüge verhärteten sich.
Gills betrachtete Julian Tahns Frau prüfend. Ihr Ehemann hatte genauso reagiert, als der Name des Toten fiel.
Sein Denkfehler hatte bis vor etwa zwölf Stunden in der Annahme gelegen, Tom Noviak sei nach Deutschland zurückgekehrt. Sein zweiter Fehler war gewesen, dass er nicht hinterfragt hatte, warum ein bei einer Autovermietung in Inverness geliehener SUV auf einem Parkplatz in Kinlochbervie zurückgelassen worden war.
Der Fund von Noviaks Leiche in der Sandwood Bay stellte nicht nur die Ergebnisse aus den Vernehmungen von Julian Tahn in einem neuen Licht dar. Gills musste die komplette Abfolge der Geschehnisse aus einer völlig anderen Perspektive betrachten.
»Ich habe meine Frau nicht umgebracht«, hatte Julian Tahn wiederholt beteuert und dennoch eine Aura der Schuld verströmt, die Gills so irritiert hatte, dass ihn der Fall nicht losgelassen hatte. Nein. Seine Frau hatte der Deutsche nicht umgebracht. Aber er hatte dennoch getötet.
Was war zwischen Tom Noviak und den Eheleuten Tahn vorgefallen, was hatte Noviak den beiden angetan, dass er dafür sterben musste? Und war dieser Tod durch Julian Tahns unbändige Wut eingetreten, oder war er geplant gewesen? Die Antwort schien für Laura Tahn mit der Offenbarung von Umständen verbunden zu sein, über die sie auf keinen Fall bereit war, öffentlich zu sprechen. Diese Tatsache spiegelte sich absolut zweifelsfrei in ihrem Gesichtsausdruck.
Ohne Vorwarnung drückte Gills deshalb die Stopptaste des Aufnahmegerätes und schob es zur Seite. Dann stand er auf und schloss mit Nachdruck die Tür. »Ich glaube, wir sollten außerhalb des Protokolls sprechen«, erklärte er, als er sich wieder setzte.
Laura starrte ihn aus ihren großen, dunklen Augen verstört an. Und den Bruchteil einer Sekunde teilte er ihr Entsetzen. Was tat er? Wozu ließ er sich schon wieder verleiten?
»Es gibt nichts, was ich Ihnen zu sagen hätte«, wiederholte sie unsicher.
»Was Sie mir hier in diesem Raum erzählen, bleibt unter uns.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann das nicht.«
Er sah, wie ihre Unterlippe zitterte, und wartete schweigend, während sie mit ihren Gefühlen kämpfte.
Er ahnte, wie unerträglich die Situation für sie sein musste. Sie hatte gerade ihren Mann verloren und wurde eines Kapitalverbrechens beschuldigt, noch dazu in einem fremden Land. Aber er konnte darauf keine Rücksicht nehmen.
»Hören Sie …«, begann sie schließlich, zögerte und schüttelte dann erneut den Kopf.
»Madam?«
Ihre Finger tanzten nervös umeinander.
Er versuchte, sie nicht zu drängen. Im Gegensatz zu der Geduldsprobe, die ihm die Vernehmungen ihres Mannes abgefordert hatten, fiel es ihm jetzt nicht schwer. Es gab keinen Druck, kein zeitliches Limit. Der Chief Inspector hatte ihn persönlich angerufen, nachdem er von Campbell über den Leichenfund in der Sandwood Bay informiert worden war, und hatte ihm gratuliert. Er gestand ihm sogar die nötige Zeit zu, die Ermittlungen zu einem vernünftigen Abschluss zu bringen. Aber natürlich hatte Brown sofort auch eine Rüge nachgeschoben und sich über den unkonventionellen Ansatz und seine erneute Eigenmächtigkeit beschwert.
Doch das war alles nicht wichtig. Er schob die Gedanken fort und konzentrierte sich auf die Frau ihm gegenüber. Sie würde reden. Bald! Viele kleine Anzeichen sprachen dafür. Ihr nervöses Atmen, ihre fahrigen Gesten, ihre Mimik, während sie abwog, inwieweit sie ihm vertrauen konnte oder nicht.
Schließlich wurde seine Beharrlichkeit belohnt. Es war nicht zu übersehen, wie viel Kraft es sie kostete, gleichzeitig schien sie der Entschluss aber auch zu erleichtern. »Tom Noviak hat Fotos von mir gemacht«, gestand sie mit belegter Stimme.
