Johann XII. krönt Otto I. zum Kaiser und dieser stellt das Privilegium Ottonianum aus
Otto nahm die Offerte des Papstes jedenfalls gern an. Um die Modalitäten hatte Abt Hatto von Fulda (der Neffe seines Vorgängers Hadamar, denn überall floriert der Nepotismus fort) sich in Rom zu kümmern – 968 wird er Erzbischof von Mainz. Der König selbst ließ im Mai 961 seinen Sohn Otto II., seinerzeit erst sechs Jahre alt, in Worms zum König wählen, in Aachen krönen, gab ihn darauf in die Obhut seines Bruders Brun, des Erzbischofs von Köln, und seines Sohnes Wilhelm, des Erzbischofs von Mainz, und brach im August von Augsburg auf.
Vergebens versuchte ihn König Adalbert an der Klause von Verona aufzuhalten, und dann vertrieb er mit großer Heeresmacht Berengar aus Pavia, »weil er, wie man ganz sicher ist, die heiligen Apostel Petrus und Paulus zu Mitstreitern hatte« (Liutprand). Am 31. Januar 962 stand Otto vor Rom. Bevor er jedoch dort einzog, sagte er, so erzählte man, zu seinem Schwertträger Ansfried von Löwen: »Wenn ich an den Gräbern der Apostel bete, so halte dein Schwert beständig über meinem Haupte, denn römische Treue war meinen Vorfahren oft schon verdächtig. Sind wir zum Monte Mario zurückgelangt, so magst auch du beten soviel du willst«.66
Am 2. Februar 962 wurde Otto I. unter großem Pomp durch den höchstens halb so alten Johann XII., dem er zuvor einen Sicherheitseid hatte leisten müssen, in St. Peter zu Rom gesalbt und zum Kaiser gekrönt, vielleicht mittels jener Krone, die heute noch in der Schatzkammer der Wiener Hofburg ist. Ebenfalls hat der Papst die Otto begleitende Gattin Adelheid, »die Genossin des Reiches«, gesalbt und gekrönt. Und seither waren Kaisertum und deutsches Königtum – bis zum Untergang des »Heiligen Römischen Reiches« 1806 – dauernd miteinander verbunden und die Päpste für die Verleihung der Kaiserwürde wesentlich. Jeder deutsche König, der fortan Kaiser werden wollte, mußte nun nach Italien ziehen und zum Papst; Zündstoff genug für kommende Geschlechter. Und unendliche Tragik ...
Nach der Krönung präsentierte man dem Herrscher alsbald eine Urkunde zwecks Bestätigung aller päpstlichen Liegenschaften und »Rechte«. Und am 13. Februar 962 stellte Otto das Privilegium Ottonianum aus, jenes berühmt berüchtigte Dokument, das freilich nicht im Original vorliegt, auch nicht unumstritten ist. Es erneuert im ersten Teil die Pippinische Schenkung (IV 381) und garantiert den Besitz des Kirchenstaates, verpflichtet aber im zweiten Teil jeden Papst, zwischen seiner Wahl und Weihe im Beisein der Königsboten oder des Kaisersohnes zu einem Treueid, womit der Kaiser Einfluß auf die Papstwahl bekam: im Grunde eine Anknüpfung an die karolingische Tradition.
Was Otto jedoch seinerzeit unterschrieb und viele Jahrhunderte lang als Rechtsbasis des Kirchenstaates galt, war wieder einmal ein Diplom aus alten und neuen, echten und unterschobenen Elementen, angeblich längst überlieferter Besitz zwar, tatsächlich aber frisch fingierte Erweiterungen. Erscheinen da doch Städte, Länder, die nie der Kirche gehörten, Gaeta zum Beispiel, Neapel. Auch beanspruchte man Venetien, Istrien, die Herzogtümer Spoleto und Benevent und selbstverständlich das, was Pippin und Karl »der Große« versprochen, aber nicht gehalten hatten. Kurz, als rechtmäßiger alter Besitz wurde nicht nur verbrieft, was der Kirche auf Grund früherer Fälschungen zustand, sondern auch alles, was sie demnächst noch zu erobern gedachte, was, alles in allem, den Kirchenstaat auf zwei Drittel Italiens ausdehnen sollte.67
Kein Wunder, daß man in Rom den Kaiser als dritten Konstantin pries und begann, ihn Otto »den Großen« zu nennen. Allerdings hielt der große Otto seine Zusage so wenig wie einst der große Karl. Er beanspruchte eine ganze Reihe von Gebieten, die das Papsttum für sich beanspruchte. In der Pentapolis z.B., die man in Rom zum Patrimonium Petri zählte, erzwang er einen Eid der Bewohner, der sie zu seinen Untertanen machte. Auch scheint Otto den päpstlichen Schwindel erkannt zu haben, zu dessen besserer Durchsetzung damals der Kardinal Johannes (digitorum mutilus) von dem vor über zweihundert Jahren gefälschten Constitutum Constantini (IV 405 ff.) eine Prunkabschrift »mit goldenen Lettern« hergestellt hat, um bei Ottos Kaiserkrönung die »Konstantinische Schenkung« offiziell demonstrieren zu können.
Kurz nach der Krönung erlaubte Johann XII. – ein alter Wunsch Ottos – auch die Errichtung eines Erzbistums in Magdeburg und war ebenso mit der Gründung des Bistums Merseburg einverstanden. Schließlich hatte der deutsche Herrscher, wie der katholische Papsthistoriker Seppelt dies nennt, eine »großzügige Ostpolitik gegenüber den Slawenstämmen« getrieben (vgl. S. 450 ff., 455 ff.).
Ein am 12. Februar 962 ausgestelltes Papstprivileg spricht von der Vorgeschichte dieser Ereignisse, auch von der Ungarnschlacht sowie weiteren Kämpfen gegen das Heidentum »zur Verteidigung der heiligen Kirche Gottes« (ad defensionem sanctae Dei ecclesiae). Denn Verteidigung heißt hier nie nur oder auch nur in erster Linie Abwehr, sondern vor allem Angriff, Ausgriff, »Ausweitung des christlichen Glaubens«, heißt an der langen Ostgrenze des Reiches die lockende Möglichkeit nutzen, »neue Völker für das Christentum zu gewinnen. Der Sieg über die Heiden, Ungarn und Slaven, war eine materielle Voraussetzung für die Mission ...« (Büttner).68