Krieg um Lotharingien
Einst hatte dort Otto I. seinen Bruder Brun, den Kölner Erzbischof, zum Herzog gemacht und dieser die dortigen Bischofsstühle mit seinen Schülern besetzt und auch derart das unsichere Grenzland an das deutsche Reich gebunden.
Die bischöflichen Kirchen, auch in Lotharingien seit langem reich, wurden jetzt noch reicher und unabhängiger durch die sächsischen Kaiser, die sich gegen die Ansprüche der weltlichen Großen auf die Prälaten stützten. Dies führte dazu, »daß sie den Bischöfen und Äbten manches bis dahin den Grafen vorbehaltene Recht anvertrauten oder ihnen seine Wahrnehmung ohne besondere Bewilligung überließen. So gibt es fast keine genauen Angaben über die Übertragung des Rechts zur Münzprägung, und doch hatten die Bischöfe in den letzten Jahrzehnten des 10. Jhs. Münzwerkstätten in Händen und ließen ihren Kopf und ihren Namen auf den Geldstücken anbringen. Manche Abgaben vom Handel, auch die Einsetzung eines von ihnen gewählten Grafen, werden ihnen überlassen ... Schließlich überhäuften die Kaiser die Prälaten mit Gütern, sie schenken ihnen Pfalzen, Wälder, Jagdrecht, ja sogar ganze Grafschaften. Im Verlauf eines Jahrhunderts, von 950 bis 1050, verwandeln sich die Bistümer in autonome Fürstentümer, deren alleinige Herren die Prälaten sind. In manchen Fällen kamen so stattliche Territorien zusammen und ließen in Lothringen das entstehen, was die Geschichte mit ›Trois-Evêchés‹ (Drei Bistümer) bezeichnet« (Parisse).
Nach dem Tod Bruns 965 blieb sein Herzogtum unbesetzt, bis es Otto II. 977 dem westfränkischen Karolinger Karl verlieh, dem jüngeren Bruder des französischen Königs Lothar (954–986).
Karl, in der rein männlichen Linie der vorletzte Nachfahre Karls »des Großen«, väterlicherseits also der Karolinger-, mütterlicherseits aber der Ottonendynastie entstammend, war ein jüngerer Sohn König Ludwigs IV. von Frankreich und seiner Gattin Gerberga, der Schwester Ottos I., und durch seinen Bruder Lothar in vieler Hinsicht benachteiligt. Seinerseits hatte er allerdings dessen Gattin Emma, eine ersteheliche Tochter der Kaiserin Adelheid, schwer beleidigt, sie nämlich des Ehebruchs mit Lothars einstigem Kanzler, dem Bischof Adalbero von Laon, bezichtigt (einem Neffen des Erzbischofs Adalbero von Reims). Und seit Karls Ernennung zum Herzog von Niederlotharingien (977–991) fürchtete Lothar wohl die Rivalität des unglücklichen Bruders, dieses traurigen Opfers dauernden Machtgerangels zwischen dem französischen und deutschen Königtum; er mußte sie bedrohlich finden, zumal der durch ihn – gegen die karolingische Tradition – vom Thron ausgeschlossene, überdies mit keinerlei Besitz ausgestattete Karl Anspruch auf die französische Krone erhob.
Als daher Otto 977 das vakante Herzogtum Niederlotharingien Karl gab, provozierte er den mit seinem Bruder zerstrittenen König Lothar, der darauf eine Rückeroberung Lotharingiens unternahm. Schon Lothars Name hatte programmatische Bedeutung, schon sein Vater, König Ludwig IV., nicht zufällig mit der lotharingischen Herzogswitwe Gerberga verheiratet, 939 Lotharingien militärisch zurückzugewinnen versucht, überhaupt das westfränkische Königtum seinen Anspruch auf Lotharingien nie aufgegeben. Blitzartig fiel dort Lothar im Juni 978 mit starken Kräften ein und stieß, unterstützt von Herzog Hugo Capet, bis Aachen vor, wobei ihm ein Handstreich auf seinen Schwager Otto II., der gerade in der Pfalz weilte, knapp mißlang.
Mönchschronist Richer von Reims schildert als unmittelbarer Zeitzeuge den Überfall in seinem für Frankreichs Geschichte im ausgehenden 10. Jahrhundert wichtigen Werk (lediglich in dem Autograph des Autors tradiert und erst im 19. Jahrhundert in Bamberg wieder entdeckt): »Die königlichen Tische wurden umgeworfen, die Speisevorräte von den Troßknechten geplündert, die königlichen Insignien aus den inneren Räumen geraubt und fortgetragen. Den eisernen Adler, der auf dem Giebel der Pfalz von Karl dem Großen in fliegender Stellung aufgerichtet worden war, drehten sie nach Osten, denn die Germanen hatten ihn nach Westen gedreht, um so auf feine Art anzuzeigen, daß die Gallier durch seinen Flug einmal besiegt werden könnten.«
Nur durch Flucht entging Otto II. der Gefangenschaft. Im Herbst 978 aber drang er im Gegenangriff mit einem Heer vor, in dem nicht nur Herzog Karl von Niederlotharingien, sondern auch wieder ein wirklicher Heiliger, der hl. Wolfgang, kämpfte – ausgebildet an der Reichenauer Kloster-, an der Würzburger Domschule; durch den Helden von Augsburg, Bischof Ulrich, Priester; auf Veranlassung vor allem des großen Urkundenfälschers Bischof Pilgrim seit Januar 973 Bischof von Regensburg; 1052 heiliggesprochen: Patron der Holzhauer, Zimmerleute, Hirten, Schiffer, Helfer bei Augen-, Fußleiden, Kreuzweh, doch auch »allgemeiner« Nothelfer. Als »Wolfgangs-Medaillen« vertrieb man später gern am Rosenkranz getragene Beile, die sogenannte Wolfgangshacke, »daher auch die Hackelbruderschaften«. Zu Lebzeiten förderte er »Frömmigkeit und Sittlichkeit des Volkes«, setzte überhaupt als Bischof »das strenge Leben des Mönchs fort; seine Zeit teilte er zwischen Gebet, Amtsarbeiten und Studium« (Lexikon für Theologie und Kirche) – und gelegentlichen kleinen Kriegszügen, wie eben damals wider die bösen Westfranken (Franzosen).