»Fotos«, wiederholte er. »Was für Fotos?«
»Nacktfotos.«
Er räusperte sich. »Mrs. Tahn, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber mit ein paar Nacktfotos kann heute niemand mehr einen Skandal anzetteln. Sie sind nicht die Frau irgendeines Präsidenten.«
Er beobachtete, wie sie erneut mit sich kämpfte. »Es war mehr …«, sie atmete tief durch, »es waren … es sind pornographische Fotos, und zwar der abstoßendsten Sorte …«
Gills konnte sich nicht gegen die Bilder wehren, die vor seinem inneren Auge auftauchten, und runzelte nachdenklich die Stirn. Dass passte nicht zu ihr. »Warum haben Sie das gemacht?«
»Ich habe das nicht gemacht. Ich wusste nicht einmal davon.« Beinahe trotzig sah sie ihn an. »Ich … ich hatte einen Filmriss.«
Er erinnerte sich, impulsiv und aufbrausend, hatte Julian Tahn seine Frau charakterisiert.
»Ist das schon öfters vorgekommen, dass Sie so betrunken waren, dass Sie nicht mehr wussten, was passiert ist?«
Erneut schluckte sie. »Immer mal wieder. Ich kann mich manchmal nicht zurückhalten. Er hat es akribisch vorbereitet und die Situation dann hemmungslos ausgenutzt.«
»Er? Sie meinen Tom Noviak?«
Sie nickte.
»Woher kennen Sie ihn?«
»Hat Julian Ihnen nicht die Geschichte erzählt?«
»Doch hat er.«
»Warum fragen Sie dann?«
Er ging nicht darauf ein. »Tom Noviak hat also diese Fotos von Ihnen gemacht«, wiederholte er stattdessen. »Wollte er Geld von Ihnen?«
Sie schnaubte. »Das wäre zu einfach gewesen! Nein, er hat sie benutzt, um mir mein Leben zur Hölle zu machen und meine Ehe zu zerstören.« Sie lehnte sich vor und sah ihn direkt an. »Er hat nichts von mir verlangt, er hat mir einfach nur gesagt, dass er sie zu gegebener Zeit veröffentlichen wird, wenn ich meinen Mann nicht verlassen würde. Es gab nichts, worüber ich mit ihm hätte verhandeln können.«
»Warum haben Sie mit Ihrem Mann nicht darüber gesprochen?«, unterbrach Gills sie.
»Ich konnte nicht. Ihm davon zu erzählen hätte bedeutet, dass ich ihm auch meine Recherche über seine Vergangenheit hätte beichten müssen.«
Gills schüttelte ungläubig den Kopf. »Sie hätten es trotzdem machen sollen«, entfuhr es ihm. Kaum dass er es gesagt hatte, ärgerte er sich darüber.
Sie sah ihn nur an.
»Ich weiß«, gab sie schließlich zu. »Heute weiß ich, dass ich Julian viel mehr hätte vertrauen müssen.« Ihre Stimme brach, und Tränen liefen über ihre Wangen. »Aber Ihnen ist schon klar, was die Veröffentlichung nur eines dieser Bilder für mich bedeutet hätte. Und für ihn letztlich auch.«
Natürlich war ihm das klar. Auch wenn die Öffentlichkeit vergaß. Der Makel haftete an. Ein potenzieller neuer Arbeitgeber stolperte darüber, Bekannte erinnerten sich …
Mit einer ungeduldigen Bewegung wischte sie sich die Tränen mit dem Ärmel ihres leichten Sommerpullovers aus dem Gesicht. Er zog eine Packung Taschentücher aus seiner Jacke und reichte ihr eins.
»Tom Noviak hat den Verlust seiner Schwester nie verwunden. Dadurch, dass ich den Kontakt zu ihm gesucht und Fragen gestellt habe über Moniques Tod, ist alles wieder aufgebrochen«, sagte sie, nachdem sie sich die Nase geschneuzt hatte. »Ich habe ihm so einen Zutritt in unser Leben gewährt. Und damit hat alles angefangen.«
»Angefangen hat alles, als Ihr Mann Sie das erste Mal geschlagen hat«, korrigierte Gills sie nüchtern.
