Tumulte und Greuel in Rom und in der Geschichtsschreibung
Die Römer kürten nun, die geleisteten Schwüre rasch vergessend, einen Kardinal, der nicht nur Johann XII. mit amtsenthoben, sondern auch seinen eigenen Vorgänger Leo mitgewählt hatte: Benedikt V. (22. 5. – 23. 6. 964, gest. 966). Er wurde inthronisiert, und man versprach, ihn nie zu verlassen, ihn unter allen Umständen zu verteidigen. Doch der Kaiser wollte seinen Papst. Er führte Leo VIII. zurück, plünderte, verwüstete das römische Gebiet und belagerte im Juni 964 die Stadt, in der trotz Feuersbrünsten, Hungersnöten, Seuchen, Papst Benedikt, »ein durchaus würdiger, frommer Mann« (Seppelt), die Römer zur Verteidigung trieb. Er beteiligte sich persönlich, stieg auf die Mauern, stachelte die Seinen an und schleuderte gegen das Belagerungsheer seine Bannflüche. Aber von Übermacht, Hunger und Not bezwungen, öffneten die Eingeschlossenen am 23. Juni die Tore, lieferten Benedikt aus und gelobten dem Kaiser und Leo VIII. erneut über dem Grab St. Peters Treue. Benedikt V. freilich, »der Eindringling« (invasor: Liutprand), wurde auf einer Synode im Juni 964 öffentlich als Usurpator verurteilt. Papst Leo nahm ihm die Insignien der sogenannten Würde, »riß ihm das päpstliche Pallium, das er sich angeeignet hatte, ab, entriß seiner Hand den Bischofsstab und zerbrach ihn vor den Augen aller in Stücke«. Der abgesetzte Papst wurde zum Diakon degradiert, auf ewig exiliert und wanderte nach Hamburg in die Verbannung, wo er schon am 4. Juli nächsten Jahres starb.74
Nach Leos Tod 965 ging es in Rom mit den üblichen Tumulten weiter. Kaisertreue und kaiserfeindliche Päpste lösten einander in rascher Folge ab, einer bekämpfte den andern, verbannte, verstümmelte, mordete. Auf einer Synode französischer Prälaten 991 zu Reims sah Bischof Arnulf von Orleans in einem der schärfsten mittelalterlichen Angriffe auf das Papsttum dieses sehr deutlich in völliger Verkommenheit, in Verbrechen, Schande, sah die Gegenwart durch das päpstliche Rom »mit so schrecklicher Nacht geschwärzt, daß sie noch in Zukunft berüchtigt sein wird«. Man wußte damals den »Antichrist in Rom« schon seit Jahrhunderten am Werk – während uns Jesuit Hertling noch Mitte des 20. Jahrhunderts weismachen möchte: »An diese unerhörten Skandale darf man keine heutigen Maßstäbe anlegen.«
Doch das kann man immer sagen. Und das sagt man auch immer. Damit läßt sich alles bagatellisieren. Und deshalb ist dies nur eine bis heute allerwärts nachgepappelte Ordinarienbetise, nein, schlimmer – denn wer schon ist so dumm! – pure Heuchelei. Derart läßt sich – in fünfzig, in fünfhundert Jahren – auch die Etablierung und Förderung des Faschismus durch die Päpste rechtfertigen. Oder die wiederholte Erlaubnis des ABC-Krieges, des Einsatzes atomarer, biologischer, chemischer Waffen durch Papst Pius XII ....
Keine heutigen Maßstäbe anlegen? Situativ, temporär verstehen? Den Geist der Zeit begreifen? Aber wer oder was ist das? War und ist das denn nicht stets »der Herren eigner Geist«, der seit Jahrhunderten schon existente christliche Geist? »Wir sind die Zeiten; wie wir sind, so sind die Zeiten.« Kein anderer als Augustin schrieb das (I 55 ff.!). Und Johannes Haller, der große Papsthistoriker, insistiert: »Es war schon nicht anders: was sich damals heilige apostolische römische Kirche nannte, stellt sich dem Betrachter dar als ein Gebäude sehr weltlicher Herrschaft, wo unter dem Decknamen Sankt Peters der Ehrgeiz und die Habsucht um Thron und Ämter ringen, wo dieselben Waffen wie anderswo gebraucht werden und der Kampf um die Macht noch rohere, abstoßendere Formen annimmt als irgend sonst.« Und Haller zitiert – trotz jener »fast literaturlosen Zeit« – Zeitgenossen, die es schon einst so empfanden wie wir. Wie etwa jener unbekannte Dichter in seiner Apostrophe an Rom:
»Niederes Volk, von den Enden der Erde zusammengelaufen,
›Knechte der Knechte‹ fürwahr, heißen jetzt Deine Herrn ...