Der Magdeburger Kanoniker und emsige Missionserzbischof Brun von Querfurt verurteilte allerdings unter dem Eindruck der Cluniazensischen Reformen wie persönlicher Animositäten den Überfall des Königs auf Frankreich und schrieb: »Es wäre besser, eifrig die Heiden zu bekämpfen, anstatt ein stattliches Heer gegen die christlichen Brüder, die karolingischen Franken zu sammeln.« Ein katholischer Pazifist und Heiliger, wie er im Buch steht: »Vertrat das Prinzip der friedlichen Überzeugungsmission, ohne den Missionskrieg rundweg abzulehnen« (Lexikon für Theologie und Kirche).
Otto II. stieß im Herbst 978 bis fast nach Paris vor, »alles verwüstend und niederbrennend« (Thietmar), Kirchen und Klöster aber schonend. Ja, er beschenkte sie und betete darin; zerstörte allerdings auch die alten karolingischen Pfalzen Attigny, Soissons und Compiègne, ein empfindlicher Verlust an Machtsubstanz westlichen Königtums. Und ehe ihn der nahe Winter, Nahrungsmangel, ausbrechende Krankheiten im November zum Rückzug zwangen, versammelte er alle Pfaffen seines Heeres auf dem Montmartre und ließ sie noch ein Halleluja über die Stadt donnern.
Auch der hl. Wolfgang schrie seinerzeit mit, der so beredte Prediger eines lebendigen Evangeliums: »Sehet, das wirkt der Glaube, solche Früchte trägt er.« Und als er beim ruhmreichen Rückzug über die angeschwollene Aisne ins Wasser sprang, folgten ihm die Seinen vor den nachsetzenden Franzosen. »Niemand kam dabei um das Leben«, melden Wetzer/Welte – fast ein Wunder. In Wirklichkeit freilich erlitt der ottonische Troß hier eine Schlappe, die sich der französischen Geschichtsschreibung gar zum Triumph verklärte, während die deutsche schrieb: »Der Kaiser kehrte mit Siegesruhm bedeckt heim ...« (Thietmar). Beide Seiten siegten – auch das kennen wir noch.
Karl, der Herzog von Niederlotharingien, versuchte die Stunde zu nutzen und proklamierte sich 979 in Laon zum König, scheiterte indes wie immer, vor allem an den Machtstrukturen im Westfrankenreich, nicht zuletzt auch am Episkopat, der ihm u.a. sein Vasallentum bei einem fremden Fürsten sowie seine »Mißheirat« vorhielt. König Lothar aber gab infolge innerer Schwierigkeiten bei einer persönlichen Begegnung mit Kaiser Otto im Mai 980 in Margut-sur-Chiers (bei Ivois) angeblich seine Ansprüche auf Lotharingien gänzlich auf. Doch bald nach Ottos Tod sicherte er sich ein Faustpfand. Er besetzte 984 Verdun und wiederholte nach seiner Vertreibung die Besetzung im nächsten Jahr.8
Auch der Kampf um den Thron ging weiter. Noch mehrmals griff Herzog Karl nach der Macht. Mag sein, daß er gelegentlich etwas extravagant vorging, wenn er etwa bei der Einnahme Cambrais – es blieb nicht unbezweifelt – sofort nach Verjagung der Grafen die teure Gattin rief, um mit ihr in rauschenden Orgien den Reichtum des Prälatenhofes zu verprassen und im bischöflichen Bett zu schlafen; aber so ungewöhnlich war das ja wohl nicht.
Karls letzter Kraftakt, wobei er wiederholt auch Bischof Adalbero aus Laon verscheuchte, endete in eben dieser Festung, nachdem sich der Prälat in alter Pfaffenschläue mit Karl ausgesöhnt, mehr und mehr befreundet und diesem »mit den heiligsten Eiden« (Glocker) seine Treue versichert hatte. Doch in der Nacht nach dem Palmsonntag im März 991 lieferte Bischof Adalbero die Festung samt Karl dessen damaligem Gegenspieler, dem französischen König Hugo Capet aus, der ihn nebst Familie in seinen Kerker nach Orléans warf, in dem Karl zu einem unbekannten Zeitpunkt gestorben ist.
Auch im Norden wurde Otto II. tätig.