Das gewissenlose Bischofspack wechselt abermals die Front

Nach Ludwigs Absetzung 833 folgten langjährige schwere Kämpfe nicht nur zwischen Vater und Söhnen, sondern, unter Vertauschung der Fronten, auch zwischen den Brüdern. Die Gier nach diversen Herrschaftsanteilen führte zu wechselnden Koalitionen, je nach dem Vorteil, den man sich versprach; das beständigste politische Prinzip, das punctum saliens schlechthin.

Zunächst versuchten offenbar alle drei Brüder ihre Macht zu erweitern, Pippin von Aquitanien und Ludwig der Deutsche gegen Lothar, dieser gegen jene. Auch stritten sich die führenden Magnaten, Hugo, Lambert, Matfried, »über die Frage, wer von ihnen im Reich nach Lothar die zweite Stelle einnehmen sollte«. Kurz, »jeder«, fährt Nithard fort, »war auf seinen eigenen Vorteil bedacht« – wie die (meisten) Politiker noch heute. (»Anachronistisch« wieder?)69

Unter solchen Streitereien schlug die Stimmung abermals um. Man verdachte Lothar nicht nur sein habgieriges, gewalttätiges Verhalten, sondern offenbar auch die unbarmherzige Behandlung des ständig von ihm mitgeschleppten Vaters. Ludwig (der Deutsche), der bei einer neuerlichen Wende wohl am wenigsten zu riskieren und verlieren hatte, war schon im Winter 833/34 für den Vater eingetreten, dabei von Hrabanus Maurus, dem Fuldaer Abt, unterstützt (S. 79). Und auch Pippin von Aquitanien änderte offenbar seine Haltung wieder, zumal er einen Angriff Lothars auf sein Reich befürchtete, dieser überhaupt den ganzen Gewinn einzusacken entschlossen und die Herrschaft über das Reich anzustreben schien. Als dann freilich beide Brüder mit zwei Heeren auf ihn zuzogen, Ludwig von Osten, Pippin von Westen, verlor er den Mut, ergriff die Flucht und ließ den alten Kaiser in Saint-Denis zurück, ebenso den jungen Karl, den er aus Prüm geholt.

Während Lothar am 28. Februar mit seinem Anhang nach Burgund floh, kam das gewissenlose Pack der Kirchenfürsten, das Ludwig entthront hatte, nach Saint-Denis, nahm diesen schon am nächsten Tag, am Sonntag, den 1. März 834, feierlich wieder in die Kirche auf und huldigte ihm. »Kaum hatte sich Lothar entfernt, so traten die anwesenden Bischöfe zusammen, sprachen in der Kirche des heiligen Dionysius den Kaiser von aller Buße los und legten ihm seine königlichen Gewänder und Waffen an« (Annales Bertiniani) – die sie ihm vordem abgenommen – und »brachten Gott demütig Lobgesänge dar« (laudes Deo devote referunt: Nithard).

Die meisten Oberhirten wechselten sofort die Front. Natürlich hatte man vorher bei Ludwig angefragt, »ob er, wenn ihm die Herrschaft wieder zugewendet würde, das Reich und vor allem den Gottesdienst, den Wahrer und Lenker aller Ordnung, nach Kräften aufrichten und fördern wolle«. Und natürlich hatte sich der fromme Ludwig »hierzu ohne weiteres bereit erklärt«. Ergo »beschloß man schnell seine Wiedereinsetzung« (Nithard). Und selbstverständlich wußte der Kaiser, was er jetzt zu tun hatte, nämlich »vieles Schlechte, was sich eingewurzelt«, abzustellen, »vorzüglich aber folgendes. Er befahl seinem Sohne Pippin durch den Abt Hermold die geistlichen Güter in seinem Reiche, welche er entweder selbst den Seinigen geschenkt, oder diese sich selbst zugeeignet hatten, ohne Zögern den Kirchen wieder zurückzugeben. Auch schickte er Sendboten in den Städten und Klöstern umher, um das fast ganz verfallene Kirchenwesen wieder aufzurichten ...« (Anonymi vita Hludowici).