Schmutzigen Bastarden liegest du jetzt im Staube zu Füßen ...
Allzu sehr überwand Habsucht und Geiz deinen Sinn ...
Grausam hast du der Heiligen Leiber im Leben verstümmelt;
Jetzt ist der Toten Gebein gut dir zu jeglichem Kauf,
Und wenn die Erde gierig des Lebens Reste vertilgte,
Hältst du immerhin noch falsche Reliquien feil.«
Nun gibt es freilich christliche Köpfe, die all dem noch heute viel Geschmack abgewinnen, die wie immer aparte Patina des Morbiden goutieren und das Kunststück vollbringen, die Häupter der Hydra selbst zu verklären. So meint Katholik Daniel-Rops im Hinblick auf das papale Horrorarsenal, daß »diese Einzelheiten, wie man gestehen muß, auch romantisch und fesselnd sind wie ein Roman von Alexander Dumas«. Allerdings dürften »Skandalaffären –, Gewalttaten, die zu jeder Zeit (!) den päpstlichen Thron beschmutzen, nicht dem von Christus eingesetzten heiligen Amt angelastet werden, sondern der Unterdrückung, die es erleiden mußte«.75
Daß solchem Maule nicht schlecht von sich selber wird! Von Phrasen, kläglicher doch fast noch als was sie bemänteln ...
Papst Johann XIII. (965–972), wohl ein Sohn Theodoras d.J., der Schwester Marozias, war laut dem »Liber pontificalis« der Sohn eines Bischofs. Während des Schismas zwischen seinen Vorgängern Leo VIII. und Johann XII. hatte er sich zweideutig verhalten, opportunistisch; hatte Johann XII. angeklagt, darauf für Leos Erhebung gestimmt, dann dessen Absetzung unterzeichnet. Johann XIII., herrschsüchtig und germanophil, kooperierte eng mit dem Kaiser, hielt mit diesem gemeinsam Synoden in Rom und Ravenna. Er verfeindete sich mit dem heimischen Adel und dem Volk. Er förderte rücksichtslos seine Verwandten und wurde schon nach wenigen Monaten, Mitte Dezember, von den Römern unter Führung des Stadtpräfekten Petrus und des kampanischen Grafen Rotfred gestürzt, verhöhnt, mißhandelt, erst in der Engelsburg, dann in der Campagna unter Rotfreds Aufsicht eingekerkert. Mit Hilfe von Verwandten konnte er jedoch anfangs 966 fliehen und nach allerlei Scharmützeln mit seinen Gegnern im November 966 an der Spitze eines Heeres aus kaiserlichen und eigenen Soldaten im Triumph nach Rom zurückkehren.
Kurz darauf ließ dort Otto – der große, von Gott gekrönte Cäsar, der dritte Konstantin, wie ihn der Papst in einer Bulle pries – die am Aufstand beteiligten Adeligen nach Deutschland deportieren, die Führer des Volkes aber, die zwölf Milizkommandanten der zwölf Regionen Roms, dazu einen dreizehnten aus Trastevere, hängen. Für den auf der Flucht ergriffenen Stadtpräfekten Petrus hatte sich Seine Heiligkeit selbst, immerhin ein Beweis kreativer Phantasie, eine bizarre Spezialbehandlung ausgedacht, die in papalem Kreis sogar eine gewisse Schule machte. Erst wurde der Namensvetter des Apostelfürsten auf päpstlichen Befehl mit geschorenem Bart an den Haaren aufgehängt. Dafür mißbrauchte der Heilige Vater als Pranger die Reiterstatue Marc Aurels, die man (irrtümlich) für ein Monument des hl. Kaisers Konstantin I. hielt (den sog. Caballus Constantini), weshalb sie vor dem Lateran stand. Dann wurde der Nackte mit einem Kuheuter an Kopf und beiden Hüften nebst Glöckchen garniert und rücklings auf einem Esel unter Schlägen durch die Stadt getrieben, wobei Petrus das Gesicht gegen den Schwanz des Tieres (sein Zügel sozusagen) halten mußte. Er wurde eingekerkert und endlich nach Deutschland exiliert. Der Kerkermeister des Papstes in der Campagna, Graf Rotfred, war bereits erschlagen, allerdings auf kaiserliche Anordnung wieder ausgegraben und vor die Stadt geworfen worden.76