»...jahrelange Erziehungsarbeit«
Die Ungarn, »fürchterlich an Tracht und Körperbau«, wie Mönch Widukind, »das sehr wilde und alle Raubtiere an Grausamkeit übertreffende Volk«, wie Abt Regino von Prüm seinerzeit schreibt, Männer mit »greulichem Grunzen«, mit »hundeartigem Geheul«, so Ekkehard IV. von St. Gallen, kurz, die »Kinder des Teufels« (filii Belial, Annales Palidenses), waren erstmals 894 über die Donau in die Pannonische Mark, anno 900 erstmals in Bayern eingefallen. Seitdem verwüsteten sie häufig süddeutsche Gegenden, und die Kirche hatte große – vordem freilich selbst geraubte – Gebiete verloren. Die Bistumsgrenzen von Passau und Salzburg waren schon zu Beginn des 10. Jahrhunderts bis an die Enns und den Alpenabhang zurückgeschoben – wie blutig auch immer sogar die Seelenhirten sich wehrten: nach der Schlacht bei Preßburg am 4. Juli 907 lagen mit dem ganzen bayerischen Heer auch die Bischöfe von Salzburg, Freising und Seben tot auf dem Schlachtfeld.
Nach Sachsen und damit in den Norden stießen die Eindringlinge erstmals 906 vor, als der junge Heinrich auf Befehl seines Vaters den Kriegszug gegen die Daleminzier geführt und diese schwer gebrandschatzt hatte. Von ihnen zu Hilfe gerufen, verheerten die Ungarn darauf fürchterlich das Land. Sie töteten viele Sachsen, schleppten andere gefangen mit sich und kamen während Heinrichs Regierung 919, 924 wieder, 926 erneut, jetzt auch jenseits des Rheins; überfluteten ihre Reiterhorden doch nun ganz Westeuropa – »...et vastaverunt omnia«, eine typische Wendung der Jahrbücher.
Als der König im Schutz seiner Pfalz Werla das weitere abwartete, fiel ihm zufällig ein Ungarnführer in die Hand. Heinrich nahm die Gelegenheit zum Abschluß eines neunjährigen Waffenstillstands wahr (unter Zusicherung jährlicher Tributzahlung) und benutzte die Schonfrist zur Schaffung eines Verteidigungsgürtels, zur Errichtung neuer Burgen sowie zur Erneuerung alter, vor allem an der Slawengrenze, wobei das dort wohnende Volk Tag und Nacht mitbauen, auch für Verproviantierung im Ernstfall sorgen mußte. Die Burgen hatten sich offenbar seit karolingischer Zeit gemehrt, und in ottonischer ruhte auf ihnen das gesamte politische Leben, »mit gewissen Einschränkungen auch das kirchliche« (Schlesinger). Heinrich erbaute »Burgen zum Heile des Landes und Kirchen für den Herrn zum Heile seiner Seele«, notiert Bischof Thietmar, dabei schön das reale Christentum auf dessen (im doppelten Wortsinn) praktische Grundwerte reduzierend: Kirche und Krieg.
Weiter wurde eine Fülle von Klöstern und Stiftern massiv befestigt, Hersfeld etwa, Corvey, St. Gallen, selbstverständlich auch so manche Pfalz, Werla oder Merseburg, und nicht zuletzt das sächsische Reiterheer modernisiert, gepanzert und östlich der Elbe, der Saale in steten Slawengemetzeln für den Ungarnkrieg »geschult«; die Forschung spricht hier auch von einer »Bewährungsprobe« (Beumann). Nach sechs Jahren fühlte sich der König durch die »jahrelange Erziehungsarbeit, die Wehrhaftmachung seines Volkes« (Lüdtke) stark genug, den Waffenstillstand zu brechen, wobei ihm die Kirche eifrig beisprang. Schließlich hatte auch sie den Ungarntribut mit bezahlen müssen; vielleicht der Grund, warum sie bei seiner Aufkündigung 932 in Erfurt auf der ersten zur Zeit Heinrichs I. bezeugten Reichsynode sofort eine Kopfsteuer zugunsten ihrer selbst einzuführen beschloß.
In Verbindung mit dieser Reichsynode im Juni unter dem Vorsitz des Erzbischofs Hildebert von Mainz und in Anwesenheit des Königs sowie zahlreicher deutscher Bischöfe verfügte die gleichzeitige Volks- und Heeresversammlung auch den Ungarnkrieg. Denn nun glaubte man, wie gesagt, sich gerüstet genug, um den Kampf aufzunehmen. So sprach der König zum »Volk«: »Von welchen Gefahren euer Reich, das früher gänzlich in Verwirrung war, jetzt befreit ist, das wißt ihr selbst nur zu gut, die ihr durch innere Fehden und auswärtige Kämpfe so oft schwer zu leiden hattet. Doch nun seht ihr es durch die Gnade des Höchsten, durch unsere Bemühung, durch euere Tapferkeit befriedet und geeinigt, die Barbaren besiegt und unterworfen. Was wir jetzt noch tun müssen, ist uns gegen unsere gemeinsamen Feinde, die Awaren, vereint zu erheben.«
Ein Feind bleibt immer, durch die Jahrtausende. Wohin auch käme man ohne ihn! Ja, alles verarmt, schien es, heruntergekommen, pleite. Nur nicht, versteht sich, Mutter Kirche. Ihr Reichtum war offenbar noch so ungeschmälert wie der der räuberischen Ungarn. »Bisher habe ich, um ihre Schatzkammern zu füllen, euch, euere Söhne und Töchter ausgeplündert, nunmehr müßte ich die Kirche und Kirchendiener plündern, da uns kein Geld mehr, nur das nackte Leben geblieben ist. Geht daher mit euch zu Rate und entscheidet euch, was wir in dieser Angelegenheit tun sollen. Soll ich den Schatz, der dem Dienst Gottes geweiht ist, nehmen und als Lösegeld für uns den Feinden Gottes geben? Oder soll ich nicht eher mit dem Gelde die Würde des Gottesdienstes erhöhen, damit uns vielmehr Gott erlöst, der wahrhaft sowohl unser Schöpfer als Erlöser ist?«20
Rhetorische Fragen. Selbstverständlich wollten sie den Kirchenschatz erhalten, wollten alle »durchaus von dem lebendigen und wahren Gott erlöst werden, weil er treu sei und gerecht in allen seinen Wegen und heilig in allen seinen Werken«. Und so streckten sie denn, erlösungshungrig, »die Rechte zum Himmel« und schwuren dem König Beistand.