Lothar hatte inzwischen sein Heer in den Diözesen seiner getreuesten Genossen, der Erzbischöfe von Lyon und Vienne, verstärkt. Und während Kaiser Ludwig, nachdem er »mit gewohnter Andacht das heilige Osterfest« gefeiert, sich bereits wieder weidlich mit sportlichem Tieretöten »vergnügte«, erst in den Ardennen, darauf, nach Pfingsten, noch in den Vogesen jagte und fischte, siegte die Partei Lothars 834 in einem blutigen Gefecht über ein weit stärkeres kaiserliches Kontingent. Man kämpfte an der Grenze der bretonischen Mark, wobei Bischof Jonas von Orléans, Abt Boso von Fleury sowie viele andere Prälaten mitfochten und zahlreiche Große Ludwigs fielen, darunter auch sein Kanzler Abt Theoto von Marmoutier lès Tours.

Lothar fühlte sich ermutigt.

Er zog gegen Châlon sur Saône, ein wichtiges Waffenlager seiner Gegner, äscherte die ganze Umgebung ein und ließ dann die mehrere Tage lang berannte Stadt, nach einem Vergleich mit ihr, plündern und niederbrennen. Dabei wurden – gute Katholikenarbeit – »nach Art grausamer Sieger erst die Kirchen ausgeraubt und verwüstet«, darauf die führenden Verteidiger, Graf Gauzhelm von Roussillon, Graf Sanila, der königliche Vasall Madahelm geköpft – Chorbischof Thegan spricht gleich von »Märtyrern«, die übrigen Grafen in Gefangenschaft geschleppt. Sogar die Schwester Herzog Bernhards von Septimanien, die Nonne Gerberga, kam als »Giftmischerin« in ein Weinfaß und wurde in der Saône ertränkt. »Und er peinigte sie lange«, schreibt Thegan, »schließlich ließ er sie töten nach dem Urteil der Frauen seiner nichtswürdigen Ratgeber, erfüllend die Weissagung des Psalmisten: ›Und bei den Reinen bist du rein und bei den Verkehrten verkehrt.‹«

Die Ermahnung des Vaters, »daß er von seinem schlechten Wege abkehre«, schlug Lothar zunächst in den Wind, vermied aber eine Auseinandersetzung mit dem gegen Blois angeblich »zur Befreiung des Volkes« (Annales Bertiniani) anrückenden Heer der Brüder und Ludwigs, warf sich diesem dann freilich samt seinen prominentesten Gefolgsleuten zu Füßen, um ihm Treue und Gehorsam zu schwören, auch zu versprechen, Italien nie mehr ohne väterlichen Befehl zu verlassen.

Lothars Anhang stand es frei mit zu ziehen, und die meisten, auch namhaftesten, schlössen sich an, die Grafen Hugo, Lambert, Matfrid, Gottfrid u.a., die wohl all ihre fränkischen Güter, Lehen und Würden verloren. Lothar entschädigte sie jedoch, indem er ihnen, ungeachtet aller älteren, jüngeren, jüngsten Schwüre, in Italien gelegene Besitzungen fränkischer Stifter gab, ganze Klöster, San Salvatore in Brescia etwa, die berühmte Abtei Bobbio, eine Stiftung des hl. Columban (IV 193), sogar päpstliche Güter – maximeque ecclesiam sancti Petri, und dies noch auf grausamste Weise, crudelissima (Astronomus).

Auch einige Prälaten – die Erzbischöfe Agobard von Lyon, Bernhard von Vienne, Bartholomäus von Narbonne, die Bischöfe Jesse von Amiens, Elias von Troyas, Herebald von Auxerre sowie Abt Wala von Corbie – verließen vorsichtshalber, gegen jede kanonische Vorschrift, ihre Bistümer. Und fast alle folgten Lothar, hinter dem man die Alpenpässe sperrte, in den Süden, um einst nach Ludwigs Tod mit dem künftigen Kaiser zurückzukommen. Viele von ihnen aber wurden das Opfer einer 837 grassierenden Pest.70

Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
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