Skandinavienpolitik – Krieg und Geschäft um Gottes willen?
Im Rahmen der karolingischen Skandinavienpolitik waren zunächst zwei prominente Heilsverkünder besonders tätig geworden.
Zuerst trat 823 der eigentliche Initiator der Frohen Botschaft unter den Dänen in Erscheinung, der von Papst Paschalis I. zum Legaten des Nordens ernannte Erzbischof Ebo von Reims, jener begnadete Opportunist also, der mehrfach in schönster Pfaffenart die politischen Fronten gewechselt (S. 84 f., 89 ff.), übrigens auch ein Papstschreiben zu seinen Gunsten gefälscht hat.
Drei Jahre später ließ sich in Ludwigs des Frommen Ingelheimer Pfalz der Dänenkönig Harald Klak, um des Kaisers Unterstützung zu gewinnen, samt Gefolge taufen. Auf seiner Rückreise nahm er den einst als Frühwaise ins Kloster Corbie gesteckten Mönch und Missionar Ansgar, wohlversehen mit »Reisealtar und Reliquien« (Walterscheid), nach Dänemark mit, hat es aber kaum noch betreten, sondern sich in der ihm übereigneten Grafschaft Rüstringen in Friesland gleich niedergelassen. Als dann Ludwig 831 auf dem Reichstag zu Diedenhofen das Bistum Hamburg als Missionssprengel für Dänen, Schweden und Ostseeslaven gründete, Ansgar zum Bischof machte und ihm Papst Gregor IV. – wie Vorgänger Paschalis I. dem Ebo – 831/832 die »Missionsvollmacht« verlieh, ging Ebo nun Ansgar zur Hand. Doch wenige Jahre darauf saß Erzbischof Ebo – gerade noch vom Papst als Legat mit der »Oberhoheit« über den anderen Legaten, den hl. Ansgar, betraut, des öfteren in Haft, wiederholt im Kloster Fulda, auch in Lisieux und Fleury (S. 91). Und Ansgar war inzwischen zwar Erzbischof, doch die Stoßkraft des Frankenreiches unter Ludwig, zumal seit seinen letzten Jahren, stets schwächer geworden.
Dänische Wikinger hatten 845 Hamburg überfallen, hatten den Dom, das Stift (das 964 als Gefängnis für Papst Benedikt V. diente), die Bibliothek, die Stadt in Flammen aufgehen lassen und die Kirchenschätze geraubt. Ansgar aber, der »Apostel der Wikinger« (Walterscheid), mit knapper Not samt hl. Reliquien entkommen, tröstete sich mit Hiob: »der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen« und mit der »frommen Matrone Ikia«, die den Flüchtling auf ihrem Gut aufnahm. Er wurde Bischof in dem seit 845 vakanten Bremen, der neuen Missionsbasis, aber einem Suffraganbistum Kölns, weshalb schwere jahrelange Streitereien mit Erzbischof Günther (seit 850) folgten.
Von Bremen aus entstanden jedoch einige, wenn auch recht bescheidene kirchliche Stützpunkte. So in Haithabu (Hedeby), einem bedeutenden Ort für Export/Import im nördlichen Schleswig-Holstein, wo der hl. Ansgar, von Ludwig dem Deutschen wiederholt als Gesandter benutzt, mit Erlaubnis König Horiks I. eine Kirche errichtete, »die den Handelsplatz zum bevorzugten Ziel christlicher Kaufleute ... werden ließ« (Radtke); in Ribe (dt. Ripen), der ältesten Stadt Dänemarks und (schon seit Beginn des 8. Jahrhunderts) ebenfalls ganz dem Merkantilen zugewandt, vermutlich auch der Münzprägung; und wahrscheinlich in Birka, einem reichen, relativ großen, wohl oft vom König aufgesuchten schwedischen Handelsort mit weitreichenden Verbindungen (meist Luxuswaren: wenig Raumverbrauch und viel Gewinn) vor allem nach Westeuropa, aber auch nach Rußland, Byzanz, dem Kalifat von Bagdad.
Vielsagenderweise lauter Handelszentren; denn Krieg und Kapital, das eine so eng mit der Heilsgeschichte verbunden wie das andere – bis heute. »Es ist bezeichnend für die Stellung Birkas, daß die christliche Mission – den Haupthandelswegen folgend – gerade an der einzigen stadtähnlichen und verhältnismäßig volkreichen Siedlung Schwedens ansetzte und dort erste, wenn auch vorübergehende Erfolge erzielte« (H. Ehrhardt).