Ihr Mund wurde trotz der Tränen in ihren Augen schmal. »Gibt es etwas, das Sie nicht wissen?«
»Warum ist Tom Noviak Ihnen nachgereist?«
»Er hat gesagt, dass er mich in Schottland abholen will, um mich vor Julian zu schützen.« Sie tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »Verstehen Sie, er war irre, psychisch krank. Es wurde immer schlimmer.« Ihre Stimme hatte einen aggressiven Tonfall angenommen, doch er konnte nicht die Angst überdecken, die darunter gärte, das Grauen, das ein Fremder ausgelöst hatte, indem er in ihr Leben eingebrochen war und die Kontrolle übernommen hatte. Die Angst war authentisch, die Aggressivität jedoch erinnerte Gills erneut daran, wie ihr Mann reagiert hatte, wenn es in den Vernehmungen ganz speziell um Tom Noviak gegangen war.
»Mrs. Tahn, ich glaube Ihnen nicht, dass Sie von Tom Noviaks Ankunft in Schottland überrascht wurden.«
Sie wurde blass.
»Ich frage Sie noch einmal: Warum ist Tom Noviak Ihnen nachgereist?«
Nervös presste sie die Lippen zusammen. Im Raum herrschte Stille.
»Ich habe ihm gesagt, er soll mich abholen. Ich würde mich seinen Forderungen beugen«, bekannte sie schließlich.
»Woher Ihr plötzlicher Sinneswandel?«
Sie senkte beschämt den Blick. »Wir wollten ihm eine Falle stellen«, gestand sie, ohne ihn anzusehen.
»Eine Falle«, wiederholte Gills. »Welcher Plan steckte dahinter?«
Sie atmete tief durch. »Wir hatten keine konkrete Idee, aber wir dachten, wenn er erst einmal hier ist, gelingt es uns vielleicht, ihn so unter Druck zu setzen, dass wir die Fotos bekommen.«
»Dabei hätten Sie vermutlich auch in Kauf genommen, ihn zu töten«, stellte er fest.
Unsicher zuckte sie mit den Schultern. Ihr Widerstand war gebrochen.
»Gehen wir noch einmal zu Noviaks Drohung zurück«, fuhr er daher vielleicht besonders sachlich fort. »Sie sagten, Sie haben Ihrem Mann erst hier in Schottland davon erzählt.«
»Ja«, erwiderte sie plötzlich müde. »Ich hätte ihm am liebsten überhaupt nicht davon erzählt, aber es ließ sich nicht mehr verheimlichen. Tom hat mich unter Druck gesetzt. Er hat mir eines von den Bildern geschickt.«
Er erinnerte sich an ihren Tagebucheintrag.
Eine SMS von Tom. Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Er versteht nicht, warum ich noch nicht mit Julian geredet habe. Er bedrängt mich.
»Ihr Mann hat ausgesagt, Sie hätten ein Verhältnis mit Tom Noviak gehabt.«
»Bullshit«, entfuhr es ihr. »Das hat er nur gesagt …« Erneut standen Tränen in ihren Augen. Sie wischte sie ungelenk fort.
»Um Sie zu schützen«, beendete Gills ihren Satz.
»Er wollte mich immer nur schützen.« Sie ließ den Kopf in ihre Hände sinken. Ihr Elend war mit einem Mal so greifbar, dass er versucht war, aufzustehen und ihr den Arm um die Schulter zu legen, aber es wäre nicht richtig gewesen.
Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
»Julian und ich hatten in Ullapool einen Riesenstreit deswegen, aber das wissen Sie vermutlich auch schon«, fuhr sie schließlich fort.
»Ich weiß, dass es einen Streit gab, aber Ihr Mann hat uns nur von Ihrer Recherche erzählt und den Streit darauf bezogen.«
»Er hat wirklich nie etwas über die Fotos gesagt?«
Als Gills verneinte, schluckte sie, um weitere Tränen zurückzuhalten.
»Ihr Mann hat uns erzählt, dass Sie ihm während der Bootstour mit Peter Dunn gedroht hätten, sich umzubringen.«
»Hat er?«
Gills nickte.
»Ich wollte mich nicht umbringen. Ich habe es im Streit nur so dahergesagt.« Sie seufzte. »Manchmal sage oder tue ich Dinge, die ich gar nicht so meine. An jenem Tag hatte Tom das Foto auch noch einmal an Julian geschickt, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen. Julian wusste von der Existenz der Fotos, aber er hatte sie nicht gesehen und …«
»Ja, und?«
»Julian ist wirklich nicht prüde, aber das hat ihn doch ziemlich schockiert.« Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen, als könne sie damit die Erinnerung vertreiben. »Und dann hat der Skipper es auch noch gesehen, weil uns das Telefon während des Streits aus der Hand gerutscht und ihm vor die Füße gefallen ist. Er wollte nur höflich sein und es zurückgeben, aber ich bin völlig ausgerastet, weil ich gesehen habe, dass er mich auf dem Foto erkannt hat. Er hat versucht, es zu verbergen, aber …«
Ein weiteres Steinchen fiel an seinen Platz.