Und bezeichnend auch: die Dänen, deren Reich seit etwa 800 bestand und Jütland, die Inseln sowie drei südschwedische Landschaften umfaßte, wollten vom Christentum nichts wissen. Noch zwei Jahrzehnte nach Königs Harald Klaks Taufe, anno domini 847, gab es in Ansgars eigener Diözese erst vier Taufkirchen. Und die dänischen Zöglinge für seine Missionsschulen mußte der hl. Erzbischof Ansgar – kaufen! Doch warum nicht. Schon vor zweieinhalb Jahrhunderten hatte selbst der hl. Papst Gregor I., »der Große«, der Kirchenlehrer, englische Sklavenknaben für römische Klöster gekauft (IV 183 ff.). Auch lieferte das christliche Europa lange und skrupellos Sklaven in orientalische Länder. Agiert neben der Macht doch gleich das Geschäft, ein Teil der Macht. Und nützt es dem Glauben nicht, den Gläubigen, ja, handelt man nicht auch und gerade – um Gottes willen?43
Schließlich brach die Skandinavienmission restlos zusammen. Der Übertritt zum Christentum wurde einfach verboten. In ganz Dänemark gab es keine Kirche mehr, in Schweden, wo die Bevölkerung den Bischof schon viel früher vertrieb, jahrelang keinen christlichen Kleriker. (Aber mehr als ein Priester ist in jener Zeit in Schweden nie gewesen.) Man dachte sogar – nicht zum erstenmal – wieder daran, das Erzbistum Hamburg aufzulösen.
Doch im 10. Jahrhundert begann die Christentumspredigt im Norden wieder, auch durch englische Missionare; bezeichnenderweise aber erst, nachdem das Schwert erneut eine Bresche geschlagen. Selbst das katholische Handbuch der Kirchengeschichte räumt ein: »Heinrichs I. siegreicher Feldzug gegen König Gnupa von Südjütland hatte 934 den deutschen Predigern das Tor geöffnet.« Der unterworfene Gnupa, König der Wikinger um Haithabu, der bald darauf im Kampf gegen den jütischen Heidenkönig Gorm fiel, mußte nämlich jetzt »das Joch Christi tragen« (Thietmar) und eben, die Hauptsache, Tribute erbringen. Und schon im nächsten Jahr eilte der von Heinrichs Vorgänger Konrad noch kurz vor seinem Tod, entgegen der Kleruswahl, ernannte Erzbischof Unni von Hamburg mit Zustimmung des Königs nach Dänemark, konnte indes den lebenslang gegen die Deutschen kämpfenden Gorm nicht zum Christen machen. Er hatte aber wohl kleine Erfolge auf dänischen Inseln, bevor er nach Schweden weiterzog, wo er, bereits unmittelbar vor seiner Rückkehr nach Hamburg, im September 936 in Birka starb.
In Dänemark duldete der christenfeindliche Gorm der Alte (Gorm den Gamle) – mit dem erstmals eine datierbare dänische Königsreihe beginnt (die sogenannte Jellingdynastie, der alle folgenden Könige des Landes bis 1375 angehören) – nun vielleicht die christliche Predigt. Und unter seinem Sohn Harald Blauzahn (Blåtand) Gormsson (belegt 936 – ca. 987) beginnt die offizielle Christianisierung der Dänen etwa nach 960, als Harald sich selbst taufen ließ – »aller Wahrscheinlichkeit nach auf politischen Druck von deutscher Seite« (Skovgaard-Petersen). – An dieses Ereignis erinnern einige der meistbeachteten archäologischen Zeugnisse des dänischen Frühmittelalters in Jelling (an der Ostküste Jütlands, nahe Vejle), darunter der von Harald Blauzahn gesetzte »große« Runenstein. Außer einer Gedenkinschrift für seinen Vater Gorm und seine Mutter Thorwi enthält er die Selbstnennung als Harald, »der ganz Dänemark und Norwegen für sich gewann und die Dänen zu Christen machte.«44
Weit erfolgreicher als Unni wirkte sein Nachfolger in Hamburg, Erzbischof Adaldag (937–988).
Der Abkömmling einer vornehmen Sachsenfamilie, zunächst in der Kapelle Heinrichs I., dann als Kanzler Ottos I. tätig, war mit dem Hofleben vertraut, behielt aber auch als Erzbischof einen starken Einfluß auf die ottonische Reichs- und Kirchenpolitik. Insbesondere förderte er wie kein anderer Ottos Pläne im Norden. Griff doch sein Bistum 947/948 über die deutschen Grenzen auf Dänemark über durch Gründung der drei ihm unterstellten, vom König vielfach begünstigten Diözesen in den Hafenstädten Haithabu (Schleswig), Ribe und Aarhus.