»Hat er jemals darüber gesprochen?«, fragte sie übergangslos.
Gills schüttelte den Kopf. »Kein Sterbenswörtchen.«
Sie schauderte plötzlich, als ob ihr kalt wäre.
»Brauchen Sie eine Pause?«, fragte er verständnisvoll.
»Ja, das wäre vielleicht ganz gut.«
»Möchten Sie einen Kaffee oder etwas zu essen?«
Sie lehnte ab, was ihn nicht wunderte, sie hatte noch nicht einmal das Wasserglas angerührt, das auf dem Tisch stand.
Er beobachtete sie, während sie sich draußen hinter dem Gebäude in die Sonne setzte und über das tiefblaue Loch Inchard blickte, in dem sich die umliegenden Berge spiegelten. Sie sah verloren aus. Entsetzlich einsam, wie ein alleingelassenes Kind, während der Wind, der vom Meer her landeinwärts wehte, ihr das Haar aus dem Gesicht blies. Der Anblick berührte ihn, doch er konnte, nein, er durfte ihr nicht helfen.
Nach einer Weile kam sie zurück.
»Ein Kaffee wäre vielleicht doch nicht so schlecht«, sagte sie, aber als sie wieder zusammen in dem kleinen Büro saßen, schien ihm, als wärmte sie nur ihre Finger an dem Becher, anstatt zu trinken.
»Ich werde Sie nicht mehr lange aufhalten«, versprach er. »Lassen Sie uns noch einmal über das sprechen, was in der Sandwood Bay passiert ist. Wo sind Sie auf Tom Noviak getroffen?«
Sie wollte nicht darüber sprechen. Ihre ganze Haltung drückte ihren Widerwillen aus. Aber sie zwang sich. Sie wollte zu einem Ende kommen. »Er kam gegen Abend an den Strand, einen Tag, nachdem wir dort angekommen waren.«
»Was ist dann passiert?«
»Müssen wir wirklich darüber reden?«
»Wir sprechen hier heute unter uns, Mrs. Tahn«, erinnerte er sie. »Das habe ich Ihnen versprochen, und daran werde ich mich halten. Morgen ist ein anderer Tag, was dann kommt, müssen wir sehen.«
»Und das können Sie trennen?«
»Das ist Teil meines Jobs.« Er räusperte sich. »Da Sie auch journalistisch tätig sind, wissen Sie sicher auch, dass man bisweilen Informationen bekommt, mit denen man nicht arbeiten darf, die aber wichtig sind, um das Gesamtbild zu verstehen. Das ist in meinem Beruf nicht anders.«
Sie zögerte dennoch. »Es gibt nicht viel dazu zu sagen«, begann sie schließlich, und er beobachtete sie genau. »Tom und Julian sind in dem Moment, in dem sie sich gesehen und erkannt haben, sofort in Streit geraten, der dann auch sehr schnell handgreiflich wurde.«
»Das heißt, sie haben sich geschlagen?«
»Tom hat Julian provoziert, er sprach über Monique und dann über mich.« Erneut rieb sie ihre Arme, als ob ihr kalt wäre. »Julian ist so wütend geworden.«
»Und dann?«
Sie wandte den Blick ab und schluchzte leise.
»Mrs. Tahn, was hat Ihr Mann dann gemacht?«
Sie schüttelte den Kopf, ohne ihn anzusehen. Ihre Hände verkrampften sich ineinander.
Warum antwortete sie ihm nicht?
Sie hatte offen mit ihm über die Fotos gesprochen, die ihr so peinlich waren, aber nun weigerte sie sich? War sie doch beteiligt an Tom Noviaks Tod? Manchmal sage oder tue ich Dinge, die ich gar nicht so meine. Hatte sie ihren Mann aus der Situation heraus zu etwas gedrängt, das er vielleicht gar nicht wollte?
Vermutlich würde er nie erfahren, wie die Begegnung in der Sandwood Bay tatsächlich abgelaufen und Tom Noviak zu Tode gekommen war.
Aber vielleicht ließ sich Laura Tahn noch einmal zum Sprechen bringen, wenn er sie mit den Obduktionsergebnissen konfrontierte. Zu ebendieser Stunde lag der Leichnam von Tom Noviak auf dem kalten Stahltisch der Rechtsmedizin in Inverness, und Gills war sich sicher, dass der Gerichtsmediziner ihm noch das eine oder andere Geheimnis entlocken konnte.