Zum erstenmal hatten damit die Hamburger Erzbischöfe Suffragane. In diesem Fall freilich, entschied einst Papst Formosus, sollte Bremen wieder in den Diözesanverband der Kölner Erzdiözese, zu der es vordem gehörte, zurückkehren. Ergo kam es zu Reklamationen durch Erzbischof Wicfrid von Köln; sofort erhob er Ansprüche auf Bremen. Das aber wollte Erzbischof Adaldag, durch Entsendung von Priestern, durch Kirchenbauten der weitaus eifrigste Frohebotschafter im Norden, nicht hinnehmen. Und da er kaum Skrupel kannte, etwa die Tochter des Grafen Heinrich von Stade (Bischof Thietmars Großvater), ein knapp zwölfjähriges Kind, zur Äbtissin machte, fabrizierte er, einst viele Jahre Verfasser und Schreiber königlicher Urkunden, auch eine Reihe falscher Diplome – und ward vom Herrn gesegnet. Ihm wurde nicht nur 968 noch das Bistum Oldenburg in Ostholstein unterstellt, womit das schon länger geplante Kirchenregiment im Abodritenland begann, sondern er konnte auch seine Stellung festigen, nicht zuletzt durch die endgültige Unabhängigkeit von der Kölner Konkurrenz. So hob der Fälscher, alles in allem, »das Ansehen des Erzbistums während seiner langen, tatkräftigen Regierung bedeutend« (Lexikon für Theologie und Kirche).
Die drei neuen Bischofssitze im Norden lagen zwar sämtlich auf dänischem Gebiet, doch nicht allzuweit vom Reich entfernt. Und natürlich sollten ihre Inhaber, Adaldags Suffragane Hored, Liafdag und Reginbrand, ihren Einfluß ausdehnen, vor allem auf die Inseln, auf Fünen, Seeland, Schonen (das lange noch zu Dänemark gehörte, erst 1658 an Schweden kam). Denn gerade zur Bekehrung der Inseldänen wurden die neuen Missionsbischöfe ausdrücklich verpflichtet. Es ging ja um Expansion, Besitzergreifung. Ergo mußten diese Prälaten ihren Diözesanen »als feindliche Vorposten im eigenen Land erscheinen. Und das sollten sie nach Ottos Plan ohne Zweifel auch sein« (A. Hauck).45
Um das Christentum rissen sich die Dänen so wenig wie die Slawen im Osten. Anscheinend schon viel war erreicht, erachteten einzelne das Christenidol für nicht geringer als die eigenen Götter. Doch selbst solche »Erfolge« gediehen nur im Schatten deutscher Schwerter. Und als Harald Blauzahn die wilden Machtkämpfe in Norwegen nach König Harald Schönhaars Tod (um 930, er war der erste Alleinherrscher über ganz Norwegen) zu einem Kriegszug nutzte und das südliche Norwegen unter dänische Kontrolle geriet, da traten die christlichen »Glaubensboten« auch dort in Aktion – wie nach dem Sieg Heinrichs I. über die Dänen in Dänemark (S. 398 f.).
Die Tätigkeit der geistlichen Feudalherren und ihrer Missionare, ihr Einnisten erst auf dem Boden, dann in den Seelen der Überwältigten, Vergewaltigten, war für das Königtum von enormem Wert. Wo immer Otto losschlug, wo immer er wider Dänen, Slawen, Ungarn zu Feld zog und militärisch Fuß faßte, da wurzelte er sich durch die Kirche ein, da schuf er »auf den ihnen entrissenen Territorien Bistümer und Klöster als Stützpunkte seiner Macht« (Kosminski).
So 948 auf dänischem Territorium die Bistümer Schleswig, Ribe, Aarhus; im gleichen Jahr, und zwar noch vor der Christianisierung dieser Gebiete, die Slawenbistümer Brandenburg und Havelberg, die der Mainzer Erzbischof erhielt, sowie, erst später, das dem Erzbischof Adaldag von Hamburg-Bremen unterstellte Oldenburg. Mit der Gründung des Erzbistums Magdeburg 968, errichtete man die Bistümer Merseburg, Zeitz und Meißen, schließlich 973, in Ottos Todesjahr, das Bistum Prag.
Erst der Militärschlag, dann die Mission, dann der staatliche »Anschluß«. War es doch Ottos »des Großen« offenbares Endziel, alle eroberten Länder »zunächst kirchlich und dann politisch dem Deutschen Reiche einzugliedern, wie es schon karolingische Praxis gewesen war« (Brackmann). Gerade das enge Kooperieren aber mit dem Klerus, die Kumpanei von Thron und Altar bei dem so ordinären wie blutigen Raubgeschäft en gros, gab den ottonischen Aus- und Übergriffen noch den Anstrich des Numinosen, die höhere Weihe, das Gottesgnadentum. Oder, wie man mit probatem Zungenschlag schrieb, die »Mission als Element« dieser Politik, die Verbreitung des Glaubens unter den Heiden, die »hehrste Kaiserpflicht«, konnte »Ottos Ansehen und seine dem Kaisertum zustrebende Stellung noch weiter sublimieren« (Hlawitschka).46
Sublimieren –. Und Ottos Streben nach dem Höchsten im weltlichen Bereich bedurfte natürlich des Höchsten im geistlichen, des Hehrsten überhaupt, des Sublimsten, des Papsttums in Rom.